Charakterisierung der Maria Stuart, Zeichnung von Arthur von Ramberg

Maria Stuart, Charakter aus dem Schiller-Drama Maria Stuart, Zeichnung von Arthur von Ramberg, 1859

Maria Stuart, Charakter aus dem Schiller-Drama Maria Stuart, Zeichnung von Arthur von Ramberg, 1859

Charakterisierung der Maria Stuart

aus der „Schiller-Galerie“, 1859



Die schottische Königin hat es dem goldenen Zauberschleier der Poesie zu verdanken, den unser Schiller ihr um das reizende Haupt gewoben‚ wenn ihr Andenken mit aller Glorie des Unglücks und eines heroischen Todes vor uns steht. Der Dichter bringt in ihr die eigenste Natur des Weibes mehr zum Vorschein als in irgendeinem andern seiner Stücke. Indem er ihr außer den gewöhnlichen Schwächen des Geschlechts auch noch eine gewisse Unbändigkeit beilegte‚ so erhöhte er gerade ihre Wirkung auf andere, indem er ihr gleichzeitig das Geschenk einer wunderbaren Schönheit und Anmut des Geistes wie des Körpers verlieh, die alles dämonisch an sich zieht, während er auf ihre glückliche Nebenbuhlerin alle Schuld eines bösen Gemüts, alle Schmach eines zweideutigen Charakters, ohne irgendeinen versöhnenden Zug — sicherlich nicht .mit Recht — häuft.

In solchem Masse hat der Dichter den Zauber dieser Holdseligkeit über die Unglückliche ausgegossen‚ sie durchdringt und verschönt alles so sehr, was sie sagt und tut, dass sie uns als das Ideal eines schwachen Weibes nur um so verführerischer erscheint, während er die leiseste Spur der gleichen Gabe der mehr männlichen Seele der Gegnerin versagt, und dadurch uns selbst besticht, mit ihm Partei für die schöne Unglückliche zu ergreifen ; denn wer ließe sich nicht lieber von dem Reiz der Sinne betören, als von dem trockenen Verstande leiten?

Hat seine Darstellung also Licht und Schatten zwischen den beiden Feindinnen sicherlich nicht mit historischer Gerechtigkeit verteilt, so verschweigt er ‚uns doch die Schuld Mamas nicht, ja gleich im Eingang malt er uns dieselbe. Marias Amme selbst sagt von dem Verhältnis der Königin zu Bothwell:

Ihr hattet
Kein Ohr mehr für der Freundin Warnungsstimme,
Kein Aug’ für das, was wohlanständig war.
Verlassen hatte Euch die zarte Scheu
Der Menschen; Eure Wangen, sonst der Sitz
Schamhaft erröthender Bescheidenheit,
Sie glühten nur vom Feuer des Verlangens.

Aber während über die doppelte Schuld Marias leicht und in ein paar Zeilen weggegangen wird, sehen wir von da an nur Marias Reue und Würde, nur die rohe Tyrannei, die sie misshandelt, wir sehen nur das Unrecht, das ihr geschieht, wie wir ihren entschlossenen Muth bewundern, wenn sie gegen Burleigh sich verteidigt.

Hat sie durch diese glänzende Verteidigung unser Herz gewonnen, so bezaubert uns die unglücklich Leidende vollends in der Scene, da sie den Spaziergang im Park macht, wo der rührendste Glanz der Poesie im reichsten Masse über sie ausgegossen ist; oder wem schnürt es nicht das Herz zusammen, wenn wir die unglückliche Frau aus dem dumpfen Gefängnis, das sie seit Monden umschlossen, zum, ersten mal wieder heraustreten sehen, und sie ihre Hoffnung, ihr Entzücken in den Worten malt:

Lass mich der neuen Freiheit geniessen,
Lass mich ein Kind sein — sei es mit . …
Bin ich dem finstern Gefängniss entstiegen?
Hält sie mich nicht mehr, die traurige Gruft?
Lass mich in vollen, in durstigen Zügen
Trinken die freie, die himmlische Luft. …
Eilende Wolken, Segler der Lüfte!
Wer mit euch wanderte, mit euch schiffte!
Grüsset mir freundlich mein Jugendland!

Glauben wir da nicht das Klopfen des Herzens zu hören, das Ringen der Hände, die Tränen der anmutreichen Frau zu sehen?
Der Künstler konnte schwerlich einen günstigem Augenblick für seine Darstellung wählen als diese Scene, die kein Auge trocken, die nur mehr an die Qual des süßen Geschöpfes denken, all seine Schuld vergessen lässt. — Selbst wenn ihr weiblicher Zorn von neuem auf flammt, als sie das Nahen der Peinigerin hört:

Nichts lebt in mir in diesem Augenblick,
Als meiner Leiden brennendes Gefühl.
In blut’gen Hass gewendet wider sie
Ist mir das Herz —

so fühlen wir es mit, so gut als wenn ihr ahnt, dass daraus nichts Gutes entstehen kann, da. sie selbst weit entfernt ist, vergeben zu haben. Ja, dass noch der ganze unbeugsame Stolz der Königin in ihr lebt, wenn sie sagt:

Der Himmel hat für Euch entschieden, Schwester!
Gekrönt vom Sieg ist Euer glücklich Haupt:
Die Gottheit bet’ ich an, die Euch erhöhte! —

finden wir ebenso erklärlich, als dass sie, wenn das Weib in ihr aufs tiefste beleidigt wird, glühend auffahrt:

Ich habe menschlich, jugendlich gefehlt,
Die Macht verführte mich, ich hab’ es nicht
Verheimlicht und verborgen. …
Weh‘ Euch, wenn sie von Euern Thaten einst
Den Ehrenmantel zieht, womit Ihr gleissend
Die wilde Glut verstohlner Lüste deckt. …
— Regierte Recht, so läget Ihr vor mir
Im Staube jetzt: denn ich bin Euer König.

Hier aber bricht das Dämonische ihrer Natur noch einmal heraus, unsere schöne Königin fühlt zunächst nichts als die Befriedigung, den Sieg davongetragen zu haben in diesem weiblichen Zungenduell:

O wie mir wohl ist, Hanna! Endlich, endlich,
Nach Jahren der Erniedrigung, der Leiden,
Ein Augenblick der Rache, des Triumphs!
Wie Bergeslasten fällt’s von meinem Herzen,
Das Messer stiess ich in der Feindin Brust.

Dieser Triumph führt sofort die schwerste Strafe herbei, die ihr werden konnte. Durch Mortimer wird ihr bewiesen, dass die Feindin Elisabeth eigentlich recht hat, da sie selbst in den Augen eines Freundes und Anhängers ebenso tief steht, als in denen der Gegnerin, wenn sie von ihm erfährt, dass dieser vermeintliche Sieg nichts als die wildeste Sinnlichkeit wecken konnte:

Du hast gesiegt! Du tratst sie in den Staub! …
Wie dich der edle königliche Zorn
Umglänzte, deine Reize mir verklärte!
Du bist das schönste Weib auf dieser Erde!

Ja, als sie ihm abwehrend sagt:

Mein Unglück sollt’ Euch heilig sein, mein Leiden,
Wenn es mein königliches Haupt nicht ist —

hat er keine andere Erwiderung als:

Du bist nicht gefühllos;
Nicht kalter Strenge klagt die Welt dich an;
Dich kann die heisse Liebesbitte rühren,
Du hast den Sänger Rizzio beglückt,
Und jener Bothwell durfte dich entführen.

Gewiss die tiefste Demütigung, die ihr werden konnte.

Es ist ein eigentümlicher Zug der Frauennatur, wenn sie den Muth des Handelns verloren hat, doch den des Leidens zu behalten. Darin übertrifft die schwächste Frau den stärksten Mann, und auch Maria findet ihre ganze Frauenreinheit und königliche Wurde wieder, als jede Hoffnung ihr entschwunden, keine Aussicht ihr mehr geblieben ist als die auf das Schafott. Von diesem Augenblick an sehen wir nur edle und rührende Züge von ihr, ob sie nun den Schmerz des alten Ritters über den Verlust des Neffen teile, ihre Frauen tröste, und die klarste, ruhigste Einsicht in ihre Fehler bei der Beichte zeige:

Von neid’schem Hasse war mein Herz erfüllt,
Und Rachgedanken tobten in dem Busen. …
Ach, nicht durch Hass allein, durch sünd’ge Liebe
Noch mehr hab’ ich das höchste Gut beleidigt —

oder von Leicester Abschied nehme:

Ihr durftet werben um zwei Königinnen:
Ein zärtlich liebend Herz habt Ihr verschmäht,
Verrathen, um ein stolzes zu gewinnen —

es verlässt sie so wenig mehr ihre ruhig resignierte Hoheit als unsere wachsende tiefe Teilnahme.