HomeErzählungenDas traurige Schicksal des Jakob le Brun

Das traurige Schicksal des Jakob le Brun

Bewertung:
(Stimmen: 5 Durchschnitt: 3.8)

Frau von Mazel, die Witwe des Herrn von Savonnières, lebte zu Paris von einem beträchtlichen Einkommen. Sie hatte drei Söhne, die mit den ansehnlichsten Ehrenstellen versorgt waren. Der älteste, Renatus von Savonnières, war Parlamentsrat; der zweite, Georg von Savonnières, Herr von Lignières, war Oberschatzmeister im Steuerbezirk von Paris; und der dritte, Michael von Savonnières, stand als Major bei dem Regiment von Piemont.

Ihre Schwiegertochter hatte sie sich selbst zur unversöhnlichen Feindin gemacht. Geärgert durch deren schlechte Aufführung, wodurch sie die Ehre ihres Sohnes gekränkt fand, wirkte sie einen Haftbefehl vom König wider sie aus und ließ sie ganz unversehens durch einen Trupp Gerichtsdiener am hellen Tage von der Straße wegnehmen und in ein Kloster bringen. Hier war sie zur Zeit der gegenwärtigen Geschichte schon seit zwölf bis dreizehn Jahren eingesperrt, während welcher Zeit sie schon mehrere Versuche gemacht hatte, aus ihrem Arrest zu entwischen, aber immer auf Veranlassung ihrer Schwiegermutter dahin zurückgebracht worden war.

Von diesen verschiedenen Versuchen, ihre Freiheit wiederzuerlangen, hat man besonders zwei beachtet, von welchen man bei diesem Prozeß Gebrauch machen wollte. Sie befand sich nämlich im März 1689 heimlich in Paris, zu ebender Zeit, da ein gewisser Berry, von dem in der Folge noch oft die Rede sein wird, der Frau von Mazel eine Summe von 1500 Livres entwendete. Das zweitemal war sie wieder in Paris, drei Monate vor dem Unglück, das ihrer Schwiegermutter begegnete. Dieses letztere Mal war sie in einem Hause in der Vorstadt Saint-Germain verborgen, wo sie einer gewissen Person gegenüber äußerte, sie werde sich in drei Monaten wieder mit ihrem Gemahl vereinigen; und dies war ebender Zeitpunkt der Mordtat, die der Gegenstand dieses Prozesses ist.

Frau von Mazel hielt in ihrem Hause zwei junge Bediente von sechzehn bis siebzehn Jahren, einen Kutscher, zwei Kammermädchen und eine alte Köchin.

Jakob Le Brun war eigentlich ihr Kammerdiener, sie hatte ihm aber auch das Amt des Oberaufsehers und Haushofmeisters übertragen. Er diente bereits neunundzwanzig Jahre in diesem Hause und hatte sich durch Treue und Fleiß in seinem Dienst das vollkommenste Zutrauen seiner Herrschaft erworben, in deren Dienste er sehr jung getreten sein muß, da er bei dem unglücklichen Vorfall, der ihm das Leben kostete, erst fünfundvierzig Jahre alt war.

Er nahm die Gelder für seine Herrin in Empfang und führte eine besondere Kasse darüber, die ihm allein anvertraut war. Mit einem Wort: er kannte und besorgte alle Angelegenheiten seiner Herrschaft. Alle Befehle, welche die innere Einrichtung des Hauswesens betrafen, wurden durch ihn erteilt, und er war es auch, dem die Aufsicht über deren Ausführung übergeben war. Alle Kaufleute, alle Handwerker, alle, die etwas für das Haus zu liefern hatten, waren an ihn gewiesen, und alle rühmten einstimmig seine Treue und Uneigennützigkeit. Sie erklärten überall, daß kein Haushofmeister pünktlicher und besser bezahle als er. Alle Personen, die das Haus der Frau von Mazel besuchten, hatten Achtung und Zuneigung für ihn.

Le Brun war verheiratet und verdiente als Familienvater nicht weniger Achtung, als er sich als Bedienter erworben hatte. Magdalene Tisserelle, seine Gattin, wohnte mit ihren Kindern bei dem Kollegium von Harcourt. Beide Eheleute lebten miteinander in der zärtlichsten Einigkeit, und ihre vier Kinder, ein Sohn und drei Töchter, waren von ihnen zur Gottesfurcht und Rechtschaffenheit erzogen worden. Frau von Mazel hatte Platz genug in ihrer Wohnung, um noch mehrere Menschen aufzunehmen, und würde sich ein Vergnügen daraus gemacht haben, auch die Familie ihres treuen Dieners bei sich wohnen zu lassen. Allein Le Brun, für die Unverdorbenheit seiner Kinder besorgt, wollte lieber eine besondere Wohnung bezahlen, als in einem Hause, das zweimal in der Woche einer großen Spielgesellschaft mit ihrem ganzen Gefolge Tag und Nacht offenstand, die Unschuld seiner Töchter in Gefahr setzen.

Noch müssen wir unsre Leser mit einem andern Menschen bekanntmachen, der auch in dem Hause der Frau von Mazel wohnte. Dies war ein gewisser Abbé Poulard, der bei dem Dominikanerorden das Gelübde abgelegt und über zwanzig Jahre in diesem Orden gelebt hatte. Er verließ ihn endlich, nachdem er eine Bulle erschlichen hatte, die ihn in den Orden von Cluny versetzte. Allein anstatt sich dahin zu begeben, war er vielmehr aus dem Dominikanerorden unmittelbar in das Haus der Frau von Mazel eingezogen. Hier spielte er eine sehr auffallende Rolle. Er bewohnte ein Zimmer im dritten Stock und speiste mit an der Tafel. Man bemerkte, daß er nie auf einen Fasttag Rücksicht nahm. Über alles, was aufgetragen wurde, sagte er seine Meinung ganz frei, oft sogar spöttisch, es kam wohl selten vor, daß er nicht etwas auszusetzen fand. Sein Zimmer war aufs prächtigste eingerichtet. Mit einem Wort, es ging ihm so wohl in diesem Hause, daß ihn selbst der Bann nicht bewegen konnte, es zu verlassen. Es wurde wirklich am 1. Juni 1673 von dem Prior des Ordens von Cluny ein Bann ausgeschrieben, wodurch alle Mitglieder dieses Ordens, die sich zu Paris aufhalten und nicht in eins von den drei daselbst befindlichen Klöstern des Ordens begeben würden, ipso facto exkommuniziert sein sollten. Allein er achtete ebensowenig auf diesen Bann, als auf eine andere von den Regeln des Ordens, zu dem er durch jene Bulle gehörte. Er trug nicht einmal ein äußeres Zeichen jenes Ordens, so daß endlich auf Ansuchen des Generalprokurators von Cluny vom 10. Januar 1689 dekretiert wurde, ihn wieder bei den Dominikanern einzusperren, weil der Orden von Cluny, bei dem er sich nie gestellt habe, ihn gar nicht als Mitglied aufnehmen wolle.

Nachdem dieser Abbé Poulard ungefähr sechs Jahre in dem Hause der Frau von Mazel gewohnt hatte, fand er es zuträglich, sich in der Nachbarschaft noch ein Zimmer zu mieten. Aber er behielt dabei noch immer seine alte Wohnung, wo er noch oft schlief. Hatte er eine Nacht in seinem Zimmer außer dem Hause zugebracht, so kehrte er des Morgens früh in sein Logis zurück. Er konnte ohne anzupochen ins Haus kommen, weil er einen Hauptschlüssel besaß, mit dem er die Haustür öffnen konnte, wann es ihm beliebte.

Dieser sonderbare Mensch hatte eine Schwester, die mit einem Gerichtsrat zu Mont, namens Chapelain, verheiratet gewesen und jetzt Witwe war. Die Reize dieser Frau hatten Eindruck auf das Herz des Herrn von Lignières, des zweiten Sohnes der Frau von Mazel, gemacht, der sich alle erdenkliche Mühe gab, ihre Neigung zu gewinnen. Er machte ihr die kostbarsten Geschenke. Er schickte ihr sechs Monate vor dem Tode seiner Mutter einen ganzen Anzug von Gold- und Silberstoff mit allem dazugehörigen Putz, seidene Strümpfe, gestickte Schuhe und einen sehr reichen Kopfputz. Frau von Chapelain, klug genug, um ihm nicht voreilig entgegenzukommen, nahm zwar die Geschenke an, hielt ihn aber in Ungewißheit, bis seine Leidenschaft ihn ihren Wünschen entgegenführte und er ihr versprach, sie zu heiraten. Nichts konnte für den Abbé Poulard und seine Schwester vorteilhafter sein als diese Heirat. Allein Frau von Mazel wollte schlechterdings ihre Einwilligung dazu nicht geben.

Frau von Mazel selbst lebte übrigens zwar äußerlich nach allen Regeln der Sittsamkeit und erfüllte besonders die Pflicht des Gottesdienstes sehr genau. Allein gleichwohl war ihr Haus der Sammelplatz einer großen Spielgesellschaft. Spieler aller Art, Mannspersonen und Frauenzimmer, wurden bei ihr aufgenommen und fanden eine gedeckte Tafel in ihrem Hause. Alle Wochen zweimal, Montags und Freitags, waren diese Zusammenkünfte, und die ganze Gesellschaft blieb gewöhnlich die ganze Nacht hindurch bis zum andern Abend um sieben Uhr beisammen. Frau von Mazel begab sich gewöhnlich um elf Uhr zur Ruhe. Beim Weggehen pflegte sie denen, die ihr Geld verloren hatten, Vorschuß anzubieten. Aus diesem Umstand läßt sich schließen, daß sie immer beträchtliche Summen vorrätig gehalten haben müsse; wie denn auch mehrere von denen, die gewöhnlich bei ihr zum Spiel waren, versicherten, sie habe öfters selbst gesagt: sie müsse immer wenigstens 2 000 Pistolen bares Geld haben; und sie sei von jeher auf die Louisdore so begierig gewesen, daß die Spieler oft unwillig darüber geworden seien, wenn sie die Louisdore, die auf den Tisch gekommen, sogleich gegen Silbergeld ausgewechselt habe.

Am 9. Oktober 1685 hatte Frau von Mazel ein Testament gemacht. Sie erwähnte darin des Abbé Poulard unter dem Titel Pater Poulard, ehemaliger Dominikanermönch, und setzte ihren ältesten Sohn, den Parlamentsrat, zum Universalerben ein, mit der Bedingung, dem besagten Herrn Poulard lebenslänglich Wohnung und Unterhalt zu gewähren. Außerdem hatte sie auch dem Le Brun eine Summe von 6 000 Livres ausgesetzt nebst der Hälfte ihrer Wäsche. Die andere Hälfte vermachte sie der Anne le Doyen, einer ihrer Kammerjungfern. Man wußte, daß sie dieses Testament gemacht und bei einem Notar niedergelegt hatte. Sie sagte aber öfters, daß sie gesonnen sei, es wieder zu ändern.

Ihre Wohnung war in der Maurerstraße, nicht weit von der Sorbonne. Sie hatte ein ganzes Haus von vier Stockwerken allein im Besitz. Die innere Einrichtung dieses Hauses war folgende. Man kam über eine große Treppe in einen geräumigen Saal, worin alle zum Tischgedeck nötigen Sachen verwahrt wurden. Hier stand auch der Silberschrank, zu dem eine von den Kammerjungfern den Schlüssel hatte. In diesem Saal hatte man auf der Seite nach der Straße zu einen Verschlag angebracht, in dem Le Brun schlief, wenn er des Nachts im Hause blieb und nicht in seine Wohnung ging. Der übrige Teil dieser Etage bestand aus den Gesellschaftszimmern, in denen Frau von Mazel Besuche annahm und ihre Spielgesellschaften gab.

Die nämliche Treppe führte auch in das zweite Stockwerk, wo man zuerst in ein großes Vorgemach kam, das in einen Saal führte, dessen Fenster in den Hof gingen. Aus diesem Saal kam man in ein Zimmer, das ebenfalls die Aussicht auf den Hof hatte. Hier schlief Frau von Mazel. Wenn sie sich zur Ruhe begeben hatte, zogen die Kammerjungfern den Schlüssel von dem Schlafgemach ab, ließen ihn in dem Zimmer auf einem Stuhl neben der Tür zurück und zogen dann die Tür hinter sich zu. Hernach verschlossen sie auch die Tür des Saals und legten den Schlüssel auf den Kamin des Vorgemachs, das aber Tag und Nacht offen blieb.

In die Tür dieses Schlafzimmers hatte man oberhalb des Schlosses ein kleines Loch gebohrt, das mit einem hölzernen Nagel verstopft wurde. Dieses Loch diente dazu, daß die Kammerjungfern vermittelst eines Dietrichs, den sie hindurchsteckten, den Riegel des Schlosses zurückziehen und auf diese Art des Morgens die Tür öffnen konnten, wenn etwa Frau von Mazel nicht Lust hatte selbst aufzustehen, um ihnen aufzumachen.

In diesem Schlafzimmer waren noch zwei Türen. Die eine führte zu einer kleinen geheimen Treppe, die andere zu einer Kleiderkammer, die ihren Ausgang ebenfalls zu jener geheimen Treppe hatte. Die erste dieser zwei Türen war in dem Gang zwischen der Wand und dem Bette und konnte von Frau von Mazel geöffnet werden, ohne daß sie nötig hatte aufzustehen. An ihrem Bette hingen die Schnüre einer Klingel, die in der Schlafkammer ihrer Kammerjungfern befestigt war. In dem Kleiderzimmer stand ein Schrank, dessen Schlüssel unter das Kopfkissen der Frau von Mazel gelegt wurde; und in diesem Schranke war der Schlüssel zum Geldkasten.

Das dritte Stockwerk des Hauses war ganz leer; das einzige Zimmer ausgenommen, in dem der Abbé Poulard wohnte, welches gerade über jener Kleiderkammer neben dem Schlafzimmer der Frau von Mazel war und auch einen Ausgang auf die kleine Treppe hatte, die zu der Tür neben ihrem Bette führte. Frau von Mazel schlief also in einem so weitläufigen Stockwerke ganz allein, ohne jemand in der Nähe zu haben als den Abbé Poulard.

In dem vierten Stockwerke schliefen die beiden Kammerjungfern, welche Schwestern waren, in dem einen, und die beiden Bedienten, zwei Brüder, in dem anderen Zimmer.

Oben ging ein großer Boden durch das ganze Haus, der niemals verschlossen wurde. Auf diesem Boden war ein großes Dachfenster, durch welches man ganz bequem in eine Rinne steigen konnte, die zwischen zwei Dächern angebracht war und an fünf bis sechs Häusern, nach der Länge der Straße, fortlief.

Ganz unten im Erdgeschoß des Hauses war die Küche und eine kleine Holzkammer. Die Köchin schlief hier gewöhnlich. Auf einmal aber, und dies war gerade acht Tage vor der Ermordung ihrer Herrschaft, hatte sie den Einfall, ihr Bett in der Holzkammer aufzuschlagen, deren Fenster nach der Straße zugingen, durch welche man nicht nur mit Leuten auf der Straße reden, sondern ihnen auch Schlüssel herausreichen und sie so ins Haus bringen konnte.

Der Kutscher endlich schlief im Stalle und hatte die Aufsicht über das Hoftor. Ein großer Schlüssel, der dieses Tor öffnete, hing frei in der Küche, wo ihn alle Bedienten im Hause nehmen konnten.

Noch ist zu bemerken, daß Frau von Mazel einige Zeit vor ihrem Tode dem Le Brun einen Hauptschlüssel, den er sonst immer gebrauchte, um zu jeder Stunde aus und ein gehen zu können, abgefordert hatte, um ihn dem Abbé Poulard zu geben; daß aber Le Brun dem unerachtet noch einen andern Hauptschlüssel hatte, den er immer gebrauchte.

Wir haben diese Weitläufigkeit in unsrer Erzählung nötig gefunden, weil alle diese Umstände in der Geschichte des Mordes selbst, den wir nun erzählen werden, von Bedeutung sind.

Am ersten Adventssonntag 1689, den 27. November, machten die Töchter des Le Brun der Frau von Mazel nach Tische ihre Aufwartung. Sie nahm sie sehr freundlich auf, bat sie aber auch zugleich, sie ein andermal zu besuchen, wo sie das Vergnügen haben könnte, sich länger mit ihnen zu unterhalten, weil sie eben jetzt im Begriff sei, in die Vesper zu gehen.

Le Brun begleitete sie in die Kirche der Prämonstratenser; die beiden Bedienten folgten. Hier verließ er sie, um bei den Dominikanern in der Jakobsstraße die Vesper zu hören. Von da ging er Billard spielen, wo er einen gewissen Laguë antraf, der ein Schlosser war und in seiner ersten Ehe eine ehemalige Köchin der Frau von Mazel zur Frau gehabt hatte. Diese beiden beredeten sich, den Abend miteinander zuzubringen, und begaben sich daher zu einem Speisewirt, namens Gaultier, um einzukaufen, was sie zu ihrem Abendbrot nötig hatten. Le Brun machte noch zuvor einen Gang in das Haus seiner Herrschaft und dann zu seiner Frau. Um acht Uhr fuhr er, begleitet von den beiden Bedienten, bei der Frau von Duvou vor, um dort, dem erhaltenen Befehle gemäß, seine Herrschaft abzuholen. Nachdem er sie zu Hause gebracht hatte, begab er sich zu dem mit Laguë verabredeten Abendessen.

Frau von Mazel speiste diesen Abend wie gewöhnlich ganz allein mit dem Abbé Poulard. Den Bedienten fiel es auf, daß dieser während des Essens einigemal wiederholt hatte: er werde diese Nacht in seiner Wohnung außer dem Hause schlafen. Er hatte dies sonst noch nie besonders vorher angekündigt.

Um elf Uhr legte sich Frau von Mazel nieder. Ihre Kammerjungfern waren noch bei ihr im Zimmer, als Le Brun an der Tür, die zu der kleinen Treppe führte, anpochte. Frau von Mazel fragte, wer da sei, und erhielt von einer der Kammerjungfern zur Antwort: »Es ist Herr Le Brun.« Dieser hatte inzwischen, da er sah, daß man ihm hier nicht aufmachen wolle, seinen Weg zurückgemacht und kam nun über die große Treppe durch das Vorgemach. »Wahrhaftig, eine sehr schickliche Stunde!« rief ihm Frau von Mazel entgegen. Sie gab ihm aber dann ihre Befehle zu der Abendtafel auf den folgenden Tag, an welchem sie die gewöhnliche Spielgesellschaft erwartete. Eine von den Kammerjungfern legte hierauf den Schlüssel des Schlafzimmers an seinen gewöhnlichen Ort, auf den Stuhl, der neben der Tür stand; sie gingen dann alle hinaus, und Le Brun, welcher der letzte war, zog die Tür hinter sich zu.

Er unterhielt sich nun noch eine Zeitlang mit den beiden Mädchen, die ihm erzählten, wie gut die gnädige Frau seine Töchter aufgenommen habe. Nachdem er sie verlassen hatte, ging er in die Küche hinab, legte seinen Hut auf einen Tisch, nahm den Schlüssel zum Hoftor, in der Absicht, dieses zu verschließen; er legte aber den Schlüssel auch auf den Tisch, um sich zuvor noch einmal beim Feuer zu wärmen. Unvermerkt aber schlief er ein. Als er wieder erwachte, hörte er die Glocke ein Uhr schlagen. Er wußte aber doch nicht gewiß, wieviel Uhr es war, weil die Glocke schon vor seinem Erwachen einige Schläge getan haben konnte. Er ging darauf hinaus, um das Haustor zu schließen, das er noch ganz offen fand, und nahm den Schlüssel mit sich in seinen Schlafraum; eine Vorsicht, die er sonst nicht oft gebraucht hatte.

Des andern Morgens, am 28. November, ging er früh in das Schlachthaus und auf den Hühnermarkt. Unterwegs begegnete ihm ein Buchhändler von seiner Bekanntschaft, ein sehr rechtschaffener Mann. Dieser unterhielt sich einige Zeit mit ihm und versicherte nachher: Le Brun sei so vergnügt und heiter gewesen wie immer.

Der Fleischer, zu dem Le Brun ging und der gewöhnlich alles Fleisch in die Küche der Frau von Mazel zu liefern hatte, erzählte nachher: Le Brun habe ihn ersucht, das Fleisch sogleich ins Haus zu schicken, damit die gnädige Frau bald Bouillon bekommen könne, weil er selbst zuvor noch auf den Hühnermarkt gehen müsse. Der Fleischer setzte die Versicherung hinzu, daß ihm Le Brun ganz ruhig erschienen wäre.

Drei andere von seinen Freunden, die ihm ebenfalls diesen Morgen begegneten, gingen mit ihm in das Haus seiner Herrschaft. Als er seinen Mantel ablegte, nahm ihn einer von diesen Freunden aus Scherz um. Le Brun, der auch bei lustiger Laune war, ergriff eine Schöpskeule und fing an, damit auf seinen Freund loszuschlagen. »Es kann mir niemand wehren,« sagte er, »meinen Mantel so oft zu schlagen, als ich will.«

Er entließ seine Freunde, traf einige Anordnungen in der Küche und gab den Bedienten Holz, um in dem Zimmer der gnädigen Frau Feuer zu machen. Sie pflegte sonst gewöhnlich um sieben Uhr aufzustehen. Es war daher allen unbegreiflich, als sie um acht Uhr noch nichts von sich hören ließ.

Le Brun ging inzwischen nach Hause zu seiner Frau. Er zeigte ihr einige Unruhe darüber, daß die gnädige Frau noch nicht aufgestanden sei, gab ihr sieben Louisdor und einige andere Goldstücke zum Aufheben und ging dann in ein Weinhaus, das der Wohnung seiner Herrschaft gegenüberstand. Da er einen von den Bedienten an einem Fenster des Vorgemachs erblickte, das auf die Straße ging, fragte er diesen, ob die gnädige Frau noch nicht erwacht sei, und erhielt »Nein« zur Antwort. Darauf ging er nun wieder hinüber in das Haus und fand alles in größter Bestürzung über das Stillschweigen der Herrschaft, um so mehr, da die Bedienten beim Einheizen viel Geräusch gemacht hatten. Man fing endlich an, an den verschiedenen Türen ihres Schlafgemachs zu pochen; man rief: »Gnädige Frau!« Keine Antwort. Die Unruhe verdoppelte sich. Einige mutmaßten, der Schlag habe sie gerührt; die andern, es habe sie vielleicht wieder das heftige Nasenbluten befallen, dem sie zuweilen unterworfen war. »Es muß hier noch etwas Schlimmeres vorgefallen sein,« sagte Le Brun; »ich bin sehr unruhig darüber, daß ich heute nacht die Haustür offen gefunden habe.«

Man schickte hierauf nach Herrn von Savonnières, dem Parlamentsrat, um ihn von diesem Vorfall zu benachrichtigen. Dieser erschien sogleich selbst und befahl, einen Schlosser zu holen, um das Schlafzimmer öffnen zu lassen. »Was ist das, Herr Le Brun?« sagte er, »ich fürchte, der Schlag hat sie gerührt.« Als darauf einer von den Anwesenden den Vorschlag machte, sogleich einen Wundarzt rufen zu lassen, sagte Le Brun: »Davon ist jetzt die Rede nicht, es ist viel schlimmer; es ist hier gewiß nicht richtig zugegangen; ich bin äußerst unruhig wegen der Haustür, die ich heute nacht offen gefunden habe.«

Der Schlosser kam jetzt. Das Schloß wurde mit leichter Mühe geöffnet. Le Brun ging zuerst hinein. Er lief an das Bett und rief sie verschiedenemal. Da er keine Antwort erhielt, zog er die Vorhänge in die Höhe. »Ach!« schrie er plötzlich, »die gnädige Frau ist ermordet!« sprang dann sogleich in das Kleiderzimmer, öffnete einen von den Fensterladen, um Licht herein zu lassen, untersuchte den Geldkasten, fand ihn verschlossen, hob ihn in die Höhe und sagte: »Es ist nichts gestohlen; was soll ich denken?«

Herr von Savonnières ließ sogleich Herrn Deffita, den Kriminalleutnant, rufen und brachte in seinem und seiner zwei Brüder Namen die Klage bei diesem Beamten an.

Er ließ alsdann einige Wundärzte kommen und den Leichnam seiner Mutter untersuchen. Sie fanden an ihr fünfzig Messerstiche und zwar die meisten an den Händen und Armen, einige im Gesicht, an den Schultern und am Halse. Nach der Versicherung der Wundärzte war keine einzige von den vielen Wunden an sich tödlich, aber sie hatten eine heftige Verblutung veranlaßt, welche ihren Tod verursacht hatte.

In dem Bette, das ganz mit Blut angefüllt war, fand man ein Stück von einer Spitzenkrause und eine Serviette, die wie eine Nachtmütze zusammengeknüpft war. Diese war ebenfalls ganz blutig und mit einem S bezeichnet, wie alles Weißzeug im Hause. Es schien, daß Frau von Mazel, während sie sich wider ihren Mörder gewehrt, ihm dieses Stück von seiner Halskrause und diese Serviette vom Kopf gerissen habe. Man fand sogar auch in einer von ihren Händen drei oder vier Haare.

Die Schnüre von der Klingel waren einigemal um die Vorhangstäbe des Bettes gewickelt und hingen so hoch, daß man sie nicht erreichen konnte. Überdies waren sie mit zwei Knoten verknüpft, so daß, wenn man auch daran zog, man nur das Bett, aber nicht die Klingel bewegte.

In der Asche des Kamins fand man ein Taschenmesser, acht bis neun Zoll lang, das mit einer Schraube auf- und zugemacht werden konnte und hinten einen Schraubenzieher zu einem Feuergewehr hatte. Das Heft, das von Schildpatt gewesen war, war beinah völlig verbrannt. Es fand sich keine Spur von Blut an der Klinge; man glaubte also, es müsse durch das Feuer verzehrt worden sein.

Der Schlüssel zum Schlafzimmer lag nicht mehr auf dem Stuhl, wohin die Kammerjungfern ihn gelegt zu haben behaupteten. Man fand aber auch weder an der Tür des Schlafzimmers noch an der des Vorgemachs die geringste Spur eines gewaltsamen Einbruchs. Man sah sogar, daß jener Pflock, der in dem kleinen Loche über dem Schlosse steckte, schon lange nicht herausgezogen worden war. Die andern Türen in dem Schlafzimmer waren beide von innen verriegelt.

Der Schlüssel zu dem Schranke lag wie gewöhnlich unter dem Kopfkissen. Man öffnete den Schrank. Hier fand man den Beutel, in dem das Kartengeld aufbewahrt wurde; er enthielt jetzt beinah 278 Livres in Gold. Auch der Schlüssel zur Geldkasse war hier an seinem gewöhnlichen Ort. Man gab ihn dem Schlosser, um die Geldkasse damit aufzuschließen; das Schloß war aber so künstlich gemacht, daß er beinah eine Viertelstunde brauchte, ehe er damit zustande kam.

In dieser Kasse fand man vier Säcke mit Geld, jeden zu 1000 Livres, und mehrere andere Säcke mit verschiedenen Summen; einer derselben hatte die Aufschrift: »Dem Herrn Abbé Poulard.« Unter einem der Säcke von 1 000 Livres lag ein großer, aus rot und grüner Seide gestrickter Beutel, mit kirschfarbigem Atlas gefüttert, der ganz offen und leer war. Daneben stand ein viereckiges mit rotem Leder überzogenes Kästchen oder Schreibzeug, auf welchem ein halber Louisdor lag; inwendig fand man den ganzen Schmuck der Frau von Mazel, der auf 15 000 Livres geschätzt wurde. Auch in ihrer Tasche fand man noch achtzehn Pistolen.

Alle diese Umstände ließen vermuten, daß der Mörder nicht die Absicht gehabt habe zu stehlen.

Der Kriminalleutnant verhörte sogleich die beiden Kammerjungfern und Le Brun. Die beiden Mädchen erzählten, was bei dem Schlafengehen ihrer Herrschaft vorgefallen war, und Le Brun das, was er nachher noch vorgenommen hatte, beides ebenso, wie wir es unsern Lesern bereits erzählt haben.

Darauf wurde Le Brun durchsucht. Man fand bei ihm den Schlüssel zu seinem Verschlage und einen Hauptschlüssel, dessen Kamm sehr weit ausgefeilt war. Man probierte ihn an dem Schlosse des Schlafzimmers und fand, daß er, aber mit Mühe und nur einmal herum, dieses Schloß aufschloß. Allein gewöhnlich ward das Schloß an dieser Tür auch nur einmal abgeschlossen.

Auf diese Indizien hin befahl der Kriminalleutnant, den Le Brun nicht aus den Augen zu lassen. Hierauf ließ er ihn die zusammengeknüpfte Serviette aufsetzen; es schien, daß sie ziemlich auf seinen Kopf passe. Man untersuchte seine Hände; er hatte sie denselben Tag noch nicht gewaschen; allein man fand sie weder zerkratzt noch blutig; auch das Wasser zeigte keine Spur von Blut.

Nachdem endlich in dem Verschlag, in dem er schlief, eine ganz flüchtige Untersuchung vorgenommen worden war, wobei man aber nichts Verdächtiges fand, wurde er ins Gefängnis abgeführt, seine Gattin zu gleicher Zeit in Haft genommen und jedes in ein besonderes Loch gebracht.

Der Kriminalleutnant ließ nun noch das Schlafzimmer der Frau von Mazel versiegeln, gab eine Wache ins Haus und entfernte sich dann wieder.

Am folgenden Tag, den 29. November, vernahm er die zwei Bedienten und verhörte auch den Kutscher und die Köchin als Zeugen. Er fand es nicht der Mühe wert, auch eine alte Frau zu vernehmen, die im Hause mit zur Hand ging und gewöhnlich in der Küche schlief. Er brachte zehn Stunden mit diesen Verhören zu.

An demselben Tage fand man unten an der kleinen Treppe einen langen neuen Strick mit einem dreizackigen eisernen Haken, in den man mehrere noch nicht zugezogene Knoten in gleichen Zwischenräumen geknüpft sah. Er schien zu einer Leiter bestimmt gewesen zu sein.

Den 30. wurde Le Brun noch einmal untersucht. Man konnte aber weder an seinen Kleidern noch an seinem Leibe die geringste Spur von Blut oder Kratzwunden entdecken.

An dem nämlichen Tage fand man auf einem der oberen Böden unter einem Bund Stroh ein Hemd, das vorn und an den Ärmeln ganz mit Blut bedeckt war und an dessen Seiten man deutlich den Abdruck blutiger Finger sah. Unter dem Hemde lag eine Halskrause, die nur an den beiden Enden blutig war. Auf einem der andern Böden fand man nichts als Kohlen und einige Metzen Hafer, die man ganz umstürzen ließ, ohne jedoch etwas weiter zu finden.

Man stellte auch in dem Verschlag des Le Brun noch einmal eine Untersuchung an und fand noch einen Korb mit altem Eisen, in welchem ein kleiner Haken und eine Feile, eine Serviette aus dem Hause mit einem S gezeichnet, eine alte Nachtmütze und einige Stricke waren. Darauf wurde auch in der Wohnung seiner Gattin Haussuchung gehalten. Allein es fand sich hier nicht das geringste, das ihm hätte zur Last gelegt werden können. Man nahm also bloß seine Wäsche in Verwahrung, um sie mit dem Hemde und der Halskrause zu vergleichen, die man auf dem oberen Boden gefunden hatte.

Nunmehr ließ der Kriminalleutnant Sachverständige rufen, welche alle die Gegenstände untersuchen mußten, die man als Beweisstücke brauchen wollte.

Die Messerschmiede entdeckten zwischen einem Messer, das bei Le Brun gefunden worden war, und jenem, das man aus der Asche gezogen hatte, keine andre Ähnlichkeit, als daß beide aus der Fabrik von Chatelleraud waren und von einer Hand poliert zu sein schienen.

Die Perückenmacher, denen die Haare vorgelegt wurden, die man in der Hand der Frau von Mazel gefunden hatte, erklärten: es seien zu wenig Haare, als daß man etwas Bestimmtes daran erkennen könne.

Die Näherinnen fanden zwischen dem blutigen Hemde und den Hemden des Le Brun keine Gleichheit. Jenes Hemd war viel enger und kürzer als die seinigen. Noch weniger fanden sie an der auf dem Boden gefundenen Krause und dem blutigen Stücke der Spitzenkrause einige Ähnlichkeit mit den Krausen des Le Brun. Auch die zwei Kammerjungfern bezeugten, daß sie diese Halskrause niemals bei Le Brun gesehen hätten; sie glaubten aber – setzten sie hinzu – dieselbe ehedem für einen Bedienten der Frau von Mazel, namens Berry, gewaschen zu haben, der vor drei oder vier Monaten wegen Diebstahles aus dem Hause gejagt worden sei.

Die Seiler fanden keine Ähnlichkeit zwischen dem Stricke mit den eingeknüpften Knoten, der an der kleinen Treppe gelegen hatte, und den Stricken, die in Le Bruns Verschlage gefunden worden waren.

Man verhörte auch noch die Gattin des Le Brun. Allein ihre ganze Aussage enthielt nichts, das ihrem Manne hätte zur Last fallen können.

Erst am 11. Januar 1690, anderthalb Monate nach der geschehenen Mordtat, ließ man den bei Le Brun gefundenen Hauptschlüssel durch einige Schlosser noch einmal untersuchen. Diese fanden ihn sehr verschieden von dem Hauptschlüssel, den die Köchin hatte. Er war viel dünner als dieser, hatte einen weiter ausgefeilten Kamm und schloß nicht nur die Haustüre, sondern auch die Türe des Vorgemachs und zwei von den Türen in dem Schlafzimmer der Frau von Mazel; während hingegen der Hauptschlüssel der Köchin bloß den Torweg öffnete. Auch entdeckte man bei dieser Gelegenheit, daß sowohl der Schlüssel zum Schlafzimmer als der zum Vorgemach jeder nur sein eignes Schloß aufschloß und zu keinem andern gebraucht werden konnte.

Inzwischen hatte der Abbé Poulard sich alle Mühe gegeben, die Obrigkeit sowohl als das ganze Publikum zu überreden, daß Le Brun wirklich den Mord begangen habe. Er sprach davon im Parlamentshaus und in allen Kaufmannsläden. Er erzählte es sogar schon am ersten Tag nach der Mordtat in dem großen Conseil und ging bei allen Gerichtsstellen und in allen Posthäusern und Zeitungskontoren herum, um das nämliche Gerücht immer weiter auszubreiten. Dabei gebrauchte er, um der Sache einen Anstrich zu geben, allerlei Wendungen. Bald sagte er, Le Brun habe diese Mordtat ganz allein verübt, bald erdichtete er einen Roman, den er in der ganzen Stadt verbreitete und durch den er die Ehre und das Andenken seiner Wohltäterin beschimpfte.

Er erzählte nämlich überall, und die Freunde der Frau von Mazel erzählten es ihm nach: sie habe in ihrer Jugend von einem großen Herrn ein Kind gehabt, für welches sie eine große Summe Geldes von ihm erhalten habe. Dieses Kind sei der nämliche Berry, der fünf oder sechs Monate ihr Bedienter gewesen sei und sie hernach bestohlen habe. Le Brun, in der Hoffnung, ihn zu seinem Tochtermann zu bekommen, habe ihm das Geheimnis seiner Geburt entdeckt und ihn in der Nacht in das Schlafzimmer der Frau von Mazel geführt, um sie zu bitten, daß sie ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen solle. Allein diese grausame Mutter habe ihn sogleich beim Hals ergriffen und ihn erdrosseln wollen. Dadurch sei er wider seinen Willen gezwungen gewesen, sich mit seinem Messer zu verteidigen; er habe sie aber nur gestochen, um sie zu nötigen, daß sie ihn loslassen solle, ohne allen Vorsatz, sie ums Leben zu bringen.

Der Abbé Poulard und die übrigen Feinde des Le Brun, die ein Vergnügen daran fanden, diese Geschichte weiterzuerzählen, wußten besser als irgend jemand, daß sie kein wahres Wort enthalte. Berry war aus Bourges gebürtig und hatte dort noch Vater und Mutter. Sein erster Herr, dem er gedient hatte, war der Abbé Guenois, ein Kanonikus zu Bourges. Alsdann wurde er Bedienter bei einem gewissen Bernhard von Resé; und von diesem kam er zur Frau von Mazel, die er bestahl.

Wie weit war dagegen das Betragen des Le Brun von dieser Handelsweise seiner Verleumder verschieden! Auch nach dem Tode seiner Herrschaft behielt er noch die Achtung für sie, die er ihr in ihrem Leben so oft bewiesen hatte, und deshalb wollte er verschiedene Umstände, die zu seiner Rechtfertigung hätten dienen können, nicht angeben, aus Furcht, das Andenken seiner Wohltäterin dadurch zu beschimpfen. So wurde er über die Lage des Zimmers befragt, das der Abbé Poulard bewohnte, und über die geheime Treppe, die von da in das Schlafzimmer der Frau von Mazel führte. Allein er antwortete, dies gehöre nicht mit zum Prozeß; und da man ernstlicher in ihn drang, erwiderte er: man solle nicht von ihm fordern, etwas zu sagen, was nur der Bosheit Stoff zur Verleumdung bieten würde.

Am 14. Januar 1690 überreichte Herr von Savonnières in seinem und seiner zwei Brüder Namen dem Kriminalleutnant ein Memorial, in welchem er bat, »daß man den Le Brun für gehörig verdächtig und überwiesen erklären möchte, die Frau von Mazel jämmerlich ermordet und alles Gold aus ihrer Geldkasse, bis auf einen halben Louisdor, der allein darin zurückgeblieben war, entwendet zu haben; daß man ihn deshalb auch des in dem Testament der besagten Dame ihm ausgesetzten Legats verlustig erklären und zur Wiedererstattung des gestohlenen Geldes, wie auch zur Bezahlung sämtlicher Prozeßkosten verurteilen möchte.«

Zur Begründung dieses Gesuches wurde in besagter Schrift unter anderm folgendes vorgebracht.

»Bei der gegenwärtigen Untersuchung war ein Korpusdelikti wirklich vorhanden, nämlich der Leichnam der Frau von Mazel, an dem man die Messerstiche sah, die sie empfangen hatte. Hier war also weiter nichts zu tun, als den Mörder aufzusuchen. Da die Gesetze nicht erlauben, einen Angeklagten auf bloße Vermutungen, wenn sie auch noch so stark wären, zu verurteilen, solange das Korpusdelikti noch nicht berichtigt ist, so wird man nach dem Geist des nämlichen Gesetzes auch umgekehrt sagen dürfen: wenn das Korpusdelikti berichtigt ist, so müsse der Angeklagte auf starke Vermutungen, die wider ihn sind, verurteilt werden, weil das Korpusdelikti selbst schon den halben Beweis ausmacht. Denn man muß auf folgende Art schließen: Es ist gewiß, daß ein Mensch ermordet worden ist, es ist also auch gewiß, daß ein Mörder vorhanden sein muß. Um diesen herauszufinden, muß man mit seinem Verdacht bei demjenigen stehen bleiben, wider den sich alle Indizien und Vermutungen häufen. Denn sobald es entschieden ist, daß ein Mörder vorhanden ist, so kann dies kein anderer sein als derjenige, der durch die stärksten Indizien und Vermutungen kenntlich gemacht ist.

»In dem gegenwärtigen Fall zeigt sich aber noch eine ganz besondere Spur, die bis zum Täter hinführt. Hier darf man nicht bloß sagen: die Mordtat liegt vor Augen, also muß auch ein Mörder da sein. Hier sind wir der Wahrheit um einen großen Schritt näher; wir können behaupten, der Mörder muß einer von den Hausgenossen gewesen sein.

»Tausend Umstände setzen dies außer allen Zweifel. An keiner Tür findet sich die geringste Spur eines gewaltsamen Einbruches. Wie hätte aber ein Fremder in ein Haus kommen sollen und in verschlossene Zimmer gehen können, ohne eine Tür zu erbrechen? Wie hätte er die Schnüre an der Klingel so in die Vorhängestangen verknüpfen können, daß es unmöglich war, um Hilfe zu klingeln? Wie hätte er bei finstrer Nacht den Schlüssel zum Schranke unter dem Kopfkissen suchen, wie den Schrank selbst öffnen, wie den Schlüssel zum Geldkasten finden können? Wie würde er imstande gewesen sein, die Kasse aufzuschließen, die ein geheimes Schloß hatte, das der Schlosser selbst nur nach langen Versuchen öffnen konnte? Wie hätte er die Kasse wieder gehörig verschließen, den Schlüssel derselben in den Schrank und den Schrankschlüssel wieder an seinen gewöhnlichen Ort unter das Kopfkissen bringen sollen? Wie hätte er alles dies tun können, ohne von allen Winkeln im Hause und von den Gewohnheiten, die nur im Innersten des Hauses beobachtet werden konnten, vollkommen unterrichtet zu sein? Was für eine andere Person konnte aber dies sein, als ein Domestike?

»Wer wird glauben, daß in der kurzen Zwischenzeit, in welcher Le Brun in der Küche geschlafen haben will, während er noch Licht hatte, da Frau von Mazel noch kaum eingeschlafen war und ihre beiden Kammerjungfern höchstens im ersten Schlummer liegen konnten, ein Fremder es gewagt habe, in das Haus zu gehen, um die Frau vom Hause zu ermorden? Er wäre sogar genötigt gewesen, vor der Tür der beiden Kammerjungfern vorbeizugehen, um das blutige Hemd auf dem Boden abzulegen, wo man es fand. Überdies, kann man wohl vermuten, daß ein Fremder Zeit gehabt hätte, bevor noch Le Brun die Tür nach seinem Erwachen abgeschlossen hatte, alles das vorzunehmen, was der Mörder, wie man sieht, sowohl im Schlafzimmer selbst als im übrigen Hause, und zwar erst nach einer Mordtat, welche der Widerstand der Frau von Mazel noch länger verzögert haben muß, wirklich vorgenommen hat?

»Nichts beweist endlich deutlicher, daß einer von den Leuten im Hause der Urheber des Verbrechens ist, als der Strick mit den eingeknüpften Knoten, den man unten an der kleinen Treppe fand. Offenbar ist dies eine List des Mörders, um auf falsche Spur zu leiten und den Verdacht auf einen Fremden zu lenken; denn man sieht es an den Knoten, die noch nicht zugezogen sind, daß der Strick noch gar nicht gebraucht ist, um irgendwo einzusteigen.

»Kann man nun aber mit Sicherheit behaupten, daß nur einer von den Hausgenossen den Mord könne begangen haben: auf wen anders kann alsdann der Verdacht fallen, als auf Le Brun? Ihm war es leicht, alles das auszuführen, und er allein war imstande, alle die Hindernisse aus dem Wege zu räumen. Er allein war noch wachend im Hause, da alles schon schlief; er hatte einen Hauptschlüssel, mit welchem er das Schlafzimmer seiner Herrschaft nach Gefallen öffnen konnte. Er allein hatte noch Feuer, um sich Licht zu verschaffen, das er nötig hatte, um alle jene Vorsichtsmaßregeln zu treffen, die ihn vor der Entdeckung schützen sollten. Er verschloß die Haustür doppelt, um nicht von dem Abbé Poulard überrascht zu werden, der in derselben Nacht außer dem Hause schlief und ohne diese Vorsicht des doppelten Verschließens vermittelst seines Hauptschlüssels unvermutet hätte ins Haus kommen können.

»Mit einem Wort, alles zeigt deutlich, daß nur ein Domestike der Mörder gewesen sein kann; und alles zeigt an, daß niemand als Le Brun dieser Domestike gewesen sei.«

Die Verteidigung des unglücklichen Le Brun wider diese Anklage übernahm Johann Barbier von Aucour, ein berühmter Rechtsgelehrter. Er setzte eine sehr gründliche Verteidigungsschrift auf, worin er zu allererst den guten Ruf geltend zu machen suchte, in welchem der Angeklagte immer gestanden hatte. Er berief sich deshalb auf den strengen Lebenswandel, den er immer geführt; auf die Sorgfalt, mit welcher er seine Kinder erzogen; auf seine Liebe zur Tugend, die ihm nicht gestattet habe, das Anerbieten der Frau von Mazel, die ihn mit seiner ganzen Familie in ihrem Hause aufnehmen wollte, zu benutzen, bloß um seine Töchter nicht der Gefahr der Verführung auszusetzen; auf seine allgemein anerkannte Redlichkeit und Treue, die er seit so vielen Jahren in seinem Dienst bewiesen und die ihm auch das unbeschränkte Vertrauen der Frau von Mazel erworben habe; und endlich auf die ehrerbietige und aufrichtige Anhänglichkeit an seine Herrschaft, die sich in allen seinen Handlungen gezeigt habe.

Nachdem Herr von Aucour diese Vermutungsgründe für die Unschuld des Angeklagten mit aller Beredsamkeit dargestellt hatte, ging er zu den Tatsachen über, die als Beweise dieser Vermutung aufgestellt werden konnten. Er machte zuerst auf das unbefangene Betragen aufmerksam, das man an Le Brun sowohl am Abend vor als am Morgen nach der Mordtat bemerkt hatte, auf die Gemütsruhe und Heiterkeit, die sich in allem zeigte, was er damals getan und gesprochen hatte. Weit entfernt, daß man an ihm jene Unruhe, jene Verwirrung wahrgenommen hätte, die immer einen Menschen verfolgen, der ein Verbrechen begangen hat oder begehen will, zumal wenn er mit dem Laster noch so wenig vertraut ist, sah man an ihm vielmehr jene heitere ruhige Stimmung der Seele, die das sicherste Kennzeichen eines guten Gewissens ist.

Hierauf kommt Herr von Aucour auf die Umstände, die auf die Entdeckung des Mordes gefolgt waren. »Nachdem Frau von Mazel in ihrem Bette ermordet aufgefunden worden war,« sagt er, »wurden alle ihre Domestiken in Haft genommen und verhört: Le Brun allein wurde angeklagt. Gleichwohl waren weder die Aussagen der übrigen noch andre Verdachtsgründe wider ihn; vielmehr sprachen alle Domestiken, den Abbé Poulard allein ausgenommen, zu seinen Gunsten, und überdies beweisen alle Umstände, die das Verbrechen begleitet haben, seine Unschuld.

»Fürs erste ist zu bemerken, daß man an der Ermordeten fünfzig und mehr Messerstiche fand, von welchen keiner tödlich war, wie die Wundärzte versichern. Sie starb also bloß an einer heftigen Verblutung. Sie hatte mehrere Stiche im Gesicht, und alle ihre Finger waren durchschnitten. Alles dies beweist, daß sie sich gegen ihren Mörder bis aufs äußerste gewehrt und mit Anstrengung ihrer letzten Kräfte ihn fest umschlossen gehalten habe. Es konnte daher unmöglich geschehen, daß nicht der Mörder deutliche Kennzeichen einer solchen in der äußersten Todesangst geschehenen Gegenwehr an sich trüge. Es mußten sich Spuren von Blut an der mörderischen Hand finden, die so viele Stiche ausgeteilt hatte; denn das Blut setzt sich, zumal in der Haut um die Nägel, so fest, daß man viele Tage Mühe hat, es wieder rein wegzubringen. An Le Brun aber konnte man bei der genauesten Untersuchung und nach allen möglichen Proben weder blaue Flecke, noch Ritze oder Blut entdecken.

»Fürs zweite: das in der Asche gefundene Taschenmesser ist offenbar ein Messer, das der Mörder gewöhnlich bei sich führte. Man hat es dem Mann vorgezeigt, mit dem Le Brun am Abend vor dem Mord zu Nacht gegessen hatte, und dieser hat versichert, er habe dieses Messer niemals gesehen und dasjenige, das Le Brun bei sich getragen habe, sei von ganz anderer Form gewesen.

»Der dritte bemerkenswerte Umstand ist jenes abgerissene blutige Stück von einer Halskrause, das in dem Bette gefunden wurde. Man hat es mit der sämtlichen Wäsche des Angeklagten verglichen; aber es fand sich nichts darunter, das mit dieser Krause irgendeine Ähnlichkeit gehabt hätte. Le Brun hatte sogar seit vielen Jahren keine Spitzenkrause, sondern nur Halstücher von Nesseltuch getragen. Überdies haben auch die beiden Kammerjungfern der Frau von Mazel vor Gericht versichert: diese Krause gehöre dem Angeklagten nicht; sie meinten aber, bei einem Bedienten ihrer Herrschaft, namens Berry, der Diebstahls wegen aus dem Hause gejagt worden sei, sie gesehen und sie sogar für ihn gewaschen zu haben.

»Der vierte bemerkenswerte Umstand ist die Serviette, in Gestalt einer Nachtmütze zusammengeknüpft, die man ebenfalls ganz mit Blut überzogen im Bette fand. Diese Mütze wurde dem Angeklagten aufgesetzt, aber sie ging nicht auf seinen Kopf. Dies ist der bestimmteste Beweis für seine Unschuld, den man nur verlangen kann. Nicht als ob diese Mütze, wenn sie unglücklicherweise auf seinen Kopf gepaßt hätte, einen Beweis wider ihn hätte abgeben können; denn es ist nichts gewöhnlicher, als zwei Köpfe von einerlei Größe zu finden. Aber da sie so eng war, daß man sie ihm nicht über den Kopf hineinbringen konnte, so muß man gestehen, daß es der vollkommenste Beweis seiner Unschuld ist. Und dieser Umstand ist um so glücklicher für ihn, da ein Angeklagter nie verpflichtet ist, seine Unschuld selbst zu beweisen, da es hinreichend ist, um ihn loszusprechen, wenn nur er des Verbrechens, dessen man ihn anklagt, nicht überwiesen werden kann.

»Der fünfte merkwürdige Umstand ist das blutige Hemd, das auf einem der obern Böden unter dem Stroh gefunden worden ist. Man hat auch dieses Hemd mit allen Hemden des Angeklagten verglichen und hat weder in Ansehung der Leinwand, noch der Näherei, noch des Zeichens, noch der Größe die geringste Ähnlichkeit gefunden. Auch dies ergibt einen bestimmten und unzweifelhaften Beweis für ihn.

»Durch solche Beweise muß jeder Unparteiische überzeugt werden. Selbst die Feinde des Angeklagten können hier nicht widersprechen, sie sind gezwungen zu gestehen, daß er nicht selbst die Mordtat vollbracht habe, und müssen sich begnügen, ihn zum Mitschuldigen zu machen.

»Allein nichts kann boshafter sein, als diese völlig unbegründete Beschuldigung. Denn man hat noch weniger Grund, Le Brun zum Mitschuldigen zu machen, als ihn des Verbrechens selbst anzuklagen.

»Da er durchaus keine Veranlassung hatte, für sich selbst den entsetzlichen Anschlag wider seine Wohltäterin zu fassen: würde er wohl einem andern zu diesem so verabscheuungswürdigen Plan die Hand geboten haben? Es ist weit natürlicher und gewöhnlicher, zu solchen Verbrechen durch eigne Leidenschaft hingerissen zu werden, als einer fremden zu dienen. Es ist in der Tat bei einem solchen Fall weit widernatürlicher und schrecklicher, Mitschuldiger zu sein, als die Tat selbst zu begehen. Bei der Tat selbst kann man sich doch wenigstens Zorn, Rache, Verzweiflung, oder was immer für eine andre heftige Gemütsbewegung als Triebfeder des Verbrechens denken, die dessen Abscheulichkeit etwas mildert. Allein nichts von der Art läßt sich bei einem solchen Mitschuldigen denken, wie Le Brun sein müßte. Hier wäre es ein Verbrechen mit kaltem Blut, aus einer Überlegung, die eine lange Übung in der Ruchlosigkeit voraussetzt. Da sich aber eine solche Verworfenheit, die sogar der Natur selbst widerspricht, mit dem Charakter des Angeklagten, dessen Lebenswandel immer untadelhaft gewesen ist, gar nicht vereinigen läßt, so folgt, daß man auch jene Mitschuld nicht wider ihn vermuten könne, wenn man nach bloßen Vernunftgründen urteilt.

»Aber es sind vielleicht Tatsachen vorhanden, welche beweisen, was man nach Vernunftgründen nicht vermuten sollte? Lassen Sie uns doch sehen, worauf man diese Beschuldigung der Teilnahme an der Mordtat gründet!

»Darauf, daß man ohne allen Beweis behauptet: Le Brun als ein Domestike habe den Mörder in das Haus eingelassen? Als ob nicht die übrigen Domestiken alle, vom Abbé Poulard bis zum untersten Bedienten, ihn ebensogut hätten einlassen können, wie Le Brun!

»Es ist überdies wahrscheinlich, daß sich der Mörder bei Tag ins Haus geschlichen habe, daß er sogar mehrere Tage darin verborgen gewesen sei und mehr als eine Nacht darin geschlafen habe. Man kann dies daraus schließen, daß er für nötig befunden hat, sich eine Schlafmütze aus einer Serviette zu binden.

»Wenn er aber auch bei Nacht ins Haus gekommen ist, so kann man daraus doch nichts wider den Angeklagten folgern. Er war ja wegen dessen, was während der Nacht im Hause vorgehen konnte, nicht mehr als die andern Domestiken verantwortlich; er war es sogar noch weniger als die andern, da er nicht im Hause zu schlafen brauchte, sondern, sooft er wollte, die Nacht in seinem eignen Hause zubringen konnte.

»Hierzu kommt noch, daß der Hausschlüssel immer in der Küche an einem Nagel hing und folglich alle Domestiken sich dessen nach Gefallen bedienen konnten.

»Überdies aber muß man auch den Umstand nicht übersehen, daß der Mörder ohne alle fremde Beihilfe sehr leicht in ein Haus kommen konnte, das jede Woche zweimal, vom Montag bis zum Dienstag abend und vom Freitag bis zum Sonnabend abend, jedermann offenstand und dessen Besitzerin gar kein Geheimnis daraus machte, daß sie immer beträchtliche Summen liegen habe. Die Einrichtung und Bestimmung der Zimmer selbst führt auch darauf, wie leicht es einem Mörder werden mußte, zu jeder Stunde sogleich einen sichern Schlupfwinkel in diesem Hause zu finden, wo so viele leere Zimmer und unverschlossene Böden waren, das Tag und Nacht offenstand und mit Lärm, Verwirrung, Spielern, Spielerinnen und Lakaien von allen Schattierungen angefüllt war.

»Man hat also gar nicht nötig zu vermuten, der Mörder habe der Hilfe eines Domestiken bedurft, um ins Haus zu kommen. Insofern kann es also auch hier nicht zum Nachteil gereichen, zu den Domestiken zu gehören. An sich erregt ohnehin diese Eigenschaft nie Verdacht, sie entfernt ihn vielmehr. Denn jedesmal, wenn ein Verbrechen ebensowohl durch einen Fremden als durch einen Domestiken kann verübt worden sein, ist die Vermutung immer wider den erstern, weil es der natürliche Gang des Beurteilens ist, von Stufe zu Stufe zu gehen und das kleinere Verbrechen zuerst zu vermuten. Nur dann kann es einen Verdachtsgrund gegen eine Person geben, daß sie Domestike ist, wenn es ausgemacht ist, daß nur durch einen Domestiken die Tat kann verübt worden sein. Allein hier, wo die Tat in einem Hause verübt worden ist, das jedermann offenstand, das immer mit Spielern und fremden Bedienten angefüllt war, hier kann es niemand nachteilig sein, zu den Domestiken zu gehören. Am allerwenigsten aber dem Angeklagten. Denn abgesehen davon, daß er nicht mehr und nicht weniger Domestike ist als alle andern, hat er noch besonders den günstigen Umstand zu seiner Rechtfertigung für sich, daß die von dem Mörder zurückgelassenen Sachen ihm nicht gehören können, wie es durch die strengste Untersuchung bereits entschieden ist. Von den übrigen Domestiken kann man dies nicht behaupten, weil mit ihnen keine Untersuchung angestellt worden ist.

»Weder Vermutungen noch Beweise sprechen demnach wider den Angeklagten. Die Richter können sich also nicht mißbrauchen lassen, den Leidenschaften seiner Feinde nachzugeben und ihn vielleicht gar unschuldig zu foltern. Sie haben andre Wege, den Urheber des Verbrechens zu entdecken. Haß, Feindschaft, eigennützige Absichten und andere Umstände dieser Art sind die Spuren, denen allein sie mit ganzer Aufmerksamkeit folgen dürfen, um den wahren Täter zu entdecken. Bei der Untersuchung, von welcher hier die Rede ist, sind einige sehr wichtige Umstände, auf die man besonders achten muß. Ich werde sie erzählen, ohne Folgerungen daraus zu ziehen. Dies muß der Einsicht und der Gerechtigkeitsliebe der Richter selbst überlassen werden.

»Ein Umstand, der hier zuallererst in Erwägung zu kommen verdient, ist ein Diebstahl von 1500 Livres, der im letzten Monat März bei der Frau von Mazel begangen worden ist. Der Täter war kein anderer als Berry, ein Bedienter, den sie drei oder vier Monate vorher fortgejagt hatte und der sich von Zeit zu Zeit meldete, um wieder in das Haus aufgenommen zu werden. Die Beweise, daß er den Diebstahl begangen habe, sind überzeugend: seine Flucht, denn er kam indes nicht wieder ins Haus; das Geld, das man bei ihm sah; der Aufwand, den er in Kleidern und in öffentlichen Häusern machte; ein Pferd für fünfzehn Louisdor, das er sich kaufte. Alle diese Beweise wurden durch Le Brun zusammengetragen und Herrn von Savonnières hinterbracht. Dieser wollte aber nicht, daß seine Mutter noch Geld auf einen Prozeß verwenden sollte, durch den sie doch nicht hoffen könnte, das verlorne zurückzubekommen. Nun kommt hinzu, daß die Kammerjungfern der Ermordeten angeben: die in dem Bett gefundene Halskrause gehöre nicht dem Le Brun, sondern sie glauben sie für ebendiesen Berry gewaschen zu haben, der den eben erwähnten Diebstahl begangen hat.

»Das zweite, was hier besondere Aufmerksamkeit verdient, ist die Feindschaft, die zwischen Frau von Mazel und Frau von Savonnières, ihrer Schwiegertochter, herrschte; die Ursache des Hasses, den diese wider ihre Schwiegermutter hegte; die Hoffnung, die sie äußerte, in drei Monaten – ein Zeitpunkt, der genau mit der Zeit des Mords zusammentraf – ihre Freiheit wiederzuerhalten. Überdies wurde Berry einige Tage nach der Mordtat in Paris gesehen; eine gewisse Person, die ihm in dem Andreaskloster begegnete, gab Herrn von Savonnières davon Nachricht. Dieser Dieb war aber aus Bourges und hatte sich auch nach jenem Diebstahl nach Bourges begeben. Und in ebendiesem Ort befand sich auch Frau von Savonnières, auf königlichen Befehl in einem Kloster eingesperrt.

»Drittens verdient besonders auch der Abbé Poulard, daß man etwas aufmerksamer auf ihn sei.« Herr von Aucour geht hier umständlicher auf die Lebensgeschichte desselben ein und fährt dann fort – »wie gezwungen ist nicht die wiederholte Versicherung am Abend vor dem begangenen Mord, daß er außer dem Hause schlafen werde; wie auffallend ist nicht die Emsigkeit, mit welcher er überall zu verbreiten bemüht war, daß Le Brun der Mörder sei. Ferner hatte er auch das gewichtige Interesse, das Hindernis aus dem Wege zu räumen, das der Heirat seiner Schwester, der Frau von Chapelain, mit Herrn von Lignières im Wege stand.

»Alle diese Umstände, verbunden mit denen, die Le Brun persönlich betreffen, machen diesen zum Gegenstand des Mitleidens bei dem ganzen Publikum, welches sich mit Recht darüber wundert, daß man sich bei dieser peinlichen Untersuchung ganz absichtlich bloß an diesen einen Mann zu halten scheint.

»Es ist wohl kein Haus in ganz Paris, worin man nicht schon hundertmal gesagt hätte: aber warum hat man denn diese Serviettenmütze und dieses Hemd nicht auch an allen übrigen Domestiken versucht? Warum hat man denn die Feinde der ermordeten Dame nicht verhört? Warum hat man denn nicht versucht, sich jenes Bedienten zu bemächtigen, der sie vor sechs Monaten bestohlen hat und dessen Gestalt vermuten läßt, daß die Mütze und das Hemd ihm passen werden? Es scheint ja auf diese Art, daß man, weit entfernt den Verbrecher ernstlich zu suchen, vielmehr ihn zu entdecken fürchte; und man möchte beinah behaupten, daß man nur das Publikum hinzuhalten suche, das die Bestrafung einer so entsetzlichen Mordtat verlangt, und nur deswegen eine so strenge Untersuchung wider einen Unschuldigen vornehme, um am Ende das Publikum mit der Versicherung zufriedenzustellen, daß man nichts habe entdecken können, während man eigentlich nur nichts entdecken wollte.«

Dies waren ungefähr die Hauptgründe, welche Herr von Aucour zu Le Bruns Rechtfertigung in der Verteidigungsschrift für ihn, die wir hier im Auszug mitgeteilt haben, anführte.

Man sieht, mit welcher Kunst und Gründlichkeit er die Sache seines Klienten führte. Allein alles war für Le Brun vergebens angewendet. Der Hauptschlüssel, den er bei sich gehabt hatte, nachdem doch die Frau von Mazel ihm den seinigen abgenommen hatte, und der Umstand, daß dieser Schlüssel das Schlafzimmer der Frau von Mazel aufschloß, schien den Richtern des Châtelets ein Beweis, daß Le Brun den Mord begangen habe oder wenigstens ein Mitschuldiger sei. Von elf Beisitzern, die das Urteil sprachen, stimmten drei für weitere Untersuchung, zwei für Folter und sechs waren für Todesstrafe!

Am 18. Januar 1690 wurde also durch einen öffentlichen Urteilsspruch erklärt: »daß Le Brun überführt sei, an der Ermordung der Frau von Mazel Anteil gehabt zu haben. Er wird deshalb zur wohlverdienten Strafe verurteilt, Kirchenbuße zu tun und sodann lebendig gerädert zu werden. Vorher aber soll er noch auf die ordentliche und außerordentliche Folter gebracht werden, damit man seine Mitschuldigen von ihm erfahre. Alle seine Güter sollen im Namen des Königs eingezogen, davon aber 8 000 Livres zur Schadloshaltung für die Herren von Savonnières und 100 Livres zu Seelenmessen für Frau von Mazel verwendet werden. Auch wird Le Brun des in dem Testament der Frau von Mazel ihm ausgesetzten Legats verlustig erklärt, und sämtliche auf die Untersuchung verwendeten Kosten zu bezahlen verurteilt. Die weitere Untersuchung wider Magdalene Tisserelle, Le Bruns Ehefrau, wird bis nach dessen Hinrichtung ausgesetzt.«

Le Brun appellierte wider diesen Spruch an das Parlament, und Herr von Aucour übernahm abermals seine Verteidigung.

Es hatte sich bald nach Bekanntmachung des Urteils das Gerücht verbreitet: die Richter, die dieses Urteil gesprochen, hätten sich verlauten lassen, daß sie, im voraus schon gewiß, daß in jedem Fall ihre Sentenz durch Appellation an einen höheren Gerichtshof kommen werde, sich entschlossen hätten, wider alle Rechtsordnung zu sprechen, bloß um den Angeklagten zu schrecken und ihn zu einem freiwilligen Geständnis zu veranlassen.

Diesen Umstand benutzte auch Herr von Aucour in seiner neuen Verteidigungsschrift, welche wir ebenso wie die vorhergehende in einem gedrängten Auszug mitteilen, überzeugt, daß die Beweise von der Unschuld des Beklagten unmöglich mit größerer Bestimmtheit und Klarheit dargestellt werden können, als von ihm geschehen ist.

Er macht zuerst auf den Umstand aufmerksam, daß ein Teil der Richter für weitere Untersuchung gestimmt und folglich vorausgesetzt habe, es sei noch kein Beweis wider den Angeklagten vorhanden. »Wie wäre es möglich,« fährt er dann fort, »daß die übrigen für Todesstrafe stimmen und folglich voraussetzen konnten, es seien vollständige Beweise vorhanden? Es ist also doch wohl etwas an dem Gerücht, daß die Richter durch ihr Urteil den Angeklagten bloß schrecken wollten, um ihn durch die Todesangst zu einem Bekenntnis zu bewegen.

»Allein die Richter mögen nun von ihren guten Absichten sagen, was sie wollen, das hindert nicht, daß ihr Urteil an sich höchst ungerecht sei, gesprochen ohne allen Beweis, gegen alle Gesetze und folglich durchaus null und nichtig.

»Ehe wir uns aber auf den Beweis selbst einlassen, müssen wir noch auf zwei Umstände aufmerksam machen. »Die Herren von Savonnières haben in ihrer Klagschrift beantragt: ›Man möchte dahin erkennen, daß der Angeklagte verdächtig und überwiesen sei, die Frau von Mazel ermordet und das in ihrer Geldkasse befindlich gewesene Geld entwendet zu haben, und ihn deshalb des in dem Testament der besagten Dame ihm ausgesetzten Legats für verlustig erklären.‹ Dieses Legat, das an zweitausend Taler beträgt, verdient besonders bemerkt zu werden; man kann wohl sagen, daß es das ganze Verbrechen des Angeklagten sei. Seine Feinde, die von diesem Legat wußten, hatten wenigstens keinen andern Grund, warum sie ihn allein eher als alle andern Domestiken anklagten, die Frau von Mazel ermordet und bestohlen zu haben, da es sogar höchst unwahrscheinlich ist, daß er das eine oder das andere getan habe, zumal da in dem Urteil selbst eines Diebstahls mit keinem Worte gedacht wird. Dieser letztere Umstand ist besonders zu bemerken. Denn ist mit dieser Mordtat kein Diebstahl verbunden gewesen, so ist dies ein natürlicher Beweis, daß sie nicht durch die Hand eines Domestiken vollbracht sein kann, denn der würde gemordet haben, um zu stehlen; sondern durch die Hand eines Feindes, den Haß und Rache bewaffnet hatten.

»Ein anderer noch merkwürdigerer Umstand ist es, daß Le Brun in dem Urteil selbst nicht als Vollbringer der Mordtat, sondern nur als Mitschuldiger verurteilt wird. Der Mitschuldige soll also den Tod leiden, ehe man noch die geringste Anstalt getroffen hat, den Hauptverbrecher zu entdecken und in die Hände zu bekommen. Wir werden dies in der Folge noch besonders untersuchen. Hier verweilen wir mit unserer Aufmerksamkeit noch bei dem Punkt, daß der Angeklagte nur als Mitschuldiger verurteilt ist. Wir haben ihn also nur gegen die Anklage der Mitschuld zu rechtfertigen.

»Ebensowenig als man den Verdacht, daß Le Brun der Mörder selbst sei, nur mit dem schwächsten Beweis begründen konnte; ebensowenig ist auch nur die geringste Spur in den Akten vorhanden, daß er an dem Mord teilgenommen habe. Kein Beweismittel, keine Zeugenaussage, kein Geständnis, weder von dem angeblichen Mitschuldigen noch von dem Mörder selbst, den man nicht hat und nicht suchen will, begründet die Beschuldigung; sie muß also auf bloße Vermutungen aufgebaut sein.

»Bei der Prüfung dieser Vermutungen muß man aber nach den Regeln des Rechts und des gesunden Verstandes sowohl auf die Beschaffenheit des Verbrechens, das vermutet wird, als auf die Eigenschaften dessen, auf den die Vermutung desselben fällt, Rücksicht nehmen. Denn Vermutungen finden mehr oder weniger statt, je nachdem die Beschaffenheit sowohl der Umstände als der Personen besser oder schlimmer ist. Man ist leichter geneigt zu glauben, daß ein schlechter Mensch eine schlechte Handlung begangen, als zu glauben, daß ein rechtschaffener Mann ein Bubenstück verübt habe.

»Der Angeklagte hat stets als ein rechtschaffener Mann gelebt und ist von allen, mit denen er umging, dafür erkannt worden. Sein Unglück hat das Mitleiden des ganzen Viertels erregt, in dem er wohnt, und hat seinem guten Ruf nicht im mindesten geschadet. Jedermann läßt der Sorgfalt Gerechtigkeit widerfahren, mit welcher er seine Kinder zur Tugend erzogen hat; seine Familie genießt allgemeine Achtung.

»Dies ist offenbar nicht der Charakter eines Menschen, von dem eine so abscheuliche Tat vermutet werden könnte, als diejenige ist, deren Le Brun beschuldigt wird. Man würde sie sogar von ihm kaum glauben können, wenn er selbst durch einen vollständigen Beweis davon überführt wäre.

»Wir wollen aber jetzt diese angebliche Mitschuld an sich selbst und in allen ihren Umständen genauer erwägen, um ganz deutlich zu zeigen, daß es aller gesunden Vernunft widerstreite, auch nur zu vermuten, daß der Beklagte den geringsten Anteil an der Mordtat gehabt habe.

»Erstens; da er für sich selbst zu einem solchen Anschlag wider das Leben seiner Herrschaft nicht die geringste Veranlassung hatte, was hätte ihn bewegen sollen, einem andern zu dieser schrecklichen Ermordung behilflich zu sein? Muß es nicht jeder in sich selbst fühlen, daß es weit schwerer ist, sich durch eine fremde Leidenschaft zu einem solchen Schritt leiten zu lassen, als seiner eignen zu folgen? Sieht man nicht ganz klar, daß diese angebliche Mitschuld eine noch weit schwärzere Seele voraussetzt als das Verbrechen selbst? Das letztere konnte aus Zorn oder Rachsucht entspringen; das erstere beweist kalten Vorsatz einer im Laster schon verhärteten Seele.

»Zweitens; wer sieht nicht, daß die Hoffnung eines Vorteils, die einzige denkbare Triebfeder zur Teilnahme an einem solchen Verbrechen, hier gar nicht in Frage kommt, und daß folglich diese Beschuldigung nichts anderes ist, als die in die Augen springende Ungereimtheit, eine Wirkung zu vermuten, die keine Ursache hat.

»Der Ankläger hat diesen Widerspruch selbst gefühlt. Ohne Zweifel hat er darum in seiner Anklage die Beschuldigung des Diebstahls mit der des Mordes verbunden; er konnte sich wohl vorstellen, daß kein vernünftiger Mensch glauben werde, ein Bedienter habe seine Herrschaft ohne alle Absicht, etwas dadurch zu gewinnen, ermordet.

»Allein es ist ausgemacht, daß hier kein Diebstahl vorgefallen ist. Das Urteil sagt nicht ein Wort davon. Keine Spur eines gewaltsamen Einbruches war zu sehen, nichts war geöffnet, weder in dem Schlafzimmer noch in der Kleiderkammer. 18 Louisdor fanden sich in der Tasche der Ermordeten; der Schrankschlüssel lag an seinem gewöhnlichen Ort; 278 Livres in Gold und für mehr als 15 000 Livres Diamanten waren noch vorhanden.

»Hier kann also nicht einmal der Vorsatz gewesen sein, etwas zu stehlen. Gesetzt aber, der Angeklagte wäre eines solchen Vorsatzes fähig gewesen, so hätte er alle Tage Gelegenheit genug gehabt, ihn ganz ohne Gefahr auszuführen. Es wäre ihm leicht gewesen, den Verdacht davon auf Berry zu lenken, der schon einmal im Hause gestohlen hatte und der also leicht auch das zweitemal für den Dieb würde gehalten worden sein.

»Es läßt sich also durchaus nicht vermuten, daß ein erhoffter Vorteil den Le Brun angetrieben habe, an der Mordtat teilzunehmen; und folglich wäre hier wirklich eine Wirkung ohne Ursache, eine Handlung ohne Beweggrund. Eine solche Vermutung ist unmöglich.

»Allein man muß hier noch weitergehen. Diese angebliche Mitschuld würde dem Interesse des Angeklagten sogar gerade entgegen sein, denn er würde sich dadurch unfehlbar um 2 000 Taler gebracht haben, welche ihm die Frau von Mazel als Belohnung für seine vieljährigen treuen Dienste vermacht hatte. Er mußte fürchten, dieses Legats durch einen Urteilsspruch verlustig erklärt zu werden, der seine Mitschuld zugleich mit dem Tode bestrafen und ihm vielleicht nicht einmal mehr gestatten würde, mit Verlust seines ganzen Vermögens sein Leben durch die Flucht zu retten.

»Man weiß zwar wohl, daß es Bediente gegeben hat, die unmenschlich genug waren, ihre Herren umzubringen, um desto eher zum Genuß ausgesetzter Vermächtnisse zu gelangen. Allein dies geschah immer nur insgeheim, so daß der Todesfall natürlich schien und keine gerichtliche Untersuchung veranlaßte. Nie hat ein solcher Bösewicht seinen Herrn mit offenbarer Gewalt ermordet, welche sogleich die Obrigkeit auffordert, das Verbrechen zu ahnden, die Domestiken einer peinlichen Untersuchung zu unterwerfen und dadurch dem Mörder den gehofften Gewinn zu entreißen.

»Setzt man nun zu allen diesen Gründen noch hinzu, wie heiter und ruhig Le Brun vor und nach der geschehenen Ermordung war, so kann man seine Unschuld gar nicht weiter anzweifeln. Es ist ganz unnatürlich, daß sich an einem Menschen, dessen Seele über dem schwarzen Gedanken eines solchen Verbrechens brütet, das er entweder schon begangen hat oder begehen will, äußerlich nicht die geringste Gemütsbewegung, nicht die kleinste Unruhe zeige. Man hat aber weder vor noch nach der Mordtat an Le Brun etwas bemerkt, woraus man auf einen so gewaltsamen Zustand im Innern seines Gemüts hätte mutmaßen können; vielmehr zeigte sich Heiterkeit an ihm, und selbst lustige Laune, die sichersten Kennzeichen eines guten Gewissens.

»Alles dies sind Vermutungen für Le Brun, welche allen Verdacht von ihm entfernen müssen. Aber die Richter führen Beweise an, welche bei ihnen diese Vermutungen überwogen zu haben scheinen. Diese Beweise müssen wir prüfen.

»Man hat bei ihm einen Schlüssel gefunden, sagt man, der vier Türen öffnete, nämlich die Haustür, die Tür zum Vorgemach und die zwei Türen zur Kleiderkammer. Daraus zog man den Schluß, daß er den Mörder eingelassen habe, und verurteilte ihn zum Tode: nicht anders, als hätte man ihn wirklich die Tür öffnen gesehen, oder er hätte es selbst gestanden, oder es wäre ihm von dem Mörder selbst ins Gesicht behauptet worden, oder endlich, als ob es schlechterdings unmöglich wäre, daß ein andrer Domestike den Mörder könnte eingelassen oder dieser von selbst den Weg in ein Haus gefunden haben, das Tag und Nacht offen war und das leere Zimmer und unverschlossene Böden genug hatte, in welchen man sich verborgen halten konnte.

»Hätten die Richter vom Châtelet diesen Verdacht, der ihnen der Schlüssel zu geben schien, mit den Gründen verglichen, welche dagegen sprechen, so hätten sie ganz deutlich sehen müssen, daß dieses angebliche Indizium, auf welches sie ein Todesurteil gegründet haben, nicht einmal als eine vernünftige Vermutung betrachtet zu werden verdient; daß sich gar nichts weiter daraus folgern läßt, als daß es nicht unmöglich sei, daß der Angeklagte dem Mörder die Türen geöffnet habe. Und hieraus haben die Richter, ohne irgendeinen andern Beweis gefolgert, daß er sie ihm wirklich geöffnet habe.

»So urteilen und so zum Tode verdammen, heißt mit dem Leben der Menschen und mit der Ehre der Menschen spielen; ein Spiel – mit Widerwillen muß man es sagen – das weniger Scharfsinn und größere Unbesonnenheit voraussetzt als irgendein Hasardspiel! Bei dem letztern ist die Wahrscheinlichkeit wenigstens auf beiden Seiten gleich. Aber hier, bei der Möglichkeit, daß Le Brun dem Mörder die Tür geöffnet habe oder nicht, sind alle Gründe fürs Verneinen, nicht ein einziger fürs Bejahen. Dies wollen wir jetzt beweisen.

»Es ist aus dem ersten Protokoll vom 28. November bekannt, daß der besagte Schlüssel nichts weiter als das Schloß an der Haupttür des Schlafzimmers, und zwar mit vieler Mühe und nur halb, nämlich den Riegel nur einmal herum, aufschloß. Damals kam dieser Schlüssel nicht weiter in Betracht; und man mag wohl seine Gründe dazu gehabt haben, wie wir gleich sehen werden.

»Allein es ist genug, sagt man, daß dieser Schlüssel das Schloß am Schlafzimmer nur halb öffnete, um damit in jeder Stunde der Nacht hineinzukommen, indem die Tür zu dem Schlafzimmer der Frau von Mazel des Nachts nie mehr als einfach abgeschlossen wurde.

»Alles dies ist wahr. Man könnte sogar noch hinzusetzen, daß man gar nicht einmal eines Schlüssels bedurfte, um das Schlafzimmer zu öffnen. Man brauchte nur einen Dietrich durch das kleine Loch über dem Schlosse zu stecken und den Riegel zurückzuziehen. Dies ist der Grund, warum man im Anfang auf diesen Schlüssel, der den Riegel des Schlosses nur einhalbmal aufschloß, gar nicht achtete, und in der Folge, um einige Folgerungen daraus zu ziehen, behaupten mußte, daß er einundeinhalbmal abschließe.

»Aber man geht noch weiter. Man behauptet sogar, der Schlüssel habe gleich von Anfang das ganze Schloß doppelt abgeschlossen. Angenommen nun auch – was wir aus Gründen, die unten angegeben werden, nicht zugeben können – dieser Umstand hätte seine Richtigkeit, so würde man dennoch daraus vernünftigerweise keine Folgerung wider den Angeklagten ziehen können. Denn er hat von Anfang an immer behauptet, dieser Schlüssel habe zu nichts weiter gedient, als das kleine Schloß am Torwege damit zu öffnen, und er habe nicht einmal gewußt, daß er auch noch andere Türen öffne. Diese Aussage, welche er immer gleichförmig abgegeben hat, kann man nicht für falsch erklären, solange man ihn nicht des Gegenteils überwiesen hat, was bis jetzt noch nicht geschehen ist.

»Überdies hat besagter Schlüssel nichts Ungewöhnliches und Besonderes an sich, das ihn verdächtig machen könnte. Er ist gemacht wie tausend andre, die in jedermanns Händen sind, so daß auch Le Brun ihn ganz unschuldig bei sich getragen haben kann. Wäre es wahr, daß dieser Schlüssel gleich bei der ersten Probe vier Türen geschlossen hätte, so wäre dies ein bloßer Zufall gewesen. Man hat später den Töchtern des Angeklagten mehr als hundert Schlüssel gezeigt, von welchen man auch glaubte, daß sie nur ein einziges Schloß öffneten, die aber bei der damit angestellten Probe noch mehrere andre aufschlossen.

»Die Schlosser, denen die Gerichte die Untersuchung dieses Schlüssels auftrugen, erkannten ihn einstimmig als einen alten Schlüssel und versicherten, er sei nicht für die Schlösser der Zimmer gemacht, die man damit öffnen konnte, und man sehe überdies, daß seit langer Zeit kein Feilenstrich daran geschehen sei.

»Mit dieser Erklärung stimmt jene Aussage, die der Angeklagte über diesen Punkt immer unverändert abgegeben hat, vollkommen überein. Er hat immer behauptet, er habe diesen Schlüssel, wie er gegenwärtig noch ist, vor zehn oder zwölf Jahren von einer Frauensperson erhalten, die bei der Frau von Mazel gedient und sich sodann an den oben genannten Laguë verheiratet hatte, die aber schon seit zwei Jahren tot ist.

»Zwar wendet man ein, der Angeklagte hätte diesen Schlüssel auch nicht einmal als einen Hauptschlüssel zum Torweg haben sollen, indem Frau von Mazel sowohl ihm als der Köchin vor ungefähr zehn Monaten den Hauptschlüssel abgenommen hatte, nachdem sie von Berry bestohlen worden war.

»Allein wie auch immer diese Begebenheit mit dem Hauptschlüssel beschaffen gewesen sein mag, so kann doch daraus nichts Nachteiliges wider den Angeklagten gefolgert werden. Denn daß Frau von Mazel aus Ärger über den erlittenen Diebstahl nicht mehr zugeben wollte, daß ihre Leute Hauptschlüssel haben sollten, das war ein Einfall in der Hitze, der zwar ganz natürlich, deshalb aber doch eben nicht sehr vernünftig war. Was konnte es ihr denn helfen, ihren Leuten die Hauptschlüssel abzunehmen, während ihr Haus Tag und Nacht jedem Fremden, der bei ihr spielen wollte, offenstand?

»Inzwischen hat der Abbé Poulard den Hauptschlüssel von Frau von Mazel erhalten, den Le Brun auf Aufforderung derselben in ihre Hände übergab. Die Köchin bekam den ihrigen bald wieder zurück, aber der Abbé durfte den seinigen behalten, und Le Brun mußte ihn missen. Er konnte sich aber unmöglich ohne einen solchen Schlüssel behelfen, denn er mußte des Morgens sehr früh aus dem Hause, um einzukaufen, und überhaupt seiner Geschäfte wegen beinah zu jeder Stunde aus und ein gehen. Er bediente sich also eines andern Schlüssels; aber er tat dies ganz unverhohlen im Angesicht des ganzen Hauses.

»Dies ist es, was Le Brun selbst wegen dieses Schlüssels immer aufs standhafteste behauptet hat; und schon diese Erzählung beweist seine Redlichkeit, denn es stand ja in seiner Willkür, gleich von Anfang an zu sagen, er habe den Schlüssel von der Herrschaft selbst bekommen; sie war tot und konnte ihm also nicht widersprechen.

»Überdies ist dieser Schlüssel so wenig ein Indizium wider den Angeklagten, daß er vielmehr für ihn spricht. Es ist klar, wenn er den Mörder damit eingelassen hätte, würde er gewiß ihn nicht bei sich haben finden lassen; oder zu was immer für einer andern unerlaubten Absicht er ihn gebraucht hätte, würde er gewiß nicht vergessen haben, ihn beiseitezuschaffen. Er mußte einsehen, wenn er wirklich an dem Verbrechen Anteil genommen hätte, daß dieser Schlüssel den einzigen Beweis wider ihn abgeben würde; wie es auch jetzt wirklich erfolgt ist, indem dieser Schlüssel der einzige Grund des wider ihn gesprochenen Todesurteils ward.

»Je mehr man also über die Umstände dieser Begebenheit nachdenkt, desto mehr wird man überzeugt, daß die angebliche Überführung des Angeklagten in der bloßen Möglichkeit bestehe, daß er dem Mörder die Tür habe öffnen können.

»Nach der Sentenz des Châtelets genügt es also, daß man ein Verbrechen habe begehen können, um verurteilt zu werden, als ob man es wirklich begangen habe. Man muß also der ganzen Menschheit den Prozeß machen; denn bei ihrer bekannten Schwäche und Verdorbenheit ist es möglich, daß die weisesten Menschen, ja die Richter selbst Lasterhafte und Bösewichter würden.

»Es ist möglich, daß sich Richter durch Reiche wider Arme einnehmen lassen. Es ist möglich, daß sie der Leidenschaft eines mächtigen Anklägers nachgeben und ihm selbst alle Mittel aufsuchen helfen, dem Prozeß eine Wendung nach seinen Absichten zu geben. Es ist möglich, daß sie die Aussagen, welche zur Rechtfertigung des Angeklagten dienen, nicht getreu zu den Akten nehmen. Es ist möglich, daß sie die Spur, die man ihnen nachweist, mit gutem Vorbedacht nicht verfolgen, daß sie den wahren Verbrecher, auf welchen man sie hinweist, absichtlich nicht entdecken wollen.

»Allein da es höchst ungerecht wäre, die Richter wegen solcher Möglichkeiten zu verurteilen, so ist es auch ungerecht, wenn sie einen andern wegen Möglichkeiten verurteilen.

»Man wird sich also nie genug wundern können, daß die Richter des Châtelets einen Mann, dessen Ehrlichkeit immer ganz unbescholten war, zum Tode verurteilt haben ohne einen andern Grund, als weil es möglich ist, daß er dem Mörder die Tür geöffnet habe, ohne zu wissen, ob er sie ihm wirklich geöffnet habe. Wissen konnten sie dies nur auf dreierlei Art: entweder durch Zeugenaussagen, oder durch das Eingeständnis des Angeklagten, oder durch das Bekenntnis des Mörders. Hier ist aber kein Zeuge, der Angeklagte leugnet es, und um den Mörder hat man sich von seiten der Gerichte noch gar nicht bekümmert.

»Es ist also wahr, daß die Richter ihr Urteil gesprochen haben, ohne auf eine von den vielen andern Möglichkeiten Rücksicht zu nehmen, die der Mörder hat wählen können, um in das Haus und in das Schlafzimmer zu kommen.

»Er kann einen Nachschlüssel gehabt haben. Er kann auch mit einem bloßen Dietrich das Schlafzimmer geöffnet haben vermittelst des kleinen Loches über dem Schlosse. Er kann auch ohne Nachschlüssel und ohne Dietrich hineingekommen sein, indem er zum Fenster einstieg und sich unter dem Bette verbarg. Er kann durch eine andere weit verdächtigere Person, als der Angeklagte ist, eingelassen worden sein. Er kann schon mehrere Nächte vorher im Hause geschlafen haben, ein Umstand, den die zurückgelassene blutige Serviettenmütze sehr wahrscheinlich macht. Er kann auch sehr leicht aus einem andern Hause auf der Dachrinne durch das große Dachfenster in den obern Boden in das Haus eingestiegen sein.

»Warum haben doch die Richter vom Châtelet unter so vielen möglichen Wegen, in ein Haus zu kommen, das noch überdies des Spielens wegen Tag und Nacht offenstand, sich allein an den gehalten, wodurch der Angeklagte verdächtigt wird und der ganz unstreitig gerade am allerwenigsten wahrscheinlich ist; so wenig, daß man weder einen Beweggrund noch einen Zweck angeben kann, aus welchem sich die Handlung erklären ließe, und daß, je länger man sie betrachtet, desto mehr die Wahrscheinlichkeit zur bloßen Nichtunmöglichkeit verschwindet.

»Die Richter haben also offenbar das Urteil ohne allen Beweis gesprochen. Allein außer diesem allen sind in dem Prozesse selbst so viele Hauptfehler begangen worden, daß man das ganze Verfahren durchaus für null und nichtig erklären muß.

»Die erste Unrichtigkeit in dem Verfahren betrifft jenen Hauptschlüssel, den man als das Fundament zu dem Todesurteil gebraucht hat. Als Le Brun unmittelbar nach Bekanntwerdung der Mordtat auf Befehl des Kriminalleutnants durchsucht wurde, fand man zwei Schlüssel in seiner Tasche. Er gab auf der Stelle Rechenschaft von beiden. Der eine, sagte er, sei der Schlüssel zu seinem Schlafraum, der andre aber sei ein Schlüssel zum Torwege. Beide wurden sogleich an allen Schlössern des Schlafzimmers versucht. Der erstere öffnete durchaus kein anderes Schloß als dasjenige, für das er bestimmt war; von diesem ist also nicht weiter die Rede. Der Hauptschlüssel hingegen schloß von ungefähr das halbe Schloß an der Haupttür des Schlafzimmers der Frau von Mazel. Aber es erforderte so viele Mühe und so viele Umstände dies zu bewerkstelligen, daß man anfänglich aus diesem so wenig natürlichen Indizium selbst gar nicht viel machte. Man probierte darauf den Schlüssel auch an den übrigen Türen des Schlafzimmers; allein es konnte keine derselben damit geöffnet werden.

»Bisher stimmt das Verfahren ganz mit der Vorschrift der Verordnungen überein, welche fordern, ›daß die Richter sogleich den ganzen Platz, wo ein Verwundeter oder Ermordeter gefunden wird, in Augenschein nehmen und auf der Stelle über die ganze Begebenheit ein genaues Protokoll errichten sollen.‹ Man vermutet also – denn die Richter haben allezeit die Vermutung für sich –, daß sich in diesem Protokoll auch eine genaue Beschreibung aller dieser mit dem Hauptschlüssel angestellten Versuche befinden werden. Allein es zeigt sich, daß sie sich wirklich nicht darin befindet. Woher mag dies wohl kommen? Ist es Vergessenheit oder Vorsatz? Hat man zu wenig oder zu viel an diesen Umstand gedacht? Es muß dem Parlament überlassen werden, über diese Frage zu entscheiden, welche hier bloß vorgelegt werden sollte.

»Soviel ist ausgemacht, dieses erste, allein rechtsgültige Protokoll enthält von allen jenen angestellten Versuchen nichts weiter, als die Bemerkung, daß man mit besagtem Schlüssel das Schloß der Haupttür des Schlafzimmers der Frau von Mazel nur halb, und zwar mit sehr vieler Mühe, habe aufschließen können.

»Was muß hier inzwischen vorgefallen sein? Der Prozeß wird angefangen, man beginnt die Untersuchung. Aber man findet keine Beweise wider den Angeklagten und kehrt nun in das Haus der Frau von Mazel zurück, um noch einmal nachzusuchen. Es wird ein neues Protokoll aufgenommen und – nun findet sich auf einmal, daß der Hauptschlüssel, der nur mit vieler Mühe das Schloß an der Haupttür bloß halb geöffnet hatte, mit Leichtigkeit an allen Türen des Schlafzimmers die doppelt verschlossenen Riegel der Schlösser öffnete.

»In der Tat ein sehr sonderbarer Zufall! Aber es verdient bemerkt zu werden, wann er sich ereignete. Es war am 14. Januar; achtundvierzig Tage nach der Abfassung jenes ersten Protokolls; zu einer Zeit, da alle Siegel schon länger als drei Wochen abgenommen waren, da die Feinde des Angeklagten das ganze Haus im Besitz hatten, da der besagte Schlüssel schon seit mehr als sechs Wochen in der Gerichtsstube des Châtelets von jedermann nach Gefallen besehen und betastet werden konnte.

»Was war leichter, als von diesem Schlüssel einen Abdruck zu nehmen und alle Schlösser darnach abzuändern? Dies ist auch wirklich geschehen, man kann gar nicht daran zweifeln. Vier Gründe beweisen es.

»Erstlich machte der Umstand, daß der Mörder den eigentlichen Schlüssel zum Schlafzimmer mitgenommen hatte, es ohnehin nötig, einen neuen Schlüssel anfertigen zu lassen, welches nicht geschehen konnte, ohne das Gewinde im Schlosse zu ändern.

»Zweitens wäre es kaum möglich, daß ein ganz gewöhnlicher Schlüssel drei verschiedne Schlösser öffne, für die er nicht gemacht ist, wenn nicht die Schlösser nach dem Schlüssel eingerichtet wären.

»Drittens haben die Schlosser bemerkt, daß man den Schlüssel selbst abgeändert habe.

»Viertens endlich kann man die Verschiedenheit, welche sich zwischen den Erfolgen des ersten und zweiten Versuchs mit dem Schlüssel gefunden hat, gar nicht begreifen, wenn eine solche Veränderung mit den Schlössern und dem Schlüssel nicht vorgefallen sein sollte. Denn man kann nicht vermuten, daß ein so einsichtsvoller Mann, als der Kriminalleutnant, diesen Schlüssel nicht auf der Stelle, wie es die Gesetze verlangen, an allen den Schlössern habe probieren lassen, welche er nachher öffnete.

»Hätte er aber – denn möglich ist alles – gleichwohl nicht daran gedacht, und versichert er selbst, daß er nicht daran gedacht habe, so muß man es freilich glauben. Aber man kann sich dann kaum erwehren zu sagen, daß ein Richter, der ein so wichtiges Protokoll abfassen konnte, auch wohl ein Todesurteil könne gesprochen haben, ohne sich recht darüber klar zu sein.

»Allein man habe nun bei diesem ersten allein rechtsgültigen Protokoll an das, was dabei zu tun war, gedacht oder nicht gedacht; es bleibt darum nicht weniger wahr, daß man die Schlösser verändert hat und daß der angebliche Beweis, den man daraus ziehen will, daß dieser Schlüssel jetzt so viele Türen öffnet, bloß ein nachher gemachter Beweis ist; ein Beweis sozusagen durch Feile und Hammer, in welchem man gleichwohl wider die Absicht derer, die ihn geschmiedet haben, die Unschuld des Angeklagten erkennt, indem dieses zweite Protokoll offenbar nichts anderes beweist, als daß das erstere nichts enthielt, was man als Beweis wider den Angeklagten gebrauchen konnte.

»Dieses wider alle Ordnung bloß auf einseitiges Verlangen des Anklägers verfertigte Protokoll müßte allein schon Grund genug sein, um das ganze Verfahren für null und nichtig zu erklären.

»Der zweite nicht weniger wichtige Fehler besteht darin, daß nicht sämtliche Domestiken verhört worden sind. Der Ankläger gesteht dies selbst in seiner Klageschrift, indem er darin dem Kriminalleutnant sagt: ›Zehn ganze Stunden wendeten Sie zu der unglaublich mühsamen Arbeit an, einen Teil der Domestiken und andere von außen herbeigebrachte Personen zu verhören.‹

»Man weiß nun zwar nicht genau, wie hoch sich die Anzahl des andern Teils der Domestiken, der nicht verhört worden ist, beläuft. Allein wenn sich dieser Teil auch nur einzig auf den Abbé Poulard einschränken sollte, so würde dies immer noch ein sehr großer Teil sein. Außerdem, daß es nicht erlaubt ist, bei solchen Gelegenheiten einen einzigen, er sei, wer er wolle, zu übergehen, weil ebendieser einzige, der nicht verhört worden ist, der alleinige Urheber des Verbrechens sein kann, mit dessen Untersuchung man beschäftigt ist, kann man auch wohl sagen, daß dieser Mensch bei dem vorliegenden Fall eine weit wichtigere Person ist, als alle übrigen Domestiken zusammen.« Herr von Aucour kommt hier noch einmal auf die Geschichte dieses Abbés zurück und läßt sich auf eine umständliche Erzählung der Tatsachen ein, von welchen wir oben gesprochen haben. Er macht auf die Lage seines Zimmers aufmerksam, welche es ihm leicht machte, zu jeder Stunde bei Tag und bei Nacht, sooft es ihm beliebte, ganz insgeheim in das Schlafzimmer der Frau von Mazel zu kommen. »Gern hätte man,« fährt er dann fort, »alle diese Umstände übergangen, welche immer mehr andeuten, als man sagt oder sagen will, denn unser Zweck ist hier bloß, die unterdrückte Unschuld zu retten, ohne alle Absicht, dem guten Ruf irgendeines Lebenden oder Verstorbenen zu nahe zu treten.

»Aber alle diese Umstände sind dem ganzen Publikum bekannt; denn da Frau von Mazel kein Arg dabei hatte, so machte sie auch kein Geheimnis daraus; und man erzählt es auch hier in keiner andern Absicht, als um zu zeigen, daß der Abbé Poulard unter allen Domestiken der Frau von Mazel derjenige war, den sie am meisten mit ihrem Zutrauen beehrte und der daher auch am allersichersten imstande gewesen wäre, alles das aufzuklären, was bis jetzt bei diesem Verbrechen dunkel geblieben ist.

»Allein, wer weiß? Vielleicht ist er ebendarum nicht verhört worden! Denn was soll man überhaupt von einem Verfahren denken oder nicht denken, bei dem so viel Parteilichkeit, Vorurteil und Ansehen der Person sich ganz deutlich zeigt? Man muß sich hier an die Tatsachen halten, ohne nach ihren Beweggründen zu forschen. Genug also, der Abbé Poulard, der vor allen andern hätte verhört werden sollen, ist nicht verhört worden. Diese Unterlassung, was immer der Grund derselben sein mag, muß das ganze Verfahren null und nichtig machen.

»Die dritte Nullität bei diesem Verfahren ist, daß man nicht sämtliche Domestiken in Haft genommen hat, was doch sonst bei peinlichen Fällen gewöhnlich ist, und daß man im Gegenteil denjenigen allein in Arrest bringen ließ, der natürlicherweise am wenigsten verdächtig sein mußte und der auf der Stelle durch alle die Indizien schon gerechtfertigt war, die man bei der Entdeckung der Mordtat gefunden hatte.

»Man fand Frau von Mazel in ihrem Bett durch fünfzig Messerstiche ermordet, von welchen nach dem Bericht der Ärzte keiner tödlich war. Man fand bei ihr im Bett eine blutige Serviette, die wie eine Nachtmütze zusammengeknüpft war, und eine zerrissene Spitzenkrause, auch ganz mit Blut getränkt. Diese drei Umstände fielen sogleich beim ersten Anblick auf; und alle drei bestätigten auf der Stelle die Unschuld des Angeklagten. Die vielen leichten Messerstiche gaben deutlich genug zu erkennen, wie schwach die Hand sein müsse, von der sie herrührten, und daß es also die Hand des Angeklagten, eines der stärksten Männer, nicht sein könne. Die Serviettenmütze wurde an ihm probiert, allein sie paßte nicht auf seinen Kopf; der glücklichste und einleuchtendste Beweis seiner Rechtfertigung, den man in einem solchen Fall nur haben kann. Auch wurde erkannt, daß die Spitzenkrause ihm nicht gehöre, sondern einem ehemaligen Bedienten, namens Berry.

»Alle diese drei Indizien, die einzigen, die man hatte, rechtfertigten also den Angeklagten gleich im Anfange. Und was besonders zu bemerken ist, er ist der einzige unter allen Domestiken der Frau von Mazel, den diese Indizien von der Mordtat selbst freigesprochen haben, so daß, wenn man auch die Sache nach der äußersten Strenge nehmen wollte, er doch höchstens der Mitschuld oder des Mitwissens verdächtig wäre, während alle übrigen Domestiken den Verdacht nicht nur der Mitschuld, sondern auch des Mordes selbst auf sich haben. Von keinem derselben läßt sich sagen, daß die Mütze des Mörders ihm nicht passe, weil man mit keinem den Versuch gemacht hat und nun auch mit keinem mehr machen kann.

»Man ließ den Kutscher frei, der gar nichts für sich hatte, um auf eine Ausnahme Anspruch zu machen, der vielmehr wegen der Aufsicht über das Hoftor am meisten hätte verantwortlich gemacht werden sollen.

»Man ließ die Köchin frei, die dadurch verdächtig war, daß sie ihr Bett, das sonst immer in der Küche stand, acht Tage vor der Mordtat in der Holzkammer aufgeschlagen hatte, aus welcher sie leicht jemand außer dem Hause ihren Hauptschlüssel reichen konnte, um ihm den Eingang zu öffnen und ihn dann um so sichrer bei sich zu verbergen.

»Man ließ die zwei Bedienten frei, Jünglinge von siebzehn bis achtzehn Jahren, auf welche die Schwäche der Hand, die den Mord vollbracht hatte, ein deutliches Indizium warf und von welchen man nicht sagen kann, daß die Serviettenmütze nicht auf ihren Kopf passe, weil man es unterlassen hat, sie an ihnen zu probieren.

»Man ließ den Abbé Poulard frei, einen Menschen, auf den man wegen seines liederlichen Lebens den ersten Verdacht hätte werfen sollen, der nicht nur einen Hauptschlüssel zur Haustür und noch mehrere andere Schlüssel hatte, sondern der auch mehr als irgend jemand in alle Familiengeheimnisse eingeweiht, alles das kannte, was am ersten zu einer so abscheulichen Handlung reizen konnte.

»Man ließ überhaupt alle Domestiken in Freiheit bei einer Untersuchung, wo man den wahren Täter noch gar nicht kannte; man hielt sich an einen einzigen und zwar gerade an den, der auf der Stelle durch die drei ersten Indizien, die man gefunden hatte, gerechtfertigt war und der es durch die nachher entdeckten Indizien nun noch mehr ist, wie zum Beispiel durch das blutige Hemd, das auf einem der obern Böden gefunden wurde und das nicht sein gehören kann, weil es gar nicht auf seinen Leib paßt.

»Noch einmal also: warum nahm man denn nicht alle Domestiken in Haft, da man behauptete, ein Domestike müsse der Mörder sein, ohne doch zu wissen, welcher von ihnen es sei? Warum hielt man sich denn nur an den einzigen, von welchem man schon wußte, daß er nicht der Täter sei? Es wäre nicht schwer, diese Fragen zu beantworten, allein wir bemerken bloß, daß diese Unterlassung, sie mag mit oder ohne Absicht geschehen sein, das ganze Verfahren verdächtig und schlechterdings null und nichtig macht.

»Noch eine andere Nullität, aus welcher deutlich erhellt, daß Parteilichkeit und Übereilung die Schritte der Richter geleitet haben, erkennt man daraus, daß auch nicht ein einziges Dekret erlassen wurde, sich irgendeines Menschen zu bemächtigen, um den wahren Täter zu entdecken, während man schon seinen Mitschuldigen, ohne Beweise, ohne Zeugen und ohne ein Geständnis seiner Schuld zu haben, zum Tode verurteilt hatte. Man kann nicht begreifen, was die Richter, die keinen Augenblick Anstand nahmen, so übereilt ein Todesurteil zu sprechen, auf der andern Seite so überbehutsam machte, gegen einige Personen gefängliche Inhaftnahme zu dekretieren.«

Hier macht nun Herr von Aucour, nachdem er gezeigt hat, daß die vorhandenen Indizien jeden andern eher als den Angeklagten verdächtigen müssen, einen Übergang, um dem Richter die Personen zu nennen, auf welche er seinen Verdacht lenken könne. »Mitten durch jenes Dunkel,« fährt er fort, »worein man jene ganze Geschichte zu hüllen gesucht hat, erblickt man doch zwei Dinge, die ganz unbezweifelt sind.

»Das erste ist, daß dieser Mord, bei welchem kein Diebstahl und selbst nicht einmal die Absicht eines Diebstahls zu bemerken ist, nur die Wirkung des Hasses und der Rache sein kann.

»Das zweite, daß der Urheber desselben alles darauf angelegt hat, den Verdacht davon auf einen Domestiken zu lenken. Vier Umstände weisen deutlich daraufhin: die blutige Nachtmütze, die der Mörder in dem Bette der Ermordeten zurückgelassen hat, die er aus einer Serviette zusammengeknüpft hatte, die ins Haus gehörte, um dadurch auf den Gedanken zu leiten, daß der Verbrecher im Hause zu suchen sei; das Hemd, das so ganz mit Blut durchtränkt war und das er auf dem Boden zurückließ, damit man glauben solle, es sei ein Domestike, der im Hemde des Nachts aufgestanden sei, um den Mord zu begehen; der Schlüssel zu dem Schlafzimmer, der gewöhnlich inwendig auf einen Stuhl gelegt wurde und den der Mörder mitgenommen hat, um den Verdacht zu veranlassen, daß ein Domestike ihn während des Schlafengehens Frau von Mazel weggenommen habe; und endlich das Messer, ein gewöhnliches Taschenmesser, das zu einem Mord so wenig brauchbar war, damit man denken solle, es sei ein Domestike gewesen, der das nächste beste Mordwerkzeug ergriffen habe.

»Es ist klar, daß alle diese ausgeklügelten Anstalten keine andere Absicht haben konnten, als einen Domestiken verdächtig zu machen. Allein sobald man nur die Sache genauer betrachtet, so kann man eben daraus das gerade Gegenteil erkennen, daß ein Domestike den Mord nicht begangen haben kann, weil gerade dieser das entgegengesetzte Interesse gehabt hätte, den Verdacht auf einen Fremden zu lenken.

»Nimmt man nun noch jenen erstern Umstand hinzu, daß bei diesem Mord kein Diebstahl und selbst nicht einmal ein Versuch zu stehlen unternommen wurde, so muß man überzeugt sein, daß der Mörder ein Feind war und daß die ganze Schwierigkeit jetzt bloß darin liegt zu wissen, wer dieser Feind sei und was er für Anhänger und Mitschuldige habe.«

So führt dieser scharfsinnige und gelehrte Schriftsteller seinen Lesern gleichsam an der Hand, um ihn von allem, auch dem entferntesten Verdacht wider seinen Klienten ganz abzulenken. Er stellt seinen Leser vor einen neuen Gesichtspunkt, wo ihm Le Brun gar nicht weiter vors Auge kommen kann. Dagegen führt er ihm Personen vor, von welchen es gleich beim ersten Anblick auffällt, daß sie ein ganz besonderes Interesse an dem Tod der Frau von Mazel hatten, auf welche man also vor allen andern Verdacht hätte werfen und die gerichtliche Untersuchung richten sollen. Er schickt noch vorläufig die Versicherung voraus, daß er kein bestimmtes Urteil fällen, niemand verdammen, sondern bloß die merkwürdigsten Tatsachen erzählen wolle, die er wisse, und dem Parlament und dem Publikum überlasse, die Folgerungen daraus zu ziehen.

»Man weiß,« fährt er dann fort, »daß Frau von Mazel an ihrer eignen Schwiegertochter, der Frau von Savonnières, eine Todfeindin hatte, die auf Veranlassung ihrer Schwiegermutter seit mehr als fünfzehn Jahren in einem Kloster eingesperrt ist, während dieser Zeit jedoch mehrmals heimlich nach Paris gereist war und bei ihrem letzten Besuche geäußert hat, daß sie in drei Monaten – welches gerade der Zeitpunkt des Mordes ist – ihre Freiheit wiederzuerlangen hoffe.

»Man weiß, daß Berry, der ehemalige Bediente der Frau von Mazel, im März des vorigen Jahres ihr 1500 Livres gestohlen hat und daß sie nur durch ihren ältesten Sohn und den Abbé Poulard abgehalten wurde, ihre Klage deshalb anhängig zu machen; daß die blutige Spitzenkrause von den Kammerjungfern für die Krause ebendieses Berry erkannt und daß der nämliche Berry zur Zeit des Mordes in Paris gesehen worden ist.

»Man weiß, daß Frau von Mazel den Entschluß gefaßt hatte, ihr Testament zu ändern, wobei für diejenigen nichts zu fürchten war, gegen die sie billig darin verfahren war, wohl aber für diejenigen, gegen die sie mehr als billig gewesen war, und vorzüglich für den Abbé Poulard, den die einzige christliche Betrachtung der Frau von Mazel, daß ein Legat für einen Menschen, der im Kloster leben sollte, ganz überflüssig sei, um alle seine Hoffnungen bringen konnte. Man weiß, daß dieser Abbé die Verheiratung seiner Schwester mit Herrn von Lignières, der die Frau von Mazel ganz entgegen war, mit allem Eifer durchzusetzen suchte. Man kennt überhaupt diesen Abbé.«

Hier folgt nun wieder eine Schilderung von dem Leben des Abbés, von der das Wesentliche unsern Lesern schon bekannt ist.

»Man weiß, daß er in der Nacht, da die Mordtat geschah, allerhand ungewöhnliche Schritte vornahm; daß er während des Abendessens ganz gegen seine Gewohnheit mehrmals wiederholte, er werde heute nacht nicht im Hause schlafen; daß er um halb elf Uhr aus dem Hause ging, aber um Mitternacht zurückkam. Man weiß, daß er selbst gleich am ersten Morgen nach der Mordtat auf allen öffentlichen Plätzen mit einer auffallenden Geschäftigkeit das Gerücht verbreitete, daß Le Brun der Mörder sei. Man weiß endlich, daß er das Märchen von Berrys Geburt, das wir auch oben angeführt haben, erdichtet und ausgebreitet hat und daß zu gleicher Zeit viele von den andern Feinden des Le Brun sich bemühten, dieser verleumderischen Erdichtung bei mehreren Menschen Eingang zu verschaffen.

»Wir wollen alle diese Tatsachen nicht weiter mit Betrachtungen erläutern, sie zeigen für sich selbst deutlich genug, daß man hinlängliche Ursache gehabt hätte, gegen mehr als eine Person Haft zu verfügen; und jemehr man darüber nachdenkt, desto unbegreiflicher wird es, daß dies bei einer so langen Untersuchung und bei so wichtigen Veranlassungen doch nicht geschehen ist.

»Aber noch mehr! Man erzählt ganz öffentlich, alle diese Tatsachen seien bei dem Prozeß ganz übergangen; Berry, dieser berüchtigte Berry, sei nicht einmal bei einem Verhör genannt worden, er, von dem das ganze Publikum sprach, sobald die Mordtat bekannt wurde. Wäre es möglich, daß man während der ganzen Untersuchung dieses Menschen nicht gedacht hätte, der doch der Hauptgegenstand derselben hätte sein sollen? Hätte man wirklich bei diesem Prozesse alle Arten von Unterlassungssünden begehen, alle Arten von Vorurteil, von Parteilichkeit und von Ansehen der Person häufen wollen? Registraturen, die hinterher erst verfertigt wurden, Protokolle, die unvollständig sind und voll von Unterdrückungen der wichtigsten Umstände; Entlassung der Domestiken, ohne sie zu verhören und ohne sie in Haft zu nehmen; Mangel aller Anstalten, dem Mörder auf die Spur zu kommen; überdies das ungerechte und falsche Vorurteil des Kriminalleutnants, der so unbedachtsam war, schon vom ersten Tage an öffentlich zu versichern, daß der Angeklagte schuldig sei, und der dadurch sein ganzes Verfahren verdächtig gemacht hat; und endlich nach einem so seltsamen und so mangelhaften Verfahren ein Endurteil, das einen angeblichen Mitschuldigen ohne Beweis, ohne Geständnis, ohne Zeugen zum Tode verurteilt: – alles dies ist es, was jeden rechtschaffnen Mann empört, dies ist es, was die Sache des Angeklagten zu einer allgemeinen Sache macht, bei der jeder Bürger in Gefahr zu sein glaubt; und so appelliert das ganze Publikum gegen dieses widerrechtliche Urteil.«

Dies war Le Bruns Verteidigung bei der Appellationsinstanz. Wir wollen nun auch unsern Lesern noch einige von den Gründen mitteilen, welche die Ankläger zur Unterstützung ihrer Anklage vorbrachten.

»Le Brun«, sagten sie, »hatte sich durch vieljährige Dienste, durch anscheinenden Eifer und Anhänglichkeit das ganze Vertrauen der Frau von Mazel erworben; er kannte vermittelst dieses Zutrauens nicht nur alle ihre häuslichen Angelegenheiten, sondern er erfuhr auch alles, was sie dachte und sich vorgenommen hatte. Durch diesen Vorzug war es ihm leichter als jedem andern, dieses schreckliche Verbrechen zu begehen.

»Man folge nur den Indizien, und man wird finden, daß sie nur auf Le Brun passen. Sonntags, an dem Tage vor dem Mord, war Frau von Mazel den ganzen Vormittag mit ihren Kammerjungfern auf ihrem Zimmer; während dieser Zeit können also die Klingelschnüre nicht verknüpft worden sein. Eine von den Kammerjungfern hat sogar bei ihrem Verhör versichert, sie habe an jenem Vormittag nicht bemerkt, daß die Schnüre verschlungen gewesen wären. Indes war es nicht das erstemal, daß Le Brun es versucht hat, die Klingel unbrauchbar zu machen. Es erhellt aus den Zeugenaussagen, daß er eines Tages, als Frau von Mazel sich über das Verknüpfen der Klingelschnüre beklagt hatte, selbst antwortete: er habe es getan, weil sie beim Bettenmachen hinderlich gewesen seien. Das, was er hier getan hatte, kann er wohl auch zum zweitenmal getan haben.

»Zu welcher Stunde kann er nun aber diese Schnüre verknüpft haben, wenn es nicht des Vormittags geschehen ist? Als Frau von Mazel nachmittags in die Vesper gegangen war, blieb niemand im Hause als die Köchin. Frau von Mazel schloß zwar bei ihrem Weggehen die Tür doppelt ab, was sie niemals unterließ, seit sie vor einigen Monaten bestohlen worden war. Allein Le Brun konnte diese Tür leicht mit seinem Hauptschlüssel öffnen.

»Er selbst mag es wohl gefühlt haben, daß man leicht auf die Vermutung kommen könne, er sei während der Abwesenheit seiner Herrschaft in diesem Zimmer gewesen; darum hat er angegeben, er sei erst um sieben Uhr wieder ins Haus gekommen. Allein Laguë und der Speisewirt bezeugten, daß er sie um halb fünf Uhr verlassen habe; er selbst aber sagt in seinem Verhör, er sei von ihnen geradesweges in das Haus der Frau von Mazel gegangen. Er ist also nicht um sieben, sondern um halb fünf Uhr wieder ins Haus gekommen. Ferner sagt er, er sei von sieben bis acht Uhr im Hause geblieben; aber er konnte nicht angeben, was er in dieser Stunde vorgenommen habe, und in einem der folgenden Verhöre behauptete er sogar, er sei gleich nach seiner Ankunft wieder fortgegangen.

»Wir dürfen nur diesen Widersprüchen folgen, um zu sehen, daß sie mit den Indizien, die wider ihn vorhanden sind, vollkommen zusammenstimmen. Man fand am Morgen nach der Mordtat den gewöhnlichen Schlüssel zum Schlafzimmer nicht mehr, den eine von den Kammerjungfern am Abend zuvor auf einen Stuhl neben der Tür gelegt hatte. Um den Verdacht von sich abzulenken, als ob er diesen Schlüssel weggenommen hätte, gab er vor, er sei am Sonntag abend, da er von seinem Abendessen außer dem Hause spät zurückgekommen, nicht in das Schlafzimmer hineingegangen, sondern habe die Befehle seiner Herrschaft für den folgenden Tag sich unter der Tür geben lassen. Er setzte selbst hinzu: er habe den Schlüssel nicht nehmen können, weil er gar nicht ins Zimmer gekommen sei. Allein da die beiden Kammerjungfern gegen ihn geradezu behaupteten, daß er nicht nur in das Zimmer wirklich eingetreten, sondern auch zuletzt herausgegangen sei, so behauptet er: wenn er hineingetreten sei, so könne dies kaum einen Schritt gewesen sein; und um seinen Widerspruch zu bemänteln, setzt er hinzu: er müsse es aber wirklich vergessen haben, daß er hineingetreten sei.

Er sagt ferner: er habe um Mitternacht die Haustür verschlossen, welche er offen gefunden, und darauf sich schlafen gelegt. Wie soll sich diese Ruhe mit seiner angeblichen Unschuld vereinigen lassen? Hätte er nicht vielmehr alle Bedienten wecken und das ganze Haus mit ihnen sorgfältig durchsuchen sollen? Er selbst versicherte am andern Morgen, als Herr von Savonnières ins Haus kam, er sei unruhig darüber, daß er die Haustür offen gefunden habe. Wenn er unruhig war, warum legte er sich denn zu Bett, ohne zuvor über den Gegenstand seiner Unruhe Aufklärung zu suchen? Ist dies wohl das Betragen eines Dieners, der neunundzwanzig Jahre im Dienste steht und der Treue und Anhänglichkeit an seine Herrschaft von sich rühmen will? Oder ist es nicht vielmehr das Betragen eines Menschen, der mit dem Mörder im Einverständnis steht?

»Überdies, ist es wohl zu glauben, daß in der kurzen Zeit, da dieser Mann bei brennendem Licht in der Küche geschlafen haben will, da Frau von Mazel kaum eingeschlummert sein konnte und ihre Kammerjungfern beinah noch auf dem Wege zu ihrem Schlafzimmer waren, ein Fremder die Dreistigkeit gehabt haben sollte, in das Haus zu gehen, um diesen Mord zu vollbringen, ohne alle Furcht, daß er entdeckt werden möchte? Wenn man aber auch annehmen wollte, daß wirklich ein Fremder verwegen genug gewesen wäre, in das offne Haus einzutreten, so ist es doch noch unbegreiflich, wie er in das Schlafzimmer und nachher, da Le Brun inzwischen abgeschlossen hatte, wieder aus dem Hause gekommen sein soll.

»Nichts beweist endlich deutlicher, daß der Mörder ein Domestike war, als der Strick mit Knoten, den man an der kleinen Treppe fand. Dieser Strick ist offenbar nur in der Absicht, den Verdacht auf einen Fremden zu lenken, hingelegt worden; denn man sieht, daß er weder zum Einsteigen noch zum Aussteigen gebraucht worden ist, indem die Knoten noch nicht einmal zusammengezogen waren.

»Noch ein Widerspruch! Er hatte zu einem der Domestiken gesagt: er habe die Tür des Vorgemachs offen gesehen; in seinem ersten Verhör aber sagte er: er habe sie verschlossen gefunden.

»Wir wollen aber seiner Spur weiterfolgen. Als er des Morgens zu seiner Frau kam, konnte er die Verwirrung nicht verbergen, worin er sich befand. Er schob die Schuld davon auf die Unruhe, welche der Umstand bei ihm errege, daß Frau von Mazel ihr Schlafzimmer noch nicht geöffnet habe. Allein man sieht wohl, daß es nicht das Schicksal seiner Herrschaft war, was ihn beunruhigte. Er gab seiner Frau Geld aufzuheben, und zwar gerade einige Stunden später, nachdem Frau von Mazel ermordet worden war. Man kann leicht erraten, woher er dieses Geld hatte. Es war ein Teil von dem, das er gestohlen hatte; das übrige wird er schon auf eine andere Art in Sicherheit zu bringen gewußt haben.

»Auch die Reden verdienen bemerkt zu werden, die ihm entschlüpften, als jedermann glaubte, Frau von Mazel sei vom Schlage gerührt oder von einem Blutsturz befallen worden. ›Hier muß etwas Schlimmes vorgefallen sein,‹ sagte er, ›ich bin äußerst unruhig darüber, daß ich heute nacht die Haustür offen gefunden habe.‹

Noch bestimmter spricht er, als Herr von Savonnières kam und hörte, daß man Frau von Mazel nicht erwecken könne, und ihn fragte: ›Was ist das, Herr Le Brun? der Schlag muß sie gerührt haben.‹ ›Davon ist nicht die Rede,‹ erwiderte er, ›es ist gewiß etwas Schlimmeres, es muß hier etwas Bedenkliches geschehen sein; ich bin sehr unruhig darüber, daß ich heute nacht die Haustür offen gefunden habe.‹

»Es ist leicht zu erklären, was damals in Le Bruns Seele vorging. Er sah, daß man jetzt sogleich die Mordtat entdecken und daß der erste Verdacht auf ihn fallen werde, weil er schlechterdings nur auf einen Domestiken fallen konnte, und zwar auf denjenigen, der die leichteste Gelegenheit zur Ausführung dieses Verbrechens hatte. Er dachte also: am sichersten ist es, wenn ich die Gegenlist gebrauche, zuerst von dem Mord zu sprechen, jedermann wird dann denken, daß ich mich wohl gehütet haben würde, des Mordes zuerst zu erwähnen, wenn ich der Mörder wäre. Allein dies ist eine sehr durchsichtige Hülle, durch welche man die Wahrheit leicht erblickt. Er allein redet von diesem Mord, an den anfänglich niemand dachte. Ja, er spricht nicht bloß davon, er versichert sogar ganz bestimmt: es müsse eine Mordtat vorgefallen sein. Wäre er unschuldig gewesen, so würde er das höchstens gemutmaßt haben. Allein noch vor der Entdeckung des Verbrechens war es bei ihm nicht bloß Vermutung, sondern Gewißheit. ›Davon ist nicht die Rede,‹ sagte er; das heißt von einem Schlagfluß oder von einer andern Krankheit ist nicht die Rede; er spricht bestimmt: ›es ist gewiß etwas Schlimmeres‹; das heißt offenbar: es ist gewiß, daß sie ermordet worden ist. Wer anders als der Mörder selbst oder sein Gehilfe kann so bestimmt von einem Mord sprechen, der im Finstern ohne Zeugen begangen, noch nicht entdeckt war, noch nicht einmal gemutmaßt wurde.

»Über dieses alles ist jener Hauptschlüssel, der die Haustür und die Tür des Schlafzimmers und des Vorgemachs schloß, jener Hauptschlüssel, der zu diesem verschiednen Gebrauch absichtlich eingerichtet war, an dem man ein Stückchen Eisen angeschweißt bemerkte, ein stummer Zeuge, der den Beweis des Verbrechens vollendet. Keiner von den übrigen Hauptschlüsseln im Hause war auf die Art zugerichtet wie dieser, der die doppelt abgeschlossenen Schlösser öffnete. Außerdem besaß ihn Le Brun wider das ausdrückliche Verbot seiner Herrschaft. Man hat sogar in seiner Schlafkammer die Feile gefunden, womit er den Kamm ausgefeilt hatte. Als man ihn fragte, woher er diesen Schlüssel bekommen habe, antwortete er: von der ersten Frau des Laguë, einer ehemaligen Magd der Frau von Mazel. Warum nennt er nun diese ehemalige Magd? Bloß weil sie schon gestorben war und also ihm nicht widersprechen konnte.

»Ganz gewiß ist also dieser Hauptschlüssel der stärkste Beweis, den man nur wider den Angeklagten finden kann. Es ist überdies ein Schlüssel, den kein Domestike bei sich führen soll. Da man bei dem gegenwärtigen Fall nicht anders glauben kann, als daß ein Domestike der Mörder oder der Mordgehilfe gewesen sei, so ist der Domestike, bei dem man einen solchen Schlüssel findet, schon dadurch überwiesen, daß er der Urheber oder wenigstens der Mitschuldige des Verbrechens sei.

»Was aber die Absicht, sich zu bereichern, die gewöhnliche Triebfeder der größten Verbrechen, besonders bei Leuten aus dieser Klasse betrifft, so läßt sich leicht einsehen, daß diese hier nicht gefehlt hat. Aus dem Gelde, das Le Brun noch an demselben Tage seiner Frau brachte, erhellt, daß er seine Herrschaft bestohlen hatte, und es läßt sich vermuten, daß der Diebstahl nicht unbeträchtlich war. Es ist an sich bekannt genug und es ist sogar auch durch Zeugen erwiesen, daß Frau von Mazel vieles Gold vorrätig hatte, weil sie ohne alle Bedenklichkeit es jedem vertraute, daß sie immer wenigstens 2 000 Louisdore in ihrer Kasse habe, und weil sie immer alles Gold von den Spieltischen einwechselte. Der leere Geldbeutel, den man unter einem Sack von 1 000 Livres fand, und der halbe Louisdor, der noch auf dem rotledernen Kästchen lag, sind deutliche Beweise, daß dieses Geldstück nur entfiel, als der Mörder den Beutel ausleerte. Den leeren Beutel und das Kästchen mit den Edelsteinen ließ er zurück, um nicht dadurch verraten zu werden, sowie er auch das Silbergeld nur deshalb liegen ließ, weil es zum Wegtragen zu schwer war.

»Außerdem kann er auch mit allem Vorbedacht so viel Geld zurückgelassen haben, damit man glauben sollte, dieser Mord sei mit gar keinem Diebstahl verbunden, bloß von Haß und Rachsucht eingegeben und also nicht die Handlung eines Domestiken von dieser Klasse.

»Es ist wahr, daß die Krause und das Hemd dem Anscheine nach nicht dem Le Brun gehörten. Allein es läßt sich leicht denken, daß er sie sich absichtlich beigelegt habe, um nicht entdeckt zu werden, wenn er der Mörder war. War aber ein Fremder der Mörder, so ist gar nicht zu bezweifeln, daß ihn ein Domestike ins Haus gebracht hat, indem die Serviette, welche der Mörder als Nachtmütze gebraucht hatte, ins Haus gehörte und ihm nur von einem Domestiken gegeben worden sein kann.

»Alles zeigt demnach, daß niemand als ein Domestike diese Verräterei angesponnen hat und daß niemand als Le Brun dieser Domestike ist.

»Hier fordert also die allgemeine Sicherheit der Herrschaften, deren Leben in den Händen ihrer Bedienten ist, ein rächendes Beispiel.«

Es ist einleuchtend, daß Le Bruns Gegner sein Leben und seine Ehre mit bloßen Möglichkeiten angriffen. Allein weder Menschlichkeit noch Recht erlauben, bloße Möglichkeiten zur Grundlage irgendeiner Verurteilung zu machen, weil dann kein Mensch einen Augenblick sicher wäre, das Opfer einer peinlichen Anklage zu werden. Denn es gibt kaum ein Verbrechen, das nicht durch allerlei Wahrscheinlichkeiten mehr als einem Unschuldigen könnte aufgebürdet werden. Es gibt sogar kaum einen Unglücksfall, den man nicht irgend jemand durch allerlei Möglichkeiten zum Verbrechen machen könnte.

Überdies standen hier den Möglichkeiten, womit man die Schuld Le Bruns beweisen wollte, andere Möglichkeiten zu seiner Verteidigung entgegen, welche auch oben angeführt worden sind. Und das große Versehen, das der Kriminalleutnant beging, als er nicht sogleich nach der Anzeige des Mordes das ganze Haus durchsuchen und nicht alle Domestiken vernehmen ließ, bietet noch eine Menge anderer Möglichkeiten zu Le Bruns Rechtfertigung dar, die wenigstens ebenso wahrscheinlich sind, als die, die man gegen ihn vorgebracht hat.

Hätte man das Haus durchsucht, so würde die Lage von Poulards Zimmer und das Dachfenster, durch welches man auf der Rinne sehr leicht in den obern Boden des Hauses kommen konnte, Aufmerksamkeit erregt haben; so hätte man wissen können, ob die Strickleiter, die man erst am folgenden Tage gefunden hat, schon am vorhergehenden dagelegen habe oder nachher erst hingelegt worden sei; so hätte man auch wissen können, ob nicht das blutige Hemd, das man erst am folgenden Tage auf dem obern Boden gefunden hat, erst später dahin gelegt worden ist, oder ob es schon vor Le Bruns Inhaftnahme dort gelegen hat. Denn wenn es möglich sein soll, daß er es vor seiner Verhaftung dahin gelegt habe, so ist es doch gewiß nicht weniger möglich, daß auch ein andrer entweder vorher oder erst nachher es dahin gelegt habe.

Hätte man die Domestiken alle durchsuchen lassen, so hätte man vielleicht bei dem einen oder dem andern einen ähnlichen Hauptschlüssel gefunden, oder man hätte beim Durchsuchen der Wäsche entdeckt, daß das blutige Hemd einem von ihnen gehöre; oder man hätte, vorausgesetzt, daß der Mord mit einem Diebstahl verbunden war, vielleicht Geld in ihren Zimmern gefunden.

Wollte man alle diese Möglichkeiten zusammenhäufen, welche sich hier denken ließen, so könnte man aus tausend Gründen annehmen, daß einer von den Bedienten, eine von den Kammerjungfern, der Kutscher, die Köchin, der Abbé Poulard, eine von den vielen Personen, die täglich ins Haus kamen, einer von den Nachbarn, denen es so leicht war, durch die Rinne in den obern Boden einzusteigen, diese Mordtat ebensoleicht begangen haben könnte als Le Brun. Dabei hat Le Brun, wie Herr von Aucour richtig bemerkt, vor allen diesen Personen noch immer den großen Vorteil voraus, daß die gefundenen Indizien, durch welche der Mörder entdeckt werden konnte, auf ihn nicht paßten, welches man von jenen andern nicht sagen kann, an welchen man keine Probe damit angestellt hat.

Am 22. Februar 1690 kam endlich diese Sache zum Vortrag. Der Sitzung wohnten zweiundzwanzig Richter bei. Nur zwei von ihnen stimmten für Bestätigung des vorigen Urteils, vier für weitere Untersuchung, die sechzehn übrigen aber erkannten auf Tortur; und dieser größern Stimmenzahl zufolge wurde also das Urteil abgefaßt.

Donnerstag, den 23. Februar, ließ Herr Le Nain, der Referent des Prozesses, in Begleitung des Herrn Faguier, an Le Brun das Urteil vollziehen. Standhaft hielt dieser die ordentliche und außerordentliche Folter aus und blieb unverändert bei der Behauptung, daß er unschuldig sei.

Sonnabend, den 25. Februar, sollten sich nun die Richter versammeln, um das Endurteil abzufassen, weil aber einer von ihnen unpäßlich war, so wurde die Sitzung auf Montag verschoben. Einer von den beiden, die für Todesstrafe gestimmt hatten, stimmte jetzt für lebenslängliche Galeerenstrafe. Alle übrigen aber waren der Meinung: »daß jenes im Châtelet abgefaßte Todesurteil geändert und auf weitere Untersuchung wider Le Brun und seine Gattin binnen Jahresfrist erkannt, Le Brun während dieser Zeit in leidlicher Verwahrung gehalten, seine Gattin hingegen auf freien Fuß gestellt werden sollte.«

Diesem Endurteil zufolge erhielt nun Le Brun, der bisher in einem finstern Kerker gelegen hatte, ohne mit jemand sprechen oder Besuche von jemand annehmen zu dürfen, die Erlaubnis, seine Familie und seine Freunde wiederzusehen. Allein er war nicht mehr imstande, diese Freiheit zu benutzen. Durch die Qual der Folter schon an den Rand des Grabes gebracht, hatte er kaum noch einige Stunden Zeit, um sich zum Empfang der Sakramente zu bereiten. Bei dieser letzten Religionshandlung wiederholte er noch einmal die feierliche Versicherung seiner Unschuld.

Ob er gleich erst ein Mann von fünfundvierzig Jahren mit einem dauerhaften und festen Körper war, so hatten doch die entsetzlichen Qualen der Folter seine Glieder so zerschmettert, daß er Mittwoch, den 1. März 1690, starb.

Sein Tod wurde allgemein bedauert; denn man war durch die Verteidigungsschriften des Herrn von Aucour allgemein überzeugt, daß er unschuldig sei. Er wurde in der Bartholomäuskirche vor dem Altar der Mutter Gottes begraben. Bei seiner Beerdigung war ein ganz unglaublicher Zulauf. Lange beschäftigte sein unglückliches Schicksal und die traurige Lage seiner Familie das Publikum.

Leider! war er wirklich unschuldig. Einen Monat nach seinem Tode wurde der Mörder entdeckt.

Herr Jessey, ein Leutnant von den Polizeireitern zu Sens, erhielt Nachricht, daß ein gewisser Gerlat, genannt Berry, der ehemals Bedienter bei Frau von Mazel gewesen sei, sich zu Sens häuslich niedergelassen und einen Pferdehandel angefangen habe. Durch jenen Umstand aufmerksam gemacht, ließ er den neuen Pferdehändler am 27. März 1690 in Haft nehmen. Berry, durch die unerwartete Erscheinung der Polizeidiener erschreckt, bot ihnen eine volle Geldbörse an, wenn sie ihn entwischen lassen wollten. Allein sie nahmen die Geldbörse und hielten ihn dennoch fest. Man fand eine Uhr bei ihm, die man bei der Frau von Mazel noch an dem Tage vor ihrer Ermordung gesehen hatte. Der Stadtrichter zu Sens fing darauf sogleich an, die Sache aufs schärfste zu untersuchen. Allein sobald die Herren von Savonnières Nachricht davon erhielten, erwirkten sie bei dem Parlament ein Arret, wodurch befohlen wurde, den Arrestanten zu weiterer Untersuchung in das Parlamentsgefängnis abzuliefern, weil der Prozeß wegen Ermordung der Frau von Mazel bereits bei dem Parlament anhängig sei.

Berry wurde also nach Paris gebracht und die Untersuchung wider ihn fortgesetzt. Verschiedene Zeugen versicherten, ihn zu der Zeit, wo Frau von Mazel ermordet worden war, in Paris gesehen zu haben; er leugnete es aber hartnäckig. Eine Frau bezeugte, daß er derjenige sei, den sie in der Nacht, wo die Mordtat geschehen war, um Mitternacht aus dem Hause der Frau von Mazel habe gehen sehen. Ein Barbier sagte aus, er habe am Morgen nach der Ermordung der Frau von Mazel diesem Berry den Bart abgenommen und dabei ganz zerkratzte Hände an ihm bemerkt; er habe ihn deswegen auch gefragt, woher dies komme, und von ihm die Antwort erhalten, es seien die Spuren von den Krallen einer Katze, die er habe umbringen wollen. Endlich wurden auch das Hemd und die Halskrause als sein Eigentum erkannt.

Nunmehr wurde der Prozeß so geschwind und so lebhaft betrieben, als es nur immer die vielen Erkundigungen zuließen, die man an all den Orten einzuziehen hatte, wo Berry nach der Mordtat gewesen war.

Unter andern Verfügungen, welche während dieser Untersuchung getroffen wurden, erschien auch am 19. Juli 1690 ein Arret, worin befohlen wurde, den Abbé Poulard in Haft zu nehmen. Er wurde auch noch an demselben Tage arretiert, ins Parlamentsgefängnis gebracht, verhört und mit Berry konfrontiert. Allein nach dieser Konfrontation wird dieses Mönchs bei dem ganzen übrigen Prozesse nicht weiter gedacht. Man hat Grund zu vermuten, daß er zwar dieser Mordtat nicht schuldig befunden worden sei, daß aber die Richter, aus gerechtem Unwillen über die anstößige Lebensart dieses aus zwei Orden zugleich entlaufenen Mönchs, es für nötig befunden haben, seinen Ausschweifungen ein Ziel zu setzen, und daß man ihn also ohne weitere Formalitäten seinen Ordensobern überliefert habe, um ihn für seine übrige Lebenszeit in der Klosterzucht festzuhalten.

Die Verheiratung seiner Schwester, der Frau von Chapelain, die er so eifrig betrieben hatte, kam nicht zustande. Der junge Herr von Savonnières starb während des Prozesses, ehe er noch die Freiheit benutzen konnte, welche ihm der Tod seiner Mutter gegeben hatte, sich nach Gefallen eine Gattin zu wählen.

Man durchging jetzt bei der Untersuchung wider Berry auch noch einmal den wider Le Brun geführten Prozeß, und man fand durch diese Vergleichung die Beweise wider den erstern noch stärker.

Am 24. Juli 1690 erfolgte also ein Parlamentsspruch, in welchem gesagt wurde: »Berry sei hinlänglich überführt und überwiesen, Frau von Mazel ermordet und bestohlen zu haben; er werde daher verurteilt, Kirchenbuße zu tun und dann lebendig gerädert zu werden. Vorher aber soll er auf die Folter gebracht werden, damit man seine Mitschuldigen von ihm erfahre. Von seinem Vermögen sollen 8000 Livres an die Herren von Savonnières zur Entschädigung bezahlt und diesen die bei Berry gefundenen Gelder und übrigen Wertsachen als Abschlag auf obige Summe ausgeliefert werden.«

Am folgenden Tag, den 25. Juli, wurde Berry auf die Folter gebracht. In seinem Verhör sagte er aus: Auf Anstiften der Frau von Savonnières habe er und Le Brun den Anschlag geschmiedet, Frau von Mazel umzubringen und zu bestehlen. Le Brun, der die Ausführung des Mordes auf sich genommen habe, sei allein in das Zimmer gegangen und habe die Dame durch viele Stiche ermordet, während er, Berry, an der Tür Schildwache gestanden habe, damit Le Brun von niemand überrascht würde.

Diese Erzählung war durchaus nicht wahrscheinlich, da das blutige Hemd und die im Bett gefundene Krause, die ganz offenbar dem Berry gehörten, gar nicht zweifeln ließen, daß er den Mord selbst verübt habe, und wider Le Brun, selbst nach der Meinung des Châtelets kein Verdachtsgrund vorhanden war, daß er selbst mit eigner Hand die Mordtat vollzogen habe. Inzwischen blieb Berry auch nach ausgestandner Folter bei dieser Aussage.

Unerachtet er also völlig überwiesen war, unerachtet er schon die Todesstrafe, die über ihn ausgesprochen war, vor Augen sah, so konnte er es doch nicht über sich bringen, die Wahrheit zu gestehen, und sein Vorsatz, sie zu verschweigen, wurde selbst nicht durch die heftigen Schmerzen der Folter geändert. Wahrscheinlich hatte er sich mit der Hoffnung geschmeichelt, dadurch, daß er Frau von Savonnières zu seiner Mitschuldigen machte, noch einige Frist zu gewinnen, in der Meinung, daß man ihn mit ihr konfrontieren werde.

Allein da er noch am nämlichen Abend nach dem Grèveplatz abgeführt werden sollte und kein Aufschub weiter zu hoffen war, so glaubte er doch, sein Gewissen noch von den entsetzlichen Verleumdungen befreien zu müssen, womit er das Maß seiner übrigen Verbrechen vollgemacht hatte. Er bat also um eine Unterredung mit Herrn Le Nain, dem Referenten seines Prozesses, und legte nun vor diesem, der mit Herrn Gilbert, einem Parlamentsrat, ihn verhörte, ein Geständnis ab, das eine ganze Stunde dauerte und dessen Hauptinhalt ungefähr folgender war:

Zuerst widerrief er alles, was er vormittags wider Le Brun und Frau von Savonnières ausgesagt hatte, und sagte dann, daß er ganz allein den Mord und den Diebstahl begangen habe. Die Umstände dieser Mordtat erzählte er auf folgende Art: »Mittwoch, den 23. November 1689, kam ich nach Paris in der Absicht, Frau von Mazel zu bestehlen, und nahm meine Herberge in dem Gasthof »Zum goldnen Wagen«. Am folgenden Freitag begab ich mich in der Dämmerung in das Haus dieser Dame, wo ich die Haustür offen fand. Da ich niemand im Hofe sah, stieg ich sogleich auf den kleinen Boden neben demjenigen, auf dem der Hafer aufgeschüttet war. Ich hatte Äpfel und Brot mit mir genommen und blieb nun hier bis Sonntag mittag um elf Uhr. Ich wußte, daß Frau von Mazel um diese Zeit in die Messe zu gehen pflegte. Ich stieg also von dem Boden herab und ging in ihr Zimmer, das ich offen fand. Da ich gewahr wurde, daß der Staub im Zimmer noch nicht abgewischt war, so vermutete ich, die Kammerjungfern würden kommen, um das Zimmer zu reinigen; ich versuchte es also, mich unter das Bett zu verstecken, mein Rock war mir aber daran hinderlich. Ich ging also wieder auf den Boden zurück, zog Rock und Weste aus und kam im Hemde wieder in das Zimmer, wo ich noch keinen Menschen antraf. Nun kroch ich unter das Bett. Nachdem Frau von Mazel nachmittags in die Vesper gegangen war, kam ich aus meinem Schlupfwinkel hervor. Mein Hut war mir hinderlich, ich ließ ihn also unter dem Bett, zog eine Serviette hinter dem Spiegel hervor und machte mir eine Mütze daraus. Sodann knüpfte ich die Schnüre der Klingel mit zwei Knoten an einem Vorhangstab des Bettes fest, wärmte mich darauf am Kamin und blieb bis abends am Feuer sitzen. Endlich hörte ich den Wagen in den Hof fahren; ich kroch also geschwind wieder unter das Bett, wo ich bis gegen Mitternacht liegen blieb. Ungefähr eine Stunde, nachdem Frau von Mazel sich niedergelegt hatte, kroch ich hervor. Die Dame war schon aufgewacht, ich forderte also ohne Umstände Geld. Sie fing an zu schreien; ich sagte ihr aber: ›Madame, wenn Sie schreien, ermorde ich Sie.‹ Sie wollte gleichwohl nach der Klingel greifen, aber die Schnüre waren nicht zu finden. Inzwischen zog ich mein Messer und versetzte ihr einige Stiche. Sie verteidigte sich zwar ein wenig, aber sie hatte nicht Kräfte genug; ich warf sie aufs Bett zurück, zog ihr die Decke über das Gesicht und versetzte ihr noch mehrere Stiche, bis sie tot war. Wenn sie nicht geschrien hätte, würde ich sie nicht umgebracht haben. Nun zündete ich ein Licht an und nahm den Schlüssel zum Schranke aus dem Bett. Im Schrank fand ich die Schlüssel zur Geldkasse, öffnete diese ohne Schwierigkeit, nahm alles Gold, das ich in einem Beutel fand und das sich auf ungefähr 5 000 bis 6 000 Livres belief, und schüttete es in einen leinenen Sack, der in der Kasse lag und auch einige Goldstücke enthielt. Hierauf verschloß ich die Kasse wieder, legte den Schlüssel in den Schrank, wo ich auch die Uhr nahm, die mir in die Augen fiel. Den Schrankschlüssel legte ich darauf wieder unter das Kopfkissen, wo ich ihn weggenommen hatte und wo Frau von Mazel, wie ich wußte, ihn immer zu verwahren pflegte. Mein Messer, das nämliche, das man mir vorgezeigt hat, warf ich ins Feuer. Wohin die Krause gekommen war, die ich um den Hals gehabt hatte, wußte ich nicht; die Mütze, die ich mir aus der Serviette geknüpft hatte, ließ ich in dem Bette liegen. Ich zog dann meinen Hut unter dem Bett hervor, nahm den Schlüssel zum Zimmer, den ich auf einem Stuhl neben der Tür fand, und schloß damit die Tür ab, aus Furcht, jemand durch das Geräusch zu erwecken, wenn ich das Schloß ohne Schlüssel abschnappen wollte. Die Tür des Vorgemachs fand ich verschlossen; ich öffnete sie und ließ sie offenstehen. Sodann ging ich wieder auf den kleinen Boden, es war Mondschein; ich wusch meine Hände mit Urin, zog mein Hemd aus und verbarg es unter dem Stroh; ob ich auch die Halskrause dort gelassen habe, kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich zog dann Rock und Weste auf den bloßen Leib und stieg vom Boden herab; es mochte ungefähr um ein Uhr nach Mitternacht sein. Ich ging an die Haustür und untersuchte, ob die Schlösser abgeschlossen seien. Da ich sie offen fand, schob ich nur den kleinen Riegel zurück, ging hinaus und ließ die Tür offen. Ich hatte in meiner Rocktasche eine Strickleiter mitgebracht, mit welcher ich aus einem Fenster des ersten Stockwerks steigen wollte, wenn ich etwa die Haustür verschlossen gefunden hätte. Diese Strickleiter ließ ich unten an der Treppe liegen. Auf meinem Rückweg warf ich den Schlüssel zum Schlafzimmer, den ich mitgenommen hatte, in einen Keller in der Maurerstraße. Ich kehrte nun in den Gasthof »Zum goldnen Wagen« zurück, weckte die Magd, ließ mir die Tür öffnen und legte mich schlafen.« Alles dies, beteuerte Berry bei Gott und dem heiligen Kruzifix, das er in der Hand hatte, sei die reine Wahrheit. Herr Le Nain hielt darauf noch mit ihm ein kurzes Verhör: »Wie konntest du«, fragte er, »dich so lange auf dem Boden aufhalten, ohne etwas zu essen?« »Ich hatte Brot und Äpfel mit mir genommen.« »Wie konntest du wissen, daß Frau von Mazel in die Messe gegangen war, und wie konntest du es wagen, in ihr Zimmer herunterzugehen, ohne zu befürchten, daß dir jemand auf der Treppe begegnen würde?« »Es ist wahr, ich setzte alles auf eine Karte; ich war zu allem entschlossen.« »Hat dir niemand zu dieser Mordtat und zu diesem Diebstahl Anregung oder Anleitung gegeben?« »Kein Mensch, ich war ganz allein.« »Hast du nicht wenigstens jemand etwas davon gesagt? Hat nicht Le Brun oder Poulard oder sonst jemand davon gewußt, daß du im Hause warst? Hat nicht jemand mit dir, oder hast du nicht mit jemand gesprochen?« »Nein! Alles, was ich vor meinem letzten Geständnis gesagt habe, ist falsch; es werden sich auch in meinem Taschenbuch keine Briefe finden, wie ich fälschlich angegeben habe. Was ich aber jetzt sage, ist die reine Wahrheit; weder Le Brun noch Frau von Savonnières haben Anteil an dem Verbrechen.«

Nachdem ihn darauf Herr Le Nain noch einmal ermahnt hatte, daß er Gott die Ehre geben und ohne Rücksicht auf Achtung oder Schonung irgendeiner Person die reine Wahrheit sagen solle, so bestätigte er sein letztes Geständnis noch einmal mit neuen Beteurungen.

Sobald dieses letzte Verhör geschlossen war, wurde der Verbrecher sogleich aufs Schafott gebracht und das Urteil an ihm vollzogen. Mit ebender Unerschrockenheit und Kaltblütigkeit, mit welcher er die Greueltat begangen hatte, hielt er auch die Todesstrafe aus, welche der verdiente Lohn derselben war.

Nach Berrys Hinrichtung wendete sich Le Bruns Witwe an das Parlament und verlangte, daß man sie völlig freisprechen solle. Zugleich bat sie im Namen ihrer vier unmündigen Kinder, vereinigt mit Franziskus Mâret, dem Vormund derselben, daß die Ehre ihres Vaters wiederhergestellt und sein Andenken wegen des ihm fälschlich aufgebürdeten Verbrechens gerechtfertigt werden möchte; auch verlangte sie, daß alle ihrem Ehemann abgenommenen Habseligkeiten ihnen zurückgegeben und die Herren von Savonnières, ihre Ankläger, verurteilt werden sollten, nicht allein das dem Verstorbenen von Frau von Mazel ausgesetzte Legat herauszugeben, sondern auch eine Entschädigung von 50 000 Livres für die Kinder und von 20 000 Livres für die Witwe zu leisten.

Die erstern Punkte dieses Gesuchs fanden keine Schwierigkeit, nachdem die Unschuld des Verstorbenen und seiner Gattin nun völlig erwiesen war. Allein wegen der verlangten Entschädigung mußte Frau Le Brun und ihre Kinder mit den Herren von Savonnières noch einen Prozeß führen, der vier Jahre dauerte und endlich am 30. März 1694 durch folgendes Endurteil dennoch nicht ganz günstig für sie entschieden wurde:

»Das Andenken Le Bruns wird gerechtfertigt, seine Ehre wiederhergestellt und seine Gattin ebenfalls völlig freigesprochen; ihre Verhaftung wird für ungerecht erklärt und der Befehl gegeben, ihre Namen in den Registern des Parlamentsgefängnisses auszustreichen und unleserlich zu machen. Den Herren von Savonnières wird auferlegt, den Erben Le Bruns das in dem Testament der Frau von Mazel ihm ausgesetzte Legat von 6000 Livres, samt den Zinsen vom 28. November 1689 an, binnen sechs Wochen in zwei Terminen zu bezahlen; ihnen auch den Wert der dem Verstorbenen ebenfalls vermachten und mit Genehmigung des Parlaments verkauften Wäsche, samt den Zinsen vom Tage des Verkaufs an, zu entrichten; auch alle Habseligkeiten, die sie von Le Brun noch in Händen haben, nach einem eidlichen Verzeichnis auszuliefern, sowie ihnen auch die ihm bei seiner Verhaftung abgenommenen und noch in der Kanzlei befindlichen Gelder wieder zurückgegeben werden sollen. Übrigens werden die Herren von Savonnières verurteilt, alle bei dem Prozeß wider Le Brun sowohl bei dem Châtelet als bei dem Parlamente aufgelaufenen Unkosten allein zu bezahlen; die Witwe Le Brun aber und ihre Kinder werden mit ihrem übrigen Gesuch abgewiesen.«