Charakterisierung der Gustel von Blasewitz, Zeichnung von Friedrich Pecht

Gustel von Blasewitz, Charakter aus der Wallenstein-Trilogie, Zeichnung von Friedrich Pecht, 1859

Gustel von Blasewitz, Charakter aus der Wallenstein-Trilogie, Zeichnung von Friedrich Pecht, 1859

Charakterisierung der Gustel von Blasewitz

aus der „Schiller-Galerie“, 1859



Eine lange Kriegsperiode schafft wie ein langer Friede sich eigene Charaktere, die eben nur gerade unter diesen Verhältnissen möglich wurden. Wallenstein, Max, Isolani und so viele andere kann man sich ohne den Hintergrund dieses endlosen Kampfes nicht denken, ebenso wenig die beiden schätzbaren Personen, denen das Amt der Stärkung des geistigen und des leiblichen Menschen vorzugsweise zugefallen ist in dem großen Drama, das der Dichter vor unsern Augen abwickelt: der Kapuziner und die Gustel von Blasewitz, und die er diese Rolle mit so energischer Action übernehmen lässt, dass sie beide sich unserm Gedächtnis aufs festeste einprägen, trotzdem dass sie mit wenigen, wenn auch ebenso kühnen als sichern Strichen hingemalt sind. Dies ist besonders bei der Gustel der Fall, die sich darum einer wohlgegründeten Popularität in beiden Hemisphären erfreut und eine große Schar von warmen Verehrern unter allen Primanern, Kadetten und Korporalen besitzt, die sich in ihren zahlreichen Nebenstunden mit der schönen Literatur befassen.

Die Veranlassung zu dem drolligen Namen gab bekanntlich eine zu Schillers Zeiten ihrer Schönheit halber berühmte Wirtstochter in Blasewitz, einem bei Dresden dem damaligen Aufenthaltsorte des Dichters in Loschwitz gegenüber an der Elbe gelegenen Dorfe, die eigentlich Auguste Segadin hieß und deren Reize dem hübschen Platze am lachenden Stromufer eine große Zahl von jungen und fröhlichen Besuchern zuzogen, unter denen sich auch der Dichter befand. Er veranstaltete damals mit Körner, Naumann u. a. theatralische Aufführungen, zu denen er auch sie beizuziehen wünschte, jedoch von ihr abgewiesen ward. Er drohte ihr nun sie doch aufs Theater zu bringen, und aus dieser Drohung entsprang der Name, der unserer Gustel sehr gegen ihren Willen unsterblich machte, was sie dem Dichter mit jenem Überfluss von Humormangel, der manchmal das sächsische Frauenzimmer kennzeichnen soll, bis an ihr Ende niemals verzeihen konnte. Sie heiratete bald nach dieser Schiller’schen Episode einen Dresdener Senator Renner, starb als beinahe vierundneunzigjährige Witwe erst im Jahre 1856 und war immer höchst empfindlich, wenn die Rede auf diese unfreiwillige Rolle kam, sodass man jedenfalls annehmen darf, dass Schiller nichts von ihr benutzt hat, als eben den Namen.

Ohne Zweifel verdiente die Gustel, welche uns der Maler in so handfester, stämmiger Leiblichkeit Vorfahrt, so wenig Ähnlichkeit sie im Übrigen mit der pretiösen Frau Senatorin sicherlich hat, doch mit nicht mindern Rechte eine ‚so ansehnliche Zahl Anbeter, und wir werden kaum irren, wenn wir annehmen, dass unter ihnen ein guter Teil sich ihrer Freundlichkeit zu erfreuen hatte. Sagt doch ihr „alter Bekannter“, der „lange Peter von Itzehoe“, selber:

Was haben die Herren vom Regiment
Sich um das niedliche Lärvchen gerissen!

Diese Glanzperiode ist nun freilich in der Hauptsache schon vorbei, das niedliche Pflänzchen ist etwas ins Kraut geschossen, in diesen unendlichen Kämpfen gestählt und wetterhart geworden. Sie ist eine stark gefestete, ihren Schwerpunkt in sich findende Persönlichkeit schon darum, weil „der Schottländer, mit dem sie damals herumgezogen“, fort ist mit allem, was sie sich erspart, und ihr nichts ließ, als „den Schlingel da“, den der Schulmeister einfangt. Hat der Schottländer ihr einen guten Teil der materiellen Früchte dieser Kampagnen fortgenommen, so konnte er doch nicht alle Spuren derselben ebenso mit sich forttragen, wenigstens erwidert der „lange Peter“ ziemlich ungalant auf ihre Bemerkung, dass sie vieler Menschen Städte und Sitten gesehen, da sie «der raue Kriegesbesen fortgefegt von Ort zu Ort»: «Will‘s Ihr glauben! Das stellt sich dar!» Indes scheint jedwedes Liebesbedürfnis doch noch nicht aus diesem zärtlichen Herzen gewichen zu sein und die schwarzen Augen sehen noch ziemlich herausfordernd in die Welt hinein, nur dass die Freundlichkeit nach echter Wirtsmanier jetzt etwas berechneter geworden ist und vorzugsweise denjenigen vorbehalten bleibt, die viel Melniker trinken und ihn — auch bezahlen. So hat sie trotz ihrer Klagen offenbar in diesem ewigen Trouble ganz gute Geschäfte gemacht, was schon daraus hervorgeht, dass sie im Stande War, einzelnen Kavalieren, wie dem „bösen Zahler“ Isolani, zweihundert Thaler zu kreditieren‚ und dass „die halbe Armee steht in ihrem Buche“. Einstweilen hat sie sich möglichst herausgeputzt; so abgelagerte Schönheiten vertragen viel Schmuck. Ob sie ihre Silberketten und Granaten beim Juwelier bar bezahlt oder von Holk’schen Jägern und Kroaten für verabfolgten Melniker auf eine billigere Art erworben, wollen wir freilich nicht genauer untersuchen, sondern uns damit beruhigen, dass „wenn die Rose selbst sich schmückt, schmückt sie auch den Garten“. Ebenso wenig dürfte es geraten sein, ernstliche Nachforschungen danach anzustellen, bei welcher Nürnberger oder Pilsener Bürgersfrau sie die Pelzhaube „geliehen“, mit der sie sich hier im Winterquartier geschmückt, eine Kopfbedeckung, welche die Wirtinnen ganz besonders in Gunst genommen zu haben scheinen, da man dieselben noch heute ganz ähnlich durch ganz Baiern von Böhmen an bis zum Bodensee bei ihnen, sowie bei wohlhabenden Bürgersfrauen und Bäuerinnen trifft.

Obwohl wir nur so dürftige Andeutungen über die Vergangenheit unserer Gustel erhalten, so genügen sie doch, um uns zu überzeugen, dass ihr stark sinnliches Naturell, verknüpft mit einer gewissen derben Grazie, sie eher ins Lager geführt haben mögen, als irgendeine unglückliche Liebe. Ohnehin scheint sie nicht die Absicht zu haben, am gebrochenen Herzen zu sterben, da sie bald vor unsern Augen mit dem richtigen Takt dieser Damen trotz den herben Erfahrungen in Sachen des „Schottländer“ sich der Erziehung des Rekruten annimmt, der, wie wir wissen, „Kram und Laden“ zu erwarten hat, und ihn vorläufig in der Tanzkunst unterrichtet. Ob sie dem Novizen auch etwas von der Kriegskunst beibringen wird, müssen wir dahingestellt sein lassen; da sie von den „besten Schwadronen“ spricht, hat sie wohl jedenfalls Anspruch auf den Besitz ausgiebiger strategischer und taktischer Kenntnisse, und scheint sich auch nötigenfalls aufs Einhauen zu verstehen.

Wenn uns der Dichter ihr Bild mit solcher vollendeter Meisterschaft durch ein paar Striche lebendig zu machen gewusst hat, so wurde er dabei sicherlich durch den Umstand unterstützt, dass die langen Kriegsjahre ihm derartige Figuren damals ohne Zweifel in Fülle vorgeführt hatten, von denen er die Dialektik wie von der Blasewitzer Schönen den Namen zu borgen im Stande war.