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Schiller »Die Bürgschaft« – Text, Inhaltsangabe, Interpretation

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Friedrich Schiller vollendete die Ballade „Die Bürgschaft“ am 30. August 1798. In seinem Musenalmanach für das Jahr 1799 wurde sie erstmals veröffentlicht. In der Ballade stellt Schiller Stärke und Kraft von Freundschaft und Treue dar. Möros, der hingerichtet werden soll, hinterlässt seinen Freund Selinuntius als Bürgen beim Tyrannen Dionysios, um seine Schwester verheiraten zu können. Als Quelle diente ihm die Geschichte von Damon und Phintias, die er in einem Buch des Hyginus Mythographus vorfand.

Die Bürgschaft – Text der Ballade

 Zu Dionys1, dem Tyrannen2, schlich
 Möros, den Dolch im Gewande;
 Ihn schlugen die Häscher3 in Bande.
 „Was wolltest du mit dem Dolche, sprich!“
5Entgegnet ihm finster der Wüterich.
 „Die Stadt vom Tyrannen befreien!“
 „Das sollst du am Kreuze bereuen.“

 „Ich bin“, spricht jener, „zu sterben bereit
 Und bitte nicht um mein Leben,
10Doch willst du Gnade mir geben,
 Ich flehe dich um drei Tage Zeit,
 Bis ich die Schwester dem Gatten gefreit4,
 Ich lasse den Freund dir als Bürgen,
 Ihn magst du, entrinn ich, erwürgen5.“

15Da lächelt der König mit arger List
 Und spricht nach kurzem Bedenken:
 „Drei Tage will ich dir schenken.
 Doch wisse! Wenn sie verstrichen, die Frist,
 Eh‘ du zurück mir gegeben bist,
20So muss er statt deiner erblassen,
 Doch dir ist die Strafe erlassen.“

 Und er kommt zum Freunde: „Der König gebeut6,
 Dass ich am Kreuz mit dem Leben
 Bezahle das frevelnde Streben,
25Doch will er mir gönnen drei Tage Zeit,
 Bis ich die Schwester dem Gatten gefreit,
 So bleib du dem König zum Pfande,
 Bis ich komme, zu lösen die Bande.“

 Und schweigend umarmt ihn der treue Freund
30Und liefert sich aus dem Tyrannen,
 Der andere ziehet von dannen.
 Und ehe das dritte Morgenrot scheint,
 Hat er schnell mit dem Gatten die Schwester vereint,
 Eilt heim mit sorgender Seele,
35Damit er die Frist nicht verfehle.

 Da gießt unendlicher Regen herab,
 Von den Bergen stürzen die Quellen,
 Und die Bäche, die Ströme schwellen.
 Und er kommt ans Ufer mit wanderndem Stab,
40Da reißet die Brücke der Strudel hinab,
 Und donnernd sprengen die Wogen
 Des Gewölbes krachenden Bogen.

 Und trostlos irrt er an Ufers Rand,
 Wie weit er auch spähet und blicket
45Und die Stimme, die rufende, schicket,
 Da stößet kein Nachen7 vom sichern Strand,
 Der ihn setze an das gewünschte Land,
 Kein Schiffer lenket die Fähre,
 Und der wilde Strom wird zum Meere.

50Da sinkt er ans Ufer und weint und fleht,
 Die Hände zum Zeus8 erhoben:
 „O hemme des Stromes Toben!
 Es eilen die Stunden, im Mittag steht
 Die Sonne, und wenn sie niedergeht
55Und ich kann die Stadt nicht erreichen,
 So muss der Freund mir erbleichen.“

 Doch wachsend erneut sich des Stromes Wut,
 Und Welle auf Welle zerrinnet,
 Und Stunde an Stunde entrinnet.
60Da treibt ihn die Angst, da fasst er sich Mut
 Und wirft sich hinein in die brausende Flut
 Und teilt mit gewaltigen Armen
 Den Strom, und ein Gott hat Erbarmen.

 Und gewinnt das Ufer und eilet fort
65Und danket dem rettenden Gotte,
 Da stürzet die raubende Rotte9
 Hervor aus des Waldes nächtlichem Ort,
 Den Pfad ihm sperrend, und schnaubet Mord
 Und hemmet des Wanderers Eile
70Mit drohend geschwungener Keule.

 „Was wollt ihr?“, ruft er für Schrecken bleich,
 „Ich habe nichts als mein Leben,
 Das muss ich dem Könige geben!“
 Und entreißt die Keule dem nächsten gleich:
75„Um des Freundes willen erbarmet euch!“
 Und drei mit gewaltigen Streichen10
 Erlegt er, die andern entweichen.

 Und die Sonne versendet glühenden Brand,
 Und von der unendlichen Mühe
80Ermattet sinken die Kniee.
 „O hast du mich gnädig aus Räubershand,
 Aus dem Strom mich gerettet ans heilige Land11,
 Und soll hier verschmachtend verderben,
 Und der Freund mir, der liebende, sterben!“

85Und horch! da sprudelt es silberhell,
 Ganz nahe, wie rieselndes Rauschen
 Und stille hält er zu lauschen,
 Und sieh, aus dem Felsen, geschwätzig, schnell,
 Springt murmelnd hervor ein lebendiger Quell,
90Und freudig bückt er sich nieder
 Und erfrischet die brennenden Glieder.

 Und die Sonne blickt durch der Zweige Grün
 Und malt auf den glänzenden Matten
 Der Bäume gigantische Schatten;
95Und zwei Wanderer sieht er die Straße ziehn,
 Will eilenden Laufes vorüberfliehn,
 Da hört er die Worte sie sagen:
 „Jetzt wird er ans Kreuz geschlagen.“

 Und die Angst beflügelt den eilenden Fuß,
100Ihn jagen der Sorge Qualen,
 Da schimmern in Abendrots Strahlen
 Von ferne die Zinnen12 von Syrakus,
 Und entgegen kommt ihm Philostratus13,
 Des Hauses redlicher Hüter,
105Der erkennet entsetzt den Gebieter:

 „Zurück! du rettest den Freund nicht mehr,
 So rette das eigene Leben!
 Den Tod erleidet er eben.
 Von Stunde zu Stunde gewartet‘ er
110Mit hoffender Seele der Wiederkehr,
 Ihm konnte den mutigen Glauben
 Der Hohn des Tyrannen nicht rauben.“

 „Und ist es zu spät, und kann ich ihm nicht
 Ein Retter willkommen erscheinen,
115So soll mich der Tod ihm vereinen.
 Des rühme der blutge Tyrann sich nicht,
 Dass der Freund dem Freunde gebrochen die Pflicht,
 Er schlachte der Opfer zweie
 Und glaube an Liebe und Treue.“

120Und die Sonne geht unter, da steht er am Tor14
 Und sieht das Kreuz schon erhöhet,
 Das die Menge gaffend umstehet,
 An dem Seile schon zieht man den Freund empor,
 Da zertrennt er gewaltig den dichten Chor15:
125„Mich, Henker“, ruft er, „erwürget!
 Da bin ich, für den er gebürget!“

 Und Erstaunen ergreifet das Volk umher,
 In den Armen liegen sich beide
 Und weinen vor Schmerzen und Freude.
130Da sieht man kein Auge tränenleer,
 Und zum Könige bringt man die Wundermär16,
 Der fühlt ein menschliches Rühren,
 Lässt schnell vor den Thron sie führen.

 Und blicket sie lange verwundert an.
135Drauf spricht er: „Es ist euch gelungen,
 Ihr habt das Herz mir bezwungen,
 Und die Treue, sie ist doch kein leerer Wahn,
 So nehmet auch mich zum Genossen an
 Ich sei, gewährt mir die Bitte,
140In eurem Bunde der Dritte.“

  1. Dionys: In den Quellen des Stoffes wird von Dionysios I. bzw. von seinem Sohn Dionysios II. gesprochen.
  2. Tyrann: In der griechischen Antike wird ab dem 5. Jahrhundert v. Chr. mit einer Tyrannis eine unrechtmäßig erworbene, despotische Form von Alleinherrschaft bezeichnet. Der Tyrann ist demnach ein absoluter Herrscher, wobei Gesetz und Ordnung dem persönlichen Willen des Herrschers unterliegen. Ursprünglich bezeichnet der Begriff tyrannos allgemein und ohne (negative) Wertung einen Alleinherrscher.
  3. Häscher: Personen, die in amtlichem Auftrag jemanden verfolgen und ergreifen, Gerichtsdiener
  4. gefreit: Freien steht ursprünglich für die Werbung um andere, hier ist aber verheiraten gemeint.
  5. erwürgen: allgemein töten
  6. gebeut: ist eine Beugungsform (auch Flexion genannt) von gebieten, er gebot bzw. er befahl
  7. Nachen: kleines Boot, ein Einbaum
  8. Zeus: ist in der griechischen Mythologie der Herrscher des Olymp und gebietet über alle anderen Götter.
  9. Rotte: bezeichnet früher eine Reihe von hintereinanderstehenden Soldaten. Die Räuber stürzen also nacheinander auf Möros zu.
  10. Streichen: Schläge
  11. heilige: gemeint ist das Heil bringende Land, das rettende Land
  12. Zinnen: Auf den Wehrmauern von Burgen sind oft gemauerte Aufsätze zu finden, die etwa mannshoch waren und sich mit Schießscharten abwechselten. Diese Aufsätze werden als Zinnen bezeichnet. Soldaten konnten sich hier vor Schüssen der Feinde sicher verbergen.
  13. Philostratus: der Name ist von Schiller wahrscheinich frei erfunden
  14. am Tor: Hier befand sich auch im Allgemeinen die Hinrichtungsstätten. Am Stadttor wurden öffentliche Angelegenheiten verhandelt.
  15. Chor: auch Kreis, Reigen
  16. Wundermär: Wundergeschichte
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Kommentare

  1. Ist der tyrann der König? Wer ist der freund von dem Mörus, das steht ganz am anfang von der Inhaltsangabe.

  2. Die Bürgschaft – ein Lieblingsthema von mir 🙂

    Meine Frage –

    Da spricht derjenige der der versuchten Tat überführt wurde, sei es, dass man ihn Mörus oder Damon nennt, wie folgt:

    „…Ich flehe dich um drei Tage Zeit, 
    Bis ich die Schwester dem Gatten gefreit….“

    Nun, was ist so wichtig, dass der Genannte bei der Verheiratung seiner Schwester zugegen sein muss? Das dürfte ja so wichtig gewesen sein, dass sogar der König, zwar mit List, ihm dies dann auch gewährte!

    1. Möros war offenbar das Familienoberhaupt seiner Sippe und damit auch für das Wohlergehen ihrer weiblichen Mitglieder (Schwestern) verantwortlich. Im Zuge dessen hatte er sie „freiend“ „unter die Haube“ zu bringen um ihr Leben zu sichern. Das schien offenbar auch dem Tyrannen Gesetz zu sein…. sagt mir mein gesunder Menschenverstand.

    1. Der Name taucht gleich im 2. Vers auf. Man beachte aber verschiedene Versionen der Ballade. In der ersten Version geht es um Möros und Freund, in der späteren Fassung Schillers spricht er von Damon und Freund. An und für sich geht es um die gleichen Quellen. Man beachte bitte hierzu die Angaben zu Schillers Quellen und zur Entstehungsgeschichte der Ballade.

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