HomeBriefwechsel Schiller-Goethe1797302. An Goethe, 25. April 1797

302. An Goethe, 25. April 1797

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Jena den 25. April 1797.

Daß die Forderung des Retardirens aus einem höhern epischen Gesetze folgt, dem auch noch wohl auf einem andern Wege Genüge geschehen kann, scheint mir  außer Zweifel zu sein. Auch glaube ich, es giebt zweierlei Arten zu retardiren, die eine liegt in der Art des Wegs, die andre in der Art des Gehens, und diese däucht mir kann auch bei dem geradesten Weg und folglich auch bei einem Plan, wie der Ihrige ist, sehr gut statt finden.

Indessen möchte ich jenes höhere epische Gesetz doch nicht ganz so aussprechen, wie Sie gethan haben. In der Formel: daß eigentlich nur das Wie und nicht das Was in Betrachtung komme etc., dünkt es mir viel zu allgemein und auf alle pragmatische Dichtungsarten ohne Unterschied anwendbar zu sein. Wenn ich meinen Gedanken darüber kurz heraussagen soll, so ist er dieser. Beide der Epiker und der Dramatiker stellen uns eine Handlung dar, nur daß diese bei dem Letztern der Zweck, bei Ersterem bloßes Mittel zu einem absoluten ästhetischen Zwecke ist. Aus diesem Grundsatz kann ich mir vollständig erklären, warum der tragische Dichter rascher und directer fortschreiten muß, warum der epische bei einem zögernden Gange seine Rechnung besser findet. Es folgt auch, wie mir däucht, daraus, daß der epische sich solcher Stoffe wohl thut zu enthalten, die den Affect sei es der Neugierde oder der Theilnahme schon für sich selbst stark erregen, wobei also die Handlung zu sehr als Zweck interessirt, um sich in den Grenzen eines bloßen Mittels zu halten. Ich gestehe, daß ich dieses letztere bei Ihrem neuen Gedicht einigermaßen fürchte, obgleich ich Ihrer poetischen Uebermacht über den Stoff das Mögliche zutrauen darf.

Die Art wie Sie Ihre Handlung entwickeln wollen, scheint mir mehr der Komödie als dem Epos eigen zu sein. Wenigstens werden Sie viel zu thun haben, ihr das überraschende, Verwunderung erregende zu nehmen, weil dieses nicht so recht episch ist.

Ich erwarte Ihren Plan mit großer Begierde. Etwas bedenklich kommt es mir vor, daß es Humboldten damit auf dieselbe Art ergangen ist wie mir, ungeachtet wir vorher nicht darüber communicirt haben. Er meint nämlich, daß es dem Plan an individueller epischer Handlung fehle. Wie Sie mir zuerst davon sprachen, so wartete auch ich immer auf die eigentliche Handlung; alles was Sie mir erzählten schien mir nur der Eingang und das Feld zu einer solchen Handlung zwischen einzelnen Hauptfiguren zu sein, und wie ich nun glaubte, daß diese Handlung angehen sollte, waren Sie fertig. Freilich begreife ich wohl, daß die Gattung, zu welcher der Stoff gehört, das Individuum mehr verläßt und mehr in die Masse und ein Ganzes zu gehen zwingt, da doch einmal der Verstand der Held darin ist, der weit mehr unter sich als in sich faßt.

Uebrigens mag es mit der epischen Qualität Ihres neuen Gedichts bewandt sein, wie es will, so wird es gegen Ihren Hermann gehalten immer eine andere Gattung sein, und wäre also der Hermann ein reiner Ausdruck der epischen Gattung und nicht bloß einer epischen Species, so würde daraus folgen, daß das neue Gedicht um soviel weniger episch wäre. Aber das wollten Sie ja eben wissen, ob der Hermann nur eine epische Art oder die ganze Gattung darstelle, und wir stehen also wieder bei der Frage.

Ich würde Ihr neues Gedicht geradezu ein komisch-episches nennen, wenn nämlich von dem gemeinen eingeschränkten und empirischen Begriff der Komödie und des komischen Heldengedichts ganz abstrahirt wird. Ihr neues Gedicht, kommt mir vor, verhält sich ungefähr ebenso zu der Komödie, wie der Hermann zu dem Trauerspiel: mit dem Unterschied nämlich, daß dieser es mehr durch seinen Stoff thut, jenes mehr durch die Behandlung.

Aber ich will erst Ihren Plan erwarten, um mehr darüber zu sagen.

Was sagen Sie zu der Regenspurger Friedensnachricht? Wissen Sie etwas bestimmtes, so theilen Sie es uns ja mit. Leben Sie bestens wohl.

Sch.

 

Was Sie den besten dramatischen Stoff nennen (wo nämlich die Exposition schon ein Theil der Entwicklung ist) das ist z. B. in den Zwillingen des Shakespear geleistet. Ein ähnliches Beispiel von der Tragödie ist mir nicht bekannt, obgleich der Oedipus rex sich diesem Ideal ganz erstaunlich nähert. Aber ich kann mir solche dramatische Stoffe recht wohl denken, wo die Exposition gleich auch Fortschritt der Handlung ist. Gleich der Macbeth gehört darunter, ich kann auch die Räuber nennen.

Dem Epiker möchte ich eine Exposition gar nicht einmal zugeben; wenigstens nicht in dem Sinne, wie die des Dramatikers ist. Da er uns nicht so auf das Ende zutreibt, wie dieser, so rücken Anfang und Ende in ihrer Dignität und Bedeutung weit näher an einander, und nicht, weil sie zu etwas führt, sondern weil sie selber etwas ist, muß die Exposition uns interessiren. Ich glaube, daß man dem dramatischen Dichter hierin weit mehr nachsehen muß; eben weil er seinen Zweck in die Folge und an das Ende setzt, so darf man ihm erlauben, den Anfang mehr als Mittel zu behandeln. Er steht unter der Kategorie der Causalität, der Epiker unter der Substantialität; dort kann und darf etwas als Ursache von was anderm dasein, hier muß alles sich selbst um seiner selbst willen geltend machen.

Ich danke Ihnen sehr für die Nachricht, die Sie mir von dem Duisburger Unternehmen gegeben haben; die ganze Erscheinung war mir so räthselhaft. Wenn es sonst thunlich wäre, so würde es mich sehr reizen, ein Zimmer mit solchen Figuren zu dekoriren.

Morgen endlich hoffe ich meinen Garten zu beziehen. Der Kleine hat sich wieder ganz erholt, und die Krankheit, scheint es, hat seine Gesundheit noch mehr befestigt.

Humboldt ist heute fort; ich sehe ihn mehrere Jahre nicht wieder, und überhaupt läßt sich nicht erwarten, daß wir einander noch einmal so wieder sehen, wie wir uns jetzt verlassen. Das ist also wieder ein Verhältniß das als beschlossen zu betrachten ist und nicht mehr wieder kommen kann; denn zwei Jahre, so ungleich verlebt, werden gar viel an uns und also auch zwischen uns verändern.