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Der Parasit (Picard) – Fünfter Aufzug. Letzter Auftritt.

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Vorige. Madame Belmont. Charlotte. Beide Firmin.

La Roche.
Kommen Sie, Madame! Kommen Sie, Herr Firmin! –

Mad. Belmont.
Was gibt’s?

La Roche.
Trösten Sie unsern Herrn – Sprechen Sie ihm Muth zu in seinem Unglücke!

Mad. Belmont.
Seinem Unglücke!

Charlotte.
Mein Gott! Was ist das?

La Roche.
Er hat seine Stelle verloren.

Charlotte.
Großer Gott!

Selicour.
Ich bin erstaunt, wie Sie!

Mad. Belmont.
Wer konnte ein solches Unglück vorhersehen!

Karl Firmin (leidenschaftlich).
So ist das Talent geächtet, so ist die Redlichkeit ein Verbrechen in diesem verderbten Lande! Der rechtschaffene Mann behauptet sich kaum einen Tag lang, und das Glück bleibt nur dem Nichtswürdigen getreu.

Narbonne (sehr ernst).
Nichts übereilt, junger Mann! – Der Himmel ist gerecht, und früher oder später erreicht den Schuldigen die Strafe.

Selicour.
Aber sagen Sie mir, kennt man denn nicht wenigstens die Veranlassung dieses unglücklichen Vorfalls?

La Roche.
Leider nur zu gut kennt man sie. Ein gewisses Memoire ist Schuld an dem ganzen Unglück.

Firmin (lebhaft).
Ein Memoire! (Zum Minister) Dasselbe vielleicht, das ich Sie heute lesen sah?

Selicour.
Wo die Regierung selbst mit einer Freiheit, einer Kühnheit behandelt wurde –

La Roche.
Ganz recht! Das nämliche.

Selicour.
Nun, da haben wirs! Hatte ich nun Unrecht, zu sagen, daß es nicht immer räthlich ist, die Wahrheit zu sagen?

Narbonne.
Wo die Pflicht spricht, da bedenke ich nichts. Und was auch der Erfolg sei, nie werde ich’s bereuen, meine Pflicht gethan zu haben.

Selicour.
Schön gedacht! Allerdings! Aber es kostet Ihnen auch einen schönen Platz!

La Roche.
Und damit ist’s noch nicht alle! Es könnten wohl auch noch Andre um den ihrigen kommen. – Man weiß, daß ein Minister selten Verfasser der Schriften ist, die aus seinen Bureaux heraus kommen.

Selicour.
Wie so? Wie das?

La Roche (für sich).
Bei dem fällt kein Streich auf die Erde!

Firmin.
Erklären Sie sich deutlicher!

La Roche.
Man will schlechterdings heraus bringen, wer diese heftige Schrift geschmiedet hat.

Selicour.
Will man? Und da würde er wohl in den Sturz des Ministers mit verwickelt werden?

La Roche.
Freilich! Das ist sehr zu besorgen.

Selicour.
Nun, ich bin’s nicht!

Firmin.
Ich bin der Verfasser!

Narbonne.
Was hör‘ ich?

Mad. Belmont.
Was? Sie, Herr Firmin?

Firmin.
Ich bin’s, und ich rühme mich dessen.

La Roche (zu Narbonne).
Nun, was sagt‘ ich Ihnen?

Firmin.
Den Ruhm dieser Arbeit konnte ich dem Herrn Selicour gern überlassen, aber nicht so die Gefahr und die Verantwortung – Ich habe geschwiegen bis jetzt, aber nun muß ich mich nennen.

Karl.
Recht so, mein Vater! Das heißt als ein Mann von Ehre gesprochen – Seien Sie auf Ihr Unglück stolz, Herr von Narbonne! – Mein Vater kann nichts Strafbares geschrieben haben – O mein Herz sagt mir, dieser Unfall kann eine Quelle des Glückes werden – Charlottens Hand wird kein Opfer der Verhältnisse mehr sein – Die Größe verschwindet, und Muth gewinnt die furchtsame Liebe.

Mad. Belmont.
Was hör‘ ich! Herr Firmin!

Firmin.
Verzeihen Sie der Wärme seines Antheils; sein volles Herz vergreift sich im Ausdruck seiner Gefühle!

Narbonne.
So hat denn Jeder von Ihnen sein Geheimniß verrathen – Herr Firmin! Sie sind der Verfasser dieses Memoire, so ist es billig, daß Sie auch den Ruhm und die Belohnung davon ernten. – Das Gouvernement ernennt Sie zum Gesandten – (Da Alle ihr Erstaunen bezeugen.) Ja, ich bin noch Minister, und ich freue mich, es zu sein, da ich es in der Gewalt habe, das wahre Verdienst zu belohnen.

Mad. Belmont.
Was ist das?

Selicour (in der höchsten Bestürzung).
Was hab‘ ich gemacht!

Narbonne (zu Selicour).
Sie sehen Ihr Spiel verrathen – Wir kennen Sie nun, Heuchler an Talent und an Tugend! – Niedriger Mensch, konnten Sie mich für Ihres Gleichen halten?

La Roche.
Wie schändlich er eine edle That auslegte! Ich weiß alles aus dem Munde der Dame selbst. Dieses Frauenzimmer, für das er Ihnen eine strafbare Neigung andichtete – es ist eine kranke, eine bejahrte Matrone, die Wittwe eines verdienstvollen Officiers, der im Dienst des Vaterlandes sein Leben ließ und gegen den Sie die Schuld des Staats bezahlten.

Narbonne.
Nichts mehr davon, ich bitte Sie! (Zu Selicour.) Sie sehen, daß Sie hier überflüssig sind. (Selicour entfernt sich still.)

La Roche.
Es thut mir leid um den armen Schelm – Wohl wußt‘ ich’s vorher, mein Haß würde sich legen, sobald es mit seiner Herrlichkeit aus sein würde.

Firmin (drückt ihm leise die Hand).
Lassen Sie’s gut sein. Wir wollen ihn zu trösten suchen.

La Roche.
Basta, ich bin dabei!

Narbonne (zu Karln).
Unser lebhafter junger Freund ist auf einmal ganz stumm geworden – Ich habe in Ihrem Herzen gelesen – lieber Firmin! Der Ueberraschung danke ich Ihr Geheimniß und werde es nie vergessen, daß Ihre Neigung bei unserm Glücke bescheiden schwieg und nur laut wurde bei unserm Unglück. – Charlotte! (Sie wirft sich schweigend in ihres Vaters Arme.) Gut, wir verstehen uns! Erwarte alles von deines Vaters Liebe.

La Roche.
Und ich will darauf schwören, Karl Firmin ist der wahre Verfasser des Gedichts.

Mad. Belmont.
Wär’s möglich?

Charlotte (mit einem zärtlichen Blick auf ihn).
Ich habe nie daran gezweifelt! (Karl küßt ihre Hand mit Feuer.)

Mad. Belmont.
O der bescheidene junge Mann! Gewiß, er wird unser Kind glücklich machen!

Narbonne.
Bilden Sie sich nach Ihrem Vater – und mit Freuden werde ich Sie zum Sohn annehmen. – (Halb zu den Mitspielenden, halb zu den Zuschauern.) Diesmal hat das Verdienst den Sieg behalten. – Nicht immer ist es so. Das Gespinnst der Lüge umstrickt den Besten; der Redliche kann nicht durchdringen; die kriechende Mittelmäßigkeit kommt weiter, als das geflügelte Talent; der Schein regiert die Welt, und die Gerechtigkeit ist nur auf der Bühne.