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Der Parasit (Picard) – Zweiter Aufzug. Vierter Auftritt.

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Vorige. Selicour.

Narbonne.
Kennen Sie diesen Herrn?

Selicour (sehr verlegen).
Es ist Herr La Roche.

Narbonne.
Ich habe Sie rufen lassen, sich gegen ihn zu vertheidigen. Er kommt, Sie anzuklagen. Nun, reden Sie!

La Roche (nachdem er gehustet).
Ich muß Ihnen also sagen, daß wir Schulkameraden zusammen waren, daß er mir vielleicht einige Dankbarkeit schuldig ist. Wir singen Beide unsern Weg zugleich an – es sind jetzt fünfzehn Jahre – und traten Beide in dem nämlichen Bureau als Schreiber ein. Herr Selicour aber machte einen glänzenden Weg, ich – sitze noch da, wo ich ausgelaufen bin. Daß er den armen Teufel, der sein Jugendfreund war, seit vielen Jahren vergessen, das mag sein! Ich habe nichts dagegen. Aber nach einer so langen Vergessenheit an seinen alten Jugendfreund nur darum zu denken, um ihn unverdienter Weise aus seinem Brod zu treiben, wie er gethan hat, das ist hart, das muß mich aufbringen! Er kann nicht das geringste Böse wider mich sagen; ich aber sage von ihm und behaupte dreist, daß dieser Herr Selicour, der jetzt gegen Euer Excellenz den redlichen Mann spielt, einen rechten Spitzbuben machte, da die Zeit dazu war. Jetzt hilft er Ihnen das Gute ausführen; Ihrem Vorgänger, weiß ich gewiß, hat er bei seinen schlechten Stückchen redlich beigestanden. Wie ein spitzbübischer Lakai weiß der Heuchler mit der Livree auch jedesmal den Ton seines Herrn anzunehmen. Ein Schmeichler ist er, ein Lügner, ein Großprahler, ein übermüthiger Gesell! Niederträchtig, wenn er etwas sucht, und hochmüthig, unverschämt gegen Alle, die das Unglück haben, ihn zu brauchen. Als Knabe hatte er noch etwas Gutmüthiges; aber über diese menschliche Schwachheit ist er jetzt weit hinaus. – Nun hat er sich in eine prächtige Stelle eingeschlichen, und ich bin überzeugt, daß er ihr nicht gewachsen ist. Auf sich allein zieht er die Augen seines Chefs, und Leute von Fähigkeiten, von Genie, Männer, wie Herr Firmin, läßt er nicht aufkommen.

Narbonne.
Firmin! Wie? – Ist Herr Firmin in unsern Bureaux?

La Roche.
Ein trefflicher Kopf, das können Sie mir glauben.

Narbonne.
Ich weiß von ihm. – Ein ganz vorzüglicher Geschäftsmann!

La Roche.
Und Vater einer Familie! Sein Sohn machte in Colmar die Bekanntschaft Ihrer Tochter.

Narbonne.
Karl Firmin! Ja, ja, ganz richtig!

La Roche.
Ein talentvoller junger Mann!

Narbonne.
– Fahren Sie fort!

La Roche.
Nun, das wär‘ es! Ich habe genug gesagt, denk‘ ich!

Narbonne (zu Selicour).
Verantworten Sie sich!

Selicour.
Des Undanks zeiht man mich. – Mich des Undanks! Ich hätte gedacht, mein Freund La Roche sollte mich besser kennen! – An meinem Einfluß und nicht an meinem guten Willen fehlte es, wenn er so lange in der Dunkelheit geblieben. – Welche harte Beschuldigungen gegen einen Mann, den er seit zwanzig Jahren treu gefunden hat! Mit seinem Verdacht so rasch zuzufahren, meine Handlungen aufs schlimmste auszulegen und mich mit dieser Hitze, dieser Galle zu verfolgen! – Zum Beweis, wie sehr ich sein Freund bin –

La Roche.
Er mein Freund! Hält er mich für einen Dummkopf? – Und welche Proben hat er mir davon gegeben!

Narbonne.
Er hat Sie ausreden lassen!

La Roche.
So werde ich Unrecht behalten.

Selicour.
Man hat einem Andern seine Stelle gegeben, das ist wahr, und Keiner verdiente diese Zurücksetzung weniger als er. Aber ich hätte gehofft. mein Freund La Roche, anstatt mich wie einen Feind anzuklagen, würde als Freund zu mir aufs Zimmer kommen und eine Erklärung von mir fordern. Darauf, ich gestehe es, hatte ich gewartet und mich schon im Voraus der angenehmen Ueberraschung gefreut, die ich ihm bereitete. Welche süße Freude für mich, ihn über alle Erwartung glücklich zu machen! Eben zu jenem Chef, wovon ich Eurer Excellenz heut sagte, hatte ich meinen alten Freund La Roche vorzuschlagen.

La Roche.
Mich zum Chef! Großen Dank, Herr Selicour! – Ein Schreiber bin ich und kein Geschäftsmann! Meine Feder und nicht mein Kopf muß mich empfehlen, und ich bin Keiner von Denen. die eine Last auf sich nehmen, der sie nicht gewachsen sind, um sie einem Andern heimlich anfzuladen und sich selbst das Verdienst anzueignen.

Selicour.
Die Stelle schickt sich für dich, Kamerad! Glaub‘ mir, der dich besser kennt, als du selbst. (Zu Narbonne.) – Er ist ein trefflicher Arbeiter, genau, unermüdlich, voll gesunden Verstands; er verdient den Vorzug vor allen seinen Mitbewerbern. – Ich lasse Männer von Genie nicht aufkommen, gibt er mir Schuld, und Herr Firmin ist’s, den er anführt. – Das Beispiel ist nicht gut gewählt, so trefflich auch der Mann ist. – Erstlich ist seine jetzige Stelle nicht schlecht – aber ihm gebührt allerdings eine bessere, und sie ist auch schon gefunden – denn eben Herrn Firmin wollte ich Euer Excellenz zu meinem Nachfolger empfehlen, wenn ich in jenen Posten versetzt werden sollte, den mir mein gütiger Gönner bestimmt. – Ich sei meinem jetzigen Amte nicht gewachsen, behauptet man. – Ich weiß wohl, daß ich nur mittelmäßige Gaben besitze. – Aber man sollte bedenken, daß diese Anklage mehr meinen Gönner trifft, als mich selbst! – Bin ich meinem Amte in der That nicht gewachsen, so ist der Chef zu tadeln, der es mir anvertraut und mit meinem schwachen Talent so oft seine Zufriedenheit bezeugt. – Ich soll endlich der Mitschuldige des vorigen Ministers gewesen sein! – Die Stimme der Wahrheit habe ich ihn hören lassen; die Sprache des redlichen Mannes habe ich kühnlich zu einer Zeit geredet, wo sich meine Ankläger vielleicht im Staube vor ihm krümmten. – Zwanzigmal wollte ich diesem unfähigen Minister den Dienst aufkündigen; nichts hielt mich zurück, als die Hoffnung, meinem Vaterlande nützlich zu sein. Welche süße Belohnung für mein Herz, wenn ich hier etwas Böses verhindern, dort etwas Gutes wirken konnte! – Seiner Macht habe ich getrotzt; die gute Sache habe ich gegen ihn verfochten, da er noch im Ansehen war! Er fiel, und ich zollte seinem Unglück das herzlichste Mitleid. Ist das ein Verbrechen, ich bin stolz darauf und rühme mich desselben. – Es ist hart, sehr hart für mich, lieber La Roche, daß ich dich unter meinen Feinden sehe – daß ich genöthigt bin, mich gegen einen Mann zu verteidigen. den ich schätze und liebe! – Aber komm! Laß uns Frieden machen, schenke mir deine Freundschaft wieder, und alles sei vergessen!

La Roche.
Der Spitzbube! – Rührt er mich doch fast selbst!

Narbonne.
Nun, was haben Sie darauf zu antworten?

La Roche.
Ich? – Nichts! Der verwünschte Schelm bringt mich ganz aus dem Concepte.

Narbonne.
Herr La Roche! Es ist brav und löblich, einen Bösewicht, wo er auch stehe, furchtlos anzugreifen und ohne Schonung zu verfolgen – aber auf einem ungerechten Haß eigensinnig bestehen, zeigt ein verderbtes Herz.

Selicour.
Er haßt mich nicht! Ganz und gar nicht! Mein Freund La Roche hat das beste Herz von der Welt! Ich kenne ihn – aber er ist hitzig vor der Stirn – er lebt von seiner Stelle – das entschuldigt ihn! Er glaubte sein Brod zu verlieren! Ich habe auch gefehlt – ich gesteh‘ es – Komm! komm! Laß dich umarmen, alles sei vergessen!

La Roche.
Ich ihn umarmen? In Ewigkeit nicht! – Zwar, wie er’s anstellt, weiß ich nicht, um mich selbst – um Euer Excellenz zu betrügen – aber kurz! Ich bleibe bei meiner Anklage. – Kein Friede zwischen uns, bis ich ihn entlarvt, ihn in seiner ganzen Blöße dargestellt habe!

Narbonne.
Ich bin von seiner Unschuld überzeugt – wenn nicht Thatsachen, vollwichtige Beweise mich eines Andern überführen.

La Roche.
Thatsachen! Beweise! Tausend für einen!

Narbonne.
Heraus damit!

La Roche.
Beweise genug – die Menge – aber das ist’s eben – ich kann nichts damit beweisen! – Solchen abgefeimten Schelmen läßt sich nichts beweisen. – Vormals war er so arm, wie ich; jetzt sitzt er im Ueberfluß! Sagt‘ ich Ihnen, daß er seinen vorigen Einfluß zu Geld gemacht, daß sich sein ganzer Reichthum davon herschreibt – so kann ich das zwar nicht, wie man sagt, mit Brief und Siegel belegen – aber Gott weiß es, die Wahrheit ist’s, ich will darauf leben und sterben.

Selicour.
Diese Anklage ist von zu niedriger Art, um mich zu treffen – übrigens unterwerf‘ ich mich der strengsten Untersuchung! – Was ich besitze, ist die Frucht eines fünfzehnjährigen Fleißes; ich habe es mit saurem Schweiß und Nachtwachen erworben, und ich glaub‘ es nicht unedel zu verwenden. Es ernährt meine armen Verwandten; es fristet das Leben meiner dürftigen Mutter!

La Roche.
Erlogen! Erlogen! Ich kann es freilich nicht beweisen! Aber gelogen! Unverschämt gelogen!

Narbonne.
Mäßigen Sie sich!

Selicour.
Mein Gott! Was erleb‘ ich! Mein Freund La Roche ist’s, der so hart mit mir umgeht! – Was für ein Wahnsinn hat dich ergriffen? Ich weiß nicht, soll ich über diese Wuth lachen oder böse werden. – Aber lachen auf Kosten eines Freundes, der sich für beleidigt hält – nein, das kann ich nicht, das ist zu ernsthaft! – Deinen alten Freund so zu verkennen! – Komm doch zu dir selbst, lieber La Roche, und bringe dich wenigstens nicht aus übel angebrachtem Trotz um eine so treffliche Stelle, als ich dir zugedacht habe.

Narbonne.
Die Wahrheit zu sagen, Herr La Roche, diese Halsstarrigkeit gibt mir keine gute Meinung von Ihnen, – Muß auch ich Sie bitten, gegen Ihren Freund gerecht zu sein? – Auf Ehre! Der arme Herr Selicour dauert mich von Herzen!

La Roche.
Ich will das wohl glauben, gnädiger Herr! Hat er mich doch fast selbst, trotz meines gerechten Unwillens, auf einen Augenblick irre gemacht – aber nein, nein! ich kenne ihn zu gut – zu gewiß bin ich meiner Sache. – Krieg, Krieg zwischen uns und keine Versöhnung! Hier, sehe ich, würde alles weitere Reden vergeblich sein; aber wiewohl der Spitzbube mich aufs Aeußerste treibt, lieber tausendmal Hungers sterben, als ihm mein Brod verdanken. Ich empfehle mich zu Gnaden! (Ab.)