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252. An Goethe, 9. Dezember 1796

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Jena den 9. December 1796.

Dank Ihnen für das vorgestern überschickte. Die Elegie macht einen eigenen tiefen rührenden Eindruck, der keines Lesers Herz, wenn er eins hat, verfehlen kann. Ihre nahe Beziehung auf eine bestimmte Existenz giebt ihr noch einen Nachdruck mehr, und die hohe schöne Ruhe mischt sich darin so schön mit der leidenschaftlichen Farbe des Augenblicks. Es ist mir eine neue trostreiche Erfahrung, wie der poetische Geist alles Gemeine der Wirklichkeit so schnell und so glücklich unter sich bringt, und durch einen einzigen Schwung, den er sich selbst giebt, aus diesen Banden heraus ist, so daß die gemeinen Seelen ihm nur mit hoffnungsloser Verzweiflung nachsehen können.

Das Einzige gebe ich Ihnen zu bedenken, ob der gegenwärtige Moment zur Bekanntmachung des Gedichts auch ganz günstig ist? In den nächsten zwei, drei Monaten, fürchte ich, kann bei dem Publicum noch keine Stimmung erwartet werden gerecht gegen die Xenien zu sein. Die vermeintliche Beleidigung ist noch zu frisch; wir scheinen im Tort zu sein, und diese Gesinnung der Leser wird sie verhärten. Es kann aber nicht fehlen, daß unsere Gegner, durch die Heftigkeit und Plumpheit der Gegenwehr, sich noch mehr in Nachtheil setzen und die Bessergesinnten gegen sich aufbringen. Alsdann denke ich würde die Elegie den Triumph erst vollkommen machen.

Wie wenig man seinen Köcher gegen uns noch erschöpft habe, werden Sie aus beiliegendem Zeitungsblatt, das der Hamburgischen Neuen Zeitung angehängt und mir von Hamburg überschickt worden ist, abermals ersehen. Die Verfahrungsart in dieser Repartie wäre nicht unklug ausgedacht, wenn sie nicht so ungeschickt wäre ausgeführt worden. Ob vielleicht Reichardt – oder Baggesen? – dahinter steckt?

Was Sie in Ihrem letzten Brief über die höhern und entfernteren Vortheile solcher Zänkereien mit den Zeitgenossen sagen, mag wohl wahr sein: aber die Ruhe muß man freilich und die Aufmunterung von außen dabei missen können. Bei Ihnen übrigens ist dieß bloß ein inneres, aber gewiß kein äußeres Bedürfniß. Ihre so einzige, isolirt dastehende und energische Individualität fordert gleichsam diese Uebung; sonst aber wüßte ich wahrlich niemand, der seine Existenz in der Nachwelt weniger zu assecuriren brauchte.

Die Staëlische Schrift habe ich erst heute zur Hand nehmen können; sie hat mich aber auch gleich durch einige treffliche Ideen angezogen. Ob für die Horen etwas damit zu machen sein wird, zweifle ich wieder, weil ich vor einigen Tagen eine Übersetzung davon, die durch die Verfasserin selbst soll veranlaßt worden sein, als ganz nah erscheinend habe ankündigen hören.

Hier lege ich auch ein Exemplar der neuen Ausgabe des Almanachs bei, nebst einem Brieflein von Voß.

Möge die Muse mit ihren schönsten Gaben bei Ihnen sein und ihrem herrlichen Freund seine Jugend recht lange bewahren! Ich bin noch immer in der Elegie – jedem, der nur irgend eine Affinität zu Ihnen hat, wird Ihre Existenz, Ihr Individuum darin so nahe gebracht.

Ich umarme Sie von ganzem Herzen.

Sch.