Bei unserer Trennung die auch mir immer sehr empfindlich fällt finde ich Ursache Sie zu beneiden, indem Sie in Ihrem Kreise und auf Ihrem Wege bleiben und also sichrer vorwärts gehen, da das Vorschreiten in meiner Lage eine sehr problematische Sache ist. Abends weiß ich wohl daß etwas geschehen ist, das aber auch wohl ohne mich und vielleicht ganz und gar anders hätte geschehen können.
Ich will nur suchen hier aufs beste meine Pflicht im allgemeinen zu thun und sorgen daß mein Aufenthalt auch für unsere besondern Zwecke nicht unnütz verstreiche.
Den ersten Gesang des Gedichtes habe ich von unserer Freundin erhalten, gegen den aber leider alle Gravamina die ich Ihnen schon vorerzählt gewaltig gelten. Es fehlt alle epische Retardation, dadurch drängt sich alles auf und über einander, und dem Gedicht fehlt, wenn man es liest durchaus Ruhe und Klarheit. In dem ganzen Gesange ist kein einziger Abschnitt angegeben und wirklich sind die Abschnitte schwer zu bezeichnen. Die sehr langen Perioden verwickeln die Sache mehr als daß sie durch eine gewisse Vollendung dem Vortrag eine Anmuth gäben. Es entstehen viel dunkle Parenthesen und Beziehungen, die Worte sind oft ohne epischen Zweck umgestellt und der Gebrauch der Participien nicht immer glücklich. Ich will sehen das mögliche zu thun um so mehr als ich meine hiesigen Stunden nicht hoch anrechne.
Ueberhaupt aber werden unsere Arbeiten über den Dilettantismus uns, wie ich voraussehe, in eine eigne Lage versetzen; denn es ist nicht möglich die Unarten desselben deutlich einzusehen ohne ungeduldig und unfreundlich zu werden. Ob ich das Schema sehr gefördert schicken oder bringen werde ist noch eine sehr große Frage.
Was ich von Christian Thomasius kennen lernte hat mich stets interessirt. Sein heiteres und geistreiches Wesen ist sehr ansprechend. Ich will mich nach den Aufsätzen erkundigen nach denen Sie fragen.
Leben Sie recht wohl und grüßen Sie Ihre liebe Frau.
Von Meyern liegt etwas bei.
Weimar am 29. Mai 1799.
G.