HomeDie Horen1795 - Stück 10I. Herr Lorenz Stark. [J. J. Engel]

I. Herr Lorenz Stark. [J. J. Engel]

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Ein Charaktergemälde.

I.

Herr Lorenz Stark galt in ganz H…., wo er lebte, für einen sehr wunderlichen, aber sehr vortreflichen alten Mann. Das Äusserliche seiner Kleidung und seines Betragens verkündigte auf den ersten Blick die altdeutsche Einfalt seines Charakters. Er ging, in ein einfarbigtes aber sehr feines Tuch, grau oder bräunlich, gekleidet; auf dem Kopfe trug er einen kurzen Stutz, oder wenn’s galt, eine wohlgepuderte Troddelperüke; mit seinem kleinen Hute kam er zweimal ausser die Mode, und zweimal wieder hinein; die Strümpfe waren mit großer Zierlichkeit über das Knie hinaufgewickelt, und die stark besohlten Schuhe, auf denen ein Paar sehr kleiner, aber sehr hell polirter Schnallen glänzten, waren vorne stumpf abgeschnitten. Von überflüssiger Leinewand vor dem Busen und über den Händen war er kein Freund; sein größter Staat war eine feine Halskrause mit Spitzen.

Die Fehler, deren dieser vortrefliche Mann nicht wenige hatte, und die denen, welche mit ihm leben mußten, oft sehr zur Last fielen, waren so innig mit den besten seiner Eigenschaften verwebt, daß die einen ohne die andern kaum bestehen zu können schienen. Weil er in der That klüger war, als fast alle, mit denen er zu thun hatte, so war er sehr eigenwillig und rechthaberisch; weil er fühlte, daß man ihm selbst seiner Gesinnungen und Handlungen wegen keinen gegründeten Vorwurf machen könnte, so war er gegen andre ein sehr freier, oft sehr beschwerlicher Sittenrichter; und weil er, bei seiner natürlichen Gutmüthigkeit, über keinen Fehler sich leicht erhitzen, aber auch keinen ungeahndet konnte hingehen lassen, so war er sehr ironisch und spöttisch.

In seiner Casse stand es außerordentlich gut; denn er hatte die langen lieben Jahre über, da er gehandelt und gewirthschaftet hatte, den einfältigen Grundsatz befolgt, daß man, um wohlhabend zu werden, weniger ausgeben als einnehmen müsse. Da sein Anfang nur klein gewesen, und er sein ganzes Glük sich selbst, seiner eigenen Betriebsamkeit und Wirthlichkeit schuldig war; so hatte er, in frühern Jahren, sich nur sehr karg beholfen: aber auch nachher, da er schon längst die ersten Zwanzigtausend geschafft hatte, von denen er zu sagen pflegte, daß sie ihm saurer, als sein nachheriger ganzer Reichthum geworden, blieb noch immer der ursprüngliche Geist der Sparsamkeit in seinem Hause herrschend, und dieser war der vornehmste Grund von dem immer steigenden Wachsthum seines Vermögens.

Herrn Stark waren von seinen vielen Kindern nur zwei am Leben geblieben; ein Sohn, der sich nach dem Beispiel des Vaters der Handlung gewidmet hatte, und eine Tochter. Leztere war an einen der berühmtesten Ärzte des Ortes, Herrn Doctor Herbst, verheurathet; einen Mann, der nicht weniger Geschicklichkeit besaß, Leben hervorzubringen, als zu erhalten. Er hatte das ganze Haus voll Kinder, und eben dieß machte die Tochter zum Liebling des Alten, der ein großer Kinderfreund war. Weil der Schwiegersohn unfern der Kirche wohnte, die Herr Stark zu besuchen pflegte; so war es ausgemacht, daß er jeden Sonntag bei dem Schwiegersohn aß, und seine Frömmigkeit hätte zuweilen wohl gern die Kirche versäumt, wenn nur seine Großvaterliebe den Anblick so werther Enkel und Enkelinnen hätte versäumen können. Es ging ihm immer das Herz auf, wenn ihm der kleine Schwarm, bei’m Hereintreten ins Haus, mit Jubelgeschrei entgegensprang, sich an seine Hände und Rockschöße hing, und ihm die kleinen Geschenke abschmeichelte, die er für sie in den Taschen hatte. Unter dem Tischgebete schweiften zuweilen die Augen der Kleinen umher, und er pflegte ihnen dann leise zuzurufen: Andacht! Andacht! aber der gerade am wenigsten Andacht hatte, war er selbst; denn sein ganzes Herz war, wo seine Augen waren, bei seinen Enkeln.

Mit seinem Sohne war dagegen Herr Stark desto unzufriedner. Auf der einen Seite war er ihm zu verschwenderisch, weil er ihm zu viel Geld verkleidete, verritt und verfuhr, insbesondre aber, weil er zu viel auf Coffeehäuser und in Spielgesellschaften ging. Auf der andern Seite verdroß es ihn, daß er als Kaufmann zu wenig Unternehmungsgeist, und als Mensch zu wenig von der Wohlthätigkeit und Großmuth seines eigenen Charakters hatte. Er hielt ihn für ein Mittelding von einem Geizhalse und einem Verschwender; zwei Eigenschaften, die Herr Stark in gleichem Grade verabscheute. Er selbst war der wahre Sparsame, der bei seinem Sammeln und aufbewahren nicht sowohl das Geld, als vielmehr das viele Gute im Auge hat, das mit Gelde bewirkt werden kann. Wo er keine Absicht fand, da gab er sicherlich keinen Heller; aber wo ihm die Absicht des Opfers werth schien, da gab er mit dem kältesten Blut von der Welt ganze Hunderte hin. Was ihn aber am meisten auf den Sohn verdroß, war der Umstand, daß dieser noch in seinem dreißigsten Jahre unverheurathet geblieben war, und daß es allen Anschein hatte, als ob er die Zahl der alten Hagestolzen vermehren würde. Der Vater hatte den Sohn zu keiner Heurath bereden, der Sohn keine Heurath ohne des Vaters Einwilligung schliessen wollen; und beide waren in Geschmack und Denkungsart allzuverschieden, als daß ihre Wahl oder ihr Wunsch je hätte übereinstimmen können.

Herr Stark hatte seine ganze Handlung der Aufsicht des Sohns übergeben, und ihm, zur Vergeltung für seine Mühe, einige nicht unwichtige Zweige derselben völlig abgetreten. Nur die Geldgeschäfte, deren er viele und sehr beträchtliche machte, hatte er sich selbst vorbehalten. Indessen unterließ er nie, besonders weil er in die kaufmännische Klugheit seines Stellvertreters nicht das meiste Vertrauen sezte, sich um die übrige Handlung, so wie um das ganzen Leben des Sohns, zu bekümmern; und da er ohne Unterlaß etwas versäumt oder nicht ganz nach seinen Grundsätzen fand, so gab dies zwischen Vater und Sohn zu sehr unangenehmen Auftritten Anlaß, die am Ende von beiden Seiten ein wenig bitter und beleidigend wurden.

Man sehe hier zur Probe nur einen der lezten dieser Auftritte, der für die Ruhe und Glükseligkeit der Familie die bedeutendsten Folgen hatte.

II.

Der junge Herr Stark hatte sein Wort gegeben, im öffentlichen Concert zu erscheinen, um sich zu diesem Ende in ein lichtbraunes sammtenes Kleid mit Goldgestikter Weste geworfen. Er hatte sich über dem Anziehen ein wenig versäumt, und fuhr jetzt mit großer Eile in das gemeinschaftliche Arbeitszimmer, wo eben der Alte beim Geldzählen saß. – Friederich! Friederich! rief er, indem er die kaum zugeworfene Thüre mit Geräusch wieder aufriß.

Gott sey bei uns! sagte der Alte; was giebts? – und nahm die Brille herunter.

Der Sohn foderte Licht zum Siegeln, warf sich an seinen Schreibtisch, und murmelte dem Alten seitwärts die Worte zu: Ich habe zu arbeiten – Briefe zu schreiben.

So eilfertig? sagte der Alte. Ich wiederhol’ es dir schon so oft: bedächtig arbeiten und anhaltend, hilft weiter, als hitzig arbeiten und rukweis. – Doch freilich! Freilich! Je eher man sich vom Arbeitstisch hilft, desto früher – –

Kommt man zum Spieltisch, wollte er sagen; aber weil eben Friederich mit Licht hereintrat, so besann er sich, und verschluckte das Wort.

An wen schreibst du denn da? fing er nach einiger Zeit wieder an.

An Berhard Born in S**

Den Sohn?

Der Vater heißt August, nicht Eberhard.

Gut! Meine Empfehlung an ihn! – Ich denke noch oft an die Reise von vorigem Sommer, wo ich ihn kennen lernte. Es ist doch ein vortreflicher junger Mann.

O ja! murmelte der Sohn in sich hinein. Wer nur auch so wäre!

Ein ordentlicher, arbeitsamer, gesitteter Mann, wie gebohren zum Kaufmann. Voll Muths, etwas zu unternehmen, aber nie ohne Bedacht; in seinem Äußerlichen so anständig, so einfach; von Sammt und Stickereien kein Freund, und was ich an ihm ganz vorzüglich schätze – kein Spieler. Ich denke, er soll in seinem Leben noch sein erstes Solo verlieren. – Wenn er ja einmal spielt, so ist es nicht in der Karte, sondern mit seinen Kindern. Er hat so liebenswürdige Kinder! – Ach, und der Alte! sein Vater! Der kann so ganz aus vollem Herzen gegen ihn Vater seyn. Das ist ein glücklicher Mann! – Ich kenne Väter, fuhr er ein wenig leiser fort, die sich an ihm versündigen, die ihn beneiden könnten.

Schreib, oder – sagte der Sohn, indem er eine Feder nach der andern auf den Tisch stampfte und hinwarf.

Der Alte sah das eine Weile mit an. – Du bist ja ganz ärgerlich, wie es scheint?

Wer’s nicht wäre! murmelte der Sohn wieder in sich.

Bin etwa ich daran Ursache? Hab’ ich deinen Geschmack nicht getroffen? – Er stand auf, und ging zum Tische des Sohns. – Ich weiß, du bist von Winken und von Anspielungen eben kein Freund, und ich kann ja auch deutlicher reden.

O, es braucht dessen nicht, sagte der Sohn, und schrieb fort.

Der Alte nahm ihm ruhig die Feder aus der Hand, sprüzte sie aus, und legte sie hin. – Sieh! fing er dann an, es wird mir von Tage zu Tage immer ärgerlicher, daß ich einen Menschen von so weitläuftigem Kopfe und von so engem Herzen zum Sohn haben muß. Einen Menschen, der für seinen Putz, sein Vergnügen, der in L’hombre und Whist ein Ducätchen nach dem andern, oft auch wohl dutzendwiese, vertändelt; der nur noch gestern wieder bis in die sinkende Nacht gespielt hat, und der, wenn er eine großmüthige Handlung thun sollte, vielleicht keines Thalers Herr wäre; – einen Menschen, der ewig ledig bleibt, weil keine Partie ihm reich genug ist, und der doch immer übrig hat, zu fahren, zu reuten, den Cavalier zu machen, Sammt und Stickereien zu tragen. Ich muß wohl nicht Unrecht haben, fuhr er nach einigem Stillschweigen fort; denn du kannst mir nicht antworten.

O, ich könnte, sagte der Sohn, indem er mit Hitze aufstand; aber – –

So sprich! Was verhinderte dich?

Bei Gott! ich bin es müde, so fortzuleben. –

Daß ich das hoffen dürfte!

Ich bin nun, denk’ ich, ein Mann und kein Kind mehr. Warum wird mir denn noch immer begegnet, wie einem Kinde?

Sohn! Sohn! Es giebt alte Kinder.

Ich bin aufmerksam; ich versäume nichts, was zu thun ist; ich setze nie die Achtung und die Ehrerbietung gegen Sie aus den Augen –

Nur den Gehorsam ein wenig.

Ich verwaltete das Ihrige mit Redlichkeit und mit Treue: und doch – doch kann ich keine Stunde in Ruhe leben; doch wird mir durch Vorwürfe ohne Ende jeder Augenblick meines Daseyns verkümmert; doch wird mir jede Zerstreuung, jedes elende Vergnügen gemißgönnt.

Du sprichst sehr hart, aber sehr wahr. Jedes elende Vergnügen!

Elend – weil es mir nichts, oder eine Wenigkeit kostet. Was hab’ ich denn noch verloren, wenn ich verlor?

Das Kostbarste, was wir haben: die Zeit.

Und soll ich denn gar keinen Genuß meiner Jugend haben? Soll ich immer so fortarbeiten, wie Sie, mich eben so tragen, eben so einschränken, wie Sie? eben so – –

Nun, was stockst du? Sprich aus!

Eben so – bei Thalern zusammensparen, um bei Hunderten wegzuwerfen?

Wegzuwerfen! sagte der Alte, dem nichts in der Welt so unerträglich schien, als daß Kinder ihre Ältern über den freien Gebrauch seines selbsterworbenen Vermögens richten sollten. – Dacht’ ich es doch, daß der junge Mensch noch würde mein Vormund werden! Wegzuwerfen! Was verstehst du darunter? Was heißt bei dir wegwerfen? Sprich! – Er ging ihm nach, und hielt ihn etwas unsanft am Arme. – Seinen Beutel für jeden ehrlichen Mann offen halten, der Beistand braucht; etwa das?

Ehrlich! sagte der Sohn mit ziemlich gesunkener Stimme. Wenn sie es alle wären!

O, ich bin noch wenig betrogen. Ich fasse meinen Mann erst ins Gesicht, ehe ich gebe. Und was nennst du denn wegwerfen? Sprich!

Sie borgen Allen – ohne das Geringste davon zu haben.

Thor! Ohne das Geringste davon zu haben? – Er zog die Hand von seinem Arme, und gab ihm einen Blick voll Verachtung! – Ich habe das davon, zu sehn, daß es meinem Mitmenschen wohlgeht. Rechnest du das für nichts? – Und wenn sie mich einst die lange Straße hinabtragen, und ich hier Alles dahintenlasse; so hoff’ ich, es soll da Mancher mit Thränen in seinen Augen sprechen: Schade um den rechtschaffnen Mann! Ich hab’ ihm mit Weib und Kindern meinen ganzen Wohlstand zu danken. Ich war in Noth und kam zu ihm; da half er mir auf, und ich konnte bei Ehren bleiben. – Bei dir hingegen – – Doch was stehe ich da und predige in den Wind? Dein Kopf hat einmal seine eigene Philosophie, und wollte Gott, daß es eine gescheutere wäre! – Nur immer wieder an deine Arbeit! Schreib! Schreib!

III.

Herr Stark sezte sich wieder ruhig an seinen Tisch, und achtete wenig darauf, daß der Sohn eine geraume Zeit mit großen, heftigen Schritten umherging. Er hatte den Grundsatz, daß man einem geschlagnen, weinenden Kinde Zeit lassen müsse, um auszuheulen, und daß es unvernünftig sey, von einer aufgeregten Leidenschaft augenblickliche Stille und Ruhe zu fodern. Der Kampf im Herzen des Sohnes würde sich wahrscheinlich, wie schon so oft, zum Vortheil der kindlichen Liebe und Ehrerbietung entschieden, und Alles würde seine vorige Gestalt angenommen haben, wenn nicht unglüklicher Weise ein Mensch hereingetreten wäre, der dem jungen Herrn Stark aus mehr als Einer Ursache verhaßt war. Es war ein gewisser Herr Specht, einer der kleinen Anfänger, die auf die Güte des alten Herrn bei jeder Gelegenheit Anspruch machten, und die für die Wünsche des Sohns nur allzu oft darinn glücklich waren. Dieser hier hatte den Vorzug vor allen Übrigen; denn er war Pathe und Gevatter zugleich: Verhältnisse, die dem Herrn Stark, nach alter Sitte, noch sehr wichtig und ehrwürdig schienen. Was aber den Sohn besonders gegen ihn aufbrachte, war der aus gewissen aufgefangenen Reden geschöpfte Verdacht, als ob Herr Specht eine junge liebenswürdige Wittwe, Madame Lyk, die bei dem Sohne sehr viel und bei dem Vater sehr wenig galt, bei letzterm angeschwärzt, und ihm Veranlassung zu allen den bittern Glossen gegeben hätte, womit er dann und wann über sie herzufahren pflegte.

Ei! sagte nach seiner gewöhnlichen gleißnerischen Art der Herr Specht, indem er gerade beim Hereintreten zu seinem großen Verdruß auf den Sohn stieß, der noch immer umherging – ei mein werthster Herr Stark! Gleich hier an der Schwelle bin ich so glücklich – –?

Seine tiefen Verbeugungen und seine süßen Minen hatten dem Sohne noch nie so fade und unausstehlich geschienen, als jezt. – Was giebts? Was solls? fuhr er den ganz erstaunten und erschrocknen Besuch ein wenig unartig an.

Himmel! sagte Herr Specht, und griff wieder nach dem Drücker der Thüre; ich hoffe doch nicht, daß ich ungelegen komme? daß ich Stöhrung verursache?

Es wäre möglich. Die Zeit ist edel, mein Herr. –

Ja wohl! ja wohl! Schon bei Unser einem, und erst vollends bei Ihnen! bei einem Manne, der solche Geschäfte macht, solch ein Werk führt! – Wahrlich, ich begreife oft nicht – –

Was es giebt? Was Sie wollen? hab’ ich gefragt. – Borgen etwa? noch ehe die alte Schuld ganz getilgt ist? – Oder wieder Nachrichten von der Wittwe, Ihrer Nachbarinn, bringen? – Da! Wenden Sie sich an meinen Vater, und nicht an mich! –

Indem noch Herr Specht mit den Augen in allen Winkeln war, und nicht wußte, ob er gehen oder blieben, ob er schwiegen oder antworten sollte, drehte der alte Herr Stark, dem nachgerade das Gehör ein wenig schwach ward, und der nicht wußte, ob er etwas und was er hörte, sich auf seinem Stuhle herum, und half ihm durch den freundlichsten Willkommen von seiner Herzensangst. – Der Sohn warf sich wieder an seinen Tisch, um weiter zu schreiben.

Nun? Und was steht denn zu Diensten? sagte Herr Stark, nach mehrern unbedeutenden Fragen – denn umsonst pflegt er nicht zu kommen, mein lieber Pathe.

Ich – ich wollte so frei seyn, stotterte dieser, indem er schielende, misstrauische Blicke nach dem Sohn zurükwarf – ich habe, dieser Tage über, Gelegenheiten gefunden – so allerhand kleine Gelegenheiten – –

Das versteh’ ich ja nicht. Was für Gelegenheiten?

Ich meyne: einen vortheilhaften Handel zu schießen, mir einen kleinen Gewinn zu verschaffen –

Ja so! – das ist mir lieb; das ist schön. – Immer zugegriffen, mein lieber Specht!

Aber – wie’s denn bei Anfängern geht – die Beutel sind so eng und so flach. So wie man hineingreift, hat man auch auf den Boden gegriffen. – Dies war, beiläufig zu sagen, einer der eigenen Einfälle des Herrn Stark, die Herr Specht sich sorgfältig zu merken und gelegentlich bei ihm selbst, mit immer gutem Erfolg, wieder anzubringen pflegte. – Und da wollt’ ich denn also – wenn’s ohne Beschwerde geschehen könnte – –

Sich frischen Vorrath holen. Nicht wahr? – Nur heraus mit der Sprache!

Herr Specht lächelte, und schlug den Alten mehrmalen hinter einander, mit den äußersten Fingerspitzen, sanft und schmeichlerisch auf die Schulter. – Sie sind doch ein vortreflicher Mann, liebster Herr Pathe –

Ja, ja! Weil ich ein so guter Prophet bin. – Aber was war’s denn, das er vorhin mit meinem Sohne absprach? Hat er sich dem schon entdeckt?

Ich wollte. – Ich hatte die Absicht; aber – der junge Herr –

Wird vermuthlich bedauert haben? wird sich ausser Stande gesehen haben zu dienen?

So schien’s beinahe. –

Es kann Ernst damit seyn – die Zeiten sind sich nicht immer gleich, und ich denke, es mag ihm jetzt selber fehlen.

Hehehe! – liebster, bester Herr Stark! Wie Sie doch manchmal zu spaßen wissen!

Zu spaßen? sagte der Alte, und wies nach dem andern Tisch auf die reichgestickte Weste hinüber. – Sieht er denn nicht, daß mein Sohn sein Gold hat verarbeiten lassen? – Ein jeder freilich nach seinem Geschmack! Der Eine hälts mit einer vollen, der Andre mit einer flimmernden Tasche.

Dieses Wort, in keiner ganz üblen Laune und mit einem ziemlich gutmüthigen Tone gesagt – denn Herr Stark war wohl Spötter, aber kein hämischer, und wenn er im Verdrusse erst wieder witzig ward, so war das immer ein Zeichen seiner schon wiederkehrenden Ruhe – dieses Wort folgte auf zu bittre, zu ernstliche Vorwürfe, und ward in Gegenwart eines zu gehassten, zu verachteten Menschen gesprochen, als daß es auf das Herz des Sohns nicht eine sehr unglückliche Wirkung hätte thun sollen. Er sprang mit Ungestümm auf, murmelte heftige, unverständliche Worte zwischen den Zähnen, und warf die Thüre.

IV.

Mein Gott! sagte Herr Specht, dem vor Schrecken beide Arme am Leibe niedersanken; der junge Herr war ganz erhitzt, ganz ergrimmt. Ich will doch nicht hoffen, daß meine Gegenwart – –

Nicht doch; tröstete ihn der Alte, dem seine Übereilung schon innerlich zu gereuen anfing; es ist nur seine Art so; er machts nicht anders. – Dann gab er Herrn Specht die benöthigte Summe, mit hinzugefügter Warnung, daß er sein Geld nicht verstecken, sich nicht in mehr oder in größere Geschäfte verwickeln sollte, als die er verstände, und die er bezwingen könnte. – Übrigens, sagte er, wünschte ich, um Lebens und Sterbens willen, eine kleine Verschreibung. Er kann sie mir diesen Nachmittag bringen.

Gewiß! gewiß! sagte Herr Specht, und klopfte ihm wieder, wie zuvor, mit leichter schmeichelnder Hand, auf die Schulter. – Ich dacht’ es doch gleich, liebster Herr Pathe, daß mir von Ihnen würde geholfen werden. Auch meine Frau sagte: geh immer! So ein Mann, sagte sie, wie der Herr Stark ist, lebt auf der Welt nicht weiter. – Nun, guten Morgen! guten Morgen!

Er hatte ein Vieles darum gegeben, wenn er das unglückliche Wort von der Frau hätte zurückholen können; aber es war heraus, und mit dem Forteilen wollt’ es nicht glücken. Herr Stark winkte ihm, wieder umzukehren, und drohte ihm, nicht ohne Ernst, mit dem Finger. – Weil er doch selbst von ihr anfängt, mein lieber Specht, und weil ich’s bisher immer vergessen habe, – sag’ er mir einmal recht aufrichtig: Wär’ er nicht ein wenig verliebt in die Frau?

Je nun, stotterte dieser – ein junger Ehemann – freilich –

Der selige Lyck, denk’ ich, war’s auch. Und nun, die Wittwe – die ihm das Seinige vertändelte, verputzte, vertantzte, verschmaus’te – er weiß ja wohl besser, als ich’s ihm sagen kann, in was für Umständen die ist. – Nehm’ er sich in Acht, lieber Specht! Sey er auf seiner Hut!

Aber wie so, bester Herr Pathe? wie so? – Meine Frau – –

Ist mir gar sehr nach der Mode. Alles, was nur aufkommt, das macht sie mit. Und darum stell’ ich mir vor – weil er doch nur ein Anfänger ist, und weil ich ihn doch sonst als guten Haushälter kenne – ich stelle mir vor: Er hat so eine gewisse schwache Seite, und die junge Frau hat die ausgekundschaftet. – Hab’ ich’s getroffen?

Liebster, bester Herr Pathe – –

Man gesteht das nicht gerne. Schon gut! – Aber ich bitt’ ihn, als Freund: nehm’ er sich in Acht! Sey’ er ein Mann! – Bei einer schlechten Wirthinn geht der beste Wirth von der Welt zu Grunde; da ist kein Haltens. Er füllt da in ein löcherichtes Sieb; und wenn er sich auch zu Schanden füllte; er bringt in Ewigkeit nichts hinein. – Ich weiß zwar wohl, fuhr er nach einem Weilchen mit Schmunzeln fort, wie’s die Weiber zu machen pflegen –

Ja freilich, freilich, seufzte hier Specht, und fuhr sich mit dem Finger hinter die Ohren. Da steckts!

Wie sie den jungen Mann in die Enge treiben; Launen haben, Zufälle haben, Beklemmungen und Ohnmachten haben – Gott weiß, was Alles? – und wie dann auf einmal wieder das Wetterglas steigt und heitre Sommerluft wird; wie sie da schmeicheln, liebkosen, tändeln, und dann so unversehens, als wenn ihnen nichts drum wäre, damit herausrücken: die da, die trägt dieß und trägt das; die geht hier hin und dort hin; die macht dieß mit und das mit: – die Närrinn! – Unser eine ist doch eben, was sie ist. –

Nun wahrhaftig! rief Specht, dem über der guten Lauen des Alten das Herz wieder ganz leicht ward. Es ist, als ob Sie hätten dabei gestanden.

Und wenn sie dann den guten Tropf in der Schlinge haben: wie sie da küssen, liebäugeln, herzen –

Ganz, wie sie’s zu machen pflegen! – indem er die größte Verwunderung vorgab – ganz nach der Natur! Zug vor Zug!

Ei, ich weiß das. Ich bin ja alle die Schulen durchgegangen. – Aber zum Henker, Pathe! Der Mann muß Mann seyn; er muß ein Herz von Stahl und von Eisen haben. – Immer liebreich, nie verliebt, ist die Regel. – Und was verliert man denn, wenn man sich darnach hält? Man gewinnt! Denn wer der Frau nachgiebt, der hat nur dann und wann gute Tage; wer sein Ansehen behauptet, der hat sie immer. – Oder meynt er etwa, daß die junge Frau des Mannes nicht eben so bedürftig ist, als der junge Mann ihrer? – Possen, Possen, mein lieber Specht! Eben so bedürftig, und unter uns: oft wohl mehr!

Nun wart! sagte dieser, indem er hinter sich sah, und die strengste Mine zog, die in sein flaches Gesicht nur hineinwollte – an das Gespräch will ich denken. Ich will dich mir künftig anders ziehen.

Aber mit Art, versteht sich. Mit Art!

Ei freilich! die Art ist die Hauptsache. Die muß nicht vergessen werden. – Und nun wandt’ er Geschäfte vor, die ihn eiligst nach Hause riefen, und ging. Des festen Vorsatzes vermuthlich, nichts zu wagen, was ihm vielleicht gereuen, und nichts anzufangen, was er vielleicht nicht durchsetzen mögte.

V.

Während Herr Stark über seinem Streifzuge gegen das schöne Geschlecht aller Sorgen vergaß, ging der Sohn, voll der äussersten Erbitterung, auf seinem Zimmer umher. – So mich zu misshandeln, rief er; seinen einzigen leiblichen Sohn; und das in Gegenwart eines so verächtlichen, eines so nichtswürdigen Menschen!

Eines so unbedeutenden, armen Wichts, hätte er sagen können, der sich mit Bücklingen und Schmeicheleien durch’s Leben windet, und der übrigens noch eine ganz gute, ehrliche Haut ist –

Mich der Verachtung, dem Spott, dem bittersten Hohngelächter Preiß zu geben, und das auf eine so hämische, so gesuchte, so recht ausgekünstelte Art! –

Auf eine freilich ärgerliche, aber dem Alten nun einmal gewöhnliche, und hier von selbst sich darbietende Art, wobei doch, wie sonst immer, der Ehre und des guten Namens geschont ward. –

Mir in dem Augenblicke, wo ich mich hinsetze und für ihn arbeite, so grundlose, so aus der Luft gegriffne, so abscheuliche Vorwürfe zu machen! –

Grundlos nun in der That, wenigstens was Spiel und was Nachtschwärmen betraf; aber darum nicht aus der Luft gegriffen: denn unmöglich konnte der Vater von den jetzigen geheimen Gängen des Sohns anders, als nach Ähnlichkeit der ehemaligen, urtheilen; und so waren sie, in seinen Gedanken, noch immer auf die Caffeehäuser und zum Spieltisch gerichtet. – Daß jetzt wirklich die müßigen Augenblicke des Sohns, und mitunter auch halbe Nächte, zu sehr lobenswürdigen, sehr edlen Handlungen verwandt wurden; das war niemanden weniger, als dem Vater, bekannt: und diese lobenwürdigen, edlen Handlungen hatten auch so ein gewisses Aber, daß sie der Sohn für keinen Preis dem Alten hätte wollen bekannt werden lassen. –

Doch zu Bemerkungen, die den Vater hätten entschuldigen oder gar rechtfertigen können, war füritzt der Sohn nicht gestimmt; er sprach vielmehr sich selbst durch die heftigsten, überspanntesten Ausdrücke immer tiefer in den Verdruß hinein, und endigte zuletzt mit dem Entschluß, seine Lage auf einmal und so ganz zu verändern, daß er schlechterdings ausser aller Verbindung mit dem Vater hinausträte, nicht bloß das väterliche Haus, sondern auch die väterliche Stadt verließe, und an einem ganz fremden Orte mit dem Wenigen, was er vor sich gebracht hatte, ein eigenes Haus errichtete. Die Vernunft selbst, glaubte er, billigte nicht nur, sondern beföhle diesen Entschluß; denn seine vollen dreißig Jahre hatt’ er bereits verlebt, und zwar in so herznagendem Kummer, in so tödtenden Ärgernissen und Sorgen, daß die zweiten dreissig zu hoffen Thorheit war; und warum er, eines wunderlichen, grillenhaften, unverbesserlichen Vaters wegen, mehr als die erste, schönste Hälfte seines Lebens aufopfern sollte, das könnt’ er nicht einsehn. Sein Herz sprach dagegen zu laut, und im Gesetz fand er’s nirgends geschrieben.

In der That war diese Trennung vom Vater kein neuer, sondern ein schon oft gehegter, und selbst bis zum vollständigsten Entwurf durchdachter Einfall, bei dem das Wie? und Wohin? und durch was für Mittel? schon längst beantwortet, und nur das Wann? noch unentschieden geblieben war. Immer war indeß dieser Einfall mit dem Zorne, der ihn erzeugt, und dem Grolle, der ihn genährt hatte, wieder verschwunden. Wenn er sich jetzt in dem höchsterbitterten Gemüthe des jungen Mannes fester setzte, als je, und im kurzen zum entschiednen, unwiderruflichen Vorsatze ward; so hatte das einen noch ganz andern Grund, als die Launen des Vaters; aber einen Grund, womit Herr Stark sich so äusserst geheim hielt, daß er ihn kaum sich selbst zu gestehen wagte. Von jeher war es sein Lieblingsentwurf gewesen, sich mit einer der reichsten und glänzendsten Partieen der Stadt zu verbinden: jetzt auf einmal spielte die Liebe ihm den muthwilligen, hämischen Streich, daß sie ihn mit allen seinen Neigungen zu einer Person hinriß, die von den Vorzügen, welche sonst Liebe entschuldigen, auch nicht einen besaß. Weder war sie von besonderer Schönheit des Gesichts oder des Wuchses, noch stand sie in der ersten Blüthe der Jugend, noch zeichnete sie sich durch grosse, schimmernde Geistestalente aus, die auch ohnehin an Herrn Stark keinen gar eifrigen Bewunderer mögten gefunden haben. Güter hatte diese Person vollends gar nicht, außer solchen, die es eigentlich bloß für den ersten Besitzer sind, und die auf Andre als Güter nie so recht übergehen können: ein Paar liebenswürdige Kinder. Kurz, es war eben die Madame Lyk, wegen deren Herr Specht so verhaßt war, und über die wir den Vater so strenge haben Kunstrichtern hören.

Es ist bekannt, daß man in lebhaften Träumen zuweilen sich selbst fragt: ob man denn wache oder nur träume? und daß die Antwort immer das Gegentheil des wirklichen Zustandes auszusagen pflegt: man wache. Herr Stark hatte mehrmalen, wenn er der Madame Lyk in sehr zärtlichen Empfindungen gegenüber saß, sich ganz ernstlich befragt: ob er noch frei oder verliebt sey? und immer war noch die Antwort gefallen: frei. Gleichwohl war ihm bei dieser Freiheit nicht so ganz wohl zu Muthe: denn auf den zwar undenkbaren, aber doch an sich nicht unmöglichen, und nur zum Scherz so angenommenen Fall, daß er irre, konnte er alle die bittern Höhnereien vorausdenken, womit ihn zu Hause der Vater, und ausser dem Hause die vielen Familien verfolgen würden, die mit der beschwerlichen Waare ihrer erwachsenen Töchter auf einen so reichen Erben und zugleich so schönen, blühenden Mann, als Herr stark, trotz allen vom Vater erlittenen Drangsalen, noch immer war, etwa ein Auge haben mögten. Das Beste wäre auf diesen Fall gewesen, Madame Lyk nicht weiter zu sehen; aber dieses ging, so lange man mit ihr an Einem Orte lebte, aus hundert Gründen nicht an; und so ward denn jenes erkannte, oder vielmehr nur ganz undeutlich empfundene Beste dahin näher bestimmt, daß man sich von diesem Orte, je eher je lieber, müßte loszureissen suchen. – Doch, wie gesagt, mit diesem stärkern, eigentlich entscheidenden Bewegungsgrunde kam es zu keinem rechten Bewußtseyn; Herr Stark hätte Leib und Leben darauf verschworen, daß es bloß der wunderliche, unausstehliche Alte sey, der seinen verdienstvollen, einzigen Sohn, welcher so lange Jahre für ihn und die Familie gearbeitet hatte, in die weite Welt jagte. Wie gut sein Herz seyn müsse, erkannt’ er hiebei aus dem Kummer, womit er an den üblen Ruf und an die außerordentliche Verlegenheit dachte, in die der Alte unausbleiblich gerathen müßte; aber einmal wollt’ es dieser nicht anders haben, und der Sohn konnte nicht helfen.

VI.

Der Einzige in der Familie, der von dem Herzenszustand des jungen Herrn Stark zwar nicht völlige Kenntnis, aber doch ziemlich wahrscheinliche Spuren hatte, war der Schwager, Herr Doctor Herbst. Er hatte dem seligen Lyk, als Hausarzt, in seiner letzten Krankheit gedient; er wußte, daß wegen Handlungsverdrüßlichkeiten große Feindschaft zwischen ihm und Herrn Stark, dem Sohne, geherrscht hatte, und er selbst war Vermittler bei der sehr rührenden Aussöhnung gewesen, die vor dem Tode des erstern vorhergegangen war. Bei dieser Aussöhnung hatte Herr Stark dem Sterbenden in die Hand versprochen, daß er, auf den Fall seines Hintritts, die Wittwe mit Rath und That unterstützen, und besonders die Handlungsangelegenheiten, von denen Herr Lyk gestand, daß sie in nicht geringer Unordnung wären, möglichst aufs Reine bringen wollte. Dieses edelmüthige Versprechen hatte Herr Stark mit dem größten Eifer erfüllt; er hatte ganze Monate hindurch jeden Augenblick, den er eigenen Arbeiten hatte absparen können, den Angelegenheiten der Wittwe gewidmet, und schon mehrmalen hatte der Doctor, wenn er der sehr kränklich gewordenen Frau noch spät Abends einen Besuch gab, ihn in voller, eifriger Arbeit über ihren Büchern getroffen. Er hatte bei dieser Gelegenheit bemerkt, daß die wirklich großen und liebenswürdigen Tugenden, welche Madame Lyk in ihrer jetzigen traurigen Lage so viel Anlässe zu entwickeln fand, und welchen er selbst volle Gerechtigkeit widerfahren ließ, das Herz des Schwagers nicht ungerührt mögten gelassen haben. Besonders war ihm die Verwirrung und der rasche Unwille aufgefallen, womit einst Herr Stark eine ganz unschuldige, mehr im Scherz so hingeworfene Warnung, sich nicht zu verliehen, aufgenommen hatte; auch hatte er viel Licht aus der gleich darauf folgenden dringenden Bitte geschöpft, daß er doch, ums Himmels willen, von dem ganzen Umgange mit Madame Lyk, in den er ja selbst ihn hineingezogen, der Familie, und besonders dem Vater, kein Wort verrathen mögte.

Indessen, so gewiß, nach der Semiotik des Doctors, dieses Zusammentreffen von Diensteifer, Blödigkeit und Geheimthun auf Liebe hindeutete; so glaubte er’s mit dieser Liebe doch keinesweges so weit gediehen, daß er sie in irgend einiger Verbindung mit dem Entschluß hätte denken sollen, den ihm jetzt der junge Mann zu seinem größten Mißfallen kund that. Herr Stark verlangte auch über diesen Entschluß das Geheimnis; aber dieses schlug der Doctor ihm förmlich ab; er versicherte sich vielmehr sogleich des lebhaftesten Beistandes der Frau und der Schwiegermutter, um den jungen Mann von einem so raschen und für die ganze Familie so höchstnachtheiligen Schritte zurückzuhalten. Daß es mit diesem Schritte voller Ernst sey; daran konnt’ er nach Allem, was er sah und hörte, und besonders nach den Briefen, die man ihm vorgezeigt hatte, nicht zweifeln.

Alle Mühe, die man nunmehro vereinigt anwandte, um Herrn Stark zu besänftigen und ihn von seinem Vorsatze abzuziehen, war rein verloren. Den Gründen des Schwagers sezte er andere Gründe, den Bitten und Thränen der Mutter die feurigsten Betheurungen der Liebe und des Gehorsams, mit Ausnahme dieses einzigen Puncts, und den abwechselnden Liebkosungen und Spöttereien der Schwester Unempfindlichkeit und Unart entgegen. Man bemerkte, daß, je mehr man ihn zu beugen und zu erweichen suchte, desto steifer und hartnäckiger er auf seiner Meinung bestand; und so ward denn, in einer geheimen Familiensitzung zwischen Mutter, Schwiegersohn und Tochter beschlossen, daß man einen ganz andern Weg einschlagen, und da mit dem Sohne nichts auszurichten sey, sein Heil mit dem Vater versuchen wollte. Man hielt sich versichert, daß auf das erste freundliche Zureden des Vaters der Sohn mit Freuden einen Entschluß würde fahren lassen, wobei er selbst am ersten und am meisten verlieren müßte; auch war man ganz darinn einig, daß der hofmeisternde Ton und die spöttelnde Lauen des Alten zuweilen ins Unerträgliche fielen; daß ein Sohn in männlichen Jahren anders, als im Knaben- und Jünglings-Alter müßte behandelt werden, und daß jeder Mensch seine ihm eigene Sinnesart habe, die man wohl in gewissen zufälligen Äusserungen leiten, aber nie im Ganzen und im Wesentlichen umschaffen könne. Der Alte selbst, hoffte man, würde, nach seiner sonstigen Billigkeit und Vernunft, sich hievon leicht überzeugen lassen.

Doch, was die Leichtigkeit des Überzeugens betraf, so gerieth man bald wieder in Zweifel. Herr Stark hatte der Proben von Steifheit und Unbiegsamkeit des Charakters zu viele gegeben, und man ward daher einig, den Angriff auf ihn ja nicht übereilt oder tumultuarisch, sondern behutsam und methodisch zu machen. Die Beobachtungen, nach welchen man den Plan verabredete, waren folgende. Der Alte hegte von dem Verstande und der gesunden Beurtheilung des Doctors sehr vortheilhafte Begriffe; der Doctor demnach sollte zuerst erscheinen, ihm die Entschliessung des Sohns eröffnen, und ihn von der Nothwendigkeit sowohl als Billigkeit, sein Betragen zu ändern, mit Ehrerbietung, aber auch mit Nachdruck, belehren. – Das Wort der Mutter war in Familien-Angelegenheiten immer vom größten Gewicht gewesen, und schon oft, obzwar nie in einem so kitzlichten Falle, war ihren dringenden Vorstellungen, wenn auch mit einigem Kopfschütteln, nachgegeben worden: die Mutter also sollte nach dem Doctor hereintreten, und wenn die Vernunft des Alten schon wankte, den Widerstand seines Herzens durch Bitten, und allenfalls auch durch Thränen, zu brechen suchen. – Von der Tochter wußte man, daß sie mit ihren Schmeicheleien und Einfällen eine wunderbare Gewalt über den Vater hatte, und daß sie, wegen großer Übereinstimmung ihrer eigenen Gemüthsart mit der seinigen, sich in allen Krümmungen und Wendungen seiner Laune geschickt ihm nachzuschmiegen und ihn fast immer zu ihrer Absicht herumzuholen wußte: die Tochter also sollte zuletzt erscheinen, und dem durch Mann und Mutter schon ganz erschöpften und abgematteten Eigensinne des Alten den lezten Gnadenstreich geben. – Bei diesem ganzen schönen Entwurfe äusserte bloß die Mutter noch etwas Furcht: der Doctor hielt sich, unter göttlichem Beistande, guten Erfolgs versichert, und die Tochter vollends vermaß sich mit großer Freudigkeit, daß keine – wenn nur erlaubte und ehrliche Sache in der Welt seyn müßte, wozu sie ihren lieben, alten, Seelenguten Vater nicht hinschmeicheln oder hinbitten wollte. Doch säumen, meynte sie, müsse man nicht mit dem Angriff: denn der Bruder mache schon allerlei bedenkliche Anstalten, die auf eine nahe Abreise zielten; auch sey nur eben der jährliche Abschluß der Handlungsbücher geendigt, und dieser Zeitpunct müsse dem Sohn zur Trennung vom Vater nothwendig der schicklichste dünken. Das Scharfsinnige dieser Bemerkung, die den beiden Andern entwischt war, ward erkannt und gelobt: ihr zufolge ward nun einmüthig festgesetzt, daß man gleich den andern Morgen sich frisch an das Werk machen wollte.

VII.

Es war ein Capitel zahlbar, und Herr Stark saß vor einem Tische voll Sächsischer, Brandenburgischer, Hannöverischer und Braunschweigischer Neuer Zweidrittelstücke. Er zählte, da der Doctor hereintrat, das angefangene Häufchen von funfzehn Stück geschwind zu Ende, und hieß ihn dann mit frohem Herzen willkommen. Seine erste Frage war nach ihm selbst, und gleich die zweite war nach den Kleinen.

Die sitzen zu Hause über den Büchern, sagte der Doctor.

Bravo! bravo! die fangen früh an; die werden schon vorwärts kommen. – Und ist denn wirklich Trieb da? ist Kopf da?

So viel ich jezt noch beurtheilen kann: beides: Ich bin zufrieden mit meinen Kindern.

Ich auch. Ich auch. – Ha, wenn ich die guten Kleinen nicht hätte! Wär ich nicht ein armer Mann mit alle dem Bettel? – indem er die Hand verächtlich gegen den Tisch warf. – Für wen in der Welt hätt’ ich gesammelt? gearbeitet? Denn mein Sohn da, der Freigeist – –

Eben von dem, bester Vater, mögt’ ich mit Ihnen reden.

Sehr gerne. Nun?

Nur müssen Sie auch Gedult haben, mich anzuhören.

Ich habe. – Zeit und Geduld; alles beides.

Sie sind so eingenommen gegen den Sohn. Sie werfen die Schuld seiner Fehler immer auf ihn allein. – Sollt’ es nicht vielleicht einen Andern geben, der mit ihm theilte?

Einen andern? Der möchte mir schwer zu errathen werden. Der ist –?

Ein sonst guter, billiger, vortreflicher Mann. – Denn um nur Eins zu erwähnen, und eben das, was Sie doch am meisten auf ihn verdreußt: Ist’s so ganz seine eigene Schuld, wenn er noch ledig blieb?

Nun? ist es denn meine?

Ein wenig, dächt ich.

O ja! Oder wenn’s um und um kommt, wohl ganz. – Freilich, so ein Weib, wie man sie jetzt täglich zu seinem Ärger herumflattern sieht; – ein Weib mit Tausenden, das ihm Tausende durchgebracht hätte, das keinen Ball, keine Redoute versäumt, Trisset und Liebensintriguen gespielt, weder Mann noch Kinder geachtet hätte; kurz, Herr Sohn – so ein Weib, wie sie die neuste Mode-Erziehung ausbrütet, und womit er am Ende wohl gar – mir wird übel und wehe; – zu Schimpf und Spott der ganzen Familie vor’s geistliche Gericht hätte laufen müssen; so eins hätt’ er wohl gerne gehabt, von Herzen gerne: und konnt’ ich das dulden? konnt‘ ich’s recht sprechen, daß er mit sichtlichen Augen in sein Verderben rennte? – Wenn ich zu ihm sagte: Sieh, Sohn! Da ist ein hübsches, stilles, sittsames Mädchen, braver, ehrlicher Eltern Kind; – das wird zwar nur wenig haben, wird vielleicht nichts haben; aber es ist in Gottesfurcht und in Einfalt erzogen: – nimm’s! und es wird dankbar gegen dich seyn; es wird dich lieben, wird deine Kinder lieben, wird sie erziehen, daß Gott und Menschen an ihnen Freude haben; wird dir mehr Tausende ersparen, als dir jenes zubringt: – konnt’ ich da durchdringen? Stand er da nicht vor mir – mit einem Gesichte, mit einer Unterlippe – so hängend! so albern!

Sie haben da freilich Recht – völlig Recht –

Nun dann!

Aber wenn Sie’s auch sonst in Allem, wenn Sie’s in jeder erdenklichen Absicht hätten: – in einer einzigen, weiß ich doch nicht, ob Sie’s haben? – Er sagte dieß mit einem sehr bescheidnen, beinahe furchtsamen Tone.

Die mögt’ ich wohl näher kennen. Die ist –?

Ihre ganze Art, wie Sie sich mit ihm nehmen. Ihr Ton, worinn Sie von früh bis in die Nacht mit ihm reden.

Hm! – Aber ich bin nicht unbedeutsam; ich nehme Lehre an. – Wie soll er gestimmt seyn, mein Ton?

Liebreicher, freundlicher – väterlicher, wenn ich das sagen darf.

Und ist er denn rauh? Ist er stürmisch?

Wenn er das lieber wäre! – Dann und wann ein wenig Jähzorn, Unfreundlichkeit, Eigenwillen; wer verzeiht das nicht gern einem Vater, und einem so guten Vater?

Verzeiht das! – Drolligt!

Nur dann wieder Güte, Offenheit, Liebe, Vertrauen! – Aber Ihr schneidender, Ihr empfindlicher Ton – – Hier rückte der Alte am Stutz, und der Doctor fand für gut, etwas lindernde Mittel hinzuzusetzen – – Sie müssen mir das nicht ungütig nehmen; es geziemt mir freilich nicht, so zu reden; ich sag’ es nur im Vertrauen auf Ihre Nachsicht – – Ihre ewig fortgesetzten Spöttereien und Anspielungen, die, gleich kleinen Schlägen, jeder an sich nur sanft sind, aber zu schnell hinter einander und immer denselben Fleck treffend, zuletzt unerträglich werden; – kurz, Ihr Necken, Ihre witzigen Ausfälle – –

Genug! sagte der Alte; genug! Dagegen läßt sich nichts aufbringen. Sie haben Recht.

Und dürft’ ich denn also hoffen –?

Was? – was? – indem er ihn mit ein Paar großen und stieren Augen ansah, die den Doctor ganz irre machten: – daß ich in meinen Jahren mich ändern; daß ein alter, verwachsener, knotigter Stamm sich nun noch biegen und ziehen sollte? – Das ist unmöglich, Herr Doctor; unmöglich!

Nun ward der Doctor, der es so gut gemeynt hatte, auch an seiner Seite verdrüßlich. – Sie verfallen schon wieder in Ihren Ton. –

Schon wieder? Und das mit Ihnen, mit dem ich doch sonst eben nicht witzle? – Er sagte das Wörtchen: Witzeln mit einem ganz eigenen Nachdruck. – Nun, Sie sehn dann wohl selbst: ist unmöglich, unmöglich! Gleichwohl – habe ich Mitleiden mit meinem Sohn, und ich komme da eben auf einen Gedanken – auf einen, glaub’ ich, guten Gedanken – den aber nur Sie würden ausführen können.

Nur ich? –

Sie haben mir so eben Ihre grosse Gabe dazu bewiesen.

Wie versteh’ ich das? Welche Gabe?

Je, die glückliche Gabe, Fehler zu sehn und zu sagen. Wie, wenn Sie nun gingen, und meinem Sohn auch die seinigen sagten? – denn daß er ihrer hat, dafür steh ich. Recht derbe Fehler! – Wenn Sie zu ihm sprächen: „Sie müssen mir das nicht ungütig nehmen; es geziemt mir freilich nicht so zu reden; ich sag’ es nur im Vertrauen auf Ihre Nachsicht“ – oder wie Sie es sonst herumbringen; wie Sie sonst Ihre Pille versilbern wollten: – Sie werden das ja wissen, Herr Doctor –

Gut! gut! sagte dieser, und biß voll Unmuths die Lippen.

Kurz, wenn Sie sprächen: „die bewußte Unterredung mit unserm Alten hab’ ich gehabt. Es ist doch ein wunderlicher, eigenwilliger, hartnäckigter alter Mann. Steif ist sein Rücken, und steif ist sein Kopf. Beide würden eher brechen, als biegen. – Wie, wenn lieber Sie, der jüngere Mann, die Fehler ablegten, die den grämlichten Alten auf Sie verdrossen? wenn Sie, zum Beispiel, ein gesetzterer Mensch, ein sparsamerer Wirth, ein aufmerksamerer Kaufmann würden? Ich stünde Ihnen dann mit meiner Ehre dafür“ – und hier meine Hand darauf, daß Sie Ihr Wort nicht bereuen sollten! – „ich stünd’ Ihnen mit meiner Ehre dafür: der Alte sollte uns anders werden; er sollte seinen Sohn lieber haben, als seinen Witz; er sollte keine grössere Sorge auf dem Herzen tragen, als wie er den einzigen Erben seines Hauses und seines Namens glücklich machte.“ – Hier drehte sich Herr Stark wieder gegen den Tisch, und griff nach den Beuteln. – Denken Sie der Sache gelegentlich nach! Es ist ein Vorschlag zur Güte.

Ich sehe wohl, sagte der Doctor, der seinen Verdruß kaum mehr bergen konnte – es ist nichts mit Ihnen zu machen.

Finden Sie das? – Das hat schon Mancher gefunden. Das ist fast immer so mit Leuten, die nach Grundsätzen handeln.

Und so muß ich’s Ihnen denn nur gerade heraussagen. Sie werden erschrecken; aber – – Ihr Sohn – –

Mein Sohn?

Er will von Ihnen – will fort!

Dem Alten war jetzt eben ein Zweidrittelstück in die Hände gefallen, das ihm nicht so recht echt schien. Er besah es von vorn und von hinten, warf es auf den Tisch, um den Klang zu hören, und musterte es endlich aus. – Dreizehn, vierzehn, funfzehn. – Will von mir? Wohin?

So gelassen dabei? – Aber Sie denken vielleicht: es sey nur Vorwand, nur Kunstgriff. – Ich schwör’ es Ihnen auf Ehre: er will fort, will nach Br**, auf nimmer Wiedersehen.

Will er? – Hahahaha!

Sie lachen?

Über etwas sehr Lächerliches.

Nun beim Himmel! So finde ichs nicht.

Aber ich! – Lieber, lieber Herr Sohn! So etwas für Ernst zu nehmen!

Und wofür sonst?

Für nichtigen, leidigen, elenden Trotz.

Ich fürchte, Sie werden bald anders denken. – Ja, wenn es das erste Mal wäre, daß er den Einfall hätte! Aber er hatt’ ihn schon öfter. – Und so leicht es mir Anfangs ward, ihn zurückzuhalten, so schwer ward mir’s nachher.

Natürlich! Weil Sie sich gleich Anfangs zu viele Mühe gaben.

Er geht aber. Denken Sie an mich, lieber Vater! Er geht! – Und nun – was wird die Welt davon urtheilen? Ihr Sohn ist für keinen üblen Mann bekannt, und Sie selbst werden ihn so nicht bekannt machen wollen. – Ihre Handlung werden sie fremden Händen vertrauen müssen. Sie sind zu alt und mit andern Geschäften zu überhäuft, um diese Hände genug zu beobachten. – Ihre Frau wird ihren einzigen Sohn – denken Sie selbst, wie ungern! verlieren: Wir Alle – –

Ach Thorheit! Thorheit! sagte der Alte, und zählte fort.

Wenn Sie’s so ansehen – –

Wie anders?

Ich habe dann das Meinige gethan, und muß schweigen.

Lieber, lieber Herr Sohn! – und er drehte sich zu einem ernsthaften Gespräch herum, mit bei Seite gelegter Brille. – Ihre Gründe sind gut, sind vortreflich; aber für wen? Für meinen Sohn oder für mich? – Wenn ihn die Welt als keinen üblen Mann kennt; so hoff’ ich sagen zu dürfen: mich kennt sie als einen guten. Auf wen wird also der meiste Vorwurf, der meiste Tadel fallen? – Wenn die Handlung zu Grunde geht; wer ist’s, der den Schaden trägt? der verliert? Ich, der Greis, der sein Gutes genossen hat und nun auf die Grube geht? oder Er, der Jüngling, der erst geniessen soll, und – so gerne geniessen mag? – Mit dieser einzigen, ihm ganz zufällig entfahrenen Spötterei war der Alte auf einmal wieder in voller Laune. – Was? was? Fuhr er mit einer Art von komischen Unwillen fort; ein Mensch, der nicht das Herz hat, bei einer Frau zu schlafen; der hätte Herz, daß er davon ginge? daß er sich auf seine eigene Hand setzte? daß er hier Alles im Stiche liesse? – Ach Thorheit! Thorheit!

VIII.

Madame Stark, die schon einige Zeit auf ihrem Posten gestanden hatte, glaubte jetzt eine unglückliche Wendung des Gesprächs zu bemerken, und kam herein. Das Mutterherz war ihr übergetreten, und sie hielt das Tuch vor die Augen.

Bist du da, lieber Vater?

Auch die? sagte der Alte in sich, und sah nun im Geist, mit voller Überzeugung, auch schon die Tochter kommen. – Ja, wie du siehst, liebe Mutter. – Er stand auf, und ging ihr freundlich entgegen.

Diese Freundlichkeit beunruhigte Madame Stark; sie hätte, nach dem Antrage des Doctors, ihn weit lieber mürrisch und verdrießlich gefunden. – O ich sehe schon, sagte sie, ich werde wieder einmal vergeblich bitten.

Warum? Weil ich freundlich bin, meynst du? – Ich fürcht’ es beinahe auch, weil du weinst. – So ein vierzig Jahre mit einander leben, macht doch sehr mit einander bekannt. – Wenn du dein Recht fühlst, weiß ich, da kommst du so zuversichtlich, so freudig, und ich bleibe dann in meiner gleichmüthigen Ruhe: aber wenn du dein Unrecht fühlst, da beweinst du den schlechten Erfolg, den du voraussiehst, und ich bin dann fein freundlich, um dich zu trösten. – Nur gleich die Probe zu machen: Was giebts?

Dein Sohn will von dir – fuhr sie mit grosser Wehmuth heraus.

Wenn er will – Du weißt, er ist kein Jüngling mehr; er ist Mann.

Freilich! Freilich! Und eben darum – –

Richtig! – Eben darum muß er wissen, was er zu thun hat.

Aber ich verlieren zu sollen! –

Das ist nicht anders. Söhne gehen in die Welt

Wenn du nur mit ihm reden, nur ein einziges Mal mit ihm freundlich seyn, ihm dein Wort geben wolltest – –

Wie? – wie? – Nun da sieh einmal, Mutter! Sieh, wie recht du hast, daß du weinst! – Ich mein Wort geben? ihm? Und worüber? – Der junge Mensch, seh’ ich, wird mir fein aufsätzig, fein trotzig; es verdreußt ihn, einen so wachsamen Beobachter, einen so beschwerlichen Erinn’rer zu haben; er mögte gar zu gern den Mund gestopft wissen, aus dem er so unangenehme Wahrheiten hört; er macht da Plänchen, mich in Furcht zu setzen, in Respect zu erhalten; er mögte mir – wie heißt doch die Redensart? – er mögte mir Brillen verkaufen. Eben jetzt hat er da eine fertig, wovon er glaubt, daß sie mir unvergleichlich stehen müßte; und da kommst du nun, und bittest mit heissen Thränen, daß ich die Nase hinhalten soll, um sie mir aufsetzen zu lassen. – Sage: ist das recht, Mutter? Ist das vernünftig?

Sie hören! sagte die Alte, und streckte die Hand mit dem Tuche gegen den Doctor. – So hat er es immer mit mir getrieben! Das gelt ich ihm! Das bin ich ihm werth! – So hab’ ich mich von jeher müssen verächtlich machen und mißhandeln lassen.

Herr Stark bat, daß sie schweigen mögte; denn das Jammern sey ihm in der Seele zuwider, und Unvernunft hör’ er nicht gerne; aber er bat umsonst, und er hätte selbst können schweigen. Endlich besann er sich, daß er ja auf dem einen Ohre taub sey, und daß er über das andre nur den Stutz ziehen dürfe: was er denn unverzüglich that, und sich gemächlich wieder an seine Arbeit setzte.

IX.

Wo sind sie denn? rief die Tochter, indem sie den Kopf zwischen die Thürflügel steckte. – Ei sieh! Alle hier bei dem Vater? – Guten Morgen! guten Morgen!

Schon so frühe! sagte der Alte. Vor Tische?

Ich hatte einzukaufen, mußte vorbei. Husch flog ich herein, um meinem Väterchen einen guten Morgen zu sagen. Denn ich weiß, er sieht mich so gerne. Nicht wahr?

Als ob das noch Fragens brauchte!

Wenn ich nicht so ganz zufällig käme, so hätte mich eins von den Kleinen begleitet; das, was am artigsten oder am fleissigsten gewesen. – Ich küsse Ihnen in Aller Namen die Hand.

Danke. Danke. – Er sah sie bedenklich, aber nicht ungütig an. – Du thust ja heut ausserordentlich freundlich?

Ich thäte nur so? Ich bin’s.

Und hast hier noch niemand gesehen? – Deinen Mann nicht?

Den wohl. Am Theetisch.

Deine Mutter noch nicht? – Sie log mit einem Kopfschütteln, um nicht mit einem ausdrücklichen Nein zu lügen. – Dann ist’s aber nicht artig, ihr nicht die Hand zu küssen.

Ach verzeihn Sie! sagte die Tochter, und küßte ihr, seitwärts lachend, die Hand.

Deinen Bruder wohl noch vielweniger?

Gesehn; aber kein Wörtchen mit ihm gesprochen. Er lief mir da mit einem Gesichte vorbei, mit einem Gesichte! – Huy, dacht’ ich, was kümmern mich deine Gesichter? Lauf immer! – Aus meinem guten Humor bringt mich kein Mensch. Denn Sie wissen wohl: ich bin ganz ihre Tochter.

Bist du? sagte der Alte, und lachte mit innigem Wohlbehagen.

Immer munter, immer fröhlich und guter Dinge. Wer’s nicht mit mir ist, mag seine Launen für sich behalten. Oder wenn ich mich ja mit ihm abgebe, so geschieht es nur, um ihn auszulachen. Da, der Herr – indem sie mit dem Finger auf den Doctor wies – hat die Erfahrung.

Närrisches Weib! sagte dieser. Hab ich den Launen?

O, du hast! hast! du bist Mann. – Aber doch wirklich, mein lieber Vater; nahe geht’s mir, daß ich den Bruder immer so unlustig sehe. Ich wollte von ganzem Herzen, er wäre glücklich. – Ich meiner Seits, wenn ich dazu helfen könnte – ich thäte Alles.

Doch? Thätest du Alles? – Jaja! – Er war aufgestanden und packte die Beutel zusammen.

Wollen Sie denn fort, lieber Vater?

Ich bin hier fertig. –

Aber Sie können doch noch immer ein wenig bleiben.

Wozu? – Er gab ihr einen scharfen, bedeutenden Seitenblick, und drohte ihr mit dem Finger. – Weib! Weib! du hast mit deinem Mann gesprochen, hast mit deiner Mutter gesprochen, hast mit deinem Bruder gesprochen.

Sie meynen: heut? hier im Hause? – Nein wahrlich! Mit Mann und mit Bruder kein Wort.

Also doch mit der Mutter!

Nun? Wäre denn das nicht recht?

Gar sehr. – Aber da kommst du nun mit eben der Bitte, wie sie; nur anders eingekleidet, versteht sich. Was sie tragisch gesagt hat, das willst du komisch sagen. – – Geh! geh! Mit denen da ward ich fertig; aber mit dir – –

Da getraun Sie sich nicht?

Aus Ursache. – Denn sieh! wenn du bittest, da bitten gleich alle deine Kinderchen mit; und das mögte mir denn zu viel werden. – Geh!

O, nun – nun kommen Sie mir gewiss nicht von dannen. Oder wenn Sie gehen, lauf’ ich nach. – Gutes, liebes, bestes Väterchen – –

Schmeichlerinn!

Schmeichlerinn? – Das bin ich nur dann, wenn Sie sich nicht erbitten lassen.

Nun, was willst du? Nimm Alles! – Er hielt ihr beide Geldbeutel hin.

Nicht doch! Geben sollen Sie nichts. Keinen Heller.

Aber eine Thorheit begehn, für die ich hinterdrein, um sie nicht begangen zu haben, das Zwiefache, Dreifache gäbe.

Thorheit, sagen Sie? Lieber Gott! – Als ob’s Thorheit wäre, einmal recht gütig, recht liebreich zu seyn! – Sie sind das gegen mich; sind’s so sehr: Seyn Sie es um meinetwillen auch gegen den Bruder! – Um meinetwillen! Denn Sie helfen mir da von der unangenehmsten Empfindung, die ich nur kenne. – Er beneidet mich – ich habe das mehrmalen bemerkt; – er hat allerhand kleinen Argwohn, daß ich Ihrer wohlthätigen Zärtlichkeit missbrauche: und fast – wenn man bloß nach dem Scheine geht – hat er Ursache dazu. Denn sagt er nicht eben so gut Vater, als ich, und genießt doch so viel weniger Liebe?

Er von der Mutter, und du vom Vater. So ist’s in der Ordnung.

Nein, ich bitte; bitte, so sehr ich kann: Machen Sie, daß er bleibt! daß er nicht fortgeht!

Kann ich ihn halten?

Mit einem einzigen guten Worte.

Hm! – Das, meynst du, soll der Vater dem Kinde geben?

Gut heißt freundlich, nicht bittend. – Wahrlich, er hat Gefühl, er ist dankbar. Er wartet nur auf die erste Eröfnung des väterlichen Herzens, und Sie haben den besten Sohn von der Welt. – Wenn er nun glauben müßte, daß ich seine Entfernung zu seinem Schaden nutzte? daß ich Ihnen für mich und meine Kleinen abschmeichelte, worauf wir zwar Alle kein Recht haben, was aber doch ihm eben so gut zukommen würde, als mir? – Sie wissen, daß das nicht ist, und daß ich dazu ganz unfähig bin; aber er würd’ es doch glauben; er würd’ es ganz sicher glauben, und meine Empfindung dabei – – Sie hatte Thränen im Auge.

Diese Bewiese von Zartgefühl, Schwesterliche und Uneigennützigkeit, deren Wahrheit ausser Verdacht war, freuten den Alten innigst, und er sah sie mit großer Zärtlichkeit an. Er glaubte, nicht bloß sein Fleisch und sein Blut, sondern auch sein Herz und seine Seele in ihr zu finden.

Liebes, gutes, bestes Väterchen, fuhr sie fort, und nahm Alles zusammen, was sie im Tone Süßes und in der Mine Liebkosendes hatte – alle meine Kinderchen bitten mit. Könnten Sie’s abschlagen?

Je nun, sagte der Alte, und fuhr sich mit den Fingern ein paar Mal über die grauen, etwas naß gewordenen Augenwimper – dran werd’ ich schon müssen. Ich will mit ihm reden.

Gewiß? gewiß?

Ja doch! – So freundlich, wie noch jemals in meinem Leben.

Und bald?

So bald sich’s thun läßt. In diesen Tagen.

Ein Mann, ein Wort? Schlagen wir ein?

Da! – So freundlich, wie noch jemals in meinem Leben.

Sie lächeln aber so in sich. Worüber?

Ach – über mich selbst. Laß das gut seyn? – Er hatte schon ohngefähr die Art, wie er sich nehmen müßte, im Kopfe, und lächelte fort bis zur Thüre.

Armer Mann! sagte er noch, im Vorbeigehen, zum Doctor; Sie sind gewaltig betrogen. Sie foderten von mir eine Frau, und ich habe Ihnen eine Schlange gegeben.

X.

Nun? triumphirte die Tochter, sobald der Vater hinaus war; hatt’ ich nicht recht, liebe Mutter? War’s des Schreckens und des Aufhebens werth? – So ein kleiner Zwist in einer Familie gemahnt mich, wie ein Feuer in einer Brandmauer. Das brennt schon aus, ohne Lärmschlagen.

Und du glaubst dich am Ende? sagte der Doctor.

Völlig. Völlig. Der Vater hält Wort.

Er müßte erst mehr versprochen haben. – Aber gesezt auch, daß du zu deinem Zweck kommst, und daß der Bruder für dießmal bleibt – –

Für dießmal? Warum denn nicht immer?

Wird er von seinen Schwachheiten lassen? Wird der Vater von seinem Eigensinn lassen?

Niemals! niemals! seufzte die Mutter.

Schwerlich! stimmte die Tochter mit ein.

Und also! Was sind wir weiter gekommen? – Wir wollten die inneren Ursachen der Uneinigkeit heben, wollten die Quellen des Übels verstopfen: und da uns nun das nicht gelang – da stellen wir uns hin, und pinseln und pflastern an einem Geschwürchen, das, wenn wir es heute heilen, morgen wieder aufbrechen wird. – Das ist falsche Heilart, fuhr er mit Kopfschütteln fort, wovon ich bei Zeiten zurüktrete, und sie dir allein überlasse.

Klug! klug und gelehrt! sagte die Frau. – Aber auch PfuscherArbeit wird manchmal gute Arbeit. Laß mich nur machen!

Wie aber, wenn du ein Meisterstück machen könntest?

Ein Meisterstück? – Nun?

Er ging mit einem Blick voll Mißmuths umher, und rieb sich die Stirne. – Ach, es ist nicht zu machen. Es ist ein frommer Wunsch, weiter nichts. – Heurathen, heurathen müßte der Bruder. Ein kluges, sittsames, zärtliches Weib müßt’ er nehmen.

So eins, wie du hast. Nicht wahr? – Sie sah ihm freundlichlächelnd unter die Augen.

Nun ja! Und wenn auch nur so eins – –

Boshafter! –

Er bot ihr liebreich die Hand, und zog sie in seine Arme. – So ein Weib würd’ ihn zu Hause bei seinen Geschäften halten; denn zu Hause wäre ja sie: es würd’ ihm alle die Vergnügungen, denen er jetzt nachläuft, verleiden; denn bei ihr fänd er ja beßre: es würd’ ihn von den kleinen Thorheiten des Putzes und der Modesucht abziehn; denn man putzt sich ja nicht für die Seinigen, nur für die Welt. –

Er fand den größten Beifall mit dieser Rede. Die Frau liebkoste ihm, und die Schwiegermutter ertheilte ihm Lobsprüche.

Alle Quellen des Missvergnügens wären dann auf einmal verstopft. Der Vater und wir Alle wären zufrieden. – Ja, wenn es möglich wäre, fuhr er mit einer Art von Begeisterung fort, indem er lebhafter umherging – wenn es möglich wäre, daß er die Wittwe – die gute Wittwe – –

Hier flogen beide Frauenzimmer zu ihm hinan, und brachten ihm ihre Gesichter so nahe, daß er erschrack und zurücktrat. – Was ist denn? Was hab’ ich gesagt? fing er an.

Die Wittwe! riefen sie beide aus Einem Munde. – Sprachen Sie nicht von einer Wittwe, Herr Sohn? – Erwähntest du nicht einer Wittwe, mein Bester? – –

Der Doctor war unzufrieden, daß er sich mit seinem Geheimnis so bloß gegeben, und versuchte sein Möglichstes, um es festzuhalten. Er war durchaus nicht zu bewegen, daß er es im Ganzen hätte herausgeben sollen. Indessen riß, durch das ewige Fragen, bald die Frau, und bald die Schwiegermutter, ein Stück davon ab; und so bekamen sie endlich so viel davon in die Hände, daß er nicht absah, warum er den unbedeutenden Rest nicht noch freiwillig dazu geben sollte. Überdem hatte man ihm das heiligste Stillschweigen gelobt, und Mutter und Tochter hatten einander selbst recht inständig darum gebeten. –

Jetzt, da die Frauenzimmer ihr Geheimnis zu besichtigen anfingen, fand sich, daß sie sehr wenig daran erbeutet hatten. – Die Wittwe hatte Kinder – war ohne Vermögen – war nicht mehr jung; – ihr vier oder fünf und zwanzigstes Jahr mogte sie immer schon zurückgelegt haben; – der Liebhaber schien noch gar nicht entschieden; – der Vater hatte Vorurtheile gegen die Frau; – ihn von Vorurtheilen zurückzubringen, war immer sehr schwer, fast unmöglich: – alle diese Umstände liessen von der Liebe des Sohns, wie aufrichtig und zärtlich sie übrigens seyn mogte, keine Heurath, und noch weniger von so einer Heurath eine feste Grundlage für die Ruhe und Zufriedenheit der Familie hoffen. Man war also wieder in gleicher Verlegenheit, als zuvor.

Indessen tröstete sich die Doctorinn mit dem Gemeinspruche, daß der Mensch nicht zu weit vorausdenken, und wenn nur seine nächste Aussicht nicht trübe und gewitterhaft sey, sich beruhigen müßte. Voller Friede, meynte sie, sey wohl freilich das Beste; aber auch Waffenstillstand – und diesen wenigstens glaubte sie für die Familie bewirkt zu haben – sey schon nicht zu verachten.

XI.

Abends bei Tisch erlitt der Muth der Frau Doctorinn, durch einen einzigen Blick des Alten, einen gar unsanften Stoß. Es war Donnerstag, wo, nach der Regel, das ganze Herbstische Haus, bis auf das kleinste Enkelchen herunter, bei dem Alten versammelt, und dieser dann gemeiniglich sehr vergnügt und beredt war. Eins der ersten Gespräche pflegte von denjenigen Kranken des Doctors zu seyn, die der Alte kannte, und an denen er, wenn sie auch sonst ihn nichts angingen, bloß darum, und weil sie Kunden seines Schwiegersohnes warne, viel Theil nahm.

Dießmal fragte er besonders nach einem gewissen Herrn Heil, einem Manne von mittlern Jahren, der eine starke Familie hatte.

Oder, sagte der Doctor; der ist schon völlig ausser Gefahr.

Doch? Das ist mir eine sehr liebe Nachricht! – der Mann hat viel Unglück gehabt, und es kann nur sehr wenig Vermögen da seyn: was wär’ aus den vielen lieben Kindern geworden? – Es ist übrigens ein so rechtlicher, ein so stattlicher Mann: er hat mir Tag und Nacht in Gedanken gelegen. – Aber – wenn ich nicht irre, so sagten Sie ja nur noch vorgestern: er sey der Schlimmste von Ihren Kranken; es sey Ihnen ganz bange um ihn?

Da stand’s auch mit ihm soso. Er lag da eben in einer Krisis.

Was heißt das? – Krisis; – Das Wort, deucht mir, hab ich schon öfter gehört.

Das Wort ist griechisch, mein lieber Vater.

Ei meinetwegen arabisch! Ich mögte den Sinn davon wissen. – Ihr Herrn nennt immer Alles mit fremden Namen; wozu das? – Eine deutsche Krankheit wird doch keine griechischen Zufälle haben?

Aber Zufälle, die sich zu deutsch nicht so kurz wollen sagen lassen. – Krisis nennt man bei hitzigen Fiebern die letzte, stärkste Anstrengung der Natur, der Krankheit durch irgend eine hinreichende Ausleerung gekochter Krankheitsmaterie ein Ende zu machen.

Gekochter Krankheitsmaterie! wiederholte der Alte, und wiegte mit dem Kopf vor sich hin. – Das ist nun deutsch; – in der That!

Deutsch, wie Griechisch. Nicht wahr?

Beinahe. –

Ich will mich näher erklären. Gekocht nennen wir eine Krankheitsmaterie, wenn sie sich von den gesunden Säften, denen sie beigemischt war, schon so abgesondert hat, daß der Körper sich ihrer entschütten, oder wo nicht völlig entschütten, sie doch nach aussen hin absetzen kann. – Hat die Natur zu dieser Wirkung noch Kraft, so genest der Kranke; hat sie keine, so stirbt er. – So lange nun dieses glückliche oder unglückliche Bestreben der Natur fortdauert, sagt man von einem Kranken: er sey in der Krisis.

Ja nun – nun wird’s helle, Herr Sohn; nun versteh’ ich. – Und so kann man denn auch in einer Krisis, wo es sich mit der Krankheit bessert, so herzlich krank seyn?

Nicht anders. – Während der ganzen Zeit, da die Materie gekocht, und dadurch die Krisis vorbereitet wird – – Sie verstehn mich nun schon – –

Vollkommen.

Während dieser ganzen Zeit ist die Krankheit im Wachsen, im Zunehmen; und kurz vor der Krisis, oder vor dem glücklichen Auswurf der Unreinigkeiten, pflegen heftige, drohende Bewegungen zu entstehen, die das Übel auf seinen höchsten Grad treiben, und die man füglich einen kritischen Tumult nennen kann.

Bewahre Gott! rief der Alte, der einst einen Tumult erlebt hatte, und vor dem Worte erschrack.

Nicht doch! – Helfe Gott! muß man sprechen.

Was? Helfe Gott! zu einem Tumulte? – Doch freilich; wenn’s mit dem Bewahren zu spät ist, da hat man schon Recht, daß man um’s Helfen bittet. – Und die Hülfe kommt denn wohl durch den Doctor; nicht wahr?

Der kann dabei wenig, sehr wenig. Das Meiste und das Beste muß die Natur thun.

So! – Aber der Doctor nimmt doch sein Geld, und da, dächt’ ich, wär’s denn auch Pflicht, daß er zur Hand wäre, und mit Allem, was er von Pulvern und Mirturen nur auftreiben könnte, wacker in den Tumult hineinwürfe, um desto eher Frieden zu stiften.

Die Anwesenden lachten – bis auf den Sohn, der in Gedanken vertieft saß – und am meisten lachte der Doctor. – Sie wären mir ein treflicher Arzt, lieber Vater. Wissen Sie, daß Sie durch Ihre zu große Thätigkeit, die Krisis stöhren und dadurch den Kranken in’s Grab birngen könnten?

Ei wie so? Das mögt’ ich doch ungern. Der arme Heil!

Eine gestöhrte Krisis zieht immer entweder schleunigen Tod, oder doch gefährliche, in der Folge tödliche Versetzungen nach sich, die wir abermals mit einem griechischen Worte Metastasen nennen.

Genug! genug! sagte der Alte; kein Griechisch weiter! – Ich merke wohl, ihr Herrn macht’s Euch bequem, deckt euren Kranken fein warm zu, und gebt mit untergeschlagenen Armen Achtung, wo die Natur hinaus will.

Viel besser ist’s wirklich nicht. Ich gesteh’ es Ihnen.

Je nun – wenns so am sichersten oder am heilsamsten ist, ist’s am besten. – Er saß hier einen Augenblick nachdenkend, und spielte mit seinem Teller. – Lieb ist mir’s denn doch, daß ich bei der Gelegenheit dahinter gekommen, wie ein kritischer Tumult muß behandelt werden. Ich hätte da einen erzeinfältigen Streich können machen.

Wie so? fragte der Doktor.

Ich hätte mich können verführen lassen, mitten in einer Krisis die Cur zu versuchen.

Sie? fragte der Doctor noch einmal.

Der Alte schwieg; aber ein bedeutender, lächelnder Blick, den er nicht sowohl auf den Sohn, als nach der Seite hinwarf, wo dieser saß, ließ den drei Verbündeten keinen Zweifel, daß er mit seinen Reden auf den Zustand des Sohnes ziele; nur, wie er ihn in diesem Zustande zu behandeln denke, das blieb ein Räthsel. Nach Tische rieth man und rieth; aber mit allem Rathen ward die Neugier mehr gespannt als befriedigt. Endlich that die Doctorinn, die gewissermaßen das Orakel der Familie war, und die seit dem Siege von diesem Morgen noch an Ansehen gewonnen hatte, den wirklich nicht üblen Vorschlag, daß man sich fürizt den Kopf nicht weiter zerbrechen, sondern die eigne Erklärung, die der Vater durch sein Betragen geben würde, ruhig abwarten solle: ein Vorschlag, den Mutter und Mann höchlich billigten; denn daß diese Erklärung völlig befriedigend und völlig zuverlässig seyn müßte, sprang in die Augen.

XII.

Herr Stark, der Sohn, war mit seinen Anstalten zur Abreise bis auf’s Einpacken fertig; er war nur noch unentschlossen, wie er Abschied nehmen sollte? Heimlich sich aus dem väterlichen Hause wegzuschleichen, in welchem er kein anderes Andenken, als an geleistete gute Dienste, zurückzulassen sich bewußt war, fiel ihm nicht ein; auch legte ihm sein Herz die Verbindlichkeit auf, eh’ er ginge, seinem Vater für die erhaltenen vielen Liebesbeweise so ehrerbietig als zärtlich zu danken. Er hatte sich eine Art von Anrede ausgedacht, die dem Alten gleich sehr die Festigkeit und Unabhänderlichkeit seines Entschlusses, als die rechtschaffnen, kindlichen Gesinnnungen eines Sohnes beweisen sollte, den er so hartherzig aus seinem Hause stiesse. Die Ausdrücke, womit er besonders den lezten Zweck zu erreichen hoffte, waren die gewähltesten, die er hatte finden können, und beim Zusammensetzen derselben war ihm eine Menge Thränen entflossen, die insoferne wahre Freudenthränen waren, als sie ihm für unverkennbare Beweise des vortreflichsten Herzens galten. Indessen ward, schon bei dieser Vorbereitung, dem jungen Manne immer bänger und ängstlicher, je lebhafter in seiner Einbildung die Züge des ehrwürdigen väterlichen Gesichts hervortraten; und als er sich endlich zusammennahm, um wirklich sein Wort an den Mann zu bringen, so gerieth das so äusserst übel, daß der Alte keinen geringen Schreck davon hatte.

Die ersten Worte der Anrede: „mein lieber“ – kamen so ziemlich heraus, und ein Mann von etwas schärferm Gehör, als Herr Stark, mögte sie haben verstehen können: dann aber gerieth der Redner plötzlich in so ein Stottern, Zittern und Erblassen, daß der Alte, der von den Ursachen dieser Erscheinung keinen Verdacht hatte, mit großer Beängstigung auffuhr, dem Sohne kräftigst unter die Arme griff, und durch sein Rufen um Hülfe das ganze Haus auf die Beine brachte. Das eigne Zittern, das bei dieser Gelegenheit den Alten befiel, die Eile und Sorgfalt, womit er selbst einige dienliche Arzeneien mit Allem, was zum Einnehmen nöthig war, herbeischaffte, und die unablässigen liebreichen Fragen: wie dem Sohne jezt sey? und wie der Zufall ihn angewandelt? machten es diesem, der nicht wenig dadurch gerührt ward, unmöglich, von dem eigentlichen Grunde der Sache nur Ein Wort zu erwähnen. Lieber bestättigte er den Alten in der Voraussetzung, daß eine Lieblingsspeise, wovon des Mittags zu reichlich genossen worden, an dem ganzen, übrigens unbedeutenden, Zufalle Schuld sey, und ließ sich eine lange, nachdrückliche Ermahnungsrede gefallen, deren Inhalt das Lob der Mäßigkeit war. – Da er wohl sah, daß es mit dem mündlichen Vortrage durchaus nicht gehen würde, so entschloß er sich nun, zu schreiben, und eh’ er in den Wagen stiege, den Brief an Monsieur Schlicht, einen alten invaliden Handlungsdiener, der, nach geschwächtem Gesicht und Gedächtniß, in dem Hause des Herrn Stark eine Art von Haushofmeister vorstellte, sich zu allerhand kleinen Geschäften willigst gebrauchen ließ, und, trotz seines wunderlichen Wesens, das Vertrauen der Kinder, wie der Ältern, in hohem Grade besaß. –

Ein andrer peinlicher Abschied, den Herr Stark unmöglich anders, als persönlich, nehmen konnte, weil ein schriftlicher, nach dem bisherigen engen Verhältnis, allzukalt würde geschienen haben, war der von der Wittwe.

Die gute Frau befand sich eben in einer sehr beunruhigenden Lage. Ein harter, ungestümer Gläubiger, der an das Lykische Haus eine nicht unbeträchtliche Foderung hatte, bestand durchaus auf Befriedigung, und die Casse hatte schon zu ansehnliche Zahlungen geleistet, um auch noch diese leisten zu können. Die Wittwe wußte, daß, wenn alle aussenstehenden sichern Schulden eingegangen und dadurch die fremden Foderungen völlig getilgt wären, ihr nur äusserst wenig zu ihrem eigenen und ihrer Kinder Fortkommen übrig bliebe; sie wußte, daß auch dieses Wenige unausbleiblich verloren gehen, und zu dem Elende der Armuth noch die Schande eines öffentlichen Bruchs hinzukommen würde, wenn das Beispiel von nur Einem Glaubiger alle übrigen ermunterte, ohne Zeitverlust auf sie einzubrechen. Der natürlichste Weg, aus dieser Verlegenheit herauszukommen, war der, sich an ihren so dienstfertigen und zu Diensten dieser Art durch sein Ehrenwort sogar verpflichteten Freund zu wenden; es konnte kein Hindernis für sie seyn, daß die Entdeckung ihrer Noth in der That nur eine versteckte Bitte um thäthigen Beistand war; denn niemand wußte so gut, als Herr Stark, daß bei den Vorschüssen, die er ihr etwa machen könne, nichts zu verlieren stehe. Sie sezte sich also nieder, ihn um seinen freundschaftlichen Rath zu ersuchen; allein sie brachte kein Wort aufs Papier; ein noch nie gefühlter, unüberwindlicher Widerwille zwang sie, von ihrem Schreibtische wieder aufzustehen. So ging es ein, so ging es mehrere Male. Endlich fiel natürlicher Weise die Aufmerksamkeit der Wittwe von ihrer äussern auf ihre innere Lage; sie befragte sich selbst wenige der Ursache eines Widerwillens, den wenigstens ihr Freund durch sein Betragen nicht verschuldet haben konnte, da er immer die Güte und die Gefälligkeit selbst gewesen. Sollte sie die Schuld etwa bloß in ihrer Bescheidenheit, in dem Gefühle suchen, daß es empfangene Freundschaftsdienste sehr schlecht erkennen heisse, wenn man so leichtsinnig bereit sey, immer neue zu fodern? Ihr innres beß’res Bewußtseyn überzeugte sie, nicht zwar von der Falschheit, aber von der Unzulänglichkeit dieser Erklärung. Sie ward endlich zu einem Geständnis genöthigt, welches ihr, so einsam sie war, vor Scham das Blut in die Wangen jagte; zu dem leisen, unwillkommnen Geständnis: daß sie ihren Freund mit etwas zärtlichern, als bloß freundschaftlichen Augen betrachte, und daß sie nur darum, weil sie ihn liebe, ihm so ungern in ihrer Blöße erscheine. Ihre nach Entschuldigung umherspähende Selbstliebe fand indessen den Grund dieser Leidenschaft – die sie zwar aufs äusserste bekämpfen zu müssen einsah – nicht allein verzeihlich, sondern selbst lobenswürdig: dankbare Empfindungen, und mehr noch für die ihren kleinen Waisen erwiesene Liebe und Achtung, als für alle ihr selbst erzeigte große, nie zu vergeltende Gefälligkeiten, hatten ein Herz verstrickt, das sich noch immer jeder guten und edlen Empfindung ohne Rückhalt dahingegeben hatte.

Diese nur eben geendigte Selbstprüfung gab der Miene der Wittwe, als Herr Stark hereintrat, eine Schamhaftigkeit und Verlegenheit, ihrem Tone eine Sanftheit und Weichheit, wodurch sie einem Manne, der ihr ohnehin schon so sehr ergeben wär, äusserst reitzend erscheinen mußte. Er forschte nach der Ursache ihres kränklichen Aussehens und ihrer Blässe; sie schlug voll Verwirrung die Augen nieder: – Er bat, wenn sie irgend einen geheimen Kummer nähre, sich ihm mitzutheilen, und seine Dienste, falls er ihr nützlich seyn könne, nicht zu verschmähen; sie dankte ihm mit inniger Rührung, aber ohne den Muth zu haben, mit ihrem dringenden wichtigen Anliegen herauszugehen: – Er gestand ihr die Absicht, worinn er komme, und daß er nicht lange mehr so glücklich seyn werde, ihr seine Dienste persönlich anzutragen; sie war sichtbar erschrocken, forschte nach den Ursachen eines so unerwarteten Entschlusses, bat ihn, wenn es irgend möglich sey, davon abzustehen, und klagte, da ihr Bitten vergeblich war, mit nassen Augen ihr Schicksal an, das sie, nach so mancherlei harten Prüfungen, nun auch ihres besten, ihres einzigen Freundes beraube. – Ohne Zweifel hatte das unglückliche Verhältnis mit ihrem Gläubiger, aus welchem sie nun durch Herrn Stark herausgerissen zu werden nicht mehr hoffte, oder doch, bei seinen jezt eintretenden eignen Bedürfnissen, auch nur von fern darauf anzutragen nicht die Dreistigkeit hatte, den grösten Antheil an ihrer Wehmuth: Herr Stark indessen, der von jenem Verhältnis nicht im mindesten unterrichtet war, konnte unmöglich anders, als ihre Rührung ganz auf Rechnung ihrer innigen Dankbarkeit, ihrer zärtlichen Freundschaft setzen; und durch diesen Irrthum stieg seine eigene Rührung zu einem so hohen Grade, daß er, nach mehrern fruchtlosen Versuchen, ein Lebewohl hervorzustammeln, und nach nur Einem, aber desto heisserm Kusse auf ihre Hand, sich eiligst von ihr losreissen mußte. Er segnete, indem er auf die Straße hinaustrat, die schon eingebrochne Dunkelheit, die es ihm erlaubte, unbemerkt hinter seinem Tuche zu weinen. Dann erlauschte er vor dem väterlichen Hause den Augenblick, wo er ungesehen in sein Schlafzimmer entschlüpfen konnte, warf sich, nur halb entkleidet, aufs Bette, und erleichterte sein gepreßtes Herz durch Seufzer und Thränen. Er ward von mancherlei zärtlichen Wünschen, von mancherlei schmeichelhaften Hofnungen bestürmt; aber endlich gelang es ihm, durch die Rückerinnerung an seine ausgestandenen Leiden, sie alle von sich zurückzuweisen, und dadurch eine Seelenstärke und Entschlossenheit an den Tag zu legen, wie er sie, nach der sonstigen Weichheit seines gar zu guten Charakters, in sich selbst kaum gesucht hatte. Er sprang auf, zog noch diesen Abend den ReiseCoffre aus seiner Kammer, öffnete Kasten und Schränke, und belegte alle Stühle mit Wäsche und Kleidungsstücken, um sie am folgenden Morgen beim Einpacken besser zur Hand zu haben.

Nein! sagte er, während dieser Arbeit, zu sich selbst; wer nicht die Kraft hat, sich fest und unwandelbar zu entschliessen, der bleibt, was er zu bleiben werth ist: ein Sclave. – Ich habe angefangen; ich muß hindurch. – Mag es doch mein Vater nun mit andern versuchen! Mag er es doch erfahren, was für ein Unterschied zwischen einem Diener und einem Sohn ist! Mag er es doch erfahren und mich zurücksehnen! Ich werd’ ihm nicht kommen. – Hab’ ich denn sonst keine Pflichten zu erfüllen, als nur gegen ihn? keine gegen mich selbst? –

XIII.

So laß er’s doch gut seyn! sagte der Alte zu Monsieur Schlicht, als ihm dieser in voller Bestürzung die auf dem Zimmer des Sohns gemachte Entdeckung mittheilte, und nicht fertig werden konnte, das Haus seines guten alten Wohlthäters zu bejammern, wenn es mit dem jungen Herrn seine erste und festeste Stütze verlieren sollte. Er sah es in Gedanken schon von allen Seiten baufällig werden und in Trümmer zerfallen.

Hat nichts zu sagen, meynte der Alte, der sich hinsezte, um für seinen Sohn einen offnen Wechsel zu schreiben.

Nichts zu sagen! erwiderte Schlicht, und war unentschlüssig, ob er über die Gleichgültigkeit des Alten mehr erstaunen oder sich ärgern sollte. – Nichts zu sagen, Herr Stark! So erwägen Sie doch – –

Daß dich! rief hier der Alte; – da muß ich nun den Wechsel, der beinahe schon fertig war, wieder zerreissen, und einen andern anfangen. – Kann er denn keinen Augenblick schweigen? Ist ihm denn das Plaudern so zur andern Natur geworden? –

Monsieur Schlicht hatte das Eigne, daß er die Wörter: Plaudern und Schweigen, wenn sie mit Beziehung auf ihn selbst gesagt wurden, gar nicht hören konnte, ohne mißlaunigt und stöckisch zu werden. Er hatte, in jüngern Jahren, sich lange und viel in der Welt umhergetrieben, hatte, wie er immer zu rühmen pflegte, seine Augen wie in die Tasche gesteckt, und wenn andre Leute sich Einsichten und Erfahrungen gesammelt hatten, so hatt’ er’s wohl auch. Ein solcher Mann, meynte er, müßte Freiheit zu reden haben, oder es hätte sie niemand, und alle Welt müßte schweigen.

Er kehrte kurz um und wollte fort, als Herr Stark ihm ernstlich befahl, zu warten, und ihn dann zu seinem Sohn zu begleiten, wenn sich etwa noch dieses oder jenes zu veranstalten fände. –

Die übrige Familie, die Monsieur Schlicht schon etwas früher, als den Vater, von seiner Entdeckung benachrichtiget hatte, war eben in vollem fruchtlosen Kampf mit dem Sohn begriffen, als Herr Stark, in Begleitung des alten Handlungsdieners, hereintrat. Seine Erscheinung auf einem so abgelegenen Zimmer, das er gewiß seit der Blatternkrankheit der Kinder mit keinem Fuß mehr betreten hatte, sezte Alle in die größte Erwartung, und den Sohn in eine sichtbare Verwirrung. So gut es indessen in der Geschwindigkeit möglich war, raffte sich dieser zusammen, um den Vorwürfen oder Vorstellungen des Vaters, und wenn er die leztere auch noch so kräftig mit dem vollen Beutel in seiner linken Hand unterstützen sollte, nachdrücklich entgegenzuarbeiten. –

Das sind viel Sachen, Monsieur Schlicht, sagte der Alte, indem er die Augen auf die vollen Stühle umherwarf, und ich sehe hier nichts, als den einzigen kleinen Coffre. Da gehen sie ja nimmer hinein.

So bleiben sie heraus, murmelte Schlicht, ohne daß es der Alte hörte; warum ist er nicht größer?

Wäre denn sonst keiner da? denn in diesen hier bringt er ja kaum das Drittel von allen den Kleidungsstücken. Das könnt’ er, dächt’ ich, mit halben Augen sehen.

Ach, ich – mit meinen Augen, Herr Stark – ich sehe nur mein Leiden an der Geschichte.

Warum denn aber? – Sey er nicht wunderlich, Freund! Geb’ er mir Auskunft!

Der alte Mantelsack mag noch da seyn, den Sie vor etwa dreissig oder vierzig Jahren auf Ihren Reisen brauchten. Er war ja schon damals in lauter Fetzen.

Der Alte konnte sich kaum enthalten, zu lachen. – Ich weiß nicht, wie er mir manchmal vorkommt, Monsieur Schlicht. Solche feine und kostbare Kleidungsstücke – denn er sieht ja wohl, daß das ein Garderobue ist, die für keine tausend Thaler geschafft worden; – die will er in den schmutzigen alten Mantelsack schnüren.

Ich nicht, Herr Stark. Ich will sie weder packen noch schnüren.

Noch einmal: Sey er nicht wunderlich, Freund! Steck’ er Geld ein, und geh er zu dem Manne gegen der Börse über! Der hat Coffres, den ganzen Landen voll, von allerhand Grösse und allerhand Art. da such’ er sich einen aus! – Zu hoch und zu breit, denk’ ich, wird er ihn wohl nicht nehmen können; aber mit der Länge wird er sich vorzusehn haben. – Am besten, er geht vorher in den Schuppen, und nimmt an meiner Chaise das Maaß.

An welcher Chaise? –

Der Alte sah ihn einen Augenblick an, und schüttelte mit dem Kopfe. – An der zerbrochnen nun doch wohl nicht? denn von der ist ja nichts als der Kasten übrig.

Nun, ich höre ja wohl! An der neuen, die Sie zur Reise von vorigem Sommer kauften.

Recht! – Ich schenke sie meinem Sohne; denn mir steht sie da nur im Wege: mit meinen Reisen ist’s aus. – Und, Monsieur Schlicht – daß er mir das ja nicht vergißt! – Laß er doch vorher erst recht nachsehen, ob auch noch Alles in haltbarem Stande ist; Riemen und Eisenwerk, Räder und Achse. Nichts so ärgerlich, als wenn man unterweges mit seinem Fuhrwerk in Krüppeleien geräth! – Die Chaise, fuhr er mit einem unwilligen, verweisenden Tone fort, hat mir da, den ganzen Sommer hindurch, in der Trockniß gestanden. – Woran ich selbst nicht denke, denkt niemand.

Ich wollte, sie wär’ in tausend Trümmern, brummte Schlicht vor sich hin, und verließ das Zimmer, um das Befohlne entweder auszurichten, oder auch nicht auszurichten – wie es ihm gut dünken würde.

Der Alte sah mit einem trüben, mitleidigen Lächeln hinter ihm her. – Wie schwach einen doch manchmal das Alter macht! sagte er dann, mit einer Wendung gegen den Doctor. Der gute, ehrliche Schlicht ist meinem Sohne so herzlich, so herzlich ergeben, daß er ihn, vor lauter Ergebenheit, lieber hier würde umkommen, als auswärts sein größtes Glück machen sehen. – Nein, Gottlob! da bin ich fest’rer Natur. – Es ist freilich wohl angenehm, die lieben Seinigen immer um sich zu haben! aber wenn das einmal nicht seyn kann – –

Und warum nicht? Warum kann das nicht seyn? fragte die Alte, die ihre Bewegung nicht länger bergen konnte. –

Aus mehr, als aus einer Ursache nicht, gute Mutter.

Darf ich die hören? – Nur eine einzige, bitt ich.

Alle! – Es sind ja keine Geheimnisse.

Nun? –

Zuerst schon deßwegen nicht: weil ich und er, wenn wir länger zusammenblieben, uns einander das bischen Leben nur schwer machen würden.

Das sey Gott geklagt! Und die Schuld? –

Die ist mein. Das versteht sich. – Ferner deßwegen nicht, weil ich so oft ihm vorgeworfen, daß es ihm an Entschluß und Unternehmungsgeist fehle, und weil es seltsam herauskommen würde, wenn ich gerade bei’m ersten Beweise vom Gegentheil – wie nun dieser auch immer seyn mag – ihm durch den Sinn fahren wollte. Endlich und hauptsächlich deßwegen nicht: weil die Errichtung eines neuen Handlungshauses und der dazu nöthige Vorschuß ihn zu einer Thätigkeit zwingen, ihn zu einer Sparsamkeit und Ordnung gewöhnen werden, wie ich sie ihm hier, mit allem meinem Predigen, nicht habe beibringen können. Ich hoffe, er soll mir jezt eine ganz andre Denkungsart annehmen; soll mir jezt ganz so werden, wie ich ihn immer wünschte.

Und deine Handlung? fuhr die Alte mit etwas gesunkenem Tone fort; diene Geschäfte? –

Für die, Mutter, hab ich zu sorgen, nicht du. Wer sie so lange gut zu führen gewußt hat, wird’s auch jezt wohl noch wissen. – Denke du lieber an das, was dir noch wird zu besorgen bleiben.

Mir? – Und was ist das?

Du wirst ihn doch nicht so troken entlassen wollen? wirst ihm doch einen Abschiedsschmaus geben? – Ich hoffe, Sie kommen dazu auch, lieber Doctor. Und du – indem er die Tochter ansah – und euer ganzer kleiner Anhang, versteht sich. – Er lächelte mit seiner gewöhnlichen Freundlichkeit gegen sie hin. – Da wollen wir noch einmal recht von Herzen mit einander vergnügt seyn.

Vergnügt? Recht von Herzen? seufzte die Mutter. – Wirst du das können?

Warum nicht? Was in der Welt soll mich hindern? – Der Ort, wohin er zieht, ist so nahe. Wir dürfen nur anspannen lassen, wenn uns künftig das Herz zu groß wird, dürfen nur zu ihm fahren. – Ja, wenn es zur See nach America, oder gar bis nach China ginge! oder gar bis nach der Botanybay!

Behüte Gott! rief die Alte.

Amen! Und nun keine Seufzer weiter! Es ist genug. – – Du hörst, fuhr er dann fort, indem er sich mit gütigem Ernst gegen den Sohn herumwandte, daß ich von deinen Absichten weiß, und daß ich sie, nach Lage der Umstände, wie diese nun einmal sind, eben nicht tadle. – Geh mit Gott, mein Sohn! Meinen Segen zu deiner Reise! – An deine Stelle hier kann der erste Buchhalter treten, Monsieur Burg; den kennst du selbst, als einen gewandten, thätigen, rechtschaffnen Mann, und ich, so alt ich bin, habe doch auch noch Kräfte, um arbeiten, und Augen, um nachsehen zu können. Für meine Handlung also sorge nur nicht; aber wie es mit deiner gehen wird? – Aller Anfang, sagt man, ist schwer, und was du dir selbst, bei so mancherlei Nebenausgaben, erübriget haben kannst, mag dich eben nicht drücken. – Da! indem er den ziemlich schweren Beutel, den er bisher gegen die linke Hüfte gestüzt hatte, auf den Tragkasten unter den Spiegel setzte – eine kleine Erkenntlichkeit für geleistete Dienste! Ich hob sie dir immer auf, um eien Zeit damit abzuwarten, wo sie dir eben gelegen käme; und diese, denk’ ich, ist jezt. – Aber, da es dir doch noch fehlen, und dieser oder jener, wegen unsrer unvermutheten Trennung, bedenklich werden und dir sein Zutrauen versagen mögte; so ist hier noch ein offner Wechsel, der hoffentlich allen Bedürfnissen abhelfen und alles Mißtrauen entfernen wird.

Der Alte schwieg, und schien einen Augenblick auf die schuldige Danksagung des Sohns zu warten; aber es erfolgte nichts, als eine steife, ungeschickte Verbeugung. – Ich sehe wohl, sagte er dann, daß ich dir in einer Arbeit gekommen bin, worinn man sich eben darum so ungern stöhren läßt, weil man sie so ungern anfängt. – Ich will dich jetzt länger nicht aufhalten. Wenn du hier fertig bist, sprechen wir einander schon weiter. –

XIV.

Die Verbündeten sahen dem Alten, als er das Zimmer verließ, mit sehr verschiednen Empfindungen nach. Die Mutter war voll Ärgers und Jammers, daß er dem Sohne, den er sollte zu halten suchen, selbst das Fortgehen erleichterte; die Tochter voll Empfindlichkeit und Beschämung, daß sie mit dem guten Worte, welches ihr versprochen und in gewisser Absicht freilich gehalten worden, so schlau hinter das Licht geführt war; und der Doctor voll stiller Bewunderung des scharfen, richtigen Blicks, womit der Vater den Charakter seines Sohns mußte gewürdiget haben. So, wie man diesen nur ansah, entdeckte man sogleich sein ganzes Inners in seinem Äussern. Das Licht der Augen, die bedeutungslos vor sich hinstarrten, schien bis auf den lezten Funken verlöscht; aus den Gesichtsmuskeln war alle Festigkeit, alle Spannung verschwunden, und die Arme hingen an beiden Seiten so schlaff und welk, wie die Zweige einer Zitterespe, herunter.

Erst, als Mutter und Schwester zu ihm hintraten, um ihre Theilnahme an seiner Entlassung zu bezeugen, kam auf einmal in die todte, Seelenlose Gestalt wieder Leben; er bat sie, mit abwärts gekehrtem Blick und hinter sich ausgestreckter verwandter Hand, daß sie, wenn sie noch einige Zärtlichkeit für ihn hegten, ihn auf der Stelle verlassen mögten. Diese bitte ward von dem Doctor, der selbst voranging, mit Wink und Blick unterstüzt; er urtheilte, daß der Schwager noch ein wenig mehr beschämt, als gekränkt sey, und Scham, glaubte er, sey eine Empfindung, bei der man überhaupt keine Zeugen, und am wenigsten die mitleidigen, liebe. –

Wirklich war die Art, wie sich der Alte benommen hatte, eben weil sie so äusserst nachgebend und sanft schien, für die Eitelkeit des Sohns sehr verwirrend. So wenig auch dieser die Absicht gehegt hatte, seinem Vater wehe zu thun – denn dazu war er bekanntlich zu gut und zu fromm; – so lag es doch leider! in der Natur der Sache, daß der Alte für so manche Kränkungen, die er erwiesen, jezt an seinem Theil eine empfinden mußte; und da hätt’ es der Anstand nun wohl erfodert, daß er sich diese Kränkung auch ein wenig hätte merken lassen. So ohne die mindesten Schwierigkeiten und ohne eine Spur von Mißmuth und Kummer in den Abgang des Sohnes einwilligen, hieß von den Verdiensten desselben um die Handlung sehr herabwürdigend denken, und gegen seine Unentbehrlichkeit, die doch so vollgültig durch die Unruhe der Familie und durch das Schrecken des alten Schlichts bestättiget war, sehr beleidigende Zweifel äußern. Noch mehr mußte es schmerzen, daß der Alte, durch sein Betragen eine heimlichgenährte sichre Hofnung des Sohns, die zwar dieser durchaus nicht anerkennen wollte, geradehin für eitel und thöricht erklärte. Die Unentbehrlichkeit des Sohnes einmal festgesezt, ließ es sich nehmlich voraussehn, daß der Alte sich alle ersinnliche Mühe geben würde, ihn zurück zu erhalten: und da hätte dann jener, nach seinem so vorzüglich guten Charakter, sich gewiss am Ende bewegen lassen, über alles Vergangne einen Schleier zu werfen, und auf gute vortheilhafte Bedingungen wieder an seinen alten Platz zu treten. Jezt, da sich einmal der Alte so ganz anders erklärt hatte, war bei seiner störrischen Sinnesart nichts gewisser, als daß er sich in Ewigkeit nicht zum Ziele legen, sondern, wenn Noth an Mann ginge, lieber seine Geschäfte äusserst zusammenziehen, als das geringste gute Wort gegen den Sohn verlieren würde. Und so stand denn dieser mit seiner Wahl zwischen den zwei gleich unangenehmen Entschlüssen: entweder Reue zu zeigen, und das Joch, das er hatte abschütteln wollen, ganz geduldig wieder auf seinen Nacken zu nehmen, oder auch den unglücklichen Vorsatz zur Abreise ins Werk zu setzen, ohne daß er davon irgend einen der geahneten Vortheile hätte. Er bereute es jezt zu spät, daß er sich das prophetische Herzklopfen bei dem versuchten Abschiede vom Vater nicht ein wenig mehr hatte warnen lassen.

Was ihm diese Unannehmlichkeiten noch weit peinlicher machte, war der Umstand: daß seine Gesinnungen in Betreff der Wittwe nicht mehr völlig die alten waren. Von den Schwierigkeiten, die einer Verbindung mit ihr entgegenstanden, hatten die meisten, durch das längere und öftere Betrachten, wie das so oft zu geschehen pflegt, an ihrer Wichtigkeit schon verloren, und vollends seit gestern, wo sich die Wittwe so äusserst liebenswürdig gezeigt hatte, waren sie fast gänzlich verschwunden. Über den Mangel an Vermögen konnte ein Mann, der dessen selbst genug hatte, hinwegsehn; die Kinder, da sie Ebenbilder einer so liebreizenden Mutter waren, schienen eher eine angenehme, als eine beschwerliche Zugabe; und das Gerede einer albernen Menge, das ohnehin nie lange Dauer hat, läßt kein Kluger sich irren. Es blieb also von allen Steinen des Anstosses nur der gröste, der zu fürchtende Widerspruch des Vaters, übrig: und diesen wegzuräumen, war wohl schwerlich ein beßres Mittel, als daß man die Verbindung mit Madame Lyk zum ersten und wesentlichsten Vergleichspuncte bei der gehofften triumphirenden Wiederkehr machte. Statt also, wie es der anfängliche Wunsch des Herrn Stark gewesen war, seiner Liebe aus dem Wege zu gehen, wollt’ er jezt dieser Liebe vielmehr entgegeneilen; es war nichts, als eine der Selbsttäuschungen, denen der junge Mann so sehr unterworfen war, wenn er sich am vorigen Abende zu einem so herrlichen Siege seiner Vernunft über seine Schwachheit Glück wünschte; denn gar nicht die Vernunft, sondern die Schwachheit, hatte gesiegt, und in dem Entschluß zur Trennung hatte die Hofnung der Vereinigung versteckt gelegen. Seine vielen Thränen hatte ihm weniger der Schmerz des Abschieds, als der heimliche Gedanke entlockt, daß sein Entwurf nicht vor aller Gefahr des Scheiterns gesichert seyn mögte; wenigstens, wie es jezt leider! am Tage lag, wäre so ein Gedanke eben nicht unvernünftig gewesen. – –

Der Doctor, der die Gemüthslage des Herrn Stark, bis auf den Punct von der Wittwe, durch und durch sah, kam jezt in der Absicht zurück, ihm mit seinem guten Rathe zu dienen. – Es wandelte ihn einige Verachtung an, als er den Schwager, in armselig zusammengekrümmter Gestalt, auf dem zugeworfnen Coffre sitzend fand, wie er mit der einen Hand auf das Knie griff, und mit der andern das schwere, Sorgenvolle Haupt unterstüzte. Er sah wohl, daß so einem Manne sich der Rath unmöglich geben liesse, den er sich selbst, unter ähnlichen Umständen, ganz gewiss würde gegeben haben; nehmlich: einen Entwurf, mit dem es einmal so weit gediehen, trotz allen Unannehmlichkeiten lieber durchzusetzen, als schimpflicher Weise davon zurückzutreten. Für den Schwager, glaubte er, sey nichts anders zu thun, als daß er irgend eine erträgliche Wendung ausspürte, womit er sich dem Vater, ohne zu große Beschämung, wieder anbieten könnte; und diese Wendung schien ihm durch die großmüthigen Geschenke des Vaters, gleichsam absichtlich, vorbereitet. Es war natürlich, daß das Herz des Sohnes davon lebhaft gerührt worden, und eben so natürlich, daß diese Rührung das Verlangen erzeugen mußte, einen so edeldenkenden Vater lieber nie verlassen zu dürfen. Wenn man dann dem Alten noch in dem Hauptpuncte willfahrte und sich geneigt zu einer Heurath erklärte; so ließ sich erwarten, daß dieser mit Freuden einschlagen, und daß er dem Sohne wohl gar seine Handlung, mit dem einzigen Vorbehalt der Geldgeschäfte, völlig abtreten würde.

Herr Stark hörte diesen Entwurf, den ihm der Doctor mit aller möglichen Feinheit und Schonung vortrug, zwar nicht ohne Scham, aber doch mit Gelassenheit an; nur bei dem Worte Heurath stieß er auf einmal einen so mächtigen, so tief aus dem Herzen geschöpften Seufzer aus, daß der Doctor sogleich einen neuen Sorgenstein argwöhnte, der härter, als alle übrigen, drücken müsse. Er ließ jezt, im Fortgange der Rede, ein Wörtchen von Madame Lyk und ihrer Liebenswürdigkeit fliessen: – die Wirkung davon übertraf alle Erwartung; Herr Stark riß sich vom Coffre, floh in ein Fenster, und entdeckte durch laute Thränen, wie weit es mit seinem Herzen schon müsse gediehen seyn. Jezt ward nun guter Rath etwas theurer, und der Knoten verwickelte sich allzu sehr, als daß der Doctor auf der Stelle gewußt hätte, wie er ihn lösen sollte. Um Zeit zu gewinnen, fiel er auf das Mittel, daß er sich, als Bruder und Arzt, für die Gesundheit des Schwagers besorgt stellte, ihn um seine Hand bat, und in seinem Pulse fieberhafte Bewegungen entdeckte. Herr Stark, als ob er schon sehnlich auf einen Vorwand, seine Reise aufzuschieben, gewartet hätte, ergriff dieses Wort des Doctors mit vielem Eifer; er ließ sogleich einen kleinen freiwilligen Frost über sich hinschaudern, sezte sich, wie ermattet, nieder, und versicherte, daß er wirklich seit einigen Tagen etwas Fieberhaftes bei sich verspüre. Der Doctor verschrieb ihm nun Arzeneien, die weder helfen noch schaden konnten, und Herr Stark fing an, eines Flußfieberchens wegen, worüber die Familie sich nicht sonderlich beunruhigen durfte, das Zimmer zu hüten.

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