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Haben wir je einen teutschen Shakespear zu erwarten, so ist es dieser

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Christian Friedrich Thimme, 21. Juli 1781

Eine Erscheinung, die sich unter der unübersehbaren Menge ähnlicher Sächelchen gar sehr auszerichnet, wahrscheinlich noch fortdauern wird, wenn jene schon in ihr Nichts wieder zurückgegangen sind, noch ehe sie anfingen, recht zu lebe. Ich glaube, dass sie um deswillen unsere besondere Aufmerksamkeit verdient. Volle bühende Sprache, Feuer im Ausdruck und Wortfügung, rascher Ideengang, küne fortreisende Fantasie, einige hingeworfene, nicht genug überdachte Ausdrüke, poetische Deklamazionen, und eine Neigung nicht gern einen glänzenden Gedanken zu unterdrücken, sondern alles zu sagen, was gesagt werden kann, alles das karakterisirt den Verfasser aks einen jungen Mann, der bei raschem Kreislauf des Bluts und einer fortreisenden Einbildungskraft, ein warmes Herz voll Gefül und Drang für die gute Sache hat. Haben wir je einen teutschen Shakespear zu erwarten, so ist es dieser. Aber eben diese grose Hofnung berechtiget uns auch zu gröseren Forderungen, als die Alltagskost für unsere gewönliche Kraftmänner, und süse Geisterchen. In der Vorrede sagt der Verfasser, daß er sein Werk nicht nicht als Schauspiel nach den Regeln des Aristoteles und Batteux, sondern als dramatisierte Geschichte beurteilt wissen will. […] Die Regeln des Arist. sind keine Grillen eines müsigen Kunstrichters, sie sind von den besten Stüken des Altertums abgezogen, und in der Natur der Sache, in der Natur unserer Empfindung gegründet. […] Allein die Zumutung, in drey Stunden mit meinem Helden einen Zeitraum von Jahren zu durchlaufen, in einer Zeitfolge von Augenbliken die Sitten der Handlungen eines halben Menschenalters zu durchschauen, die Widersprüche nicht zu bemerken, mit der Leichtigkeit des Dichters über die Lüken hinwegzuschlüpfen, angewurzelt auf dem Raum eines Quadratschuhes, Städte zu durchwandern, und auf dem Zaubermantel der Fantasie im Hui über Länder zu fliegen, ohne eine Fuszehe zu rühren, ohne unwillig zu fragen, wie hängt das zusammen? wie ging das zu? was ging hier vor? Kurz, nur um mich zu täuschen, meine Fantasie zu jagen, meinen Verstand zu betäuben, und meine Sinnen Lügen zu strafen; wär diese Zumutung weniger widersinnig? Ich weis es wol, daß es zum beliebten Scheniewesen gehört, auf Regeln aus Schulgeschwätz zu schimpfen, Aristoteles und Batteux für Dummköpfe zu halten, über Stock und Stein zu springen und Zaun und Heken niederzutreten. Aber ich weis auch, daß wir noch noch kurze Zeit so fortfahren dürfen, um alles, was die besten Köpfe seit jahrhunderten gebaut haben, niederzureisen, und mit Sturm und Drang, Sing und Sang in das beliebte Zeitalter der Gothen zurückzukehren. Jedoch zu diesen wütenden Kraftschenies gehört unser Verfasser noch nicht, und ich hoffe, daß er sich mit dem Aristoteles noch aussöhne, und uns Meisterstücke der Kunst liefern wird, die mit Shakespears so oft schon nachgeäften, aber bis itzt noch unerreichten Schönheiten prangen, ohne durch seine Ausschweifungen verunstaltet zu werden, zu entkräften. Man lese selbst, und es wird die Mühe reichlich belonen. Die Karaktere sind gröstenteils meisterhaft geschildert, kün angelegt, und treu ausgeführt, vorzüglich Karl Moors Karakter, der ein wahres Meisterstück ist. Franzens kurze Erzählung in der ersten Szene. […], lässt uns mit einem Blik die Geschichte der Kindheit der ungleichen Brüüder übersehen, und aus den verschiedenen Anlagen begreifen, daß jeder unter solchen Umständen das werden muste, was er wurde. Franz, der schleichende heuchlerische Bösewicht, und Karl, der seltne grose Mann, der unter andern Verbindungen die Bewunderung der Völker gewesen wäre, den man aber auch itzt als Mörder und Räuber, indem man seine Schadtaten hasst und verabscheut, noch bewundern, bedauern und lieben mus. Bis an das Ende bleibt er sich gleich; gleich gros, gleich liebens- und gleich verabscheungswürdig. Keine seiner auserordentlichen Handlungen kömt ganz unerwartet, oder, ist unbegreiflich. Alles ist so angelegt, so zwischen Ursache und Wirkung verbunden, daß es nicht anders kommen konnte. Das gilt auch von Franzens Handlungen. Dessen Karakter ist nicht so schwer, weil er nicht so zusammengesetzt ist. Er ist blos abscheulich, bleibt sich aber auch immer gleich. Ob es aber – was der Verfasser auch in seiner Vorrede, mit sehr viel Zuversicht zu sich selbst, vom Pöbel und von den Abderiten sagen mang – ob es ein so gänzliches Ungeheuer in der Natur giebt: das ist eine andere Frage. Er eifert ja selbst wider die Aufstellung der Ideale, und ich möchte mir doch zeigen lassen, welcher unter den alten oder neuen Dichtern es gewagt hätte, sein so vollkommenes Ideal eines menschlichen Ungeheuers aufzustellen. Man legt schon lange Richardson seinen Lovelace* zur Last: und Lovelace ist doch gewis ein Heiliger gegen Franzen. War es nicht möglich, daß der Verfasser ihm alle zur Karakteristik des Stücks nöthige Hauptzüge lies, und doch einige andere Züge hineinwebte, die ihn der wirklichen Menschennatur, die nie so ganz, so ununterbrochen bös ist, näher gebracht hätten? Übrigens bleibt auch dieser Karakter bis an das Ende sich treu. Auch seine Verzweiflung und Gewissensangst gehören nothwendig dazu: denn seine niedrig boshafte Seele war zu klein, um auch in der Bosheit heldenmäsig zu verharren. Was wir von Amalien sehen, ist gut, ist sehr schön: aber mich dünkt, wir sehen zu wenig von ihr. Eine solche Hauptperson solte mehr ausgezeichnet, mehr in das hellste Licht gestellt, von mehreren Seiten gezeigt sein! und das hätte leicht geschehen können, wenn einige ganz überflüssige Nebenpersonen gang weggeblieben wären. Dazu gehören die meisten der Räuber. Wozu die ganze Rotte? zu nichts, als das ganze Stük hier und da langweilig zu machen, und einige sehr widrige Szenen aufzuführen. Schweizer und Spiegelberg konten bleiben; dieser, um die Maschine in Bewegung zu setzen, wozu Moor für sich unfähig war; und jener, um ein würdiger Vertrauter Moors, und ein Werkzeug seine edeln Sache zu sein. Der alte Moor ist ein guter zärtlicher Vater, aber ein schwacher Mann, und als dieser spielt er seine Rolle gut. Aber in Herrmanns Karakter kan ich mich nicht finden. Er ist boshaft und rachgierig genug, um sich von Franzen zum Werkzeug der abscheulichen Schandthaten brauchen zu lassen, und unmittelbar darauf, ohne weitere Veranlassung, der gutherzige Retter der Leidenden. Zum ersten ist hinlänglicher Grund und Veranlassung da; zum letzten nicht. Der alte Daniel ist danz überflüssig; denn zu Franzens Vertrauten schikt er sich durchaus nicht. Wie ar es möglich, das ein so listiger Böswicht, wie Franz, einen so alten einfältigen frommen Manne so bedenkliche Auträge geben konnte? Das ist offenbar Widerspruch. Warum wählt er nicht auch hierzu den Herrmann? Herrmann hatte ihm blutige Rache gelobt; itzt war es Zeit, Gebrauch davon zu machen. Das war natürlich, und der Leser wurde einiger langweiliger Szenen zwischen Daniel und Franz, und Daniel und Karl überhoben. Besonders ist die Wiedererkennungsszene zwischen den letzten beiden, und Daniels Kindererzählung, mehr als langweilig, zumal zu einer Zeit, wo es von Karls Fassung nicht zu erwarten war, daß er Gedult genug haben konte, das einfältige Gewäsche des kindischen Alten so gelassen anzuhören. Franzens Monolog […], wo er seine Bosheit zu bemänteln sucht, scheint eine Nachamung des schönen Edmundischen Monologs im Lear zu sein, da er seinen Vater behorcht hat. Er würde ebenso thun, und noch meisterhafter sein, wenn er kürzer wär, allein er ist gare zu lang gerathen. Eben das gilt von der Szene von S. 20 an. Spiegelbergs Erzählungen sind nicht nur überflüssig und langweilig, sondern auch ekelhaft. Wer mag eine so weitläufige Relazion läppischer Studentenstreiche mit anhören? Die Szene sollte wenigstens um die Hälfte abgekürzt seyn, und sie wäre noch immer mehr als hinlänglich, den grosen Entschluß nach und nach reifen zu lassen. Moors Verzweifelung und wütender Schmerz, und ein flüchtiger Einfall von Spiegelberg waren hinreichende Triebfedern, mithin der gröste Teil des unbedeutenden Gewäsches der Übrigen überflüssig. Moors Verzweiflung von S. 39 an ist vortrefflich, fürchterlich schön. Shakespear läßt seinen Lear nicht rührender, nicht fürchterlicher rasen. Die erste Szene des zweiten Akts ist herrlich, und Franzens Überredung Herrmanns ein Meisterstück der Kunst. Die dritte Szene ist zu gedehnt, und das Räubergeschwätz ekelhaft. Spiegelbergs Erzälung hat keine Verbindung mit dem Stük, und die Geschichte mit dem Nonnenkloster ist zu schändlich, ist beleidigend. Überhaupt solte der Verfasser hier und da mehr über sich wachen, damit ihm nicht zuweilen Ausdrücke entwischten, die jedem zärtlichen Ohr beleidigend seyn müssen. Ich mag sie nicht auszeichnen, um nicht denselben Fehler zu begehen. So bedient er sich einiger Provinzialausdrüke, die an einigen Orten Teutschlands ganz unverständlich sind, z. E. Weidenstoz, Aufstreich, jolen, zettern, bretteln etc. So ist sein Wiz zuweilen gesucht, und abenteuerlich. […] Moor’s Rue über das Unglück, der durch ihn angezündeten Stadt ist rührend. […] Kossinki’s Anwerbung ist Episode, die mit dem Stük in gar keiner Verbindung steht, aber um Karls willen mir so reizend, daß ich ganze Bände dafür hingebe. Sie Szene von Moors Zusammenkunft mit Amalien ist hinreisend schön. Das Räuberlied in der fünften Szene des vierten Akts und ein Teil ihrer Unterhaltung hätte wol wegbleiben können. Aber der darauf folgende Monolog Moors: Glaubt ihr, ich werde zittern? Geister meiner Erwürgten! ich werde nicht zittern etc. Warum hat ein Perillus einen Ochsen aus mir gemacht, daß die Menschheit in meinem glühenden Bauche bratet? Und: „Zeit und Ewigkeit – gekettet an ein ander durch ein einzig Moment! Grauser Schlüssel, der das Gefängniß des Lebens hinter mir schliest, und vor mir aufriegelt die Behausung der ewigen Nacht . sage mir etc.“ Kaum kan ich mich enthalten die ganze Stelle abzuschreiben, sie ist sicher so schön, wo nicht schöner noch als, Hamlets berühmter Monolog vom Sein und Nichtsein. Doch ich müste beinahe das ganze Stück ausschreiben, wenn ich alle vortrefliche Stellen anmerken wolte. Die Szene, wo Moor seinen Vater entdekt, und Rache schwört, ist fürchterlich. – Im fünften Akt gefäält mir bei Franzens Verzweiflung sein Traum nicht; denn ich glaube kein Drama, sondern einige Kapitel aus der Offenbarung Johannis zu lesen; völlig derselbe Ton. Pastor Moser ist auch eine überflüssige Person: denn sein Besuch bewirkt nichts. Er bringt nicht die mindeste Veränderung in dem Gemütszustand des Verzweifelnden hervor: was soll er also? Seine Unterhaltung selbst macht uns keinen sonderlichen Begrif von ihm, da er weder den Menschenkenner, noch den Menschenfreund, noch den Philosophen, sondern den im ungewönlichen Alltagston donnernden Gesezprediger macht. Amaliens Ermordung scheint mir ruhig vollzogen zu werden; und das Ende der ganzen Szene sollte wol überhaupt mehr zusammengedrängt, und kürzer abgebrochen werden, um den Leser nicht vor dem Ende schon erkalten zu lassen. – Ich bin weitläuftig gewesen: aber ich glaube, eine so seltne Erscheinung im dramatischen Fach verdient es. Ein Verfasser, dessen erstes Produkt sich schon so sehr auszeichnet, mus, wenn er aufmerksam auf sich ist, und die Bemerkungen kunstverständiger Freunde benutzt, mit Riesenschritten zu Vollkommenheit fortschreiten, und das Publikum zu grosen Erwartungen berechtigen. Nur wünschte ich noch, daß er beidem Studio Shakespears weniger den Göz, als Lessings Werke studiren mögte, da das Feuer seines Genies ohnehin mehr eines Zügels als der Sporn bedarf.