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26. An Goethe, 29. November 1794

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Jena den 29. November 1794.

Sie haben mich mit der unerwartet schnellen Lieferung des Eingangs zu Ihren Erzählungen sehr angenehm überrascht, und ich bin Ihnen doppelt dankbar dafür. Nach meinem Urtheil ist das Ganze sehr zweckmäßig eingeleitet, und besonders finde ich den strittigen Punkt sehr glücklich ins Reine gebracht. Nur ist es Schade, daß der Leser zu wenig auf einmal zu übersehen bekommt, und daher nicht so im Stande ist, die nothwendigen Beziehungen des Gesagten auf das Ganze gehörig zu beurtheilen. Es wäre daher zu wünschen gewesen, daß gleich die erste Erzählung hätte können mitgegeben werden. Aber ich möchte nicht gerne in meinen Wünschen unbescheiden sein und Sie veranlassen, Ihre Theilnahme an den Horen als ein Onus zu betrachten. Ich unterdrücke also diesen Wunsch, und versichere Ihnen bloß, daß wenn Sie ihn, ohne sich zu belästigen, realisiren können, Sie mir ein großes Geschenk machen würden.

Nach dem Ueberschlag den ich gemacht (und ich habe einige Blätter durch die Worte gezählt), kann das Manuscript nicht mehr als zwei und einen halben Bogen betragen, daß also noch immer ein ganzer Bogen zu füllen übrig bleibt. Wenn es auf keine andere Art zu machen ist, so will ich zu diesem siebenten Bogen Rath schaffen, und ein Morceau aus der Niederländischen Geschichte, das für sich interessiren kann, die Belagerung von Antwerpen unter Philipp II., die viel Merkwürdiges hat, kurz beschreiben. Diese Arbeit macht mir weniger Mühe, und es würde der kleine Nebenzweck dabei erreicht, daß schon im ersten Stück das historische Feld besetzt wäre. Es versteht sich aber, daß dieses Expediens, wenigstens für das erste Stück, unterbleibt, sobald Hoffnung da ist, noch mehr von Ihren Erzählungen zu erhalten. Daß die Erscheinung dieses ersten Stücks nun um eine Woche verzögert wird, kann freilich nicht vermieden werden; indessen ist das Uebel so groß nicht, und vielleicht können wir es dadurch gut machen, daß das zweite Stück gleich eine Woche nachher erscheint.

Weil ich mich in meiner Annonce an das Publicum auf unsere Keuschheit in politischen Urtheilen berufen werde, so gebe ich Ihnen zu bedenken, ob an dem, was Sie dem Geheime Rath in den Mund legen, eine Partei des Publicums, und nicht die am wenigsten zahlreiche, nicht vielleicht Anstoß nehmen dürfte? Obgleich hier nicht der Autor, sondern ein Interlocutor spricht, so ist das Gewicht doch auf seiner Seite, und wir haben uns mehr vor dem was scheint als was ist in Acht zu nehmen. Diese Anmerkung kommt von dem Redacteur. Als bloßer Leser würde ich ein Vorwort für den Geh. Rath einlegen, daß Sie ihn doch durch den hitzigen Karl, wenn er sein Unrecht eingesehen, möchten zurückholen und in unserer Gesellschaft bleiben lassen. Auch würde ich mich des alten Geistlichen gegen seine unbarmherzige Gegnerin annehmen, die es ihm fast zu arg macht.

Ich glaubte aus einigen Zügen, besonders aus einer größern Umständlichkeit der Erzählung am Anfange schließen zu können, daß Sie die Absicht haben, die Vermuthung bei dem Leser zu erwecken, daß etwas wirklich vorgefallenes im Spiele sei. Da Sie im Verlauf der Erzählungen ohnehin mit der Auslegungssucht oft Ihr Spiel treiben werden, so wäre es wenigstens nicht übel, gleich damit anzufangen und das Vehikel selbst, in dieser Rücksicht, problematisch zu machen. Sie werden mir meine eigene Auslegungssucht zu Gute halten.

Die Aushängebogen der Horen werden mir von Woche zu Woche geschickt werden; ich zweifle indeß, ob wir vor vierzehn Tagen den ersten zu erwarten haben.

Die Sottise von Herrn Unger ist mir sehr verdrießlich; denn ich harre mit einer wahren Sehnsucht auf diese Schrift. Aber mit nicht weniger Verlangen würde ich die Bruchstücke von Ihrem Faust, die noch nicht gedruckt sind, lesen; denn ich gestehe Ihnen, daß mir das, was ich von diesem Stücke gelesen, der Torso des Herkules ist. Es herrscht in diesen Scenen eine Kraft und eine Fülle des Genies, die den besten Meister unverkennbar zeigt, und ich möchte diese große und kühne Natur, die darin athmet, so weit als möglich verfolgen.

Herr v. Humboldt, der sich Ihnen aufs beste empfiehlt, ist noch ganz voll von dem Eindruck, den Ihre Art, den Homer vorzutragen, auf ihn gemacht hat, und er hat in uns allen ein solches Verlangen darnach erweckt, daß wir Ihnen, wenn Sie wieder auf einige Tage hieher kommen, keine Ruhe lassen werden, bis Sie auch eine solche Sitzung mit uns halten.

Mit meinen ästhetischen Briefen ist es bisher sehr langsam gegangen, aber die Sache erforderte es, und ich kann nun hoffen, daß das Gebäude in den Fundamenten gut beschaffen ist. Wenn nicht diese kleine historische Arbeit dazwischen käme, so könnte ich Ihnen vielleicht in acht bis zehn Tagen eine Lieferung zuschicken.

Alles bei uns empfiehlt sich Ihrem freundschaftlichen Andenken.

Ganz der Ihrige

Schiller.