Peter-André Alt: Schiller – Leben, Werk, Zeit. Eine Biographie. 2 Bände

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Kein zweiter deutscher Klassiker hat derart extreme Urteile provoziert wie Friedrich Schiller. Im 19.Jahrhundert setzt eine enthusiastische Verehrungswelle mit Feiern und Vereinsgründungen ein, die an Pomp und Theatralik die um Goethe zeitweise noch übersteigt. Gefeiert wird der Verfasser des Don Karlos (1787) und des Wilhelm Tell (1804) während der Napoleonischen Befreiungskämpfe und der Märzrevolution vor allem als Wegbereiter nationaler und politischer Visionen, auf die sich (abstrakt, wie sie sind) jeder Bürger berufen kann; kein Satz des lyrischen oder dramatischen Werks, der sich nicht zitierend auf die Fahnen schreiben ließe. Gleichzeitig wagen die Romantiker um Ludwig Tieck und Clemens Brentano oder Jungdeutsche wie Georg Büchner, Schillers humanen Dramenidealismus mit seinem „affektierten Pathos“ kategorisch abzulehnen. Im 20. Jahrhundert bilden Thomas Mann und Theodor W. Adorno die unvereinbaren Pole der Lektüre: Für den einen war Schiller der moralische „Seelenarzt“ am Herzen der Nation, für den anderen ein in der Dialektik der Aufklärung gefangener „Wüterich, der als Faschist die Welt zum Gefängnis macht“.

Angesichts dieser Rezeptionsgeschichte fällt es schwer, eine ausgewogene Perspektive einzunehmen, und kaum einem ist dies mit solch klugem Augenmaß und „vorsichtiger Sympathie“ gelungen wie jetzt dem Bochumer Germanisten Peter-André Alt. In zwei ausgezeichnet lesbaren und detailreichen Bänden werden Biografie und Werke Schillers adäquat in ihren kulturgeschichtlichen und politisch-gesellschaftlichen Kontext gebettet, ohne den Gefahren einer rein soziologischen Studie aufzusitzen. Auch hütet sich Alt davor, Leben und Kunst psychologisch kurzsichtig zu vermischen. So ist ihm eine Schiller-Biografie geglückt, die objektiv und ausgewogen statt schillernd und polemisch ist: Unter Einbezug von Freundschaften (Goethe, Körner, Humboldt) und Lieben (Charlotte von Kalb, Charlotte von Lengefeld, Caroline von Wolzogen) sowie Auseinandersetzungen mit Dichtern, Fürsten und Dichterfürsten entsteht das intellektuelle Porträt nicht eines weltfremden Idealisten, sondern eines mehrdeutig argumentierenden und politisch denkenden Künstlers.

Der erste Band (1759-1793) schildert persönliche Konflikte und Enttäuschungen am Beginn von Schillers literarischer Karriere. Ausgehend von Württemberg im Zeitalter des aufgeklärten Absolutismus über lyrische Versuche sowie die sturm-drängerischen Räuber (1781) oder Kabale und Liebe (1784) spannt Alt den Bogen hin zu Schillers Zeitschriften- und Prosaschaffen und seinem historischen Weltbild, das in der Geschichte des Dreyßigjährigen Krieges und später im Wallenstein (1800) seinen Ausdruck findet.

Der zweite Band (1791-1805) stellt den beruflich bereits erfolgreichen Dichter in den Vordergrund, der im Bewusstsein seines Könnens auch als Geschäftsmann wesentlich souveräner aufzutreten weiß: vom Beobachter der Französischen Revolution und ästhetischen Theoretiker der „Weimarer Klassik“ bis hin zum Werte setzenden Autor, der mit seinen Balladen, Gedichten oder „Frauendramen“ wie Maria Stuart (1801), Die Jungfrau von Orleans (1801) und Die Braut von Messina (1803) im gehobenen Bürgertum einen Kanon ästhetischer bzw. sozialer Normen durchaus auch neu definiert. Alts fulminante Studie schließt ab mit einer Interpretation von Schillers letztem Drama Demetrius (1805) als „Tragödie des Bewusstseins“. –Thomas Köster — Dieser Text bezieht sich auf eine vergriffene oder nicht verfügbare Ausgabe dieses Titels.

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