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243. An Schiller, 19. November 1796

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Der Körnerische Brief hat mir sehr viel Freude gemacht, um so mehr als er mich in einer entschieden ästhetischen Einsamkeit antraf. Die Klarheit und Freiheit, womit er seinen Gegenstand übersieht, ist wirklich bewundernswerth; er schwebt über dem Ganzen, übersieht die Theile mit Eigenheit und Freiheit, nimmt bald da bald dort einen Beleg zu seinem Urtheil heraus, decomponirt das Werk um es nach seiner Art wieder zusammen zu stellen, und bringt lieber das was die Einheit stört, die er sucht oder findet, für diesmal bei Seite, als daß er, wie gewöhnlich die Leser thun, sich erst dabei aufhalten, oder gar recht darauf lehnen sollte. Die unterstrichene Stelle hat mir besonders wohlgethan, da ich besonders auf diesen Punkt eine ununterbrochene Aufmerksamkeit gerichtet habe und nach meinem Gefühl dieses der Hauptfaden sein mußte, der im Stillen alles zusammenhält und ohne den kein Roman etwas werth sein kann. Bei diesem Aufsatz ist es aber auch überhaupt sehr auffallend, daß sich der Leser productiv verhalten muß, wenn er an irgend einer Production theilnehmen will. Von den passiven Theilnahmen habe ich leider schon die betrübtesten Beispiele wieder erlebt, und es ist nur immer eine Wiederholung des Refrains: ich kann’s zu Kopf nicht bringen! Freilich faßt der Kopf kein Kunstproduct als nur in Gesellschaft mit dem Herzen.

So hat mir neulich jemand geschrieben, daß er die Stelle im zweiten Bande, Seite 138: »Nein! rief er aus, du bildest dir ein, du abgestorbener Weltmann, daß du ein Freund sein könnest. Alles was du mir anbieten magst, ist der Empfindung nicht werth die mich an diese Unglücklichen bindet!« zum Mittelpunkt des Ganzen gemacht und seinen Umkreis daraus gezogen habe, dazu passe aber der letzte Theil nicht und er wisse nichts damit zu machen.

So versicherte mir ein andrer, meine Idylle sei ein fürtrefflich Gedicht, nur sei ihm noch nicht klar, ob man nicht besser thäte es in zwei oder drei Gedichte zu separiren.

Möchte bei solchen Aeußerungen nicht die Hippokrene zu Eis erstarren und Pegasus sich mausern! Doch das war vor fünf und zwanzig Jahren, als ich anfing, eben so und wird so sein wenn ich lange geendigt habe. Indessen ist nicht zu leugnen daß es doch aussieht, als wenn gewisse Einsichten und Grundsätze, ohne die man sich eigentlich keinem Kunstwerk nähern sollte, nach und nach allgemeiner werden müßten.

Meyer grüßt herzlich von Florenz; er hat endlich auch die Idylle erhalten: es wäre doch gut wenn wir ihm durch Cotta und Escher einen ganzen Almanach zuspediren könnten.

Ich hoffe daß die Kopenhagner und alle gebildete Anwohner der Ostsee aus unsern Xenien ein neues Argument für die wirkliche und unwiderlegliche Existenz des Teufels nehmen werden, wodurch wir ihnen denn doch einen sehr wesentlichen Dienst geleistet haben. Freilich ist es von der andern Seite sehr schmerzlich daß ihnen die unschätzbare Freiheit, leer und abgeschmackt zu sein, auf eine so unfreundliche Art verkümmert wird.

Körners Aufsatz qualificirt sich, wie mich dünkt, recht gut zu den Horen; bei der leichten und doch so guten Art wie das Ganze behandelt ist, werden sich die Contorsionen, die sich von andern Beurtheilern erwarten lassen, desto wunderlicher ausnehmen.

Uebrigens wird es höchst nothwendig daß ich Sie bald sehe; es ist doch gar manches zu besprechen. Ich verlange sehr Ihre Fortschritte am Wallenstein zu erfahren. Von dem Dienstgesuch habe ich etwas gehört, aber keine Gesinnung oder Meinung darüber, doch zweifle ich auch am Gelingen.

Leben Sie recht wohl und grüßen die Freunde.

Weimar den 19. November 1796.

G.