HomeDie Horen1795 - Stück 10V. Homer und Ossian. [Gottfried Herder]

V. Homer und Ossian. [Gottfried Herder]

Bewertung:
(Stimmen: 1 Durchschnitt: 5)

Das grosse Geschäft, das den Händen der Zeit anvertrauet ist, Kunstwerke der Menschen ans Licht zu fördern, lebendige Geburten des Geistes wachsend zu machen, ihnen Fülle, Blühte, endlich auch Frucht in andern Hervorbringungen zu gewähren, dies Geschäft bildet eine goldene Kette menschlicher Geister. Wo irgend ein Name aus der Vergangenheit hervorblickt, der auf einen Punct der Vollkommenheit traf, an den heften sich früher oder später die Namen derer, die sein Werk forttrieben. Vielleicht erlöschen diese Namen; aber das Werk, der Name des Anführers bleibt; ihre Bemühung selbst theilte Jenem neuen Glanz mit. Wer da hat, dem wird gegeben; die gesammte Nachwelt arbeitet sodann in des grossen Meisters Schule.

Im Orient sind die Namen Salomons, Lockmanns u. a. bekannt. Was an Natur- an Spruch- und Fabelweisheit späterhin erfunden ward, ward an jene Namen im Tempel der Unsterblichkeit geheftet; es hieß Lockmanische, Salomonische Weisheit. So hiessen die spätesten Psalmen immer noch Davidische Psalmen; durch ganz Morgenland ist Alexander als Zerstörer, Solimann als Erbauer alles Grossen und Prächtigen berühmt; sie gelten als fortlebende Monarchen im Reich der Zeiten. – Bei den Griechen nicht anders. An Homer, Hesiod, Äsop, Anakreon, Sappho, Theognis u. f. reihete sich, was sich an sie reihen konnte; Namenlos traten spätere Krieger in die Glieder dieser alten Feldherrn; und die neuere Kritick wendet oft fast vergebliche Mühe an, bei diesem und jenem Werk Urheber und Zeiten zu sondern. Pythagoras und Plato lebten nach Christi Geburt zum zweitenmal in philosophischen Schulen auf; ihnen ward zugeschrieben, woran sie hie und da schwerlich gedacht hatten; ihre Gestalt wuchs auf der Schwinge der Zeiten.

Sollte mit Ossian anders seyn? Wir wollen nicht behaupten; sondern auch bei ihm, wie bei Homer, dem Gang der Zeit, wie sie uns ihn offenbarte, folgen.

1.

Viele Leser werden sich erinnern, was für ein süsses Staunen die Erscheinung Ossians in den Jahren 1761 bis 1765 gewährte. Zuerst traten kleine Gesänge als Fragmente hervor, und vielleicht sind mehrere Liebhaber Ossians, die ihn in dieser Gestalt, in der sie ihn zuerst kennen lernten, immer noch am meisten lieben. In kleinen romantischen Erzählungen wurden wir mit Schilrick und Vinvela, mit Connal und Crimora, mit Ronnan und Rivina, mit Fingal, Ossian, Oscar, Minona bekannt; wir hörten die Gesänge Selma’s; Comala erschien; Carthon, der Tod Cuchullins, Berrathon, Karricthura. Allenthalben sahen wir Scenen der Unschuld, der Freundschaft, der väterlichen, kindlichen, der Bruder- und Schwesterliebe, und hörten von der Wehmuth getrennter Liebenden und Gatten die rührendsten Töne. Offenbar trug die abgerißene Gestalt dieses Erzählungen, ihre hohe Einfalt, und wenn ich so sagen darf, ihr niedrer Himmel, ihre schmale Einfassung zu dem Eindruck bei, den sie auf alle, insonderheit jugendliche Seelen machten. Wie aus der Ferne, aus einer Höle, über das Meer, vom Thal oder von Gebürgen der Nebelinsel her, hörte man süsse Stimmen und sah wie im Träume die engbeschränkte, von Wolken umfaßte Hütte der Edlen und Geliebten.

Fingal erschien; bald auch, nebst andern Gedichten, Temora. Sie wurden als Epopeen angekündigt, die mit Homer wetteifern, und ihn wohl gar übertreffen sollten. Dahin zielte in mehreren Anmerkungen Mac-Pherson selbst, Ossians unsterblicher Herausgeber; dahin Hugh Blairs kritische Abhandlungen; noch mehr Cesarotti’s Anmerkungen zu seiner Italiänischen Übersetzung dieser Gedichte. Dem zu Folge sang Denis in wohlklingenden homerischen Hexametern, mit lyrischen Sylbenmaassen untermischt, sie den Deutschen vor, und gab ihnen dadurch noch mehr das Ansehen eines einförmig-fortgehenden Ganzen. Mehrere Übersetzungen in Prose folgten. Zugleich aber erschienen auch Einwendungen und Zweifel, die von sehr verschiedner Art waren.

Die Irländischen Zweifel dünkten mir vom wenigsten Belange. Irland nämlich, (Erin) wollte sich Fingal und Ossian landsmännisch zueignen; es reclamirte den Sänger, wie den Helden. Fingal sollte Fion oder Fin, König in Leinster, Ossian soll Oisin, der Sohn fions gewesen seyn, u. f. Auf alle dies, dünkt mich, kann man kurz antworten; „beweiset, daß er es gewesen. Bringt irländische Gesänge, schönere Gesänge hervor, als die Schotten hervorbrachten; und wir wollen Euch glauben.“ Sei Fingal in der Geschichte, wer er wolle; in Ossians Gedichten ist er nicht Fion oder Fin in Leinster mehr, sondern Fingal, der König der Menschen, Anführer der Helden. Der Gesang hat ihn auf seine Fittige genommen, und über die Sterblichen erhöhet. Würden Achill, und Ajax, Ulysses, Penelope, Agamemnon sich in Homers Bildern erkennen? Ich glaube schwerlich; so wenig sah König Artus, Carl der grosse, Gottfried von Jerusalem, oder die Helden Ariosts in den Gesängen ihrer Dichter erkennen würden. Eben nur durch eine Verwandlung wurden die epische Helden. Die Sage hatte sie von Munde zu Munde fortgetragen; da war ihre Gestalt zwischen Himmel und Erde gewachsen. Der Sänger nahm sie auf und verewigte sie; in ihrer alltäglichen, gemeinen Gestalt wären sie keine Geschöpfe für ihn gewesen. Fingal, Ossian, Oskar sind Kinder der Sage, Gebilde der erhöhenden, fortsingenden Zeit.

Was sollen überhaupt in dieser Sache geographisch-historisch-chronologische Rivalitäten? Ossians Gedichte gehören dem ganzen Galischen Völkerstamm, ja jedem zu, der seine Ursprache verstehet, oder Ossian zu schätzen weiß; er lebe dies- oder jenseit des Meeres. Zwar auch die Griechen stritten unter einander, wem Homer zugehöre? und es wetteiferten hiebei mehr als sieben Städte und Länder. Nicht aber thaten sie es in der Absicht, daß sie dadurch Homers Gesänge, wie man sie hatte, verunglimpfen wollten; vielleicht mit manchen Abwechselungen sangen Alle Einen Homer. Und so mögen denn auch Schotten und Irländer Einen Ossian so lange lesen und an Einen Fingal so lange glauben, bis Irland aus seinen Mitteln uns einen zarteren Ossian, einen edleren Fingal hervorruft, als ihn Mac-Pherson darstellte. Sodann wollen wir der romantischen Sage dankbar seyn, die sich in zweien Mundarten zwar verschieden, in jeder aber vortreflich erhalten. Bisher ist von Irischen Gedichten nichts bekannt, das an die Schottischen reiche.

2.

Ein ungleich wichtigerer Zweifel war der, den man gegen die Ächtheit des Mac-Phersonischen Ossians machte; und es ist zu verwundern, daß man ihn, der kecken Manier ungeachtet, mit der ihn die Engländer vorbrachten, bisher noch so unbefriedigend aufgelöset hat. Mac-Pherson konnte dies am leichtesten thun, ja den Zweifel auf einmal zu Boden schlagen, wenn er einzeln und treu anzeigte: „woher Er jedes Stück habe? in welcher Gestalt er es empfangen? und was daran sein sei?“ Der Urtext dieser Gesänge in ihrer brüchigen Form, mit den Sylbenmaassen und Gesangweisen begleitet, deren entzückende Einfalt und Abwechselung mehrere Verehrer Ossians rühmen, wäre, ohne alle kritische Noten, ein Erweis der Wahrheit für Welt und Nachwelt gewesen, gegen welchen kein Britte, kein Johnson einen Laut hätte thun mögen. Meines Wissens ist dies nicht geschehen; und daß es nicht geschehen ist, daß es von Mac-Pherson nicht selbst geschah; freilich dies vermehrte den Zweifel. Seid ihr denn so arm, ihr Schotten, daß ihr Euern Homer, den Ihr über den Griechen preiset, nicht in der Ursprache, ganz wie ihr ihn habt, wie er bei Euch noch gesungen wird, mit Melodien und Sprach-Erläuterungen ans Licht stellen, ihn dadurch vom Abgrund der Vergessenheit, dem er so nah ist, retten, ihn auf einmal der Unsterblichkeit vergewissern, und eurer Sprache dadurch selbst die Unsterblichkeit, und zwar die edelste, claßische Unsterblichkeit sichern könnt? Oder erwartet Ihr ein schöneres Product in ihr, als Ossian? Oder glaubt ihr, daß man diese Gesänge immerhin fortsingen werde? Oder bildet ihr euch ein, daß man bei Euren Behauptungen von der unaussprechlichen Schönheit dieser Gedichte in der Ursprache, und ihrem entzückenden Reiz in der Ursprache, und ihrem entzückenden Reiz in den Gesangweisen, ohne Proben, etwas denke? Verlangen und am Ende Überdruß erwecken dergleichen unkräftige Anpreisungen; Proben, Proben allein geben Sicherheit und Belehrung.

Daß eine solche Behandlung Ossians sehr nützlich seyn müsse, ist schon daher ersichtlich, weil sie die einzig- vernünftige ist. Entspringe daraus ein Resultat, wie es wolle; Max-Phersons Ruhm kann es nicht schaden. Sei alles der Tradition entnommen, wie Ers gab; Er hats gesammlet, Er hats gegeben. Er war der Solon und Hip arch, der die Gesänge dieses Homers der Vergessenheit entzog, sie der ganzen gebildeten Welt annehmlich machte, sie in der Verständigen Ohr, in der Empfindenden Herz hinübertönte. Sein Name bleibt unvergeßlich. Oder empfing er nur rohen Stof, und sezte mit Schöpferhand zusammen, was er dargestellt hat; um so rühmlicher für ihn, um so belehrender für uns. Hier ließ er sodann niedrige Züge aus; dort sezte er aus Hebräern, Griechen oder Neueren ähnliche, feinere Züge hinzu, und gab dem Ganzen, seinem Fingal, seinem Ossian, seiner Bragela die edelste und zarteste Bildung; um so besser. Er that, wie ein kluger Mann thun mußte. Zu eignen Gesängen solcher Art fühlte er sich schwerlich stark genug; aber der Geist seines Vaterlandes, seiner Vorfahren, der Geist seiner Sprache und der in ihr gesungenen Lieder ergriff ihn. In sie legte er also den Schatz vieler sowohl aus andern Zeitaltern gesammelten Schönheiten als der Empfindungen seines eignen Herzens. Daß er dies unter der Maske Ossians that, ist ihm sodann nicht nur zu verzeihen, sondern es war für ihn vielleicht eine Pflicht der Dankbarkeit und der Noth. Unter solchen Gesängen war er erzogen; sie hatten sein Innerstes erweckt; auf ihren Flügeln schwang er sich empor; über dem war ein heiliger Betrug dieser Art bei der überschwänglich-geltenden Mode-Poesie der Engländer fast nothwendig: denn was gleicht dem Stolze dieses Handels-Volkes, auf die Grimaces, faces und Graces, seiner fashionable Poëtry, auf die pleasure’s, measure’s und treasure’s seiner gereimten Verse? Was stand diesen mehr entgegen als der schlichte, einfache Ossian? Da war es ja ganz an Ort und Stelle, daß Mac-Pherson den literarischen Krämern alte Handschriften in die Läden zu London legte, daß sie sich daran satt sehen könnten; er wußte doch, daß sie damit nichts thun würden.

Aber was Mac-Pherson nicht that, thue jetzt einer seiner Freunde, deren Mehrere doch gewiß die genaueste Kenntniß der Sache haben. Man lasse weiter keinen Engländer oder Irländer umherreisen, sondern entdecke zu Ehren Ossians und Mac-Phersons die Beschaffenheit der Sache kritisch, klar und wahr. Bei einiger Genauigkeit müssen sich dabei in Ansehung des Ursprungs der Verbreitung, der Erhaltung und Abänderung dieser Sagen, in Ansehung der moralischen, geistigen und politischen Begriffe dieser Gedichte Untersuchungen ergeben, die alle ästhetische Belehrungen über den Werth dieser Gesänge, weit überwiegen. Ich traue der gütigen Zeit es zu, daß sie auch dieses Werk zu ihrer Stunde fördern werde.

3.

Denn was sollte die ganze Parallele zwischen Homer und Ossian sagen? Daß Homer kein Ossian und Ossian kein Homer sei? wer hätte daran gezweifelt?

Unsere Erde hat mancherlei Klima; unser Menschenstamm hat mancherlei Geschlechter. Jonien ist nicht Schottland, die Galen sind keine Griechen; hier ist kein Troja, keine Helena, kein Pallast der Circe. Was wollen wir unnütz vergleichen? Gegend, Welt, Sprache, die ganze Seh- und Denkart beider Nationen ist anders; das verschiedene Zeitalter, in welchem Homer und Ossian lebten, noch ganz ungerechnet. Was ein Tausend von Jahren und Meilen von einander trennt, wollt Ihr als ein Symplegma zu Einer Form vereinen?

Schon das unterscheidet Homer von Ossian ganz und gar, daß Jener, wenn ich so sagen darf, rein-objectiv, dieser rein-subjectiv dichtet. Jener ist blos ein Erzähler; sein Hexmeter schreitet ein- und vielförmig dahin, ohne alle Theilnehmung, als die ihm der Inhalt auflegt. An diesem gleichgehaltenen Hexameter haftet gleichsam die ganze Kunst Homers; in ihm trägt er alle Leidenschaften vor, in ihm schildert er alle Gegenstände und Situationen im Himmel, auf Erden und im Orkus; mit ihm misset er Götter, Helden und Menschen gleichförmig. Aus dem gleichförmigen Hexameter Homers und aus der ruhigen Weisheit, die ihn belebet, entsprang daher jener Styl Griechenlandes, der von der heitern Denkart dieses Volkes zeuget. An ihm bildete Herodot dem Vortrage und Perioden nach seine Geschichte; nach ihm formete sich ein System der Götterlehre, der Kunst und Weisheit. – Bei Ossian geht alles von der Harfe der Empfindung, aus dem Gemüth des Sängers aus; um ihn sind seine Höhrer versammlet, und er theilt ihnen sein Inneres mit. In diese Welt ziehet er sie hinein; diese Zauberwelt verbreitet er rings um sich. Daher die Einleitungen in seine Gesänge, durch welche er die Seelen der Zuhörer in seinen Ton gleichsam stimmet und füget. Er mahlet die Gegenstände umher, den Ort, die Tages- und Jahrszeit. Meistens sinds Töne des Ohrs, dadurch er sie mahlet: denn diese stimmen das Gemüth mehr, als Ansichten des Auges. Nun hebt er an; jede Sage ist mit seiner eignen individuellen Empfindung, wie mit dem Finger der Liebe bezeichnet; und sobald er kann, wird die Begebenheit selbst Stimme, Klage der Wehmuth, Harfengesang. Auch in den großen Gedichten, Fingal und Temora geht alles von Tönen der einsamen Harfe aus, und kommt auf diese zurück; an ihren Saiten hangen alle Gefühle des Herzens, so wie die verlebten Schicksale der Väter. Und der Gesang ändert sich nach jeder Empfindung; die Schotten können das Rührende jeder unerwarteten Abwechselung des sanften, traurigen, oder wilden und kühnen Sylbenmaasses nicht genug preisen; von welchem allen Homer nichts weiß. Unermüdet irret dieser immer auf derselben lieblichen Saite, und ward auf ihr ein Muster des Wohlklanges für alle Gegenstände und Situationen. Er ist ein rein-epischer, Ossian ist, wenn man so will, ein lyrisch-epischer Dichter.

Mit dieser verschiednen Art des Gesanges unterscheidet sich auch der ganze Genius beider Dichter. Bei Homer treten alle Gestalten wie unter freiem und heitern Himmel in hellem Licht hervor; als Statuen stehen sie da, oder vielmehr sie schreiten handelnd fort, leibhaft, in völliger Wahrheit. Auch alle seine Gleichnisse und Naturbilder nehmen an dieser völligen Sichtbarkeit Theil; langsam wälzen sie sich umher, um gleichsam von allen Seiten ihre Naturbestandheit in ewigvesten Zügen darzustellen und zu gewähren. Kein hellerer Platz ist, als das Feld vor Troja; unter dem immerheitern Asiatischen Himmel geht Eine Heldengestalt nach der andern hervor und läßt keinen Zug ihrer Handlung, ich möchte sagen, kein Glied, mit welchem sie wirket, in ungewisser Deutung. Auch für die Sonderung der Gruppen hat Homer dergestalt gesorget, daß selbst im wilden Schlachtgetümmel das Auge des Zuschauers ohne Nebel und Verwirrung bleibet. Und was den Faden des Gedichts betrifft, so entwickelt sich solcher aus dem Knäuel der Geschichte so ununterbrochen und ruhig, als ob die Hand der Parze ihn führte.

Bei Ossian ist alles anders. Seine Gestalten sind Nebelgestalten, und sollten es seyn; aus dem leisen Hauch der Empfindung sind sie geschaffen, und schlüpfen wie Lüfte vorüber. So erschienen nicht nur jene in Wolken wohnende Geister, durch welche die Sterne durchschimmern; auch die Gestalten seiner Geliebten deutet Ossian mehr an, als daß er sie darstellete und mahlte. Man höret ihren Tritt oder ihre Stimme; man siehet den Schimmer ihrer Arme, ihres Antlitzes wie einen vorübergleitenden Strahl. Ihr Haar fliegt sanft im Winde; so schlüpfen sie her; so vorüber. Gleichergestalt mahlet er seine Helden, nicht wie sie sind, sondern wie sie sich nahen, wie sie erschienen und verschwinden. Es ist eine Geisterwelt in Ossian, statt daß in Homer eine leibhafte Körperwelt sich beweget. In ihm siehet man die Handlung, die man in Ossian an Tritten, Zeichen und Wirkungen gleichsam nur ahnet. Was endlich die Exposition der Gedichte betrift: so hätten Mac-PHerson und Blair sich hüten sollen, hierinn beide Dichter auch nur zu vergleichen. Bei Homer erzählet sich alles selbst; Eins folgt aus dem andern unaufhaltbar; dagegen sind Fingal und Temora dunkel-zusammengereihete Gedichte, voll Episoden, denen sinnlich zu folgen hie und da schwer wird. Die lieblichste Gestalt macht Ossian in kleinen einzelnen Erzählungen, die man bald als heroische Romanzen, bald als rührende Idyllen, bald als reine lyrische Stücke betrachten kann, deren einige z.B. Comala sich dem Drama nähern. In solchen zeigt sich seine geistige Schilderei, sein Herz voll Wehmuth, Liebe und Unschuld. Eine epische Fortleitung, die vielleicht blos Mac-Pherson in die größern Stücke gebracht hat, scheinet ihr ganz fremde.

Es ergiebt sich hieraus, wie verschiedene Wirkungen und Folgen beide Dichter haben mußten. Wer Götter und Helden bilden will, gehe zu Homer, nicht zu Ossian; in diesem ist Eine Gestalt wie die andre und für den Künstler eigentlich keine gezeichnet. Der Mahler, den Ossian begeistert, muß aus sich selbst schöpfen; aus seinem Dichter kann er nun die Farbe der Empfindung, und das Helldunkel der Situation anwenden. Dagegen ist in Ossian eine Quelle des Gefühls, voll der zartesten, sittlichen Gesinnungen, die Homer seinen Helden nicht beilegen konnte. Beide Dichter unterschieden sich hierinn, wie sich die Welt diesseit und jenseit der Alpen unterscheidet. In Norden hat die Natur die Menschen mehr zusammengedrückt, und indem sie ihnen eine härtere Rinde, dazu mehrere Mühe von aussen gab, in ihrer Brust vielleicht eine tiefere Quelle des sittlichen Gefühls aus dem Felsen gebohret. In den südlichen, wärmeren Gegenden breitete sich die Natur mehr aus; lockerer gehet die Menschheit aus einander und theilt sich allem, was um sie ist, leichter und lebendiger mit. Dagegen aber bleiben vielleicht auch Empfindungen unerweckt, die nur der nordische Himmel, einsame Geselligkeit, Noth und Gefahr ausbilden konnten. Die intensive Kraft des Gesanges, wiewohl in einem engern Kreise ist Ossians; die extensive im weitesten Felde der Mittheilung bleibt Homers großer Vorzug.

Aus Homer entsprang also, was aus Ossian die Zeit nicht entwickeln konnte. Jener blühete mit einem jungen Volk auf; und in jeden neuen Ruhmeskranz dieses Volks schlang sich sein Lorbeer. Die erste Kriegsunternehmung des gesammten Griechenlandes hatte er besungen; wenn späterhin Griechenland gegen die Perser noch größere Unternehmungen ausfocht: so konnten Äschylus, Sophokles u. f. mit Homers Gastmahle, nach neuerem Geschmack zubereitet, ihre Mitbürger bewirthen. Die Ehre des ganzen griechischen Stammes sprosste in seinen Gesängen; sie trug reiche Blüthen und Früchte in jeder Art, mit jeder neuen Betriebsamkeit des Volkes: denn über ihnen schien ein heiterer Himmel; um sie weheten Ionische, Griechische, Italische Lüfte.

4.

Und Ossian? Es ist ungerecht von einem Baume Früchte zu erwarten, die er, seiner Art nach, nicht bringen kann; Ossian sei an seinem Orte das, was Homer war; nur stand er auf einer ganz andern Stelle. Er, der letzte des Heldenstammes seiner Väter, Zeuge der Thaten des Ruhmreichen Fingals und ihr Mithelfer, jetzt in seinem Alter die letzte Stimme der Heldenzeit für die schwächere Nachwelt; dies ist der Standpunct des Sängers, der zugleich den ganzen Charakter seiner Dichtungsart mit sich führet. Er ist die Stimme voriger Zeiten; aber eine traurige Stimme, mit keinem erweckenden Aufruf für die Nachzeit begleitet.

In jedem Lande bildet sich der Volksgesang nach innern und äußern Veranlassungen der Nation; auf Einem Punct derselben steht er sodann stille und gewinnt Charakter. Bei den Griechen gab diesen Charakter-Punct der Trojanische Krieg, und Homer war der Sänger, der ihn veststellte; unter den Galen war es der Ausgang des Heldenstammes; und Ossian dessen trauriger Verkünder. Woher in aller Welt kam den Galen dieser jammernde Abschnitt der Zeiten? und mit ihm für alle Nachzeit zwar ein schmelzender, aber zugleich ein niederschlagender Ton der alten Sage? Veranlaßte ihn eine fremde Unterjochung? oder die eindringende Religion der Culdäer, der christlichen Mönche? Auf beides spielen die Gedichte an; aber warum nur so dunkel? haben die bisherigen Sammler etwa nur aus Höflichkeit die harten Stellen und Töne verschwiegen, denen die Stimme der Galen den Untergang ihres alten Heldenruhms beimißt? oder war diese Stimme so sanft, daß sie duldend gleichsam schwieg und vielleicht schweigen mußte? Wie es sei; so sollte darüber Auskunft gegeben werden: denn es scheint unmöglich, daß ein Volk nur klage, ohne sich zu beklagen, ohne die Ursache seines Verfalls anzuzeigen und den Geist der Väter, wenn auch mit leeren Versuchen, zurückzurufen und anzufeuren. – Hievon nun zeigt sich in den Ossianischen Gesängen fast keine Spur. Die Wolkengegend, der luftige Aufenthalt der Väter ist ihr einziger Trost; auf der Erde sehen sie traurige Wüsten, erloschne Tritte; sie hören verklingende Töne. Man siehet, daß die Gesänge in einem duldenden, unterjochten Volk fortgesungen worden sind, das sich am Ruhm und an der Glückseligkeit seiner Vorfahren unmächtig labte.

Wie es mancherlei Jahrszeiten in der Natur giebt: so giebt es deren auch in der menschlichen Geschichte. Auch Völker haben ihren Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Ossians Gedichte bezeichnen den Herbst seines Volkes. Die Blätter färben und krümmen sich; sie fallen und fallen. Der Lufthauch, der sie ablöset, hat keine Erquickung des Frühlinges in sich; sein Spiel indessen ist traurig-angenehm mit den sinkenden Blättern.

Auch Klagen sind nicht ohne Anmuth. Mimnermus und Solons Elegieen, die Wehklagen aus der Jüdischen Gefangenschaft in Jeremias und den Psalmen rühren uns; noch mächtiger Hiobs Jammergeschrei; und an wessen Herz ertönte je eine Ossianische Klage des zurückgebliebenen Sohnes und Vaters, der verlassenen Braut, des einsamen Gatten, des verschwindenden Heldenstammes vergebens? Der Klageton ist dieser Muse so eigen, daß er bis in die Wurzeln der Sprache, in die Ableitung und Verkettung ihrer Worte eingedrungen ist; der Klang derselben und die Gesangweise der Lieder hat nach allen Berichten denselben Ausdruck.

Ich gebe es zu, daß Ossian missbraucht werden kann, nicht nur, wenn man ohne seine Empfindung seine Töne nachsinget, sondern auch, wenn man seinen wehmüthigen Gefühlen sich zu einsam überläßt, und sich mit erliegender Ohnmacht an seinen Bildern, an seinem süssen Wolkentrost labet. Indessen giebts in ihm auch eine so reine Übersicht der Menschheit, in ihren innigsten Verbindungen und Situationen, daß ich diese, wenn ich so sagen darf, rein-menschliche Stellen und Empfindungen, wie Perlen gefaßt, sämmtlich componirt wünschte. Von selbst würde der Gesang hier ein sanftes Recitativ, dort ein wehmüthiger Ausruf der Empfindung, hier eine leidenschaftliche Declamation, dort wechselnde Stimmen und Chöre werden, denen man schwerlich sein Ohr und Herz verschliessen könnte. Wer z. B. hat Sigmund Seckendorfs Grabgesang der Darthula bei einem Saitenspiel singen gehört, ohne von dem Zuruf:

Darthula wach auf!
Frühling ist draussen, die Lüfte säuseln,
Auf grünen Hügeln, holdseliges Mädchen,
Weben die Blumen! im Hain wallt sprießendes Laub.

Und von dem traurigen Abschiede:

Nimmer o nimmermehr kommt dir die Sonne
Weckend an deine Ruhestäte: wach auf!
Du schläfst im Grabe langen Schlaf,
Dein Morgenroth ist fern.

Auf immer, auf immer weiche dann, Sonne
Dem Mädchen von Kola, sie schläft!
Nie ersteht sie wieder in ihrer Schöne,
Nie siehst du die Liebliche wandeln mehr!

innig bewegt zu werden. Wenn ich diesen Gesang und die seufzende Vinvela ebenfalls in Seckendorfs Composition hörte: so dünkte mich, sein Geist schwebe zu den lieblichen Tönen hernieder und höre sie mit an.

Unter allen Nationen, die Italiänische selbst nicht ausgenommen hat Ossian seine Probe bestanden. Wir Deutsche verdanken ihm nicht nur mehrere zarte Töne in Gerstenbergs Minona, in Klopstocks Oden, in Kosegartens, Denis Gedichten u. a.; sondern wer das Schicksal der Zeiten, unter mehreren Europäischen Nationen zur Stimme bringen wollte; könnte er anders als Ossian singen und seufzen?

5.

Wer wissen will, wie es jetzt mit dieser alten singenden Helden-Nation, Ossians Nachkommen stehe? lese Buchanans Reisen durch die westlichen Hebriden, während der Jahre 1782 bis 90. Der edelmüthige Verfasser fodert Jeden auf, ihm in seinen Berichten die kleinste Unwahrheit zu erweisen. – Wozu sind diese alten edlen Geschlechter hinabgewürdigt! in welchen Zustand sind sie gerathen! „Übersieht man, spricht Buachanan, wie wir gethan haben, die westlichen Hebriden im Allgemeinen, so zeigt sich das Bild der Traurigkeit und Unterdrückung am häufigsten, und tritt allenthalben hervor. Im ganzen genommen, sind diese Inseln der schwermüthige Aufenthalt des Jammers und des vielgestaltigen Elends: denn ihre Bewohner werden als Lastvieh, schlimmer als Lastvieh behandelt. Können Mangel und Striemen den Sklaven, gegen seine Abhängigkeit, gegen den Spott und die Schmach, welche sich über ihn häufen, nicht völlig abhärten: so rufen sicherlich die Thränen, die Seufzer, das Geschrei, eines vielzähligen, unterdrückten, aber keinesweges sinn- und geistlosen Volks, die Staatsverwalter um Mitleid und Rettung an.“

Nach Jahrhunderten der Unterdrückung, sind Ossians Galen auch hier noch kenntlich. „Im Ganzen, sagt Buchanan, besitzen die westlichen Hebrider, gute natürliche Fähigkeiten, begreifen schneller, und dringen vielleicht tiefer in einen Gegenstand ein, als irgendwo innere Landesbewohner zu thun pflegen. Dies muß daher kommen, weil sie so vielen Umgang mit Leuten von verschiedner Gemüthsstimmung haben, welche ihnen die Schiffahrt täglich zuführt, derentwegen sie vorsichtig, thätig und gefällig werden müssen. Auch setzt sie ihre beständige Gefahr, auf dem Elmente mit welchem sie sich unablässig beschäftigen, in die unumgängliche Nothwendigkeit, zu ihrer Selbsterhaltung, Augen und Sinnen stets wachsam zu erhalten: und diese anhaltende Übung wird bei ihnen zur festen Gewohnheit, die sich bei jeder Handlung des Lebens an ihnen offenbaret.“

„Sie haben eine glückliche Anlage zur Dichtung, wie zur Sing- und Instrumental-Musik, besonders auf beiden Uists, wo man nicht bloß studierte, sondern augenblickliche Ergiessugnen einer sehr scharfen und beissenden Satyre zu hören bekommt, die durch Mark und Bein dringt und den Stachel sitzen läßt.“

„Durch eben diese Gesänge strömt ein zarter weicher Laut tief empfundener Rührung, der die Seele zu herzlichen Gefühlen und Liebe stimmt. Auch vernimmt man wehmüthige Klagen und Jammertöne um verlohrne Geliebten und Freunde: und solche Sänger findet man nicht bloß unter Vornehmen, sondern unter der niedrigsten Volksklasse. Darin übertreffen sie alle alten englischen und schottischen, bis jetzt bekannt gewordene Lieder: so vielen und verdienten Beifall diese auch bei wahren Kennern des Gesanges gefunden haben. Wäre die Galische Sprache bekannt genug, die Meisterstücke ihrer Tonkunst würden allen Schaubühnen, wo Geschmack und Anmuth herrscht, zur Zierde und Bewunderung gereichen.“

„Ihre Luinneags, und der Einklang aller hineinfallenden Stimmen, sind dem Ohr unaussprechlich angenehm. Auch das Auge wird beschäftigt, wenn man sie im Kreise stehn und Hand und Tuch bewegen sieht. Sing- und Instrumental-Musik sind ihre gesellschaftliche Unterhaltung. An Geschicklichkeit im Tanz übertreffen sie wahrscheinlich alle andern Völkerschaften.“

„Die gemeinen Leute sind wundernswürdig schnell in ihren Begriffen. Weiber werden so gute Weber als Männer. Sie lernen diese Kunst in wenig Monathen. Dabei singen sie herzhaft ihre Jorrams und Luineags. Eine macht die Hauptstimme, die andern den Chor, der nach jedem Gesetz des Liedes zwei oder dreimal wiederholt wird. Der süsse Laut ihrer Lieder zieht gewöhnlich eine Menge Zuhörer herbei, welche mit in den Chor fallen.“

Von Sankt Kilda schreibt er: „Männer und Weiber lieben den Gesang, und haben schöne Stimmen. Ihre natürliche Anlage und Neigung zur Dichtkunst ist nicht geringer, als die der andern eingebohrnen Hebrider. In ihren Liedern lieben sie Beschreibungen, und beweisen ungemeine Einbildungskraft. Der Gegenstand derselben sind die Reize ihrer Geliebten, und die Heldenthaten der Vogelsteller oder Fischer, wie auch der traurige Tod, welcher sie zwischen Klippen überfällt.“

„Wie auf Harris singen die Männer am Runder, und beleben sich bei der Arbeit durch Wett- und Chorgesang, der zum Schlage den Takt hält.“ – – Käme diesen armen Galen ein zweiter Fingal wieder: so würde sein Sohn Ossian auch erscheinen. Er sänge nicht mehr, wozu jener den Ton angab und was die traurige Zeit leider fortsingen mußte: Untergang der Helden, Unterdrückung, Jammer und Wehmuth. – –

"]"]