HomeInhaltsangabeDer Graf von Habsburg (Ballade)

Friedrich Schiller »Der Graf von Habsburg« – Text, Inhaltsangabe, Interpretation

Bewertung:
(Stimmen: 30 Durchschnitt: 4.2)

Schillers Ballade Der Graf von Habsburg entstand 1803 und gehört zu seinen spätestens lyrischen Arbeiten. Auf den Stoff stieß er bei den Vorarbeiten zu Wilhelm Tell, als er sich mit der Geschichte der Schweiz befasste. Für Schiller eher eigentümlich setzt er hierin ganz auf die christliche Anschauung, dass ein tugendhaftes, gottesfürchtiges Leben noch auf Erden Belohnung findet.

Was dich hier über die Ballade »Der Graf von Habsburg« erwartet

  1. Text des Gedichtes mit Worterklärungen und Verszählung
  2. Entstehung, Schillers Quelle und seine Bearbeitung
  3. Idee und Inhaltsangabe
  4. Aufbau und sprachliche Mittel

Bei den Kommentaren kannst du auch Fragen stellen.

Text der Ballade

Der Graf von Habsburg

 Zu Aachen1 in seiner Kaiserpracht2,
 Im altertümlichen Saale,
 Saß König Rudolfs3 heilige Macht
 Beim festlichen Krönungsmahle.
5Die Speisen trug der Pfalzgraf des Rheins,
 Es schenkte der Böhme des perlenden Weins,
 Und alle die Wähler, die sieben4,
 Wie der Sterne Chor um die Sonne sich stellt,
 Umstanden geschäftig den Herrscher der Welt,
10Die Würde des Amtes zu üben.

 Und rings erfüllte den hohen Balkon
 Das Volk in freudgem Gedränge,
 Laut mischte sich in der Posaunen Ton
 Das jauchzende Rufen der Menge.
15Denn geendigt nach langem verderblichen Streit
 War die kaiserlose, die schreckliche Zeit5,
 Und ein Richter war wieder auf Erden.
 Nicht blind mehr waltet der eiserne Speer,
 Nicht fürchtet der Schwache, der Friedliche mehr,
20Des Mächtigen Beute zu werden.

 Und der Kaiser ergreift den goldnen Pokal
 Und spricht mit zufriedenen Blicken:
 »Wohl glänzet das Fest, wohl pranget das Mahl,
 Mein königlich Herz zu entzücken;
25Doch den Sänger vermiß ich, den Bringer der Lust,
 Der mit süßem Klang mir bewege die Brust
 Und mit göttlich erhabenen Lehren.
 So hab ichs gehalten von Jugend an,
 Und was ich als Ritter gepflegt und getan,
30Nicht will ichs als Kaiser entbehren.«

 Und sieh! in der Fürsten umgebenden Kreis
 Trat der Sänger im langen Talare6,
 Ihm glänzte die Locke silberweiß,
 Gebleicht von der Fülle der Jahre.
35»Süßer Wohllaut schläft in der Saiten Gold,
 Der Sänger singt von der Minne7 Sold,
 Er preiset das Höchste, das Beste,
 Was das Herz sich wünscht, was der Sinn begehrt,
 Doch sage, was ist des Kaisers wert
40An seinem herrlichsten Feste?«

 »Nicht gebieten werd ich dem Sänger«, spricht
 Der Herrscher mit lächelndem Munde,
 »Er steht in des größeren Herren Pflicht,
 Er gehorcht der gebietenden Stunde:
45Wie in den Lüften der Sturmwind saust,
 Man weiß nicht, von wannen er kommt und braust,
 Wie der Quell aus verborgenen Tiefen,
 So des Sängers Lied aus dem Innern schallt
 Und wecket der dunkeln Gefühle Gewalt,
50Die im Herzen wunderbar schliefen.«

 Und der Sänger rasch in die Saiten fällt
 Und beginnt sie mächtig zu schlagen:
 »Aufs Weidwerk hinaus ritt ein edler Held,
 Den flüchtigen Gemsbock zu jagen.
55Ihm folgte der Knapp mit dem Jägergeschoß,
 Und als er auf seinem stattlichen Roß
 In eine Au kommt geritten,
 Ein Glöcklein hört er erklingen fern,
 Ein Priester wars mit dem Leib des Herrn,
60Voran kam der Meßner8 geschritten.

 Und der Graf zur Erde sich neiget hin,
 Das Haupt mit Demut entblößet,
 Zu verehren mit glaubigem Christensinn,
 Was alle Menschen erlöset.
65Ein Bächlein aber rauschte durchs Feld,
 Von des Gießbachs reißenden Fluten geschwellt,
 Das hemmte der Wanderer Tritte,
 Und beiseit legt jener das Sakrament9,
 Von den Füßen zieht er die Schuhe behend,
70Damit er das Bächlein durchschritte.

 ›Was schaffst du?‹ redet der Graf ihn an,
 Der ihn verwundert betrachtet.
 ›Herr, ich walle zu einem sterbenden Mann,
 Der nach der Himmelskost10 schmachtet.
75Und da ich mich nahe des Baches Steg,
 Da hat ihn der strömende Gießbach hinweg
 Im Strudel der Wellen gerissen.
 Drum daß dem Lechzenden werde sein Heil,
 So will ich das Wässerlein jetzt in Eil
80Durchwaten mit nackenden Füßen.‹

 Da setzt ihn der Graf auf sein ritterlich Pferd
 Und reicht ihm die prächtigen Zäume,
 Daß er labe den Kranken, der sein begehrt,
 Und die heilige Pflicht nicht versäume.
85Und er selber auf seines Knappen Tier
 Vergnüget noch weiter des Jagens Begier,
 Der andre die Reise vollführet,
 Und am nächsten Morgen, mit dankendem Blick,
 Da bringt er dem Grafen sein Roß zurück,
90Bescheiden am Zügel geführet.

 ›Nicht wolle das Gott‹, rief mit Demutsinn
 Der Graf, ›daß zum Streiten und Jagen
 Das Roß ich beschritte fürderhin,
 Das meinen Schöpfer getragen!
95Und magst dus nicht haben zu eignem Gewinst,
 So bleib es gewidmet dem göttlichen Dienst,
 Denn ich hab es dem ja gegeben,
 Von dem ich Ehre und irdisches Gut
 Zu Lehen11 trage und Leib und Blut
100Und Seele und Atem und Leben.‹

 ›So mög Euch Gott, der allmächtige Hort,
 Der das Flehen der Schwachen erhöret,
 Zu Ehren Euch bringen hier und dort,
 So wie Ihr jetzt ihn geehret.
105Ihr seid ein mächtiger Graf, bekannt
 Durch ritterlich Walten im Schweizerland12,
 Euch blühn sechs liebliche Töchter13.
 So mögen sie‹, rief er begeistert aus,
 ›Sechs Kronen Euch bringen in Euer Haus
110Und glänzen die spätsten Geschlechter!‹«

 Und mit sinnendem Haupt saß der Kaiser da,
 Als dächt er vergangener Zeiten,
 Jetzt, da er dem Sänger ins Auge sah,
 Da ergreift ihn der Worte Bedeuten.
115Die Züge des Priesters erkennt er schnell
 Und verbirgt der Tränen stürzenden Quell
 In des Mantels purpurnen Falten.
 Und alles blickte den Kaiser an
 Und erkannte den Grafen, der das getan,
120Und verehrte das göttliche Walten.

  1. In Aachen wurde seit 800 die Krönung der Könige im Münster abgehalten.
  2. Potentiell galt die Königswahl auch als Kaiserwahl. Rudolf wurde aber vom Papst nie zum Kaiser des römischen Reiches gekrönt.
  3. Rudolf: Rudolf I. von Habsburg (1218–1291)
  4. Wähler, die sieben: Die Königswahl wurde von sieben Kurfürsten vorgenommen. Zu diesen gehörten weltliche und geistliche Kurfürsten. Bei den letzteren handelt es sich um die Erzbischöfe von Mainz, Köln und Trier. Die weltlichen Kurfürsten begleiteten vier Reichsämter: Erztruchsess (der Pfalzgraf von Rhein), der Erzmundschenk (der König von Böhmen), der Erzkämmerer (der Markgraf von Brandenburg) und der Erzmarschall (der Herzog von Sachsen-Wittenberg).
  5. die kaiserlose … Zeit: Als Interregnum bekannt, handelt es sich in der Geschichte des Heiligen Römischen Reiches um die Periode zwischen der Absetzung Kaiser Friedrichs II. durch Papst Innozenz IV. im Jahre 1245 und der Wahl Rudolfs I. im Jahre 1273. In dieser Zeit wurden Heinrich Raspe, Wilhelm von Holland, Alfons von Kastilien und Richard Cornwall zwar zu Königen gewählt, vermochten aber kaum Herrschergewalt auszuüben.
  6. Talar: Ein Obergewand mit weiten Ärmeln. Auch die Amtstracht und Ausgehkleidung von Geistlichen, jedoch ohne liturgische Bedeutung.
  7. Minne: Im Mittelalter eine spezielle Vorstellung von gegenseitiger gesellschaftlicher Verpflichtung, ehrendem Angedenken und Liebe.
  8. Meßner: Messdiener
  9. Sakrament: gemeint ist hier die Hostie, mit dem das Sakrament gereicht wird. Unter dem Sakrament versteht man im Christentum einen Ritus, mit dem die unsichtbare Wirklichkeit Gottes vergegenwärtigt wird. Eines der Sakramente ist auch die Krankensalbung.
  10. Himmelskost: die Hostie, mit der das Sakrament gereicht wird (das in den Leib Christi verwandelte Brot)
  11. Lehen: das geliehene Gut
  12. Schweizerland: Rudolf wurden von seinem Vater Gebiete in der Schweiz vererbt.
  13. sechs … Töchter: Mathilde, Agnes, Hedwig, Katharina, Jutta und Clementia. Alle wurden standesgemäß verheiratet
Dieser Beitrag besteht aus 4 Seiten: