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631. An Schiller, 31. Juli 1799

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Es ist recht hübsch daß ich Ihnen, in dem Augenblick da ich die Productionen ausschließlich preise und anempfehle, auf eine doppelte Weise dazu Glück wünschen kann. Möge in beiden Fällen alles glücklich von Statten gehen.

Ich konnte voraussehen daß Parny Ihnen Vergnügen machen würde. Er hat aus dem Sujet eine Menge sehr artiger und geistreicher Motive gezogen, und stellt auch recht lebhaft und hübsch dar. Nur ist er, dünkt mich, in Disposition und Gradation der Motive nicht glücklich, daher dem Ganzen die Einheit fehlt. Auch scheint mir der äußere Endzweck, die christkatholische Religion in den Koth zu treten, offenbarer als es sich für einen Poeten schicken will. Es kam mir vor als wenn dieses Büchlein expreß von den Theophilanthropen bestellt sein könnte.

Allerdings passen diese und ähnliche Gegenstände besser zu komischen als zu ernsthaften Epopöen. Das verlorne Paradies, das ich diese Tage zufällig in die Hand nahm, hat mir zu wunderbaren Betrachtungen Anlaß gegeben. Auch bei diesem Gedichte, wie bei allen modernen Kunstwerken, ist es eigentlich das Individuum, das sich dadurch manifestirt, welches das Interesse hervorbringt. Der Gegenstand ist abscheulich, äußerlich scheinbar und innerlich wurmstichig und hohl. Außer den wenigen natürlichen und energischen Motiven ist eine ganze Partie lahme und falsche, die einem wehe machen. Aber freilich ist es ein interessanter Mann der spricht, man kann ihm Charakter, Gefühl, Verstand, Kenntnisse, dichterische und rednerische Anlagen und sonst noch mancherlei Gutes nicht absprechen. Ja der seltsame einzige Fall daß er sich, als verunglückter Revolutionair, besser in die Rolle des Teufels als des Engels zu schicken weiß, hat einen großen Einfluß auf die Zeichnung und Zusammensetzung des Gedichts, so wie der Umstand daß der Verfasser blind ist auf die Haltung und das Colorit desselben. Das Werk wird daher immer einzig bleiben und, wie gesagt, so viel ihm auch an Kunst abgehen mag, so sehr wird die Natur dabei triumphiren.

Unter andern Betrachtungen bei diesem Werke war ich auch genöthigt über den freien Willen, über den ich mir sonst nicht leicht den Kopf zerbreche, zu denken; er spielt in dem Gedicht, so wie in der christlichen Religion überhaupt, eine schlechte Rolle. Denn sobald man den Menschen von Haus aus für gut annimmt, so ist der freie Willen das alberne Vermögen aus Wahl vom Guten abzuweichen und sich dadurch schuldig zu machen; nimmt man aber den Menschen natürlich als bös an, oder, eigentlicher zu sprechen, in dem thierischen Falle unbedingt von seinen Neigungen hingezogen zu werden, so ist alsdann der freie Wille freilich eine vornehme Person, die sich anmaßt aus Natur gegen die Natur zu handeln. Man sieht daher auch wie Kant nothwendig auf ein radikales Böse kommen mußte und woher die Philosophen, die den Menschen von Natur so scharmant finden, in Absicht auf die Freiheit desselben so schlecht zu rechte kommen und warum sie sich so sehr wehren wenn man ihnen das Gute aus Neigung nicht hoch anrechnen will. Doch mag das bis zur mündlichen Unterredung aufgehoben sein, so wie die Reinholdischen Erklärungen über den Fichtischen Atheismus. Den Brief an Lavatern hierüber habe ich angefangen zu lesen. Reinholds Ausführung scheint mir überhaupt psychologisch sehr unterrichtend und läuft wie mir scheint am Ende auf das alte Dictum hinaus: daß sich jeder seine eigne Art von Gott macht und daß man niemand den seinigen weder nehmen kann und soll.

Um meiner von allen Seiten geräuschvollen Nachbarschaft zu entgehen, habe ich mich entschlossen in den Garten zu ziehen, um dort die Ankunft des Herzogs und Geheimen Rath Voigts zu erwarten, welche mich hoffentlich von meinem gegenwärtigen Posten ablösen wird.

Ob die Einsamkeit des Ilmthals zu dem Einzigen was Noth ist viel helfen wird, muß die Zeit lehren.

Leben Sie recht wohl und grüßen Ihre liebe Frau. Unsere nächste Zusammenkunft wird desto erfreulicher werden, je mehr sie bisher gehindert worden ist; denn wir haben indeß jeder für sich doch wieder manches erfahren dessen Mittheilung interessant genug sein wird.

Weimar am 31. Juli 1799.

G.