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Friedrich Schiller »Der Kampf mit dem Drachen« – Text, Inhaltsangabe, Interpretation

Bewertung:
(Stimmen: 38 Durchschnitt: 3.8)

Schiller wollte in seiner Ballade Der Kampf mit dem Drachen die Vereinigung von ritterlicher und christlicher Demut zur Anschauung bringen. Trotz des Verbotes des Ordens-Großmeisters kämpft Ritter Gozon gegen einen gefürchteten Drachen und wird trotz seines heroischen Sieges für diesen Frevel bestraft. Diese längste von Schillers Balladen entstand im August 1798 und war erstmals im Musenalmanach auf das Jahr 1799 zu finden.

Text der Ballade

Der Kampf mit dem Drachen

 Was rennt das Volk, was wälzt sich dort
 Die langen Gassen brausend fort?
 Stürzt Rhodus1 unter Feuers Flammen?
 Es rottet sich im Sturm zusammen,
5Und einen Ritter, hoch zu Roß,
 Gewahr ich aus dem Menschentroß,
 Und hinter ihm, welch Abenteuer!
 Bringt man geschleppt ein Ungeheuer,
 Ein Drache scheint es von Gestalt,
10Mit weitem Krokodilesrachen,
 Und alles blickt verwundert bald
 Den Ritter an und bald den Drachen.

 Und tausend Stimmen werden laut:
 »Das ist der Lindwurm2, kommt und schaut!
15Der Hirt und Herden uns verschlungen,
 Das ist der Held, der ihn bezwungen!
 Viel andre zogen vor ihm aus,
 Zu wagen den gewaltgen Strauß3,
 Doch keinen sah man wiederkehren,
20Den kühnen Ritter soll man ehren!«
 Und nach dem Kloster geht der Zug,
 Wo Sankt Johanns des Täufers Orden4,
 Die Ritter des Spitals, im Flug
 Zu Rate sind versammelt worden5.

25Und vor den edeln Meister tritt
 Der Jüngling mit bescheidnem Schritt,
 Nachdrängt das Volk, mit wildem Rufen,
 Erfüllend des Geländers Stufen.
 Und jener nimmt das Wort und spricht:
30»Ich hab erfüllt die Ritterpflicht,
 Der Drache, der das Land verödet,
 Er liegt von meiner Hand getötet,
 Frei ist dem Wanderer der Weg,
 Der Hirte treibe ins Gefilde,
35Froh walle auf dem Felsensteg
 Der Pilger zu dem Gnadenbilde.«

 Doch strenge blickt der Fürst ihn an
 Und spricht: »Du hast als Held getan,
 Der Mut ists, der den Ritter ehret,
40Du hast den kühnen Geist bewähret.
 Doch sprich! Was ist die erste Pflicht
 Des Ritters, der für Christum ficht,
 Sich schmücket mit des Kreuzes Zeichen6
 Und alle ringsherum erbleichen.
45Doch er, mit edelm Anstand, spricht,
 Indem er sich errötend neiget:
 »Gehorsam ist die erste Pflicht,
 Die ihn des Schmuckes würdig zeiget.«

 »Und diese Pflicht, mein Sohn«, versetzt
50Der Meister, »hast du frech verletzt,
 Den Kampf, den das Gesetz versaget,
 Hast du mit frevlem Mut gewaget!« –
 »Herr, richte, wenn du alles weißt«,
 Spricht jener mit gesetztem Geist,
55»Denn des Gesetzes Sinn und Willen
 Vermeint ich treulich zu erfüllen,
 Nicht unbedachtsam zog ich hin,
 Das Ungeheuer zu bekriegen,
 Durch List und kluggewandten Sinn
60Versucht ichs, in dem Kampf zu siegen.

 Fünf unsers Ordens waren schon,
 Die Zierden der Religion,
 Des kühnen Mutes Opfer worden,
 Da wehrtest du den Kampf dem Orden.
65Doch an dem Herzen nagte mir
 Der Unmut und die Streitbegier,
 Ja selbst im Traum der stillen Nächte
 Fand ich mich keuchend im Gefechte,
 Und wenn der Morgen dämmernd kam
70Und Kunde gab von neuen Plagen,
 Da faßte mich ein wilder Gram,
 Und ich beschloß, es frisch zu wagen.

 Und zu mir selber sprach ich dann:
 Was schmückt den Jüngling, ehrt den Mann,
75Was leisteten die tapfern Helden,
 Von denen uns die Lieder melden?
 Die zu der Götter Glanz und Ruhm
 Erhub das blinde Heidentum?
 Sie reinigten von Ungeheuern
80Die Welt in kühnen Abenteuern,
 Begegneten im Kampf dem Leun7
 Und rangen mit dem Minotauren8,
 Die armen Opfer zu befrein,
 Und ließen sich das Blut nicht dauren.

85Ist nur der Sarazen9 es wert,
 Daß ihn bekämpft des Christen Schwert?
 Bekriegt er nur die falschen Götter?
 Gesandt ist er der Welt zum Retter,
 Von jeder Not und jedem Harm
90Befreien muß sein starker Arm,
 Doch seinen Mut muß Weisheit leiten,
 Und List muß mit der Stärke streiten.
 So sprach ich oft und zog allein,
 Des Raubtiers Fährte zu erkunden,
95Da flößte mir der Geist es ein,
 Froh rief ich aus: Ich habs gefunden!

 Und trat zu dir und sprach dies Wort:
 ›Mich zieht es nach der Heimat fort.‹
 Du, Herr, willfahrtest meinen Bitten,
100Und glücklich war das Meer durchschnitten.
 Kaum stieg ich aus am heimschen Strand,
 Gleich ließ ich durch des Künstlers Hand,
 Getreu den wohlbemerkten Zügen,
 Ein Drachenbild zusammenfügen.
105Auf kurzen Füßen wird die Last
 Des langen Leibes aufgetürmet,
 Ein schuppigt Panzerhemd umfaßt
 Den Rücken, den es furchtbar schirmet.

 Lang strecket sich der Hals hervor,
110Und gräßlich wie ein Höllentor,
 Als schnappt‘ es gierig nach der Beute,
 Eröffnet sich des Rachens Weite,
 Und aus dem schwarzen Schlunde dräun10
 Der Zähne stacheligte Reihn,
115Die Zunge gleicht des Schwertes Spitze,
 Die kleinen Augen sprühen Blitze,
 In einer Schlange endigt sich
 Des Rückens ungeheure Länge,
 Rollt um sich selber fürchterlich,
120Daß es um Mann und Roß sich schlänge.

 Und alles bild ich nach genau
 Und kleid es in ein scheußlich Grau,
 Halb Wurm erschiens, halb Molch und Drache,
 Gezeuget in der giftgen Lache.
125Und als das Bild vollendet war,
 Erwähl ich mir ein Doggenpaar,
 Gewaltig, schnell, von flinken Läufen,
 Gewohnt, den wilden Ur11 zu greifen.
 Die hetz ich auf den Lindwurm an,
130Erhitze sie zu wildem Grimme,
 Zu fassen ihn mit scharfem Zahn,
 Und lenke sie mit meiner Stimme.

 Und wo des Bauches weiches Vlies12
 Den scharfen Bissen Blöße ließ,
135Da reiz ich sie, den Wurm zu packen,
 Die spitzen Zähne einzuhacken.
 Ich selbst, bewaffnet mit Geschoß,
 Besteige mein arabisch Roß,
 Von adeliger Zucht entstammet,
140Und als ich seinen Zorn entflammet,
 Rasch auf den Drachen spreng ichs los
 Und stachl es mit den scharfen Sporen
 Und werfe zielend mein Geschoß,
 Als wollt ich die Gestalt durchbohren.

145Ob auch das Roß sich grauend bäumt
 Und knirscht und in den Zügel schäumt,
 Und meine Doggen ängstlich stöhnen,
 Nicht rast ich, bis sie sich gewöhnen.
 So üb ichs aus mit Emsigkeit,
150Bis dreimal sich der Mond erneut,
 Und als sie jedes recht begriffen,
 Führ ich sie her auf schnellen Schiffen.
 Der dritte Morgen ist es nun,
 Daß mirs gelungen, hier zu landen,
155Den Gliedern gönnt ich kaum zu ruhn,
 Bis ich das große Werk bestanden.

 Denn heiß erregte mir das Herz
 Des Landes frisch erneuter Schmerz,
 Zerissen fand man jüngst die Hirten,
160Die nach dem Sumpfe sich verirrten,
 Und ich beschließe rasch die Tat,
 Nur von dem Herzen nehm ich Rat.
 Flugs unterricht ich meine Knappen,
 Besteige den versuchten Rappen,
165Und von dem edeln Doggenpaar
 Begleitet, auf geheimen Wegen,
 Wo meiner Tat kein Zeuge war,
 Reit ich dem Feinde frisch entgegen.

 Das Kirchlein kennst du, Herr, das hoch
170Auf eines Felsenberges Joch,
 Der weit die Insel überschauet,
 Des Meisters kühner Geist erbauet.
 Verächtlich scheint es, arm und klein,
 Doch ein Mirakel13 schließt es ein,
175Die Mutter mit dem Jesusknaben,
 Den die drei Könige begaben.
 Auf dreimal dreißig Stufen steigt
 Der Pilgrim14 nach der steilen Höhe,
 Doch hat er schwindelnd sie erreicht,
180Erquickt ihn seines Heilands Nähe.

 Tief in den Fels, auf dem es hängt,
 Ist eine Grotte eingesprengt,
 Vom Tau des nahen Moors befeuchtet,
 Wohin des Himmels Strahl nicht leuchtet,
185Hier hausete der Wurm und lag,
 Den Raub erspähend, Nacht und Tag.
 So hielt er wie der Höllendrache
 Am Fuß des Gotteshauses Wache,
 Und kam der Pilgrim hergewallt
190Und lenkte in die Unglücksstraße,
 Hervorbrach aus dem Hinterhalt
 Der Feind und trug ihn fort zum Fraße.

 Den Felsen stieg ich jetzt hinan,
 Eh ich den schweren Strauß begann,
195Hin kniet ich vor dem Christuskinde
 Und reinigte mein Herz von Sünde,
 Drauf gürt ich mir im Heiligtum
 Den blanken Schmuck der Waffen um,
 Bewehre mit dem Spieß die Rechte,
200Und nieder steig ich zum Gefechte.
 Zurücke bleibt der Knappen Troß,
 Ich gebe scheidend die Befehle
 Und schwinge mich behend aufs Roß,
 Und Gott empfehl ich meine Seele.

205Kaum seh ich mich im ebnen Plan,
 Flugs schlagen meine Doggen an,
 Und bang beginnt das Roß zu keuchen
 Und bäumet sich und will nicht weichen,
 Denn nahe liegt, zum Knäul geballt,
210Des Feindes scheußliche Gestalt
 Und sonnet sich auf warmem Grunde.
 Auf jagen ihn die flinken Hunde,
 Doch wenden sie sich pfeilgeschwind,
 Als es den Rachen gähnend teilet
215Und von sich haucht den giftgen Wind
 Und winselnd wie der Schakal heulet.

 Doch schnell erfrisch ich ihren Mut,
 Sie fassen ihren Feind mit Wut,
 Indem ich nach des Tieres Lende
220Aus starker Faust den Speer versende,
 Doch machtlos wie ein dünner Stab
 Prallt er vom Schuppenpanzer ab,
 Und eh ich meinen Wurf erneuet,
 Da bäumet sich mein Roß und scheuet
225An seinem Basiliskenblick15
 Und seines Atems giftgen Wehen,
 Und mit Entsetzen springts zurück,
 Und jetzo wars um mich geschehen –

 Da schwing ich mich behend vom Roß,
230Schnell ist des Schwertes Schneide bloß,
 Doch alle Streiche sind verloren,
 Den Felsenharnisch16 zu durchbohren,
 Und wütend mit des Schweifes Kraft
 Hat es zur Erde mich gerafft,
235Schon seh ich seinen Rachen gähnen,
 Es haut nach mir mit grimmen Zähnen,
 Als meine Hunde wutentbrannt
 An seinen Bauch mit grimmgen Bissen
 Sich warfen, daß es heulend stand,
240Von ungeheurem Schmerz zerrissen.

 Und eh es ihren Bissen sich
 Entwindet, rasch erheb ich mich,
 Erspähe mir des Feindes Blöße
 Und stoße tief ihm ins Gekröse17
245Nachbohrend bis ans Heft den Stahl,
 Schwarzquellend springt des Blutes Strahl,
 Hin sinkt es und begräbt im Falle
 Mich mit des Leibes Riesenballe,
 Daß schnell die Sinne mir vergehn.
250Und als ich neugestärkt erwache,
 Seh ich die Knappen um mich stehn,
 Und tot im Blute liegt der Drache.« –

 Des Beifalls lang gehemmte Lust
 Befreit jetzt aller Hörer Brust,
255Sowie der Ritter dies gesprochen,
 Und zehnfach am Gewölb gebrochen
 Wälzt der vermischten Stimmen Schall
 Sich brausend fort im Widerhall,
 Laut fodern selbst des Ordens Söhne,
260Daß man die Heldenstirne kröne,
 Und dankbar im Triumphgepräng
 Will ihn das Volk dem Volke zeigen,
 Da faltet seine Stirne streng
 Der Meister und gebietet Schweigen.

265Und spricht: »Den Drachen, der dies Land
 Verheert, schlugst du mit tapfrer Hand,
 Ein Gott bist du dem Volke worden,
 Ein Feind kommst du zurück dem Orden,
 Und einen schlimmern Wurm gebar
270Dein Herz, als dieser Drache war.
 Die Schlange, die das Herz vergiftet,
 Die Zwietracht und Verderben stiftet,
 Das ist der widerspenstge Geist,
 Der gegen Zucht sich frech empöret,
275Der Ordnung heilig Band zerreißt,
 Denn der ists, der die Welt zerstöret.

 Mut zeiget auch der Mameluck18,
 Gehorsam ist des Christen Schmuck;
 Denn wo der Herr in seiner Größe
280Gewandelt hat in Knechtes Blöße,
 Da stifteten, auf heilgem Grund,
 Die Väter dieses Ordens Bund,
 Der Pflichten schwerste zu erfüllen:
 Zu bändigen den eignen Willen!
285Dich hat der eitle Ruhm bewegt,
 Drum wende dich aus meinen Blicken,
 Denn wer des Herren Joch nicht trägt,
 Darf sich mit seinem Kreuz nicht schmücken.«

 Da bricht die Menge tobend aus,
290Gewaltger Sturm bewegt das Haus,
 Um Gnade flehen alle Brüder,
 Doch schweigend blickt der Jüngling nieder,
 Still legt er von sich das Gewand
 Und küßt des Meisters strenge Hand
295Und geht. Der folgt ihm mit dem Blicke,
 Dann ruft er liebend ihn zurücke
 Und spricht: »Umarme mich, mein Sohn!
 Dir ist der härtre Kampf gelungen.
 Nimm dieses Kreuz19: es ist der Lohn
300Der Demut, die sich selbst bezwungen.«

  1. Rhodus: Die griech. Insel Rhodos, auf der sich die gleichnamige Stadt befindet. Die Insel war zwischen 1308–1522 im Besitz des Johanniterordens.
  2. Lindwurm: Wird hier von Schiller Synonym mit Drachen bezeichnet. Ein Lindwurm hat aber gewöhnlich einen langen Schwanz, kleine Flügel und kurze Beine, teilweise wird er als Menschenfresser beschrieben.
  3. Strauß: mittelhochdt. f. Zweikampf, Zwist, Gefecht
  4. Der Johanniter-Ordnen
  5. Zu Rate… versammelt: Die Ratsversammlung des Ordens bestand aus dem Großmeister und einem Konvent aus acht Würdenträgern, die den Titel „Großkreuz“ trugen.
  6. des Kreuzes Zeichen: bei den Johannitern ein achtspitziges Kreuz, dessen Arme sich schwalbenschwanzartig nach außen verbreitern, getragen auf Brust und Mantel
  7. Begegneten … den Leun: Eine Anspielung auf einen griech. Mythos, des Herakles‘ Kampf mit dem nemeischen Löwen.
  8. Minotauren: EIn Minotauros ist in der griech. Mythologie ein Mischwesen mit Stierkopf und menschlichem Körper.
  9. Sarazen: In Mittelalter ein Sammelbegriff für die Völker Arabiens.
  10. dräun: mittelhochdt. drohen
  11. Ur: Auerochsse, Urochse
  12. Vlies: Fell
  13. Mirakel: Wunderding
  14. Pilgrim: veraltete Bezeichnung für Pilger
  15. Basilisk: Ein mythischen Tier und als „König der Schlangen“ bezeichnet. Mischwesen einer Schlange mit Hahnenoberkörper. Der Blick eines Basilisken versteinert oder tötet.
  16. Harnisch: Die Rüstung eines Ritters, insbesondere die Panzerung des Oberkörpers. Hier bildhaft für die scheinbar undurchdringliche Haut des Drachens.
  17. Gekröse: die Eingeweide
  18. Mameluck: Mamelukken waren verschiedene islamische Völker in Zentralasien und Osteuropäer, meist türkischer oder kaukasischer Herkunft. Ursprünglich handelte es sich um freigelassene Sklaven in Ägypten und Syrien, die sich in den besagten Gebieten niedergelassen haben.
  19. Kreuz: Bei den Johannitern ein Symbol, das Kraft und Demut miteinander verbindet.
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