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231. An Goethe, 23. Oktober 1796

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Jena den 23. October 1796.

Herzlichen Dank für den Meister, der mich noch oft erquicken und beleben soll. Die vier andern Exemplare habe ich abgeliefert; aber Sie schreiben von sechsen, und ich habe deren nur fünf erhalten. Das Humboldtische fehlt noch.

Dieser ist von unserm Almanach nicht wenig überrascht worden und hat recht darin geschwelgt; auch die Xenien haben den heitern Eindruck auf ihn gemacht, den wir wünschen. Es ist mir wieder eine angenehme Entdeckung, daß der Eindruck des Ganzen doch jedem liberaleren Gemüth gefällig und ergötzlich ist. In Berlin, schreibt er, sei zwar großes Reißen darnach, aber doch habe er nichts, weder interessantes noch kurzweiliges darüber erfahren. Die Meisten kämen entweder mit moralischen Gemeinplätzen angestochen, oder sie belachen alles ohne Unterschied wie eine literarische Hatze. Unter den vordern Stücken die er noch nicht kannte hat die Eisbahn von Ihnen und die Musen in der Mark ihn vorzüglich erfreut; von mir die Geschlechter, der Besuch und vor den Tabulis votivis hat er, wie auch Genz, einen großen Respect; aber eine Auseinandersetzung unsres beiderseitigen Eigenthums an diesen gemeinschaftlichen Productionen findet er sehr schwer. Von den Xenien schreibt er, daß sie sämmtlich Ihnen in die Schuhe geschoben würden, worin man in Berlin noch mehr durch Hufeland bestärkt worden sei, der behauptet habe, alle von Ihrer Hand gelesen zu haben.

Sonst habe ich neuerdings nichts von dem Almanach gehört, und denke, wir werden auch nur zu bald inne werden, wie wenig jetzt auf einen allgemeinen Sinn bei dem Publicum zu rechnen ist.

Humboldt hofft in acht Tagen hier sein zu können. Ich freue mich darauf, wieder eine Weile mit ihm zu leben. Stolbergen, schreibt er, habe er in Eutin nicht gefunden, weil er gerade in Kopenhagen gewesen sei, und von Claudius wisse er durchaus nichts zu sagen, er sei eine völlige Null.

Ihre Schweizer Briefe interessiren jeden, der sie liest, und ich bin ordentlich froh, daß ich Ihnen diese habe abjagen können. Es ist auch wahr, sie geben ein ungemein lebendiges Bild der Gegenwart, aus der sie floßen, und ohne ein kunstmäßiges Entstehen stellen sie sich recht natürlich und geschickt in ein Ganzes zusammen.

Der Beschluß Meisters hat meine Schwägerin sehr gerührt, und ich finde auch hier meine Erwartung von dem, was den Haupteffect macht bestätigt. Immer ist es doch das Pathetische, was die Seele zuerst in Anspruch nimmt; erst späterhin vereinigt sich das Gefühl zum Genuß des ruhigen Schönen. Mignon wird wahrscheinlich bei jedem ersten und auch zweiten Lesen die tiefste Furche zurücklassen; aber ich glaube doch, daß es Ihnen gelungen sein wird, wornach Sie strebten – diese pathetische Rührung in eine schöne aufzulösen.

Wie lieb ist mir’s, daß Sie bald wieder auf einige Tage kommen wollen. Jetzt, nachdem ich die Arbeit mit dem Almanach abgeworfen, bedarf ich eines neuen lebendigen Interesse so sehr. Zwar habe ich den Wallenstein vorgenommen, aber ich gehe noch immer darum herum, und warte auf eine mächtige Hand, die mich ganz hinein wirft. Die Jahrszeit drückt mich wie Sie und ich meine oft, mit einem heitern Sonnenblick müßte es gehen.

Leben Sie aufs beste wohl. Ich muß Sie noch bitten mir sowohl von dem Kupferstecher als von dem Buchbinder die Almanachsrechnung besonders aufsetzen zu lassen; ich sende Mittwoch die ganze Rechnung an Cotta, und wünschte deßwegen jeden Beleg besonders zu haben. Das, was für den Hirtischen Aufsatz ist, ist er ja wohl so gut noch besonders aufzusetzen, und beides, so wie auch der Buchbinder, zu quittiren.

Leben Sie recht wohl. Alles grüßt,

Sch.