HomeInhaltsangabeErläuterung: Die Jungfrau von Orleans

»Die Jungfrau von Orleans« von Schiller – Inhaltsangabe und Erläuterung der Handlung

Bewertung:
(Stimmen: 80 Durchschnitt: 4.3)

Der Prolog

1. Szene

Wie Schiller im Wallenstein „Wallensteins Lager“ vorausschickt, um uns in die Welt des dreißigjährigen Krieges einzuführen, versetzt er uns hier in das ruhige Dorf Dom Remy, von dem aus uns Schiller mit den einfachen und friedlichen Landsleuten einen Blick auf die kriegerisch bewegte Welt tun lässt. Vater Thibaut beeilt sich deshalb, seine heranwachsenden Töchter mit Männern zu versorgen. Johannas Schwestern Louison und Margot sind überglücklich. Morgen sollen ihre Hochzeiten mit Schäfern des Dorfes sein. Er schickt sie fort, damit sie alle Vorbereitungen treffen.

2. Szene

Vater Thibauts jüngstes Kind aber, die etwa achtzehnjährige Johanna, hat den ihr gemachten Antrag von Raimond zurückgewiesen. Thibaut schilt sie dafür. Doch Raimond trifft für sie ein. Johanna ist ein Wesen eigentümlicher Art, dass selbst ihrem Freier Raimond mehr Verehrung als Liebe abnötigt. Sie scheint ihm etwas höheres zu bedeuten, scheint einer fernen Vorzeit zu entstammen.

Doch was ist es, das ihre Seele beschäftigt? Es ist das Los von Frankreich und ihre eigene innere Welt. Von liebenswürdiger Anhänglichkeit an ihren König erfüllt, in dem sie den sichtbaren Repräsentanten des Staates verehrt, ist ihr kindlich frommer Sinn ganz von dem Gedanken eingenommen, wie ihm zu helfen sei. Sie gedenkt der Wundertaten jener Hirtenvölker, die sie aus dem Alten Testament kennt. In innigem Gebet für ihren König kniet sie vor dem Altar. Die Gestalten jener fernen Zeiten des Alten Testamentes schauen vom Gewölbe der Kirche auf sie herunter. In der Kirche ihres Dorfes befindet sich ein uraltes Bild der Mutter Gottes. Deshalb ist die Kirche das Ziel vieler frommen Pilgerfahrten. Ihre ahnungsvolle Seele tut so einen Blick in eine andere Welt. Die Herrlichkeit des Himmels steigt zu ihr herab. Der Wunsch des Herzens, dem König Hilfe und ihrem Vaterland Rettung zu bringen, steigert sich zu dem Glauben, der im Stande ist, Berge zu versetzen. Und der Ruf Gottes ergeht an ihre Seele.

Ihr Vater aber steht mit ihr im Kontrast. Er ist ein ehrenwerter Charakter von schlichter Frömmigkeit und um das Wohl seiner Kinder besorgt. Sein Patriotismus geht nicht so weit, dass er geneigt wäre, seinem König ein persönliches Opfer zu bringen. Er will die Entscheidung der Schlachten abwarten und den Ausgang als den Willen Gottes anerkennen. Dabei ist er ein grübelndes und melancholisches Kind seiner Zeit, der die Kapellen neben alte Druidenbäume zu setzen pflegt. Dadurch gibt er dem christlichen Mystizismus die Form von heidnischem Aberglauben. Für ihn steht die Welt unter der Macht dämonischer Gewalten. Wo ihm eine außerordentliche Erscheinung entgegen tritt, ist er weit mehr geneigt, an den Einfluss böser, als an das Wirken und Walten guter Geister zu glauben. Daher sollte es nicht verwundern, wenn er Gespenster sieht, die aus dem Nebel ihm dürre Hände entgegen strecken. Wenn er Träume und ängstliche Ahnungen hat, warnt er seine Tochter, bei Nacht den Kreuzweg nicht zu betreten, nach Wurzeln zu graben und Zeichen in den Sand zu schreiben. Vielleicht macht er seiner Tochter dadurch einen ungerechten Vorwurf. Doch durch seine Erziehung hat er dazu beigetragen, dass auch Johanna heidnische Erinnerungen in ihre christlichen Anschauungen gemischt hat. Anfangs ist sie sich selber ein Geheimnis und ihrer ganzen Umgebung ein Rätsel. Die Liebe zu seiner Tochter ist aber mächtiger als sein Zorn. Wenn er ihre Verschlossenheit auch für einen schweren Irrtum der Natur hält und sich nicht für die hohen Offenbarungen interessiert, die ihr zu Teil geworden sind, so ist die ängstliche Besorgnis, mit der er sie vor bösen Geistern warnt, doch immer der Ausdruck eines warmfühlenden Vaterherzens.

3. Szene

Bis jetzt hat Johanna zu allen Vorwürfen geschwiegen. Als aber Betrand mit einem abenteuerlich erstandenen Helm eines Kriegers erscheint, wird sie kriegerisch erregt und setzt sich den Helm auf den Kopf. Raimond erinnert den betroffenen Vater an ihren Mut, den sie als Hirtin schon bewiesen hatte. Aufmerksam hört sie der Erzählung des Bertrands zu. Die Schilderung, die er von den zusammenströmenden Kriegerscharen entwirft, erinnert lebhaft an die große Heerschau (Il, 2). Er berichtet von neuem Kriegsunglück in zwei großen Schlachten, mit denen die Einnahme von Harfleux und der Tag von Azincourt (1415) gemeint sind. Die Belagerung von Orleans und das Schicksal des dem Untergang geweihten Vaterlandes, als dessen letzter Rettungsanker der dem König zu Hilfe eilende Ritter Baudricour erscheint, das alles wirkt gewaltig auf Johanna ein. Sie erkennt, dass die Stunde zum Handeln geschlagen hat. Was längst in ihrer Brust geschlummert hatte, bricht nun in begeisterten, prophetischen Worten hervor. Sie kündigt sich selbst als die Retterin des Vaterlandes an.

4. Szene

Allein zurückgeblieben, nimmt Johanna nun Abschied von ihren Bergen. Es ist ein rührender Monolog, dessen lyrischer Schwung in dem Moment, wo weichere Empfindungen hervorbrechen, im gesangreichen Versmaß der achtzeiligen Stanze zum Ausdruck gelangt: Der Glaube an ihre göttliche Sendung, das Vertrauen zu dem Gelingen ihrer göttlichen Aufgabe, wenn sie die irdisch-menschlichen Neigungen des Herzens ihrem Ideal zum Opfer bringt, und der Mut, den ihr der vom Himmel gesandte Helm einflößt – das sind die erhabenen Empfindungen, die ihre Seele durchziehen. Sie fühlt sich als ein Werkzeug in der Hand Gottes.

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