Charakterisierung des Kapuziner, Zeichnung von Friedrich Pecht

Der Kapuziner, Charakter aus der Wallenstein-Trilogie, Zeichnung von Friedrich Pecht, 1859

Der Kapuziner, Charakter aus der Wallenstein-Trilogie, Zeichnung von Friedrich Pecht, 1859

Charakterisierung des Kapizuners

aus der „Schiller-Galerie“, 1859



Es gibt eine Derbheit, die als Tochter eines grobkörnigen Naturells und der Geradheit und Ehrlichkeit der Absichten harmlos ist und ertragen werden muss, da sie ihr Unangenehmes dadurch ausgleicht, dass man wenigstens weiß, woran man ist. Eine andere Art aber ist die, die nur als Maske benutzt wird, um listigen Hintergedanken eine unverfängliche Folie zu geben. Von der letzteren gefährlichen Sorte, wo sich unter den Rosen der soldatischen Rücksichtslosigkeit die Schlange der geistlichen Tücke verbirgt, ist die des Kapuziners, den uns Schiller Vorfahrt, dem er nebst dem Wachtmeister die Rolle des Intriganten in der Exposition der großen Trilogie zugewiesen hat, und der uns gleich eingangs versinnlicht, wo Wallensteins Hauptfeinde zu suchen seien.

Als äußerliches Amt, als Handhabe für seine geheime Tätigkeit ist ihm also nur die Aufgabe gegeben worden, den geistigen Teil, die Seele der Soldaten nicht ganz zu Grunde gehen zu lassen. Freilich ein schwieriges Handwerk, das ihm gehörig sauer gemacht wird bei solchen verzweifelten Patienten, die, wie der Holk’sche Jäger, von sich sagen:

Flott will ich und müssig gehn,
Alle Tage was Neues sehn.

Weiterhin sehen wir denn den Satz weiter ausgeführt, indem derselbe Jäger von der Armee sagt:

Da gibt’s nur ein Vergehn und Verbrechen:
Der Ordre fürwitzig widersprechen.
Was nicht verboten ist, ist erlaubt;
Da fragt niemand, was einer glaubt.

Für Gesellen, die die Inhaber solcher Anschauungen sind, deren Pflichtenlehre ein so weitläufiges Gewand tragt, braucht man denn natürlich starke Mittel, wie sie in der weltbekannten burlesken Dialektik des Kapuziners geboten werden. Dieselbe dürfte wohl eine Nachahmung derjenigen des unvergleichlichen Paters Abraham a Sancta Clara sein, wenigstens ist jedenfalls Schiller durch diesen unsterblichen Typus des Tons eines Kapuziners zur Färbung des seinigen angeregt worden.

So sehen wir denn im Schiller’schen Kapuziner einen Philosophen der zynischen Sorte, nicht etwa einen magern‚ schwarzgalligen Fanatiker, der, wie der Prediger in der Wüste, von Heuschrecken und wildem Honig lebt, sondern einen wohlgenährten, rothaarigen, mit mächtiger Lunge und noch besserer Verdauung begabten schmerbauchigen Pfaffen vor uns, dem es weder an gesundem Menschenverstand noch an Witz, am allerwenigsten aber an bullenbeißerartiger Streitlust und an Trieb zum Intrigieren fehlt. Er ist Pater geworden nicht aus Spiritualismus, sondern weil er zu faul war, etwas anderes zu treiben, nachdem er sich in vielerlei Rollen versucht und die Nichtigkeit aller nach seiner Meinung gründlich kennen gelernt hatte. Um Kapuziner zu werden, muss man entweder ziemlich stupid und bigott sein, oder ein starkes Element von Humor und Faulheit, von zynischer Bedürfnislosigkeit und Herrschsucht zugleich haben. Ein anderes als solch ein derbes und unverwüstliches Gewächs käme in der rauen Luft des Lagers nicht fort.

Der Pater Provinzial hat ihn von Wien aus offenbar gut instruiert, und er tritt vollkommen gerüstet auf den Wahlplatz. Auch verfehlt er seine Wirkung im Anfang durchaus nicht, und die Soldaten ertragen ganz ruhig im Bewusstsein ihrer Verdienste die einschneidenden Belobungen, die er ihnen mit drastischer Beredsamkeit dafür austeilt. Der Wahrheit widersteht man nie, wenn man von ihr überrascht und sie mit Muth und Schneide vorgetragen wird, besonders aber, wenn ihr der Humor, die pikante Wendung das Beleidigendste nehmen; seine bilderreiche Sprache braucht der Redner daher offenbar hauptsächlich, um seine Derbheiten schmackhafter zu machen und die Hörer für sich einzunehmen.

Er hat wahrscheinlich gehofft, dass nach dem alten Rezept ein halb Dutzend aneinander gereihter Sätze, die unbestreitbar richtig seien, eine gebahnte Straße für eine falsche und sophistische Folgerung herstellen würden, die man den Hörer gern auch hinunterschlucken lassen möchte; der Kunstgriff gelingt gar sehr oft, besonders wenn dann wieder ein paar richtige Thesen draufgesetzt werden, damit man keine Zeit zum Nachdenken übrig behalte.
Wenn unser Kapuziner also zum Beispiel anfängt, die politische Lage zu schildern und sagt:

Was steht ihr und legt die Hände in Schos?
Die Kriegsfurie ist an der Donau los,
Das Bollwerk des Baierlands ist gefallen —

so weiß das jeder, nicht minder, dass die Armee hier in Böhmen liegt, den Bauch pflegt „und sich’s wenig grämen lasst“; ebenso richtig ist, dass

Die Christenheit trauert in Sack und Asche;
Der Soldat füllt sich nur die Tasche.

Auch ist wenig dagegen einzuwenden, wenn er darangeht, die Ursache des Kriegs zu suchen und sagt:

Denn die Sünd’ ist der Magnetenstein,
Der das Eisen ziehet ins Land herein.
Auf das Unrecht, da folgt das Uebel —

oder wenn er den Soldaten verhält:

Aber, wer bei den Soldaten sucht
Die Furcht Gottes und die gute Zucht
Und die Scham, der wird nicht viel finden.

Bisher waren seine Behauptungen also unbestreitbar und werden auch im Bewusstsein der Schuld oder im Gefolge der guten Witze ruhig ertragen, ja sie würden sogar sicher einige Wirkung tun; leider zerstört aber der dreist gewordene Orator in der Hoffnung auf jenes guten Rezepts Unfehlbarkeit diesen ganzen Effekt, indem er sofort seine eigentliche Batterie demaskiert und mit der Verdächtigung eröffnet:

Aber wie soll man die Knechte loben,
Kommt doch das Aergerniss von oben!
Wie die Glieder, so auch das Haupt!
Weiss doch niemand, an wen der glaubt!

Das offenbar Absichtliche des Seitenhiebes ruft sofort den Widerspruch hervor. Er sucht ihn durch verdoppelte Dosen und durch ein paar unbestreitbare Argumente zu entwaffnen, sagend:

Rühmte sich mit seinem gottlosen Mund:
Er müsse haben die Stadt Stralsund,
Und war’ sie mit Ketten an den Himmel geschlossen.

Allein, da er gleich wieder fortfahrt mit Verleumden, indem er behauptet, der Feldherr

Verleugnet, wie Petrusg seinen Meister und Herrn —

was die Soldaten wenigstens noch nicht wissen können, und wenn er endlich mit des Pudels Kern in dem Satze herausplatzt:

Lasst sich nennen den Wallenstein:
Ja freilich, er ist uns allen ein Stein
Des Anstosses und Aergernisses —

so hilft ihm nichts mehr, und er sieht nur noch diejenigen auf seiner Seite, die ihn gar nicht verstanden haben und bloß seinem Rock glauben — die Kroaten.

Den geifernden Pater als Soldatenprediger trifft also just dasselbe Schicksal, wie viele ebenso aufrichtige Hofprediger, die das umgekehrte Verfahren beobachten wie er, und von denen man auch ganz ruhig einen Scheffel schmeichlerischer Lügen hinunterschluckt, weil sie einem schmecken, die man aber nichtsdestoweniger wie ihn hinauswirft, sobald sie sich unterstehen, ein einziges Quäntchen unangenehmer Wahrheit darunter zu mischen, was in allen Fällen zeigt, dass dem Mächtigen predigen, sei es nun ein einzelner oder die Masse, eine kitzlige Sache ist, wenn man Hintergedanken hat, die einem die moralische Unantastbarkeit rauben.