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361. An Goethe, 14. September 1797

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Jena den 14. September 1797.

Zu meiner Freude erfahre ich aus Ihrem Stuttgarter Briefe, daß Sie sich auf meinem vaterländischen Boden gefallen, und daß die Personen, die ich Ihnen empfahl, mich nicht zum Lügner gemacht haben. Ich zweifle nicht, daß diese sieben Tage, die Sie selbst mit Vergnügen und Nutzen dort zugebracht, für Dannecker und Rapp Epoche machen und sehr gute Folgen haben werden; der erste besonders ist höchst bildungsfähig, und ihm mangelte es bis jetzt nur an einer glücklichen Pflege von außen, die seinem reichen Naturell die gehörige Richtung gegeben hätte. Ich kann mir seine Fehlgriffe in der Kunst, da er diese sonst so ernstlich zu packen wußte und in einigen Hauptpunkten so entscheidend auf das wahre Wesen losgeht, nur aus einem gewissen Ueberfluß erklären; mir däucht daß seine poetische Imagination sich mit der artistischen, woran es ihm gar nicht mangelt, nur confundire.

Ueberhaupt frage ich Sie bei dieser Gelegenheit ob die Neigung so vieler talentvoller Künstler neuerer Zeiten zum Poetisiren in der Kunst nicht daraus zu erklären ist, daß in einer Zeit wie die unsrige es keinen Durchgang zum Ästhetischen giebt als durch das Poetische, und daß folglich alle auf Geist Anspruch machende Künstler, eben deßwegen weil sie nur durch ein poetisches Empfinden geweckt worden sind, auch in der bildenden Darstellung nur eine poetische Imagination zeigen. Das Uebel wäre so groß nicht, wenn nicht unglücklicherweise der poetische Geist in unsern Zeiten, auf eine, der Kunstbildung so ungünstige Art, specificirt wäre. Aber da auch schon die Poesie so sehr von ihrem Gattungsbegriff abgewichen ist (durch den sie allein mit den nachahmenden Künsten in Berührung steht), so ist sie freilich keine gute Führerin zur Kunst, und sie kann höchstens negativ (durch Erhebung über die gemeine Natur), aber keineswegs positiv und activ (durch Bestimmung des Objects) auf den Künstler einen Einfluß äußern.

Auch diese Verirrung der bildenden Künstler neuerer Zeit erklärt sich mir hinreichend aus unsern Ideen über realistische und idealistische Dichtung, und liefert einen neuen Beleg für die Wahrheit derselben. Ich denke mir die Sache so.

Zweierlei gehört zum Poeten und Künstler: daß er sich über das Wirkliche erhebt und daß er innerhalb des Sinnlichen stehen bleibt. Wo beides verbunden ist, da ist ästhetische Kunst. Aber in einer ungünstigen, formlosen Natur verläßt er mit dem Wirklichen nur zu leicht auch das Sinnliche und wird idealistisch und, wenn sein Verstand schwach ist, gar phantastisch; oder will er und muß er, durch seine Natur genöthigt, in der Sinnlichkeit bleiben, so bleibt er gern auch bei dem Wirklichen stehen und wird, in beschränkter Bedeutung des Worts, realistisch, und wenn es ihm ganz an Phantasie fehlt, knechtisch und gemein. In beiden Fällen also ist er nicht ästhetisch.

Die Reduction empirischer Formen auf ästhetische ist die schwierige Operation, und hier wird gewöhnlich entweder der Körper oder der Geist, die Wahrheit oder die Freiheit fehlen. Die alten Muster, sowohl im Poetischen als im Plastischen, scheinen mir vorzüglich den Nutzen zu leisten, daß sie eine empirische Natur die bereits auf eine ästhetische reducirt ist, aufstellen, und daß sie, nach einem tiefen Studium, über das Geschäft jener Reduction selbst Winke geben können.

Aus Verzweiflung, die empirische Natur womit er umgeben ist nicht auf eine ästhetische reduciren zu können, verläßt der neuere Künstler von lebhafter Phantasie und Geist sie lieber ganz, und sucht bei der Imagination Hülfe gegen die Empirie, gegen die Wirklichkeit. Er legt einen poetischen Gehalt in sein Werk, das sonst leer und dürftig wäre, weil ihm derjenige Gehalt fehlt, der aus den Tiefen des Gegenstandes geschöpft werden muß.

 

Den 15. September 1797.

Es wäre vortrefflich, wenn Sie mit Meyern Ihre Gedanken über die Wahl der Stoffe für poetische und bildende Darstellung entwickelten. Diese Materie communicirt mit dem Innersten der Kunst, und würde zugleich durch ihre unmittelbare und leichte Anwendung auf wirkliche Kunstwerke sehr pragmatisch und ansprechend sein. Ich für mein Theil werde darüber auch meine Begriffe deutlich zu machen suchen.

Vor der Hand scheint mir, daß man mit großem Vortheil von dem Begriff der absoluten Bestimmtheit des Gegenstandes ausgehen könnte. Es würde sich nämlich zeigen, daß alle, durch eine ungeschickte Wahl des Gegenstandes, verunglückte Kunstwerke an einer solchen Unbestimmtheit und daraus folgender Willkürlichkeit leiden.

So scheint mir der Begriff dessen, was man einen prägnanten Moment nennt, sich vollkommen durch seine Qualification zu einer durchgängig bestimmten Darstellung zu erklären. Ich weiß in der poetischen Gattung keinen treffendern Fall als Ihren Hermann. Hier würde sich vielleicht durch eine Art Induction zeigen lassen, daß bei jeder andern Wahl der Handlung etwas hätte unbestimmt bleiben müssen.

Verbindet man mit diesem Satz nun den andern, daß die Bestimmung des Gegenstandes jedesmal durch die Mittel geschehen muß, welche einer Kunstgattung eigen sind, daß sie innerhalb der besondern Grenzen einer jeden Kunstspecies absolvirt werden muß, so hätte man, däucht mir, ein hinlängliches Criterium, um in der Wahl der Gegenstände nicht irre geleitet zu werden.

Aber freilich, wenn dieß auch seine Richtigkeit hätte, ist die Anwendung des Satzes schwer und möchte überall mehr Sache des Gefühls und des Ahnungsvermögens bleiben, als des deutlichen Bewußtseins.

Ich bin sehr neugierig auf das neue poetische Genre, woraus Sie mir bald etwas senden wollen. Der reiche Wechsel Ihrer Phantasie erstaunt und entzückt mich, und wenn ich Ihnen auch nicht folgen kann, so ist es schon ein Genuß und Gewinn für mich, Ihnen nachzusehen. Von diesem neuen Genre erwarte ich mir etwas sehr anmuthiges, und begreife schon im Voraus, wie geschickt es dazu sein muß, ein poetisches Leben und einen geistreichen Schwung in die gemeinsten Gegenstände zu bringen.

Von unserm Freund Humboldt habe ich heute Briefe bekommen. Es gefällt ihm in Wien gar nicht mehr, die italienische Reise hat er auch so gut als aufgegeben, ist aber beinah entschlossen nach Paris zu gehen, welches er aber wahrscheinlich, nach den neuesten Ereignissen dort, nicht zur Ausführung bringen wird. Er wird Ihnen, wie er schreibt, in diesen Tagen von sich Nachricht geben.

Ich habe immer noch viel von meinem Husten zu leiden, bin aber viel freier von meinem alten Uebel, wobei indeß meine Stimmung und meine Thätigkeit nicht viel gewinnt; denn das neue Uebel greift mir den Kopf weit mehr an als das malum domesticum, die Krämpfe zu thun pflegen. Indeß hoffe ich in acht oder zehn Tagen der Schererei des Almanachs los zu sein und wieder ernstlich an den Wallenstein gehen zu können. Das Lied von der Glocke habe ich bei meinem übeln Befinden nicht vornehmen können noch mögen. Indessen fanden sich doch noch allerlei Kleinigkeiten für den Almanach, die eine Mannigfaltigkeit in meine Beiträge bringen und meinen Antheil an demselben ziemlich beträchtlich machen.

Mit meinen Kranichen ist Böttiger sehr zufrieden gewesen, und Zeit und Lokal, worüber ich ihn consultirte, hat er sehr befriedigend dargestellt gefunden. Er gestand bei dieser Gelegenheit, daß er nie recht begriffen habe, wie sich aus dem Ibycus etwas machen ließe. Dieses Geständniß hat mich sehr belustigt, da es seinen Mann so schön charakterisirt.

Sie werden von Cotta den I und K Bogen des Almanachs erhalten haben; vielleicht kann ich heute noch einen schicken. Der Almanach wird stärker als der vom vorigen Jahr, ohne daß ich in der Auswahl hätte laxer sein müssen.

In meinem Hause geht es gut, und wir haben Karls Geburtstag gestern mit vieler Freude gefeiert. Heute hatten wir Vent aus Weimar bei uns, der mir sehr wohl gefällt; sonst hat sich meine Gesellschaft um keine neue Figur vermehrt. Meine Frau denkt Ihrer mit herzlichem Antheil, auch mein Schwager und Schwägerin empfehlen sich Ihnen aufs beste.

Leben Sie recht wohl, grüßen Sie Meyern und denken Sie meiner in Ihrem Kreise. Ihre Briefe sind für uns reichbeladne Schiffe, und machen jetzt eine meiner besten Freuden aus. Leben Sie wohl.

Schiller.

Sehen Sie doch das Blatt an, worein ich packe.