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Ein verbrecherischer Staatsanwalt

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Joseph Vallet, der Besitzer einer Ziegelei in der Landschaft Bresse, stand allgemein in dem Ruf, daß er vorzüglich gute Ziegel brenne. In der ganzen Gegend kaufte alles Ziegel von ihm; solange bei ihm noch Vorrat war, wollte niemand von einem andern Ziegelbrenner welche kaufen. Dieser Vorzug machte alle Besitzer der benachbarten Ziegeleien zu seinen Feinden. Man suchte ihn in Prozesse zu verwickeln, man hetzte verschiedene Edelleute wider ihn auf, die ihn auf ihren Gütern hatten Lehm graben lassen; mit einem Wort, man ließ nichts unversucht, um ihn zu stürzen.

Der gefährlichste unter seinen Feinden aber war der Königliche Fiskal Frillet, der selbst auch ein Gut mit einer Ziegelei besaß. Dieser arglistige, unternehmende Mann zeigte seinen Haß wider Vallet schon in einer früheren Geschichte auf eine furchtbare Art.

Im Jahre 1705 kam Vallet an einem Sonntage von Priay aus der Vesper, in Gesellschaft von drei Landleuten, Peter und Claudius Blondel und Claudius Moriz. Auf dem Wege begegnete ihnen ein gewisser Anton Duplex so betrunken, daß er kaum noch gehen konnte. Sie sahen seine Nase bluten und schlossen daraus, daß er schon gefallen sein müsse. Vallet wollte sich also seiner annehmen und ihn nach Hause begleiten. Es kamen aber eben einige Bekannte des Betrunkenen, Mallet und Nicolau, hinzu, welche ihn nach Hause brachten. Am folgenden Morgen hatte Duplex seinen Rausch glücklich ausgeschlafen und ging an seine gewöhnlichen Geschäfte. Er arbeitete darauf drei Tage in dem Weinberg des Pfarrers von Priay in Gesellschaft mit Mallet, mit welchem er auch am dritten Tage abends spät nach Hause ging. In der Finsternis fiel er in einen mit Schlamm und Wasser angefüllten Graben. Er war vom Gehen erhitzt, es befiel ihn also ein starker Frost, worüber er sich auch gegen seinen Gefährten beklagte. Zu Hause ward er noch kränker und konnte schon am folgenden Morgen nicht wieder aufstehen. Es stellte sich ein Stechfieber ein, woran er nach einigen Tagen starb.

Gleich nach seinem Tode machte Frillet dem Kriminalrichter Ravet die Anzeige: Duplex sei vor einigen Tagen mit Blondel und Vallet in Zwist geraten und von ihnen hart geschlagen worden. Vermutlich habe dies zu seinem Tode weit mehr als die Erkältung beigetragen; er möchte also Untersuchung darüber anstellen.«

Der Richter ließ die Witwe des Duplex rufen und befragte sie wegen der in jener Anzeige angegebenen Umstände. Sie antwortete aber: Ihr Mann sei an einem Stechfieber gestorben, das er sich durch eine Erkältung zugezogen habe; von Händeln, die er mit Blondel oder Vallet gehabt haben solle, wisse sie gar nichts, sie habe nicht die geringste Klage von ihrem Manne gehört, daß er von jenen beiden geschlagen worden sei.

Diese Erklärung hätte auf einmal allen Verdacht beseitigen sollen; denn niemand konnte von der Krankheit des Verstorbenen bessere Auskunft geben und niemand hatte weniger Ursache, die Wahrheit zu verhehlen, als die Witwe. Demunerachtet wurde die Untersuchung fortgesetzt; es wurden mehrere Zeugen verhört. Aber keiner sagte etwas zum Nachteil der Angeklagten aus. Vielmehr bezeugte Moriz, der mit Blondel und Vallet an jenem Sonntage nach der Vesper dem Duplex begegnet war: das Nasenbluten, das sie an Duplex bemerkt hätten, habe keine andere Ursache gehabt, als daß er im Rausch gefallen sei, denn er sei ganz betrunken gewesen; er wisse es aus dessen eignem Munde, daß er mit niemand Streit gehabt habe und von niemand geschlagen worden sei, denn er habe ihn am folgenden Tage deshalb befragt; er habe es auch selbst gesehen, daß Duplex gleich darauf drei Tage bei dem Pfarrer von Priay gearbeitet habe.

Der Richter, der nun weiter keinen Grund fand, die Untersuchung fortzusetzen, sprach die Angeklagten frei, verurteilte sie aber doch, die sämtlichen Gerichtskosten zu bezahlen. Äußerst unzufrieden über diesen Ausspruch, beschuldigte Frillet ganz öffentlich den Richter, daß er sich von Vallet habe bestechen lassen, und machte ihm so viel Verdruß, daß Ravet wirklich dadurch bewogen wurde, sein Amt niederzulegen.

Frillet, dem dieser abscheuliche Plan wider Vallet mißlungen war, fand späterhin eine bessere Gelegenheit, seine Rache zu befriedigen. Im Jahre 1724, am 19. Februar, sah man zwei Einwohner von Priay in der Landschaft Bresse, Joseph Sevos und Anton Pin, den ganzen Tag zusammen in den Weinhäusern desselben Ortes, und am folgenden Tage waren beide verschwunden.

Von Anton Pin erfuhr man bald, daß er nach Dombes, unweit Bresse, gegangen sei und sich bei dem Regiment von Sarre habe anwerben lassen.

Von Sevos aber hatte man nicht die geringste Spur. Er hatte sein notdürftiges Auskommen, besaß ein kleines Haus und stand als ein rechtschaffner Mann unter seinen Mitbürgern in Achtung. Niemand konnte also begreifen, warum er heimlich entwichen sein sollte, und man war geneigt zu glauben, daß er ermordet worden sei.

Das Gerücht von diesem Mord verbreitete sich in der ganzen Gegend. Anton Pin wurde allgemein für den Täter gehalten. Man wollte vorher schon Drohungen wider Sevos von ihm gehört haben; beide hatten noch zuletzt den ganzen Tag zusammen zugebracht; Pins Entfernung nach Dombes sah einer Flucht ganz ähnlich, und überdies stand er in dem Ruf eines ausgemachten Bösewichts, der jedes Verbrechens fähig wäre.

Doch alle diese Umstände gaben kein begründetes Indizium. Denn wenn sich auch Pin nach Dombes begeben hatte, so folgte daraus doch noch lange nicht, daß er den Sevos ermordet haben müsse. Vielmehr konnte man das Gegenteil daraus folgern. Wäre er der Mörder gewesen, so würde er einen viel sicherern Zufluchtsort gewählt haben. Dombes gehörte zwar damals nicht der Krone Frankreich; allein auf die erste von den französischen Richtern geschehene Requisition würde Pin als ein Mörder ausgeliefert worden sein. Pin stand zwar in schlechtem Rufe, allein konnte man ihn deswegen aller in der Gegend vorgefallenen Verbrechen beschuldigen? Er hatte mit Sevos zuletzt den ganzen Tag in Trinkhäusern zugebracht; war aber daraus wohl zu schließen, daß er ihn ermordet haben müsse? Wo war überdies das Korpusdelikti? Wo befand sich der Leichnam des ermordeten Sevos? Mußte denn dieser Mann ermordet worden sein? Konnte er sich nicht aus einer Ursache unsichtbar gemacht haben, die noch bis jetzt ein Geheimnis war?

So wurde noch über die Sache hin und her geurteilt, als auf einmal ein neues Gerücht entstand. Es gab Leute, die behaupteten, man habe an dem Tage, da Sevos verschwunden sei, in den Gesichtern der Familie Vallet eine Unruhe und Bestürzung bemerkt, die eine ganz außerordentliche Veranlassung gehabt haben müsse. Andere sagten: sie hätten gehört, die Vallets wären die eigentlichen Mörder; andere sprachen davon als Augenzeugen.

Am 19. August 1724 übergab endlich der Königliche Fiskal Frillet, angeblich durch jenes allgemein verbreitete Gerücht aufgefordert, den Gerichten folgende Anzeige: »Joseph Sevos, der nach dem 19. Februar dieses Jahres plötzlich verschwunden ist, hat noch am Abend zuvor bei Joseph Vallet gegessen. Es geht nun das Gerücht, er sei in Vallets Ziegelei ermordet und beim Ofenloch verscharrt, nachher aber wieder ausgegraben und im Ziegelofen verbrannt worden. Ich trage also amtshalber auf Untersuchung dieses Verbrechens an und bitte um Vernehmung der Zeugen, die ich dem Richter stellen werde.«

Auf diese Anzeige hin machte Herr Ravier, der Richter zu Pont-d’Ain, den Anfang mit der Untersuchung und ließ die Zeugen verhören.

Der Hauptzeuge war ein gewisser Vaudan. Folgendes ist seine Aussage, die er vor Gericht ablegte: »In der Nacht des 19. Februars ging ich nach Mastalion. Ungefähr drei oder vier Stunden vor Tage kam ich bei Vallets Hause vorbei. Ein starkes Getöse erregte meine Aufmerksamkeit. Auf einmal hörte ich jemand schreien: ›Helft, helft, ich will ja alles bekennen, nur diesmal habt Erbarmen mit mir!‹ Zwei oder dreimal wurde dies mit dem nämlichen Angstgeschrei wiederholt. ›Da ist nichts mehr zu bekennen,‹ rief eine andre Stimme, die ich als Vallets Stimme deutlich erkannte, ›du mußt fort!‹ Erschrocken über diese Äußerung verkroch ich mich hinter einen Busch, um den Fortgang dieses Auftrittes abzuwarten. Ich hörte, daß auf den Schreienden stark geschlagen wurde. Kurz darauf ward es still im Hause, und endlich sah ich, daß Vallet mit Hilfe seiner Frau und Kinder einen toten Körper aus dem Hause brachte. Sie gruben ihn in der Ziegelei beim Ofenloche ein und überdeckten das Loch mit Holz. Drei oder vier Tage darauf begab ich mich unter einem Vorwand zu Vallet in die Ziegelei, um zu sehen, ob ich noch eine Spur von jenem Loche wahrnehmen könne. Ich bemerkte aber, daß der Leichnam schon weggebracht worden sein müsse, und in der Folge hörte ich, der Erschlagene sei Joseph Sevos gewesen und Vallet habe den Körper am Karfreitage in seinem Ziegelofen verbrannt.«

Es fanden sich auch wirklich mehrere Zeugen, welche an jenem Karfreitag entweder an Vallets Ziegelei vorbeigegangen zu sein oder in der Nähe derselben auf ihren Feldern gearbeitet zu haben behaupteten und sämtlich versicherten, daß aus Vallets Ziegelofen ein Gestank gekommen sei, als ob frisches Fleisch darin verbrannt würde. Man habe diesen Gestank, setzten sie hinzu, über eine Viertelmeile weit gerochen, er sei völlig unerträglich gewesen; mehrere, die nahe dabei im Felde gewesen seien, hätten ihre Ochsen ausgespannt und sich nach Hause begeben, weil sie den abscheulichen Geruch nicht länger hätten aushalten können. Mehrere Zeugen erklärten, jene Erzählung von Vaudan selbst gehört zu haben.

Auf diese gerichtlichen Aussagen wurde nun die Verhaftung der ganzen Valletischen Familie verfügt.

Durch die Abscheulichkeit des Verbrechens, das durch die erhaltenen Zeugenaussagen beinahe erwiesen war, hielt der Richter sich für berechtigt, so grausamen Mördern die gelinde Behandlung zu versagen, welche die Gesetze bei Verhaftung und Verwahrung eines Angeklagten vorschreiben. Der Königliche Fiskal Frillet ließ also das richterliche Dekret mit der äußersten Härte vollziehen.

Eine Abteilung Landreiter brachte die Angeklagten nach dem Schloß zu Pont-d’Ain. Der alte Vallet litt an einem heftigen Fieber, als er gefangen genommen wurde, und befand sich sehr krank, als er in das Schloß kam. Gleichwohl ließ ihm Frillet an Händen und Füßen Fesseln anlegen, durch welche eine eiserne Stange ging, die fünfunddreißig Pfund wog, und lachte, als das Gewicht der Ketten den schwachen Mann zu Boden warf. Er ließ ihn sogar in ein unterirdisches Loch werfen, obwohl die Gesetze ausdrücklich befehlen, kranke Gefangene nicht in Löcher zu werfen, sondern in leidlichem Gefängnis zu halten und durch Ärzte und Wundärzte behandeln zu lassen. Selbst das Wasser, um seinen Fieberdurst zu löschen, wurde ihm versagt; und damit die Vorübergehenden sein ängstliches Wehklagen nicht hören sollten, wurde das einzige Luftloch seines Gefängnisses, das auf die Straße ging, dicht verstopft. Seine Verwandten und Freunde, die ihm eine Erquickung bringen wollten, wurden nicht zu ihm gelassen, und sogar ein mitleidiger Geistlicher, der dem Kranken Trost zusprechen wollte, wurde abgewiesen. Auch Vallets Ehefrau wurde in Handschellen geschlossen, unerachtet es sonst ganz ungewöhnlich war, Weibspersonen Fesseln anzulegen. Philipp Vallet, sein ältester Sohn, wurde mit schweren Fesseln belastet, in ein feuchtes Loch gesteckt, wo er an Händen und Füßen gelähmt wurde; und selbst Peter Vallet, einem vierzehnjährigen Knaben, wurden die Hände mit Handeisen so zusammengeschraubt, daß er vor Schmerzen unaufhörlich schrie, gleichwohl nahm man sie ihm erst nach vierzehn Tagen wieder ab.

Frillet erhielt nun von dem Richter die Erlaubnis, noch mehrere Zeugen verhören zu lassen. Er brachte auch deren noch eine große Menge zusammen. Allein die meisten sprachen nur von Hörensagen und wußten keinen Grund, als das bisherige öffentliche Gerücht anzugeben.

Nun brachte aber Frillet auch jene Geschichte vom Jahre 1705 wegen der angeblichen Ermordung des Anton Duplex wieder in Erinnerung und führte jetzt den nämlichen Moriz als Zeugen auf, der damals so vorteilhaft für den alten Vallet gezeugt hatte. Dieser machte nun folgende Aussage: »Vor achtzehn oder neunzehn Jahren saß ich eines Tages in einer Schenke und trank. Auf einmal entstand einige Schritte vom Hause ein Geschrei, man hörte einen Menschen um Hilfe rufen. Ich lief hinaus, und mehrere von den Anwesenden folgten mir. Als ich auf den Platz kam, sah ich, daß Joseph Vallet den Anton Duplex unter sich hatte und mit aller Heftigkeit auf ihn losschlug. Die beiden Brüder Blondel standen dabei. Einer von ihnen rief dem Vallet zu: er solle ihn nun gehen lassen, er habe ihn genug geschlagen. Allein Vallet fuhr fort zu schlagen und sagte: ›Nein, ich muß ihm den Rest geben.‹ Einige Tage nach diesem Auftritt starb Duplex.« Bei dem zweiten Verhör setzte er noch hinzu: »Joseph Vallet und die beiden Blondel gaben der Witwe des Duplex Geld, damit sie nicht wider sie klagen sollte, und bestachen Herrn Ravet, den damaligen Richter. Dieser suchte also die Sache zu unterdrücken, und daher kam es, daß die Zeugen nicht gehörig vernommen wurden.«

Während aber auf Frillets Veranlassung die ganze Untersuchung wegen Sevos Ermordung gegen Vallet und seine Familie gerichtet wurde, gab es doch Leute genug, welche den Anton Pin nicht aus den Augen verloren hatten. Man sagte öffentlich, daß dieser der Mörder sei, und die ganze Geschichte dieses Vorfalles gelangte sogar an den Hof. Man suchte nähere Aufschlüsse zu erhalten. Der Minister schrieb an das Regiment, bei welchem sich Pin hatte anwerben lassen. Auf seine Requisition wurde Pin ausgeliefert und in das Gefängnis nach Pont-d’Ain gebracht.

Bei seinem ersten Verhör erklärte er mit einer anscheinenden Freimütigkeit, er wisse wohl von dem Mord des Sevos und wolle ganz unverhohlen die Wahrheit sagen. »In der Nacht des 19. Februars 1724« – erzählte er nun – »war ich mit Sevos bei Joseph Vallet; wir drei hatten da ein kleines Trinkgelage. Zwei Stunden nach Mitternacht saßen wir noch beisammen. Sevos, dem der Wein in den Kopf gestiegen war, machte dem Vallet den Vorwurf, daß er den Anton Duplex ums Leben gebracht habe. Vallet geriet darüber in die heftigste Wut, ergriff eine große zinnerne Kanne, die auf dem Tische stand, und gab damit dem Sevos einen so heftigen Schlag an den Kopf, daß dieser sogleich niederstürzte. Er schrie: ›Ach, Barmherzigkeit! Barmherzigkeit! Nehmt all mein Geld und schenkt mir nur das Leben!‹ Allein Vallet erwiderte: ›Was Barmherzigkeit!‹ und nun ging das Schlagen erst recht los. Vallets Frau ergriff eine große Feuerschaufel und versetzte damit dem schon verwundeten Sevos noch einige heftige Schläge. Auch Philipp Vallet half noch mit zuschlagen, bis endlich Sevos unter ihren Händen verschied. Peter Vallet ging indes vor die Tür, um achtzugeben, ob etwa jemand vorbeiginge. Da Vallet merkte, daß Sevos tot sei, wollte er mich nötigen, auch noch mit zuzuschlagen, vermutlich in der Absicht, daß ich nicht wider ihn zeugen sollte; allein ich ließ mich nicht überreden. Endlich schaffte Vallet mit Hilfe seiner Frau und seiner Kinder den toten Körper in die Ziegelei, legte ihn bei dem Ofenloch nieder und bedeckte ihn ganz mit Holz. Hier ließen sie den Leichnam bis zur Karwoche liegen. Dann aber wurde er hervorgezogen und im Ziegelofen verbrannt. Daß dies letztere geschehen ist, weiß ich daher, weil ich am Karfreitag selbst in Vallets Ziegelei war, einen unausstehlichen Geruch bemerkte, der aus dem Ofen kam, und verbrannte Knochen im Ofen sah. Übrigens hat mir Vallet öfters gedroht, daß es mir ebenso ergehen solle, wenn ich nur eine Silbe über Sevos Ermordung verlauten lassen würde. Bisweilen aber gab er mir auch ganz gute Worte und überhäufte mich mit Geschenken von Wein und Geld, bloß damit ich schweigen sollte.«

Durch diese Aussage, welche mit Vaudans Zeugnis in den Hauptumständen so genau übereinstimmte, schien es beinah außer allem Zweifel zu sein, daß Vallet mit seiner Familie diesen Mord wirklich begangen habe.

Inzwischen führten sie zu ihrer Verteidigung hauptsächlich folgende Umstände an. Erstlich habe man sogleich nach Sevos Verschwinden in seinem Bett, am Kopfkissen und Bettuch und am Boden seiner Kammer Spuren von Blut gefunden; folglich müsse er in seinem Bette ermordet worden sein, und niemand anders, als Anton Pin, könne ihn umgebracht haben. Zweitens wurde bewiesen, daß Peter Vallet, der jüngste Sohn, in der Nacht des 19. Februar, in welcher er während der Ermordung des Sevos vor seines Vaters Hause Schildwache gestanden haben sollte, in einer Pension bei einem Schullehrer zu Poncin zwischen zweien seiner Mitschüler geschlafen habe.

Allein die Gerichte übergingen diese Umstände mit Stillschweigen und bestanden bloß darauf: Vallet solle gerichtliche Beweise beibringen, daß Anton Pin den Sevos ermordet habe. Auf diesem Wege blieb freilich Vallets Rechtfertigung unmöglich.

Frillet übergab nun als Königlicher Fiskal folgendes Gutachten: Joseph Vallet, der durch mörderische Gewalttätigkeit den Tod des Anton Duplex verursacht habe, solle mit dem Strang hingerichtet, seine Frau aber und seine beiden Söhne, sowie auch Anton Pin, welche nebst ihm sämtlich eines an Joseph Sevos verübten Mordes angeklagt wären, sollten auf die Folter gebracht werden.

Hierauf erteilte das Gericht am 9. Mai 1725 den Ausspruch: daß Joseph Vallet nebst seiner Frau und seinen Söhnen, weil sie bei ihrer Verteidigung das, was sie hätten beweisen sollen, nicht erwiesen hätten, auf die ordentliche und außerordentliche Folter gebracht werden sollen, um dadurch ein richtiges Bekenntnis wegen des an Sevos verübten Mordes von ihnen zu erhalten.

Mit dieser Sentenz, welche dem alten Vallet noch das Leben fristete, war aber Frillet nicht zufrieden. Er appellierte an das Parlament zu Dijon. Die Akten wurden von dem Richter dahin eingeschickt und Vallet mit seiner Familie ins Parlamentsgefängnis zu Dijon gebracht.

Dieser Gerichtshof fand zwar in den Akten Umstände genug, die dem Vallet und den Seinigen sehr zur Last fielen. Allein die Indizien wider Anton Pin, der üble Ruf, in dem er stand, seine Flucht, verschiedene auf seine Sicherheit abzielende Bedingungen, die er gestellt hatte, als er sich unter die Truppen anwerben ließ, mancherlei Widersprüche in seinen Aussagen – alles dies war nicht minder wichtig. Die Sache schien noch weit mehr Aufklärung zu bedürfen.

Das Parlament verordnete also durch ein Arret vom 18. Juni 1725: daß sowohl Vallet mit seiner Familie als Anton Pin, jedes einzeln, noch einmal verhört und alsdann alle miteinander konfrontiert werden sollen.

Diese neue Untersuchung verbreitete zwar im ganzen nicht so viel Licht, als man gehofft hatte. Doch vervielfältigten sich dadurch die Indizien wider Pin so sehr, daß man berechtigt war, sich vorerst an ihn allein zu halten.

Durch ein neues Arret des Parlaments vom 26. Juni wurde daher befohlen, daß Anton Pin in Gegenwart eines vom Parlamente abgeordneten Kommissars gefoltert werden solle, um ein richtiges Bekenntnis über den Mord des Sevos und eine genaue Anzeige seiner Mitschuldigen von ihm zu erhalten.

Von diesem Urteil erhielt Pin auf eine oder die andre Art eine vorläufige Nachricht und sprach davon mit einem seiner Mitgefangenen, der selbst erst vor kurzem die Folter ausgestanden hatte, ohne etwas zu gestehen. Dieser stellte nun den Pin an seinem eignen Beispiel vor, daß er sein Leben retten könne, wenn er nur Mut genug habe. Durch einen starken Körperbau unterstützt, konnte Pin diesen Rat um so leichter befolgen. Er ließ sich durch die Folter so wenig eine Änderung seiner Aussage abzwingen, daß er vielmehr noch den neuen Umstand hinzusetzte: Vallet habe ihn dazu veranlaßt, an jenem Abend des 19. Februar den Sevos zu ihm zu bringen, und habe ihm dafür einen Louisdor gegeben. Vallet schien jetzt mit seiner Familie durch diese Aussage völlig überwiesen. Eine schmähliche Todesstrafe wartete schon ihrer.

Allein auch bei einem verhärteten Bösewicht wirkt oft die Stimme des Gewissens mehr, als die Schmerzen der Folter. Kaum war Pin von der Folter wieder ins Gefängnis gebracht worden, als eine ihm ganz ungewöhnliche Rührung sich seiner bemächtigte. Er bat flehentlich, daß eine Gerichtsperson zu ihm ins Gefängnis kommen möchte.

Herr von Vormes, der Referent dieses Prozesses, begab sich also zu ihm mit einem Aktuar, und nun widerrief Pin alle seine vorher gemachten Aussagen und legte folgendes Geständnis ab:

»Am 19. Februar 1724 traf ich den Joseph Sevos in Vallets Hause. Ich setzte mich zu ihm, um mit ihm zu trinken. Nach einigen Stunden ging er weg und begab sich zu einer gewissen Flory; ich folgte ihm bald dahin nach. Bei dieser Frau zechten wir bis abends um neun Uhr. Alsdann gingen wir noch zu Dumoulin und tranken fort bis nach Mitternacht. Hier erblickte ich bei Sevos einen Beutel mit ungefähr vierzig Talern Silbergeld, und dadurch entstand bei mir der Gedanke, ihn zu ermorden. Wegen dieser Absicht begleitete ich ihn nach seinem Hause und machte ihm den Vorschlag, daß wir noch etwas miteinander essen wollten. Es war kein Brot im Hause, ich ging also noch aus, um welches zu holen. Zugleich aber nahm ich aus meines Vaters Hause ein kleines Beil mit, das ich unter meinem Kleide verborgen hielt. Sevos hatte bis zu meiner Rückkunft mehr Lust zum Schlafen als zum Essen bekommen und bat mich, die Nacht bei ihm zu bleiben. Ich brachte ihn zu Bett, und als er eben im Begriff war hineinzusteigen, gab ich ihm mit dem Beile einen Schlag auf den Kopf. ›Ach, mein Gott!‹ schrie er, ›ich sterbe‹, stürzte sogleich nieder und rührte sich nicht mehr. Ich nahm darauf sein Geld, trug den Körper in den Stall und deckte ihn mit Mist zu. Das Bett und der Fußboden waren mit Blut befleckt. Ich suchte also diese Flecken sorgfältig wegzuwischen und warf Kleie darüber. Beim Weggehen vergaß ich aber meinen Quersack, der auch mit Blut bespritzt worden war. Diesen letzten Umstand«, setzte er hinzu, »bemerke ich deswegen, weil ich erfahren habe, daß der Kastellan von Varembon einige Tage nach dem Mord in das Haus gekommen sei und die Spuren von dem Blute gesehen habe, und daß sogar einige von seinen Begleitern gesagt haben, der blutige Quersack gehöre mir.

»Im Mai 1722«, fuhr er dann fort, »wurde Philipp Vallet von mir auf der Straße seines Geldes und seiner Kleider beraubt. Diesen Straßenraub sah Sevos hinter einem Busch mit an und ließ sich hernach verlauten: er könne den Pin aufs Rad bringen, wenn er wolle. Diese Äußerung gab mir den Gedanken ein, einen so gefährlichen Zeugen bei der ersten Gelegenheit aus dem Wege zu räumen, und der Anblick des Geldes an jenem unglücklichen Tage brachte diesen Entschluß schnell zur Reife. Übrigens kann ich versichern, daß ich bei der Ermordung des Sevos ganz allein war und daß Vallet mit seiner Familie an dieser Tat ganz unschuldig ist. Ich kann dies so gewiß sagen, als ich von Gott Vergebung hoffe, und ich bereue es unaussprechlich, daß ich auf diese unschuldigen Leute mein Verbrechen habe wälzen wollen.«

Herr von Vormes fragte ihn hier, was er für einen Grund dazu gehabt habe, diese Familie des Mordes zu beschuldigen. »Ich war entschlossen,« antwortete er darauf, »als man mich nach Pont-d’Ain führte, die Wahrheit zu bekennen. Allein der Stockmeister gab sich alle Mühe, mich wider Vallet einzunehmen. Er stellte mir vor, daß Vallet mit seiner Frau und mit seinen Kindern in allen Verhören es darauf angelegt habe, den Verdacht des Mordes auf mich zu lenken, und daß ich also Grund genug hätte, mich an ihnen zu rächen, ihnen Gleiches mit Gleichem zu vergelten und sie als die Mörder des Sevos anzugeben. Durch solche Vorstellungen wurde ich wirklich umgestimmt.«

Endlich setzte er noch hinzu: »Vaudan, der wider die Familie Vallet als Zeuge aufgetreten ist, ist ein ausgemachter Bösewicht. Sein ganzes Zeugnis ist falsch, er ist dazu durch eine große Summe erkauft worden, und wenn man ihn festsetzt, so wird man das ganze Komplott entdecken.«

Nach diesem Bekenntnis, das Pin noch in einigen darauffolgenden Verhören bestätigte, sprach das Parlament am 3. Juli das Urteil über ihn: daß er an Beinen, Schenkeln und Armen gerädert und alsdann noch lebendig auf ein Rad gelegt werden solle. Von seinem Vermögen sollten 50 Livres als eine Buße dem Besitzer der Herrschaft Pont-d’Ain zufallen, 100 Livres zu Seelenmessen für ihn verwendet und das übrige von der Behörde eingezogen werden.

Vor seiner Hinrichtung bat Pin noch die unglückliche Familie Vallet aufs rührendste um Verzeihung und ging dann mit Standhaftigkeit zum Richtplatz.

Gleich am folgenden Tag schickte nun das Parlament Herrn Flutelot als Kommissar ab, um unverzüglich den Körper des ermordeten Sevos aufsuchen zu lassen. Es wurde in dem Hause des Sevos und um dasselbe alles aufs strengste untersucht. Allein es fand sich keine Spur von einem ermordeten Körper.

Zugleich befahl das Parlament, den Anton Vaudan sogleich in Haft zu nehmen und Untersuchung wider ihn anzustellen, auch alle bei den Gerichten zu Pont d’Ain und Varembon in dieser Sache ergangene Akten, besonders aber das über die erste Nachsuchung in Sevos Hause geführte Protokoll dem Herrn Flutelot, als dem ernannten Kommissar, auszuliefern.

Diesem Befehl gemäß wurde Vaudan sogleich arretiert und noch an demselben Tage verhört. Er blieb hartnäckig bei seiner ersten Aussage, daß Sevos in Vallets Hause ermordet worden sei; aber er gestand, ohne darüber befragt zu sein, daß er dem Anton Valencel, bei dem er als Knecht in Diensten gewesen sei, ein Fohlen und drei Ochsen gestohlen habe. In den Untersuchungsakten, die von den Gerichten zu Pont-d’Ain ausgeliefert wurden, fand der Kommissar vieles ausradiert, mehrere Abänderungen und Zusätze, die nicht von der Hand des Gerichtsaktuars gemacht waren, und verschiedne wichtige Registraturen, die nicht unterschrieben waren. Dies veranlaßte bei ihm den Verdacht, daß Frillet wohl auf eine ganz andere Art in die Sache verwickelt sei, als sein Amt erfordere.

Er setzte also die Untersuchung um so schärfer fort und fand bald, daß alle wider Vallet und dessen Familie aufgetretenen Zeugen entweder Betrüger und vorsetzlich falsche Zeugen oder Betrogene waren, die man mit List zum Zeugnis gebracht hatte. Besonders entdeckte er, daß Frillet absichtlich die ganze Untersuchung bloß wider die Familie des Vallet gerichtet und alle andern Indizien hinterlistig unterdrückt habe. So fand er jetzt, daß nicht nur mehrere Personen nach des Sevos Verschwinden in dessen Hause gewesen waren und die Spuren von Blut im Bett und auf dem Fußboden gesehen hatten, sondern daß der Kastellan und der Pfarrer von Varembon dem Fiskal Frillet selbst eine gerichtliche Anzeige davon gemacht hatten. Ferner erfuhr er, daß das Mordinstrument noch in des Sevos Hause sei. Er ließ es abholen, und man sah noch jetzt Blut daran. Umstände genug, die nur Frillets Bosheit so lange unterdrückt hatte! Nun wurden auch die wegen der angeblichen Ermordung des Anton Duplex verhandelten Akten noch einmal genau durchgesehen. Der Kommissar ersah aus der unmittelbar nach des Duplex Tode im Jahre 1705 angestellten Untersuchung ganz deutlich, daß Duplex eines natürlichen Todes gestorben war und daß auch nicht ein Schatten von Verdacht wider Vallet vorhanden gewesen sei, den die Aussage des Claudius Moriz vollkommen gerechtfertigt habe. Die ganz widersprechende Aussage ebendieses Claudius Moriz, welche in den neuern Akten vom Jahre 1724 enthalten war, bewies offenbar, daß ihr Urheber ein falscher Zeuge sei. Moriz wurde also auch in Haft genommen und mit Vaudan konfrontiert. Allein beide blieben hartnäckig bei ihren Aussagen wider Vallet und wurden nun ins Parlamentsgefängnis gebracht.

Kaum war aber Vaudan dort angekommen, als er ebenso wie vorher Pin von seinem Gewissen gequält, die Wahrheit freiwillig bekannte. Er widerrief seine Aussage und alles das, was er bei seiner Konfrontation mit Moriz gesagt hatte.

Am 15. Oktober 1725 sprach nun das Parlament das Urteil über ihn: »Er soll, mit der Aufschrift auf der Brust: ›Falscher Zeuge und Hausdieb‹, auf den Richtplatz geführt und mit dem Strang hingerichtet werden. Zuvor aber soll man ihn auf die Folter bringen, um seine Mitschuldigen von ihm zu erfahren.«

Dieser Sentenz zufolge wurde also Vaudan noch gefoltert. Man erfuhr aber nichts weiter von ihm, als was er schon angegeben hatte.

Das Parlament eilte nun, die Untersuchung zu beendigen, und verurteilte am 22. Oktober 1725 auch den Claudius Moriz zur Folter, um ihn zum Geständnis seines Verbrechens zu bringen.

Dieser Befehl wurde noch an demselben Tage vollzogen. Auf der Folter gestand Moriz: Frillet sei der Urheber dieser ganzen Kabale wider Vallet und seine Familie. Frillet habe ihn aufgefordert, jetzt das Gegenteil seiner ehemaligen Aussage zu behaupten, und ihm gesagt: man müsse jetzt die Geschichte des Duplex wieder in Bewegung bringen und ganz dreist behaupten, Vallet habe ihn ermordet und den damaligen Kriminalrichter bestochen, die Untersuchung zu unterdrücken.

Anfänglich habe er sich zu einem solchen falschen Zeugnis durchaus nicht verstehen wollen. Allein Frillet habe die listigsten Überredungen angewendet, und er habe sich endlich, teils durch die Furcht vor Frillets Verfolgung, teils durch die vorgespiegelten Belohnungen verführen lassen, seine abscheulichen Pläne zu unterstützen. Auch Anton Thorillon, ein Oheim des Vaudan, und Joseph Mallet hätten sich viele Mühe gegeben, Zeugen aufzutreiben und abzurichten.

Auf dieses Bekenntnis erfolgte gleich am 23. Oktober 1725 das Urteil des Parlaments: »Claudius Moriz soll gehängt und von seinem Vermögen der Familie Vallet 500 Livres zur Schadloshaltung bezahlt werden.«

Die unglückliche Familie, welche durch die schwärzeste Kabale an den Rand des Verderbens geführt worden war, ohne die entfernteste Schuld an den Verbrechen zu haben, deren der boshafteste Neid habsüchtiger Nachbarn sie angeklagt hatte, und so lange unter der Last der empfindlichsten Leiden hatte schmachten müssen, wurde nun endlich von der wider sie erhobnen Anklage völlig losgesprochen und wieder auf freien Fuß gesetzt.

Gleich am Tage nach Moriz‘ Hinrichtung gab das Parlament Befehl, »daß Frillet, der bisherige Königliche Fiskal zu Pont-d’Ain, Joseph Mallet, Förster in den Diensten der Herren von Varembon, und Anton Thorillon, der Bediente dieser Herren, in Haft genommen und in das Parlamentsgefängnis gebracht werden sollen.« Allein Frillet fand Mittel zu entwischen und nahm auch Mallet und Thorillon mit sich. Sie flüchteten sich nach Savoyen in ein Kloster.

Einige Jahre darauf war Peter Vallet eines Tages in der Stadt Bourg. Auf einmal begegnete ihm ein Mann, dessen Anblick ihn wie die Erscheinung eines Geistes erschreckte. Mit aufgerissenen Augen, wie angewurzelt in den Boden, stand er da und betrachtete den Mann. Er konnte nicht reden und zeigte seinen Schreck und Erstaunen nur durch Mienen und Gebärden. Endlich ging der Mann auf ihn zu und reichte ihm die Hand. »Erschrick nur nicht,« sagte er, »ich bin der leibhafte Sevos, aber ich bitte dich, mache mir keinen Verdruß.« Vallet konnte noch immer nicht begreifen, wie ein Mensch noch leben könne, den Anton Pin ermordet, dessen Ermordung dieser Pin selbst eingestanden und dafür die Todesstrafe erlitten habe. Demunerachtet war der Mann, der dastand, der wirkliche Sevos.

Vallet nötigte diesen wiederaufgelebten Sevos, mit ihm vor die Obrigkeit zu gehen, und bat die Gerichte des Ortes, sie beide so lange in Haft zu behalten, bis ein Befehl vom Parlamente eingeholt werden könnte. Auf die Nachricht von dieser unerwarteten Erscheinung wendete sich der alte Vallet sogleich an das Parlament und erhielt am 4. Januar 1730 einen Befehl an den Kriminalleutnant zu Bourg: »den Sevos über seine plötzliche Entfernung von seinem Heim und über die Ursache, warum er sich so lange verborgen gehalten habe, zu vernehmen.« Seine Antworten zeigten aber so viele Zurückhaltung und waren so voller Widersprüche, daß das Parlament mutmaßte, es sei auch hierunter ein Geheimnis der Bosheit verborgen.

Sevos wurde deshalb am 13. März in das Parlamentsgefängnis gebracht, um bei dem Parlament selbst genauer verhört zu werden. Anfangs war er gegen den Kommissar des Parlaments, der ihn verhörte, ebenso zurückhaltend. Da man ihm aber drohte, strengere Mittel zu gebrauchen, so ließ er sich endlich zum Reden bringen.

Seine Erzählung stimmte mit dem Bekenntnisse des Anton Pin vollständig überein. Er hatte mit diesem den ganzen Tag in Schenken zugebracht, Pin war endlich spät in der Nacht mit in sein Haus gegangen und hatte bei ihm schlafen wollen. »In dem Augenblick, da ich mich zu Bette legen wollte« – fuhr Sevos in seiner Erzählung fort –, »gab er mir einen Schlag an den Kopf mit einem Beile. Ich stürzte sogleich nieder und schrie: ›Mein Gott, ich sterbe!‹ Da ich mich nicht mehr rührte, so glaubte Pin, ich sei wirklich tot. Ohne einen Laut von mir zu geben, ließ ich mich in den Stall tragen. Pin nahm mir die vierzig Taler, die ich bei mir hatte, und machte sich davon. Sobald ich bemerkte, daß er das Haus verlassen hatte, stand ich auf und verschloß die Türe. Die Wunde am Kopfe blutete zwar stark, war aber nicht gefährlich. Ich suchte während der Nacht das Blut zu stillen, und als es Tag wurde, machte ich mir einen Verband, so gut ich konnte. Zwei Tage lang blieb ich in meinem Hause eingeschlossen, denn ich kannte die Verwegenheit des Pin und getraute mir nicht, mich lebendig vor ihm sehen zu lassen. Am dritten Tage ging ich ganz früh nach Varembon zu dem Königlichen Fiskal Frillet und erzählte diesem Beamten den mörderischen Angriff, welchen Pin auf mein Leben gemacht hatte, mit allen Umständen. Frillet hörte mich sehr aufmerksam an, schien einige Augenblicke über die Sache nachzudenken und sagte endlich: ›Was kannst du dem Pin anhaben? er ist ein Bösewicht, der nichts zu verlieren hat und alles wagt. Erfährt er, daß du noch lebst und ihn verfolgst, so stellt er dir heimlich nach und bringt dich um, sobald er dich am rechten Ort findet. Ich rate dir, dich jetzt vor keinem Menschen sehen zu lassen und dich fortzumachen, soweit deine Füße dich tragen wollen.‹ Durch Vorstellungen dieser Art setzte mich Frillet so in Furcht, daß ich sogleich mit möglichster Eilfertigkeit die Gegend verließ. Ich trieb mich lange in der Ferne herum, bis ich endlich wieder nach Bourg kam.«

Dies war alles, was man aus ihm herausbringen konnte. Höchstwahrscheinlich blieb es indes immer, daß Frillet dem Sevos nicht bloß diesen Rat, sondern auch, vielleicht im Einverständnis mit Vallets übrigen Feinden, Geld gegeben hatte, um ihn aus dem Lande zu entfernen.

Nun sah man auch wohl ein, warum Frillet auf das Gerücht, daß Sevos verschwunden sei, nicht sogleich eine genaue Untersuchung seines Hauses veranstaltet hatte. Er wußte freilich schon zu gut, was sich finden würde und daß die Untersuchung alsdann einen ganz andern Gang nehmen müßte, als in seinem Plan lag. Er hatte einmal beschlossen, diesen Vorfall wider die Familie Vallet auszunutzen. Deswegen wartete er so lange mit dem Anfang der Untersuchung, bis der wider Pin entstandene Verdacht in den Gemütern des Volkes sich gelegt und er durch seine Abgesandten seine Absichten gehörig vorbereitet hatte.

Inzwischen hatte Frillet kaum erfahren, daß Sevos wiedergekommen sei, als er sich sogleich selbst auch wieder einfand. Er suchte diesen Umstand zu benutzen und übergab dem Conseil eine weitläufige Schrift, worin er teils das Parlament zu Dijon eines unüberlegten ungerechten Verfahrens beschuldigte, da es einen Mann als Mörder habe rädern lassen, obgleich der Ermordete noch lebe, teils sein eignes Benehmen bei der Untersuchung wider Vallet und dessen Familie mit den listigsten Wendungen zu verteidigen suchte. Das Conseil ließ hierauf dem Parlament die Akten abfordern. Allein es fand sich darin so wenig ein Beweis von Frillets Beschuldigung wider das Parlament, als von der Rechtfertigung seines eignen Verfahrens. Vielmehr erschienen seine gewaltsamen Rechtsverdrehungen daraus so offenbar, daß das Conseil sogleich durch ein Arret vom 30. Mai 1730 befahl: »Frillet soll in Haft genommen, mit hinlänglicher Wache in das Parlamentsgefängnis gebracht und ihm vom Parlamente der Prozeß gemacht werden.«

Dieser Ausspruch mußte dem Frillet sehr unerwartet kommen, denn er war schon so gewiß, die Sache werde nun beigelegt werden, daß er bereits um Abolition nachgesucht hatte. Er wurde verhaftet, aufs schärfste verhört und mit den gegen ihn vorhandenen Zeugen konfrontiert. Man entdeckte noch mehrere Gehilfen seiner boshaften Kabale.

Während dieser Untersuchung starb Sevos im Gefängnisse, ehe man ihn zu einem vollständigen Geständnis hatte bringen können. Vermutlich hatte er selbst auch Anteil an dem Komplott gehabt, das Frillet wider die unglückliche Familie des Vallet geschmiedet hatte.

Demunerachtet wurde Frillet vollkommen überwiesen, daß er die Anklage wider Vallet wegen eines an Duplex und Sevos verübten Mordes bloß aus Haß angestellt und bei der Untersuchung wider besseres Wissen gehandelt habe.

Das Parlament sprach ihm also am 7. August das Urteil, »daß er mit dem Strange hingerichtet, sein Vermögen eingezogen und der Familie Vallet davon 8 000 Livres bezahlt werden sollen.«

Die Richter waren von sieben Uhr vormittags bis vier Uhr nachmittags versammelt, als sie dieses Urteil abfaßten. Ganz Dijon war an diesem Tage in Bewegung, jedermann erwartete mit Begierde die Entscheidung über Frillets Schicksal, jedermann hoffte, daß das Urteil die bürgerliche Gesellschaft von einem solchen Ungeheuer befreien und allen den kleinen Tyrannen, die ihre Amtsmacht zum Verderben ihrer Untertanen anwenden, an ihm ein warnendes Beispiel geben werde.

Sobald es bekannt wurde, daß Frillet zum Tode verurteilt sei, schien jedermann aufzuatmen. Der Weg vom Gefängnis bis zum Gerichtsplatz war mit Menschen bedeckt, alle Fenster waren besetzt, und das ganze Publikum schien mit Vergnügen den Augenblick zu erwarten, wo ein Bösewicht seinen Lohn bekommen sollte, der die Gewalt der Gerechtigkeit mit einer so schwarzen Bosheit zur Unterdrückung der Unschuld mißbraucht hatte.

Wider alles Vermuten aber erschien der Generalprokurator im Parlament und überreichte dem ersten Präsidenten einen Brief vom Königlichen Kanzler, worin gesagt wurde: »Seine Königliche Majestät habe sich Frillets Sache vortragen lassen und darauf befohlen, wenn das Urteil ihm eine Lebensstrafe zuerkennen würde, mit der Vollziehung auf weitern Befehl zu warten.« Dieser Brief war weder an das Parlament adressiert, noch von einem Staatssekretär kontrasigniert; er hatte also in keiner Weise die Form eines unmittelbaren königlichen Befehls. Das Parlament war also anfänglich zweifelhaft, ob es sich darnach richten solle. Doch gingen endlich die meisten Stimmen dahin, man müsse aus Ehrfurcht gegen die Willensmeinung des Königs die Form übersehen.

Das Publikum war äußerst verlegen und unzufrieden, sich in seiner Erwartung betrogen zu sehen. Jeder glaubte, für seine eigne Person nicht mehr sicher zu sein, wenn ein solcher Justizmörder nicht zu einem öffentlichen Opfer der rächenden Gerechtigkeit gemacht würde.

Der König verwandelte Frillets Todesstrafe in eine zehnjährige Landesverweisung. Der Familie Vallet mußte er gleichwohl die zuerkannte Summe bezahlen. In dem Augenblick aber, da er aus dem Gefängnis entlassen werden sollte, um seine Wanderschaft aus dem Lande anzutreten, starb er eines plötzlichen Todes.