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Phädra (Racine) – Dritter Aufzug. Fünfter Auftritt.

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Theseus. Hippolyt. Theramen.

Theseus.
Wie? Welch ein seltsamer Empfang? – Mein Sohn?

Hippolyt.
Phädra mag das Geheimnis dir erklären.
Doch wenn mein Flehn was über dich vermag,
Erlaub’, o Herr, dass ich sie nicht mehr sehe.
Lass den erschrocknen Hippolyt den Ort,
Wo deine Gattin lebt, auf ewig meiden.

Theseus.
Verlassen willst du mich, mein Sohn?

Hippolyt.
Ich suchte
Sie nicht! Du brachtest sie an diese Küste!
Du warst es selbst, o Herr, der mir beim Scheiden
Aricien und die Königin anvertraut,
Ja mich zum Hüter über sie bestellt.
Was aber könnte nun mich hier noch halten?
Zu lange schon hat meine müß’ge Jugend
Sich an dem scheuen Wilde nur versucht.
Wär’s nun nicht Zeit, unwürd’ge Ruhe fliehend,
Mit edlerm Blute mein Geschoss zu färben?
Noch hattest du mein Alter nicht erreicht,
Und manches Ungeheuer fühlte schon
Und mancher Räuber deines Armes Schwere.
Des Übermutes Rächer hattest du
Das Ufer zweier Meere schon gesichert;
Der Wanderer zog seine Straße frei,
Und Herkules, als er von dir vernahm,
Fing an, von seiner Arbeit auszuruhn.
Doch ich, des Helden unberühmter Sohn,
Tat es noch nicht einmal der Mutter gleich!
O gönne, dass mein Mut sich endlich zeige,
Und wenn ein Ungeheuer dir entging,
Dass ich’s besiegt zu deinen Füßen lege;
Wo nicht, durch einen ehrenvollen Tod
Mich aller Welt als deinen Sohn bewähre.

Theseus.
Was muss ich sehen? Welch ein Schrecknis ist’s,
Das ringsum sich verbreitend all die Meinen
Zurück aus meiner Nähe schreckt? Kehr’ ich
So ungewünscht und so gefürchtet wieder,
Warum, ihr Götter, erbracht ihr mein Gefängnis?
– Ich hatte einen einz’gen Freund. Die Gattin
Wollt’ er dem Herrscher von Epirus rauben,
Von blinder Liebeswut betört. Ungern
Bot ich zum kühnen Frevel meinen Arm;
Doch zürnend nahm ein Gott uns die Besinnung.
Mich überraschte wehrlos der Tyrann;
Den Waffenbruder aber, meinen Freund,
Pirithous – o jammervoller Anblick! –
Musst’ ich den Tigern vorgeworfen sehn,
Die der Tyrann mit Menschenblute nährte.
Mich selbst schloss er in eine finster Gruft,
Die, schwarz und tief, ans Reich der Schatten grenzte.
Sechs Monde hatt’ ich hilflos hier geschmachtet,
Da sahen mich die Götter gnädig an;
Das Aug’ der Hüter wusst’ ich zu betrügen;
Ich reinigte die Welt von einem Feind,
Den eignen Tigern hab ich ihn zur Speise.
Und jetzo, da ich fröhlich heimgekehrt,
Und was die Götter Teures mir gelassen,
Mit Herzensfreude zu umfassen denke –
Jetzt, da die Seele sich nach langem Durst
An dem erwünschten Anblick laben will –
Ist mein Empfang Entsetzen, alles flieht mich,
Entzieht sich meiner liebenden Umarmung,
Ja, und ich selbst, von diesem Schrecken an-
Gesteckt, der von mir ausgeht, wünsche mich
Zurück in meinen Kerker zu Epirus.
– Sprich! Phädra klagt, dass ich beleidigt sei.
Wer verriet mich? Warum bin ich nicht gerächet?
Hat Griechenland, dem dieser Arm so oft
Gedient, Zuflucht gegeben dem Verbrecher?
Du gibst mir nichts zur Antwort. Solltest du’s,
Mein eigner Sohn, mit meine Feinden halten?
– Ich geh’ hinein. Zu lang bewahr’ ich schon
Den Zweifel, der mich niederdrückt. Auf einmal
Will ich den Frevel und den Frevler kennen.
Von diesem Schrecken, den sie blicken lässt,
Soll Phädra endlich Rechenschaft mir geben.

(Geht ab.)