Charakterisierung des Leicester, Zeichnung von Arthur von Ramberg

Leicester, Charakter aus dem Schiller-Drama Maria Stuart, Zeichnung von Arthur von Ramberg, 1859

Leicester, Charakter aus dem Schiller-Drama Maria Stuart, Zeichnung von Arthur von Ramberg, 1859

Charakterisierung des Leicester

aus der „Schiller-Galerie“, 1859



Gerade hochbegabte, machtvolle Frauen schenken — es ist das eine alte Erfahrung — gewöhnlich sehr unwürdigen Männern ihre Gunst und lassen sich lediglich durch den sinnlichen Reiz einer schönen Persönlichkeit blenden; insofern ist es gewiss ein feiner, psychologisch durchaus richtiger Zug, dass Schiller den Geliebten der beiden großen Königinnen als einen Unwürdigen schildert; dass er ihn dagegen mit solcher übermäßigen — Erbärmlichkeit ausstattet, wie er sie in keinem andern Stück irgendeiner Figur mehr zu Teil werden lässt, das beeinträchtigt fast die tragische Wirkung, da wohl Abscheu, keineswegs aber Ekel in den Kreis der Empfindungen gehört, die die Tragödie erregen soll.

Die Einwirkung Goethe’scher Figuren, wie des Clavigo, Weisslingen und anderer scheint hier unverkennbar; aber Goethe wusste diese Charaktere mit einer gewissen verführerischen Liebenswürdigkeit zu umkleiden, die nur aus Schwäche perfid wird und keineswegs bewusst, mit Absicht, während Lord Leicester perfid ist ohne alle und jede Entschuldigung und uns nicht einmal durch seinen Tod, wie Clavigo und Weisslingen, versöhnt, sondern durch seine Flucht „zu Schilf nach Frankreich“ der Niedrigkeit die Krone aufsetzt.

Sehen wir zu, was an ihm etwa zu loben sein möchte, um die Zärtlichkeit der beiden Königinnen für ihn zu erklären.

Das erste, was wir über ihn erfahren, ist, dass Elisabeths Günstling und Marias Geliebter bei Gericht ohne Bedenken für den Tod der letztern gestimmt hat, dann aber, als Elisabeth Neigung zeigt den französischen Werbungen. Gehör zu geben, auch diese sofort verrat, indem er den Vollzug des Urteils aufzuschieben sucht. Er macht hier jenen feinen Unterschied zwischen den Pflichten des Richters und des Politikers:

Wahr ist’s, ich habe selber meine Stimme
Zu ihrem Tod gegeben im Gericht.
— Im Staatsrath sprech’ ich anders —

der wenigstens für seinen Scharfsinn, seine Gewandtheit und Geistesgegenwart spricht. Von diesen gibt er sofort eine weitere Probe, als sich Maria eine Zusammenkunft mit Elisabeth erbittet, und Burleigh letzterer davon abrät. Da weiß er gleich Elisabeth an der schwachen Seite zu fassen:

Lasst uns in unsern Schranken bleiben, Lords.
Die Königin ist weise, sie bedarf
Nicht unsers Raths, das Würdigste zu wählen.

So sagt man immer zu den Fürsten, wenn man sie zu einem dummen Streiche treiben möchte, und ein ehrlicher Mann davon abrät!
Wie er eigentlich zu beiden Königinnen steht, bekennt er mit zynischer Offenheit vor Mortimer:

Ihr seid verwundert, Sir, dass ich so schnell
Das Herz geändert gegen die Maria.
Zwar in der That hasst’ ich sie nie. …
Mein Ehrgeiz war es, der mich gegen Jugend
Und Schönheit fühllos machte. Damals hielt ich
Mariens Hand für mich zu klein: ich hoffte
Auf den Besitz der Königin von England. …
Und nun, nach zehn
Verlornen Jahren unverdrossnen Werbens,
Verhassten Zwangs — o Sir, mein Herz geht auf! — …
Täuscht mich am Ziel der Preis! Ein andrer kommt,
Die Frucht des theuern Werbens mir zu rauben. …
So stürzen meine Hoffnungen. — Ich suche
In diesem Schiffbruch meines Glücks ein Bret
Zu fassen — und mein Auge wendet sich
Der ersten schönen Hoffnung wieder zu.

Ein liebenswürdigeres Geständnis kann man doch schwerlich machen, und man begreift nur nicht recht, wie Mortimer nach demselben noch einen Schritt weiter in seinem Vertrauen gehen mag!

Eine tiefe Kenntnis des weiblichen Herzens lässt sich dem aalglatten Lord freilich um -so weniger absprechen; die geistreichste Frau hört doch noch lieber ihre Haut als ihr Gehirn preisen, und so lässt sich denn auch Elisabeth, da sie ihn eben mit Mortimer ertappt, beschwichtigen, als er schnell besonnen seine Verblüfftheit durch den Glanz ihrer Schönheit, der ihn geblendet, motiviert. Dieser einzige Zug Würde genügen, um Schiller von dem Vorwurf zu reinigen, dass er das Weibliche Herz nicht gekannt habe!

Allen Menschen, ganz besonders aber den notorisch geistreichen gegenüber muss man, wenn man einmal überhaupt lügt, nicht wenig, sondern recht dick lügen; denn wenig merken sie viel eher. Wenn es aber sehr arg ist, so denken sie, es müsse doch etwas dran sein, da man ihrem bekannten Verstande gegenüber so viel nicht Wagen würde! Man hat dabei nur die Vorsicht zu gebrauchen, dass die Lüge das zum Inhalt hat, was sie sehr fürchten oder sehr wünschen. So sagt denn diesem Rezept getreu Leicester zu Elisabeth:

Ich liebe dich. Warst du die ärmste Hirtin,
Ich als der grösste Fürst der Welt geboren,
Zu deinem Stand würd’ ich heruntersteigen,
Mein Diadem zu deinen Füssen legen. …
Ich stellte
Dich in Gedanken neben die Maria.
— Die Freude wünscht’ ich mir, ich berg’ es nicht,
Wenn es ganz insgeheim geschehen könnte,
Der Stuart gegenüber dich zu sehn!
Dann solltest du erst deines ganzen Siegs
Geniessen! Die Bescbämung gönnt’ ich ihr,
Dass sie mit eignen Augen — denn der Neid
Hat scharfe Augen — überzeugt sich sähe,
Wie sehr sie auch an Adel der Gestalt
Von dir besiegt wird, der sie so unendlich
In jeder andern würd’gen Tugend weicht —

was zwar einen recht originellen Kontrast bildet mit dem, was er eben gegen Mortimer geäußert, doch aber seine Wirkung nicht verfehlt.
Die Unterredung hat das bekannte Resultat und Leicester sieht sich von Burleigh durchschaut; da opfert er, um sein Benehmen zu krönen, mit rascher Hinterlist den, der ihn edelmütig retten wollte, Mortimer, — ja er setzt der Verräterei die Krone auf, indem er auf die Vollstreckung des Todesurteils gegen Maria jetzt selber dringt.

Hier trifft ihn aber das Schicksal durch des Gegners Burleigh Vorschlag:

Da es Mylord so treu und ernstlich meint,
So trag’ ich darauf an, dass die Vollstreckung
Des Richterspruchs ihm übertragen werde.

Die Nerven des weichlichen Grafen waren stark genug den Verrat zu begehen, — sein Resultat mitanzusehen reichen sie nicht aus. Maria, indem sie ihm sagt:

Ihr haltet Wort, Graf Lester’ — Ihr verspracht
Mir Euern Arm, aus diesem Kerker mich
Zu führen, und Ihr leihet mir ihn jetzt! —

vernichtet ihn so mit Recht. In diesem Moment hat ihn der Künstler aufgefasst. Zwar macht der Lord noch einen Versuch sich zusammenzuraffen:

Willst du den Preis der Schandthat nicht verlieren,
Dreist musst du sie behaupten und vollführen!
Verstumme, Mitleid! Augen, werdet Stein!
Ich seh’ sie fallen, ich will Zeuge sein —

aber die Schauer des Gewissens erlauben es ihm nicht, und er bricht zusammen. Es ist sein Verhängnis, dass seine Besserung dieselbe Wirkung haben muss, wie sein Verbrechen: nachdem er durch seine Doppelzüngigkeit Maria verraten — verrät er durch seine Reue Elisabeth!
Das Eigentümliche aller innerlich niederträchtigen Naturen ist, dass sie zwar allenfalls ihre Verbrechen bereuen, sich doch aber ihrer Wirkung möglichst zu entziehen suchen, anstatt sich freiwillig zur Sühne, anzubieten. So endet denn mit seiner Flucht auch Leicester, wie er im ganzen Stück war: — erbärmlich.