Charakterisierung des Burleigh, Zeichnung von Arthur von Ramberg

Burleigh, Charakter aus dem Schiller-Drama Maria Stuart, Zeichnung von Arthur von Ramberg, 1859

Burleigh, Charakter aus dem Schiller-Drama Maria Stuart, Zeichnung von Arthur von Ramberg, 1859

Charakterisierung des Burleigh

aus der „Schiller-Galerie“, 1859



Wenn man Staatsmänner richtig würdigen will, so darf man ihr Tun nicht vom privatrechtlichen Standpunkt aus betrachten. Man muss sich die Zeit und die Umstände, unter denen sie handeln, vor allen Dingen vergegenwärtigen. So sehen wir Burleigh inmitten der heftigsten bürgerlichen Kämpfe auftreten, es ist ihm und der Königin endlich gelungen, dem Reiche eine bisher unbekannte Größe, Macht und wenigstens äußern Frieden zu verschaffen, das alles wird aber fortwährend durch die Existenz der gefährlichen Prätendentin in Frage gestellt.

Ist in Schillers Tragödie bei den beiden Frauen fast ausschließlich bloß die weibliche Natur hervorgehoben, die unversöhnliche Gegnerschaft zweier Nebenbuhlerinnen, die sich nicht nur einen Thron, sondern auch nicht minder das Herz eines geliebten Mannes bestreiten, so sehen wir im Lord-Großschatzmeister den kalten Repräsentanten der Staatsraison, den unerschütterlichen Vertreter der protestantischen Partei. Der Eindruck einer gewissen Herzlosigkeit ist bei diesem einseitigen Hervorkehren bloß verständiger Erwägung unvermeidlich, Schiller hat ihn noch durch juridische Arglist geschärft: Burleigh hasst in Maria die Papistin, in Leicester den Günstling der Königin. Er ist vollkommen gleichgültig in der Wahl der Mittel, wenn er nur den Zweck erreicht, ganz wie Mortimer auf der katholischen Seite. Wenn er daher scheinbar die großen Prinzipien des Rechts festhält, das gegen jedermann ohne Ansehen der Person geltend gemacht werden müsse:

Wie ständ’ es um die Sicherheit der Staaten,
Wenn das gerechte Schwert der Themis nicht
Die schuld’ge Stirn des königlichen Gastes
Erreichen könnte, wie des Bettlers Haupt? —

so zeichnet doch Maria sowohl ihn als seine Art richtig, wenn sie ihm verwirft, dass ihm der Nutzen über die Gerechtigkeit gehe.
Er treibt es kalten Blutes bis zum Justizmord an Maria, ja er möchte sogar, bloß um der Ruhestörerin los zu sein, Paulet zum Meuchler an ihr machen:

Sie trotzt uns — wird uns trotzen, Ritter Paulet. …
Das Richterschwert, womit der Mann sich ziert,
Verhasst ist’s in der Frauen Hand. Die Welt
Glaubt. nicht an die Gerechtigkeit des Weibes,
Sobald ein Weib das Opfer wird. Umsonst,
Dass wir, die Richter, nach Gewissen sprachen!
Sie hat der Gnade königliches Recht,
Sie muss es brauchen; unerträglich ist’s,
Wenn sie den strengen Lauf lasst dem Gesetze! …
Also soll sie leben? Nein!
Sie darf nicht leben! Nimmermehr! Dies, eben
Dies ist’s, was unsre Königin beängstigt.
Wohl ständ’s zu ändern, meint die Königin,
Wenn sie nur aufmerksamre Diener hätte. …
Die, wenn man ihnen eine gift’ge Schlange
Zu hüten gab, den anvertrauten Feind
Nicht wie ein heilig theures Kleinod hüten.

Es hat etwas, was uns an des alten Cato „Ceterum censeo“ erinnert, wenn wir den starren Mann mit furchtbarer Beharrlichkeit beständig wieder auf die Forderung des Todes der schottischen Königin zurückkommen sehen:

Es fordert
Das Haupt der Stuart. — Wenn du deinem Volk
Der Freiheit köstliches Geschenk, das theuer
Erworbne Licht der Wahrheit willst versichern,
So muss sie nicht mehr sein. — Wenn wir nicht ewig
Für dein kostbares Leben zittern sollen,
So muss die Feindin untergehn! …
Kein Friede ist mit ihr und ihrem Stamm!
Du musst den Streich erleiden oder führen.
Ihr Leben ist dein Tod, ihr Tod dein Leben! —

wenn er alles, was die Erreichung dieses Ziels hindern könnte, aus dem Wege zu räumen sucht, wie den Besuch Elisabeths bei Maria:

Die Gunst des königlichen Angesichts
Hat sie verwirkt, die Mordanstifterin,
Die nach dem Blut der Königin gedürstet.
Wer’s treu mit seiner Fürstin meint, der kann
Den falsch verrätherischen Rath nicht geben. …
Sie ist verurtheilt! Unterm Beile liegt
Ihr Haupt. Unwürdig ist’s der Majestät,
Das Haupt zu sehen, das dem Tod geweiht ist.
Das Urtheil kann nicht mehr vollzogen werden,
Wenn sich die Königin ihr genahet hat,
Denn Gnade bringt die königliche Nahe —

wenn er endlich nach dem unglücklichen Ausfall der Zusammenkunft und dem Mordversuch auf die Königin die Gelegenheit gekommen glaubt, um sie zur Vollziehung des Urteils zu vermögen, die Ausfertigung mit größter Eile besorgt, um von Elisabeths leidenschaftlicher Erregung Nutzen zu ziehen. Der entschlossene Charakter zeigt sich am meisten in den Szenen mit dem französischen Gesandten, mit Leicester, dessen Ranke er bald durchschaut, den er mit schneidendem Hohn überschüttet, mit kalter Bosheit zwingt, Maria selbst zum Tode zu führen:

Graf! Dieser Mortimer starb Euch sehr gelegen. …
Da es Mylord so treu und ernstlich meint,
So trag‘ ich darauf an, dass die Vollstreckung
Des Richterspruchs ihm übertragen werde.

Die ganze Überlegenheit der Logik des Staatsmanns zeigt sich bei ihm, den übrigen, die bloß von ihren Privatleidenschaften getrieben werden, gegenüber, als Elisabeth zögert, das Todesurteil zu unterschreiben. Von dem Augenblick an, da er ihr sagt:

Gehorche
Der Stimme des Volks, sie ist die Stimme Gottes —

da er Shrewsburys Einwendung, dass die Königin in dieser Stimmung nicht richten dürfe, beseitigt:

Gerichtet ist schon längst. Hier ist kein Urtheil
Zu fällen, zu vollziehen ist’s —

bis dahin, wo er mit Freimut und einer Heftigkeit, wie sie nur das Bewusstsein, der Vertreter eines Prinzips zu sein, geben kann, der Königin ihre Pflicht verhalt:

Erwarte, zögre, säume, bis das Reich
In Flammen steht, bis es der Feindin endlich
Gelingt, den Mordstreich wirklich zu vollfuhren.
Dreimal hat ihn ein Gott von dir entfernt;
Heut’ hat er nahe dich berührt: noch einmal
Ein Wunder hoffen, hiesse Gott versuchen. …
— Du sagst, du liebst dein Volk, mehr als dich selbst,
Das zeige jetzt! Erwähle nicht den Frieden
Für dich und überlass das Reich den Stürmen.
— Denk’ an die Kirche! Soll mit dieser Stuart
Der alte Aberglaube wiederkehren?
Der Mönch aufs neu’ hier herrschen, der Legat
Aus Rom gezogen kommen, unsre Kirchen
Verschliessen, unsre Könige entthronen? …
Des Volkes Wohlfahrt ist die höchste Pflicht;
Hat Shrewsbury das Leben dir gerettet,
So will ich England retten — das ist mehr! —

und mit denen er die Achtung wiedergewinnt, Welche seine anscheinende Herzlosigkeit ihm entzogen, da wir nun sehen, dass, wenn ihm an den Personen nichts liegt, doch das Wohl des Vaterlandes der höchste und letzte Grund all seiner Handlungen ist. Diese höhere Pflicht lässt ihm die starre, unbeugsame Haltung noch, als er das Todesurteil] zum Vollzug bringt, in welchem Moment ihn der Künstler, Marias letzte Wünsche vernehmend, aufgefasst hat.