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258. An Goethe, 16. Dezember 1796

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(Jena den 16. December 1796.)

Der December geht nach und nach vorbei und Sie kommen nicht. Ich fürchte bald, daß wir einander vor dem sieben und neunzigsten Jahr nicht wieder sehen werden. Mich freut übrigens zu hören, daß Sie die Optica ernstlich vorgenommen; denn mir däucht, man kann diesen Triumph über die Widersacher nicht frühe genug beschleunigen. Für mich selbst ist es mir angenehm, durch Ihre Ausführung in dieser Materie klar zu werden.

Meine Arbeit rückt mit lebhaftem Schritt weiter. Es ist mir nicht möglich gewesen, so lange wie ich anfangs wollte, die Vorbereitung und den Plan von der Ausführung zu trennen. Sobald die festen Punkte einmal gegeben waren, und ich überhaupt nur einen sichern Blick durch das Ganze bekommen, habe ich mich gehen lassen, und so wurden, ohne daß ich es eigentlich zu Absicht hatte, viele Scenen im ersten Act gleich ausgeführt. Meine Anschauung wird mit jedem Tage lebendiger und eins bringt das andere herbei.

Gegen den Dreikönig-Tag denke ich soll der erste Act, der auch bei weitem der längste wird, so weit fertig sein, daß Sie ihn lesen können. Denn ehe ich mich weiter hinein wage, möchte ich gerne wissen, ob es der gute Geist ist, der mich leitet. Ein böser ist es nicht, das weiß ich wohl gewiß, aber es giebt so viele Stufen zwischen beiden.

Ich bin, nach reifer Ueberlegung, bei der lieben Prosa geblieben, die diesem Stoff auch viel mehr zusagt.

Hier die noch restirenden Horenstücke; das bezeichnete bitte an Herrn v. Knevel abgeben zu lassen.

Leben Sie aufs beste wohl. Bei uns ist alles ziemlich gesund.

Sch.