Charakterisierung des Marquis Posa, Zeichnung von Arthur von Ramberg

Marquis Posa, Charakter aus dem Schiller-Drama Don Carlos, Zeichnung von Arthur von Ramberg, 1859

Marquis Posa, Charakter aus dem Schiller-Drama „Don Carlos“, Zeichnung von Arthur von Ramberg, 1859

Charakterisierung des Marquis Posa

aus der „Schiller-Galerie“, 1859



Niedrige Naturen haben keine idealen Zwecke, gewöhnliche vermögen sie nur in der Jugend festzuhalten, edle nehmen sie auch in das Mannesalter hinüber, erweitern und vertiefen sie dort. Zu diesen letztem gehört Schillers Posa, in dem der Dichter mit solcher Meisterschaft jene echte Seelengröße zu schildern gewusst hat, deren heiliges Feuer in ihm selbst loderte.

Tritt bei Don Carlos das weibliche Element des Charakters aufs entschiedenste hervor, so bei Posa das männliche. Philipp wie Carlos, am meisten die Königin, trotz ihrer so ganz verschiedenen Standpunkte fühlen überall heraus, dass ihm große ideale Interessen durchaus über die persönlichen gehen. Dass ihm ein einzelner auch noch so teurer Freund gegen die ganze Menschheit nichts gilt, das malt sich gleich in der Scene des Wiedersehens mit Carlos, wo er, ohne sich um Carlos’ Seelenschmerz viel zu kümmern, fast nur seiner Enttäuschung Raum gibt, ihn nicht so zu finden, wie er gehofft:

So war es nicht, wie ich Don Philipp’s Sohn
Erwartete. . . .
Das ist
Der löwenkühne Jüngling nicht, zu dem
Ein unterdrücktes Heldenvolk mich sendet. …
Ein Abgeordneter der ganzen Menschheit
Umarm’ ich Sie — es sind die flandrischen
Provinzen, die an Ihrem Halse weinen
Und feierlich um Rettung Sie bestürmen.

Es verstand sich beinahe von selbst, dass der Künstler ihn in dieser Szene auffassen musste, wo das Heroische, Tatkräftige, Entschlossene dieses Charakters den wohltätigsten Gegensatz zu dem edlen aber weichlichen Wesen des Carlos bildet.

Nichtsdestoweniger ist Posa, obwohl genialer Denker, glänzender Redner, kühner Soldat, dennoch kein Staatsmann, sollte es nach des Dichters, Intention auch wohl nicht sein: dafür hat er viel zu viel Vorliebe für die verwegensten Mittel, zu viel Schwärmerei, und lässt sich bei seinem Handeln allzu sehr von der augenblicklichen Stimmung leiten. Er ist Prophet einer neuen Zeit, kein Politiker. Schon sein Versuch, Carlos für die Sache der Provinzen zu gewinnen, während er doch dessen Schwäche, also die Unfruchtbarkeit dieses Bemühens, selbst im Falle es gelang, zu kennen vermochte, spricht nicht dafür, noch weniger aber sein Abspringen von diesem Plan in der Unterredung mit Philipp, ein so glänzendes Meisterstück der Beredsamkeit sie auch sonst ist. Einen sechzigjährigen Despoten zu bekehren unternimmt ein Staatsmann sicherlich nicht, sondern bloß ein Schwärmer, und Philipp betrachtet ihn mit Recht konsequent auch als solchen, obgleich er ihn persönlich lieb gewinnt.

Ist Posa nach dem allen kein konsequenter Charakter, so ist er also doch ein um so geistreicherer Mensch, der in allem, was er äußert, die merkwürdigste Gedankentiefe zeigt, so schon vor dem Eintritt zum König durch die Art, wie er seinen Versuch vor sich selbst motiviert:

Wie komm’ ich aber hierher? — Eigensinn
Des launenhaften Zufalls wär’ es nur,
Was mir mein Bild in diesen Spiegeln zeigt? …
Ein Zufall nur? Vielleicht auch mehr. — Und was
Ist Zufall anders, als der rohe Stein,
Der Leben annimmt unter Bildners Hand?
Den Zufall gibt die Vorsehung — zum Zwecke
Muss ihn der Mensch gestalten. . . .
Ich weiss,
Was ich — ich mit dem König soll — und wär’s
Auch eine Feuerflocke Wahrheit nur,
In des Despoten Seele kühn geworfen —
Wie fruchtbar in der Vorsicht Hand!

So einverstanden man mit dem theoretischen Vordersatz sein wird, so Wenig kann man es mit der Anwendung sein, die. er davon macht, die eben den Schwärmer kennzeichnet, da die Despoten durch der Wahrheit Feuerflocken Wohl verbrannt, nicht aber geschmolzen werden.

Erscheint das Thun des Marquis nicht überall ausreichend motiviert, so hat der Dichter es um so meisterhafter verstanden die Wirkung, die er überall hervorbringt, uns deutlich zu machen durch den Glanz und Adel, die er über alles gebreitet hat, was er sagt. Es ist zugleich eine verhaltene Macht der Begeisterung, eine- stille Glut der Empfindung, eine Hoheit des Gedankens darin, deren bezaubernder Wirkung niemand entgeht, die uns selbst erklärlich machen, dass der bedrängte, durch Eifersucht und Argwohn aufs tiefste verwundete Philipp zu dem Manne, der solche Meinungen so verträgt, Vertrauen fasst, sich gestehen muss:

Gift also selbst,
Find’ ich, kann in gutartigen Naturen
Zu etwas Besserm sich veredeln. …
Ich habe
Solch einen Menschen nie gesehen. …
Ihr kennt
Den Menschen, Marquis. Solch ein Mann hat mir
Schon längst gemangelt, Ihr seid gut und fröhlich
Und kennet doch den Menschen auch.

Am feinsten und schönsten aber ist die Schilderung seines Verhältnisses zur Königin, wie es sich in den Worten der hohen Frau malt, wenn sie von ihm sagt:

Der erste seiner Nation, der mich
Den Ruhm empfinden lehrte, Königin
Der Spanier zu sein —

und er mit echt spanischer stolzer Galanterie erwidert:

Damals träumte
Mir nicht, dass Frankreich noch das Einzige
An uns verlieren wurde, was wir ihm
Beneidet hatten.

Posa ist es allein, der ihr eine Aussicht in die sonst so trüb verhüllte Zukunft öffnet, der ihr noch einen Strahl von Hoffnung und Genugtuung zu gewähren vermag; — er allein beweist ihr, dass im männlichen Charakter Edelmut nicht immer bloß mit Schwäche, Stärke bloß mit der Grausamkeit Hand in Hand gehen können. Dieses stille und schöne Vertrauen erwidert er mit einer ähnlichen Empfindung und einer Begeisterung für sie, die sich überall auf die zarteste Weise ausspricht, ob er nun zu Philipp sagt:

Und etwas lebt noch in des Weibes Seele,
Das über allen Schein erhaben ist
Und über alle Lästerung — es heisst
Weibliche Tugend! —

oder endlich, da er sein keckes Spiel verloren, ihr und durch sie erst dem Freunde seine heißesten Wünsche ans Herz legt:

Hier,
Hier — hier — auf diesem heiligen Altare,
Im Herzen seiner Königin leg’ ich
Mein letztes kostbares Vermächtniss nieder,
Hier find’ er’s, wenn ich nicht mehr bin. . . .
Sagen Sie
Ihm, dass er für die Träume seiner Jugend
Soll Achtung tragen, wenn er Mann sein wird,
Nicht öffnen soll dem tödtenden Insekte
Gerühmter besserer Vernunft das Herz
Der zarten Götterblume — dass er nicht
Soll irre werden, wenn des Staubes Weisheit
Begeisterung, die Himmelstochter, lästert.

Posa geht mit Notwendigkeit unter, eben weil er wohl eine neue Zeit begreift, seine Kraft aber nicht ausreicht sie herbeizuführen. Er zeigt den Weg ins Gelebte Land, vermag es aber nicht zu erobern, wie die meisten Propheten.