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336. An Goethe, 4. Juli 1797

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Jena den 4. Juli 1797.

Hirt hat mich in diesen drei Tagen recht interessant beschäftigt und mir manches zurückgelassen, worüber ich noch lange zu denken haben werde. Seine Urtheile, wenn sie auch etwas befangen sind, ruhen auf einer vielfältigen und fortgesetzten Anschauung, und sprechen in wenig Worten fruchtbare Resultate einer lebendigen Beobachtung und eines gründlichen Studiums aus. Mir däucht, daß er in der Hauptsache mit Ihnen und Meyern ziemlich einig ist, wenigstens kann man lange mit ihm über das tiefste und innerste sprechen, ohne auf eine Dissonanz zu stoßen oder sich unverständlich zu sein. Ich hätte gewünscht, der dritte Mann zu sein, wenn Sie sich mit ihm über diese Gegenstände unterhalten, weil ich ein Gespräch über bildende Kunst aus eignem Mittel nicht lange unterhalten, wohl aber mit Nutzen zuhören kann.

Gegen Michel Ange ist er sehr eingenommen, und mir däucht, daß er ihn viel zu tief herabsetzt, wenn er ihm bloß einen Zeitwerth zugesteht. Indessen habe ich auch bei dem harten Urtheil über Michel Ange sein Raisonnement sehr verständig gefunden, und zweifle bloß an der richtigen Angabe des Factums worauf er es gründet.

Uebrigens weiß ich noch nicht recht, was ich von Hirten eigentlich denken soll und ob er bei einer längern Bekanntschaft die Probe halten würde. Vielleicht ist ihm manches nicht eigen, wodurch er jetzt in der That imponirt, wenigstens scheint mir die Wärme und Lebhaftigkeit, mit der er manches darzustellen wußte, nicht so eigentlich in seiner Natur zu liegen.

Lassen Sie sich doch von ihm etwas vom Maler Müller erzählen, wenn es noch nicht geschehen ist. Es ist kurzweilig genug, wie der Aufsatz in den Horen gegen Fernow entstanden ist.

Ich wünsche morgen von Ihnen zu hören daß der Faust vorgerückt ist. Mir hat Hirts Anwesenheit in diesen Tagen eine kleine Zerstreuung gemacht, nur der Einfall mit dem Nordamerikanischen Lied ist ausgeführt worden; ich lege das Liedchen bei, das der Veränderung wegen mit passiren mag.

Hier folgt der Bücherzettel, nebst einem Brief von Humboldt. Die Bücher werden Sie durch meinen Schwager erhalten, dem ich heut ein Paket sende.

Leben Sie recht wohl.

Sch.