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Siebenter Brief

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Posa empfand es recht gut, wie viel seinem Freunde Carlos dadurch entzogen worden, daß er den König zum Vertrauten seiner Lieblingsgefühle gemacht und einen Versuch auf dessen Herz gethan hatte. Eben weil er fühlte, daß diese Lieblingsgefühle das eigentliche Band ihrer Freundschaft waren, so wußte er auch nicht anders, als daß er diese in eben dem Augenblicke gebrochen hatte, wo er jene bei dem Könige profanierte. Das wußte Carlos nicht, aber Posa wußte es recht gut, daß diese Philosophie und diese Entwürfe für die Zukunft das heilige Palladium ihrer Freundschaft und der wichtige Titel waren, unter welchem Carlos sein Herz besaß; eben weil er das wußte und im Herzen voraussetzte, daß es auch Karln nicht unbekannt sein könnte – wie konnte er es wagen, ihm zu bekennen, daß er dieses Palladium veruntreut hätte? Ihm gestehen, was zwischen ihm und dem König vorgegangen war, mußte in seinen Gedanken eben so viel heißen, als ihm ankündigen, daß es eine Zeit gegeben, wo er ihm nichts mehr war. Hatte aber Carlos‘ künftiger Beruf zum Throne, hatte der Königssohn keinen Antheil an dieser Freundschaft, war sie etwas vor sich Bestehendes und durchaus nur Persönliches, so konnte sie durch jene Vertraulichkeit gegen den König zwar beleidigt, aber nicht verrathen, nicht zerrissen worden sein; so konnte dieser zufällige Umstand ihrem Wesen nichts anhaben. Es war Delicatesse, es war Mitleid, daß Posa, der Weltbürger, dem künftigen Monarchen die Erwartungen verschwieg, die er auf den jetzigen gegründet hatte; aber Posa, Carlos‘ Freund, konnte sich durch nichts schwerer vergehen als durch diese Zurückhaltung selbst.

Zwar sind die Gründe, welche Posa sowohl sich selbst, als nachher seinem Freunde, von dieser Zurückhaltung, der einzigen Quelle aller nachfolgenden Verwirrungen, angibt, von ganz andrer Art. 4. Akt, 6. Auftritt.

»Der König glaubte dem Gefäß, dem er
»Sein heiliges Geheimniß übergeben,
»Und Glauben fordert Dankbarkeit. Was wäre
»Geschwätzigkeit, wenn mein Verstummen dir
»Nicht Leiden bringt? vielleicht erspart? – Warum
»Dem Schlafenden die Wetterwolke zeigen,
»Die über seiner Scheitel hängt?«

Und in der dritten Scene des fünften Akts.

»– – Doch ich, von falscher Zärtlichkeit bestochen,
»Von stolzem Wahn geblendet, ohne dich
»Das Wagestück zu enden, unterschlage
»Der Freundschaft mein gefährliches Geheimniß.«

Aber Jedem, der nur wenige Blicke in das Menschenherz gethan, wird es einleuchten, daß sich der Marquis mit diesen eben angeführten Gründen (die an sich selbst bei weitem zu schwach sind, um einen so wichtigen Schritt zu motivieren) nur selbst zu hintergehen sucht – weil er sich die eigentliche Ursache nicht zu gestehen wagt. Einen weit wahreren Aufschluß über den damaligen Zustand seines Gemüths gibt eine andere Stelle, woraus deutlich erhellt, daß es Augenblicke müsse gegeben haben, in denen er mit sich zu Rathe ging, ob er seinen Freund nicht geradezu aufopfern sollte? Es stand bei mir, sagt er zu der Königin,

»– einen neuen Morgen
»Herauszuführen über diese Reiche.
»Der König schenkte mir sein Herz. Er nannte
»Mich seinen Sohn. Ich führe seine Siegel,
»Und seine Alba sind nicht mehr« u. s. f.»Doch geb‘ ich
»Den König auf. In diesem starren Boden
»Blüht keine meiner Rosen mehr. Das waren
»Nur Gaukelspiele kindischer Vernunft,
»Vom reifen Manne schamroth widerrufen.
Den nahen hoffnungsvollen Lenz sollt‘ ich
Vertilgen, einen lauen Sonnenblick
»Im Norden zu erkünsteln? Eines müden
»Tyrannen letzten Ruthenstreich zu mildern,
»Die große Freiheit des Jahrhunderts wagen?
»Elender Ruhm! Ich mag ihn nicht. Europens
»Verhängniß reift in meinem großen Freunde.
»Auf ihn verweis‘ ich Spanien. Doch wehe!
»Weh mir und ihm, wenn ich bereuen sollte!
»Wenn ich das Schlimmere gewählt! Wenn ich
»Den großen Wink der Vorsicht mißverstanden,
»Der mich, nicht ihn, auf diesem Thron gewollt.« –

Also hat er doch gewählt, und um zu wählen, mußte er also ja den Gegensatz sich als möglich gedacht haben. Aus allen diesen angeführten Fällen erkennt man offenbar, daß das Interesse der Freundschaft einem höheren nachsteht, und daß ihr nur durch dieses letztere ihre Richtung bestimmt wird. Niemand im ganzen Stück hat dieses Verhältniß zwischen beiden Freunden richtiger beurtheilt als Philipp selbst, von dem es auch am ersten zu erwarten war. Im Munde dieses Menschenkenners legte ich meine Apologie und mein eignes Urtheil von dem Helden des Stückes nieder, und mit seinen Worten möge denn auch diese Untersuchung beschlossen werden.

»Und wem bracht‘ er dies Opfer?
»Dem Knaben, meinem Sohne? Nimmermehr,
»Ich glaub‘ es nicht. Für einen Knaben stirbt
»Ein Posa nicht. Der Freundschaft arme Flamme
»Füllt eines Posa Herz nicht aus. Das schlug
»Der ganzen Menschheit. Seine Neigung war
»Die Welt mit allen kommenden Geschlechtern