HomeDie Horen1796 - Stück 12IV. Über Wilhelm Meisters Lehrjahre. [Gottfried Körner]

IV. Über Wilhelm Meisters Lehrjahre. [Gottfried Körner]

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(aus einem Brief an den Herausgeber der Horen.)

Ich verweile zuerst bey einzelnen Bestandtheilen, und freue mich in der Darstellung der Charaktere so gar nichts von den schwarzen Schatten zu finden, die nach einem gewöhnlichen Vorurtheile zum Effekt des Kunstwerks nothwendig seyn sollen. An einen privilegirten Teufel, durch den alles Unheil geschieht, ist hier nicht zu denken. Selbst Barbara ist im Grunde nicht bösartig, sondern nur eine gemeine Seele. Unter dem Druck der Bedürfnisse fehlt es ihr an Empfänglichkeit für jedes feinere Gefühl. Gleichwohl hat sie wahre Anhänglichkeit an Marianen und Felix. Das größte Leiden – Marianens Schicksal – wird durch einen schätzbaren Menschen aus einer edlen Triebfeder veranlaßt.

Eben so wenig erscheint ein übermenschliches Ideal. Überall findet man Spuren von Gebrechlichkeit und Beschränkung der menschlichen Natur, aber was dabey den Hauptfiguren das höhere Interesse giebt, ist das Streben nach einem Unendlichen. Aus den verschiednen Richtungen dieses Strebens entsteht die Mannichfaltigkeit der Charaktere. In endlichen Naturen muß sich dadurch oft Einseitigkeit und Misverhältniß erzeugen, und dieß sind die Schatten des Gemähldes, die Dissonanzen der Harmonie. Daher bey Jarno die Kälte und Härte des Weltmanns. Er strebt nach Klarheit und Bestimmtheit in seinen Urtheilen über die Menschen und ihre Verhältnisse. Wahrheit und Zweckmäßigkeit weiß er zu schätzen, aber das Dunkle und Schwankende ist ihm verhaßt. Enthusiasmus kennt er nicht, selbst die Kunst verehrt er nur in der Entfernung, weil er sich von ihrem Verfahren nicht Rechenschaft geben kann. Doch wirkt das Vollendete auf ihn. Daher seine Achtung gegen das Streben nach Vollendung im Lothario. An Shakespear schätzt er ur den Stoff – die Wahrheit der Darstellung. Er heyrathet Lydien nicht aus Freundschaft für Lothario, sondern weil ihn die Wahrheit der Empfindung anzieht. So ist die Trockenheit und der Mangel an Humanität bey Nataliens Tante die Folge ihrer übersinnlichen Existenz. Dagegen muß die idealisirte Sinnlichkeit bey Phölinen in ihrer höchsten Freyheit zuweilen ausarten, da ihr durchaus keine moralische Zucht das Gegengewicht hält. Nur ein paar Figuren erscheinen gleichsam als höhere Wesen in einer Glorie – der Großonkel Nataliens und der Abbé – aber sie stehen im Hintergrunde und von den Umrissen ihrer Gestalt ist wenig zu sehen.

Besondre Kunst finde ich in der Verflechtung zwischen den Schicksalen und den Charakteren. Beide wirken gegenseitig in einander. Der Charakter ist weder bloß das Resultat einer Reihe von Begebenheiten, wie die Summe eines Rechnungsexempels, noch das Schicksal bloß Wirkung des gegebnen Charakters. Das Persönliche entwickelt sich aus einem selbstständigen unerklärbaren Keime, und diese Entwicklung wird durch die äussere Umstände bloß begünstigt. Dieß ist die Wirkung des Puppentheaters bey Meister und die Brustkrankheit bey der Stiftsdame. So sind die merkwürdigsten Ereignisse in Meisters Leben – sein Aufenthalt auf dem Schlosse des Grafen – der Räuberanfall – der Besuch bey Lothario – zum Theil die Folgen einer freyen Wahl, die in seinem Charakter gegründet war. Das Ganze nähert sich dadurch der wirklichen Natur, wo der Mensch, dem es nicht an eigner Lebenskraft fehlt, nie bloß durch die, ihn umgebende Welt bestimmt wird, aber auch nie alles aus sich selbst entwickelt. Ein reicher Garten zeigt sich dem Auge, wo die schönsten Pflanzen von selbst zu gedeihen scheinen, und jede Spur des Künstlers verschwindet. Aber die Macht des Schicksals zeigt sich auch an zwey Personen, Mignon und dem Alten. Hier unterliegt eine zarte Natur dem gewaltsamen Druck der äussern Verhältnisse. Dieser tragische Stoff stört vielleicht die Totalwirkung bey einem großen Theile des Publikums, der sich bey Betrachtung eines Kunstwerks bloß leidend verhält. Die rührende Erscheinung concentrirt die Aufmerksamkeit auf einen einzigen Punkt. Aber wer seine Besonnenheit gegen diesen Eindruck wenigstens beym zweyten Lesen behauptet, erkennt, wie sehr das Ganze durch eine solche Beymischung an Würde gewinnt.

Die Einheit des Ganzen denke ich mir als die Darstellung einer schönen menschlichen Natur, die sich durch die Zusammenwirkung ihrer innern Anlagen und äussern Verhältnisse allmählich ausbildet. Das Ziel dieser Ausbildung ist ein vollendetes Gleichgewicht – Harmonie mit Freyheit. Je größer das Maas der einzelnen Kräfte, je mächtiger die einander entgegengesetzten Triebe, desto mehr wird dazu erfodert, um in diesem Chaos Einheit ohne Zerstörung zu erschaffen. Je mehr Bildsamkeit in der Person, und je mehr bildende Kraft in der Welt, die sie umgiebt, desto reichhaltiger die Nahrung des Geistes, die eine solche Erscheinung gewährt.

Was der Mensch nicht von aussen empfangen kann – Geist und Kraft – ist bey Meistern in einem Grade vorhanden, für den der Phantasie keine Gränzen gesetzt sind. Sein Verstand ist mehr als die Geschicklichkeit, ein gegebnes endliches Ziel zu erreichen. Seine Zwecke sind unendlich, und er gehört zu der Menschenklasse, die in ihrer Welt zu herrschen berufen ist. In der Ausführung dessen, was er mit Geist gedacht hat, zeigt er Ernst, Liebe und Beharrlichkeit. Der Erfolg seiner Thätigkeit, bleibt immer in einem gewissen Helldunkle, und dadurch wird der Einbildungskraft des Lesers freyer Spielraum gelassen. Wir erfahren nur seine gute Aufnahme auf dem Schlosse des Grafen, seine Gunst bey den Damen, den Beyfall bey der Aufführung des Hamlet, aber keines seiner dichterischen Produkte wird uns gezeigt. Seine Seele ist rein und unschuldig. Ohne einen Gedanken an Pflicht, ist ihm durch eine Art von Instinkt das Gemeine, das Unedle verhaßt, und von dem Treflichen wird er angezogen. Liebe und Freundschaft sind ihm Bedürfniß, und er ist leicht zu täuschen, weil es ihm schwer wird, irgendwo etwas Arges zu ahnen. Er strebt zu gefallen, aber nie auf Kosten eines andern. Es ist ihm peinlich, irgend jemanden eine unangenehme Empfindung zu machen, und wenn Er sich freut, soll alles was ihn umgiebt, mit ihm geniessen. Seine Bildsamkeit ist ohne Schwäche. Muth und Selbstständigkeit beweißt er, wie er die Mignon von dem Italiener befreyt, wie er sich gegen die Räuber vertheidigt, wie er gegen Jarno und den Abbé seine Unabhängigkeit behauptet. Die persönliche Autorität des Abbés, die doch in einem Zirkel vorzüglicher Menschen von so großem Gewicht ist, überwältigt ihn nicht. Philine ist da, wo sie liebenswürdig ist, sehr reizend für ihn, aber sie beherrscht ihn nicht. Jarno wird ihm verhaßt, da er die Aufopferung des Alten und der Mignon von ihm verlangt. Zu diesen Anlagen kommt noch einnehmende Gestalt, natürlicher Anstand, Wohlklang der Sprache.

Für ein solches Wesen mußte nun eine Welt gefunden werden, von der man die Bildung nicht eines Künstlers, eines Staatsmanns, eines Gelehrten, eines Mannes von gutem Ton – sondern eines Menschen erwarten konnte. Durch ein modernes Costum mußte die Darstellung dieser Welt lebendiger werden. Das antike Costum erleichtert zwar das Idealisieren, und verwahrt vor manchen Armseligkeiten der Wirklichkeit, aber die Umrisse der Gestalten erscheinen in einer Art von Nebel, und die Wirkung des Gemähldes wird durch die unvollständige Bestimmtheit geschwächt. Ein Ideal, dessen einzelne Elemente wir in der gegenwärtigen Welt zerstreut finden, giebt der Phantasie ein weit anschaulicheres Bild. In einem mindern Grade findet sich dieser Unterschied auch zwischen dem einheimischen und ausländischen Costum, und schon dieß konnte den Dichter, der zunächst für das deutsche Publikum schrieb, bestimmen eine deutsche Welt zu wählen. Aber es fragt sich auch, ob man, sobald es auf die Bildung eines Menschen ankommt, durch eine französische, englische oder italiänische Welt viel gewonnen haben würde, und ob es nicht gerade für den Deutschen vortheilhaft sey, daß sich in seinem Vaterlande zu einer zwar glänzenden aber einseitigen Ausbildung weniger günstige Umstände vereinigen.

Es war eine lebendige Phantasie vorhanden, die vollständig entwickelt werden sollte. Hierzu gehörte ein gewisser Wohlstand, und Freyheit vom Druck der Bedürfnisse, aber keine zu günstigen Verhältnisse in der wirklichen Welt. Die Vortheile der höhern Stände gleichen dem Apfel der Proserpina; sie fesseln an die Unterwelt. Wer sich für seinen Stand begeistern kann, wird in diesem Stande vieles leisten, aber eben so wenig wie Werner sich je über seinen Stand erheben.

Eine schöne Gestalt zog ihn an; seine Einbildungskraft lieh ihr alle Vorzüge des Geistes. Marianens Seele glich einer unbeschriebenen Tafel, wo nichts seinem Ideal widersprach; er sah sich geliebt, und war glücklich. Sie war nichts, als ein liebendes Mädchen, zu wenig für seine Gattinn, zuviel um von ihm verlassen zu werden. Ihr Tod war nothwendig. Sie erscheint dabey in dem glänzendsten Lichte, aus Meisters Seele verschwindet alle Bitterkeit, die bey dem Gedanken, von ihr getäuscht worden zu seyn, sonst nie vertilgt werden konnte, und wir sehen mit Wohlgefallen, aß Meisters Instinkt richtiger urtheilte, als Werners Weltklugheit.

Das Theater ist die Brücke aus der wirklichen Welt in die ideale. Für einen jungen Mann, den sein nächster Wirkungskreis nicht verzog, und der keine bessere Sphäre kannte, mußte es unwiderstehliche Reize haben. Für ihn wurde es eine Schule der Kunst überhaupt; aber er war nicht zum Künstler berufen. Es war ihm bloß Bedürfniß seine bessern Ideen und Gefühle laut werden zu lassen. Das Culissenspiel der theatralischen Darstellung mußte ihm bald widrig werden.

Er sollte auch die glänzendste Seite der wirklichen Welt kennen lernen. Ein leichtfertiges Mädchen war seine erste Lehrerinn. In Philinen erschien ihm das höchste Leben, aber freylich nicht in einer dauernden Gestalt. Eine Reihe von mannichfaltigen Gestalten gieng vor ihm vorüber, und unter diesen waren einige so lieblich, daß sie ihre Wirkung auf ihn nicht verfehlen konnten.

Diesem Übermaas von Gesundheit stellten sich zwey kranke Wesen gegenüber: Mignon und der Harfenspieler. In ihnen erscheint gleichsam eine Poesie der Natur. Wo Meister durch die äussern Verhältnisse abgespannt wird, giebt ihm das Anschauen dieser Wesen einen neuen Schwung.

Die Gräfinn war ganz dazu geschaffen, das Bestreben zu gefallen bey Meistern zu erregen. Eine gewisse Würde, mehr des Standes als des Charakters vereinigte sich in ihr mit holder weiblicher Schwäche. Seine Phantasie hatte sie vergöttert. Er fühlte sich angezogen durch ihre Freundlichkeit, und entfernt durch die äussern Verhältnisse. Diese gemischte Empfindung spannte alle seine Kräfte. Sie erscheint auf einer niedrigen Stufe durch die Reue und Furcht, mit der sie ihre Leidenschaft verbüßt. Aber selbst in ihrer Buße ist Grazie, und beym letzten Abschiede wird sie uns wieder äusserst leibenswürdig.

Aurelie giebt ein warnendes Beypiel, was Leidenschaft und Phantasie für Zerstörung in einem Wesen edler Art anrichtet, wo es an Harmonie der Seele fehlt.

In Nataliens Tante dagegen ist Ruhe, aber durch Zerschneidung des Knotens, durch Abgeschiedenheit von der sinnlichen Welt. Ihre Frömmigkeit hat als ein vollendetes Naturprodukt wirklich etwas Erhabenes; aber wie viel schöne Blüthen mußten ersterben, damit eine solche Frucht gedeihen konnte! Indessen sind ihre Härten durch Toleranz möglichst gemildert, und ihre Hochschätzung Nataliens ist ein schöner Zug, der sie der Menschheit wieder nähert.

Eine andre Art von innrer Ruhe, aber mit ununterbrochner äusserer Thätigkeit vereinigt zeigt sich in Theresen. Hier ist Leben mit Gestalt vereinigt, aber in diesem Leben fehlt eine gewisse Würze. Keine Kämpfe und keine Überspannung, aber auch keine Liebe und keine Phantasie. Gleichwohl hat ihr ganzes Wesen eine Klarheit und Vollendung, die für denjenigen äusserst anziehend sind, der den Mangel dieser Vorzüge in sich selbst oft schmerzlich gefühlt hat. Zugleich herrscht in ihrem Betragen immer eine gewisse Weiblichkeit, die gleichsam die Stelle eines tiefern Gefühls vertritt. Auch fehlt es ihr nicht an Empfänglichkeit für das Große und Schöne, nur sieht ihr heller Blick in der Wirklichkeit so viel Mängel dabey, daß es bey ihr nie zum Enthusiasmus kommt. Sie empfindet rein, aber gleichsam im Vorbeygehen; ihr alles verschlingender Trieb zur Thätigkeit läßt ihr nicht Zeit dazu. Sie wird nie von einem Gefühl überwältigt, aber sie überlässt sich ihm zuweilen aus freyer Wahl, wo es in Handlung übergehen kann, und dann zeigt sie sich von der edelsten Seite.

Bey Natalien ist dieselbe innere Ruhe, dieselbe Klarheit des Verstandes, dieselbe Thätigkeit, aber alles ist von Liebe beseelt. Diese Liebe verbreitet sich über ihren ganzen Wirkungskreis, ohne in irgend einem einzelnen Punkte an Innigkeit zu verlieren. Es erscheint in ihr die Heiligkeit einer höhern Natur, aber diese Erscheinung ist nicht drückend, sondern beruhigend und erhebend.

Von Lothario’s früherer Geschichte wünschte man wohl mehr zu erfahren; aber es ist begreiflich, warum hier gerade nicht mehr davon gesagt werden konnte. Er hatte in einer sehr glänzenden Sphäre gelebt, und seine Schicksale hätten gleichsam durch ihre LokalFarben der Haltung geschadet. Meister mußte immer die HauptFigur bleiben.

Nächst diesen Personen gab es noch besondre Verhältnisse die auf Meistern wirkten. Dahin gehört ausser der theatralischen Existenz der Aufenthalt auf dem Schlosse des Grafen und die geheime Gesellschaft. Bey der letzteren finde ich das Resultat der Lossprechung besonders glücklich ausgedacht, weil es durchgängig individuell ist und eben deswegen desto mehr Eindruck machen mußte. Aber alle diese Anstalten waren zu Meisters Bildung nicht hinlänglich. Was sie vollendete, war ein Kind – ein lieblicher und höchst wahrer Gedanke.

Das Verdienst eines solchen Plans sollte noch durch eine Ausführung erhöht werden, wobey man nirgends an Absicht erinnert wurde, und in der Spannung der Erwartung, in der Auflösung der Dissonanzen, und in der endlichen Befriedigung einen poetischen Genuß finden mußte, der von dem philosophischen Gehalte ganz unabhängig war. Die Entwicklung der Begebenheiten ist sinnreich und überraschend, aber nicht gekünstelt und paradox. Bey einer genauen Betrachtung findet man den Grund dazu entweder in den vorhergehenden Schicksalen, oder in irgend einem charakteristischen Zuge, oder in dem natürlichsten Gange des menschlichen Geistes und Herzens. Für einige Dissonanzen gab es keine Auflösung, die jeden Leser befriedigen konnte. Mignon und der Harfenspieler hatten den Keim der Zerstörung in sich. Für den Eindruck von Mignons Tode ist ein Gegengewicht in den Exequien. Der heilige Ernst, zu dem sie begeistern, hebt die Seele in das Gebiet des Unendlichen empor. Vielleicht wünscht man nicht mit Unrecht auch etwas linderndes nach dem Tode des Harfenspielers. Wenigstens hat der starke Contrast am Schluße zwischen dieser Begebenheit, und der endlichen Befriedigung für mich etwas unmusikalisches. Rousseau fragt irgendwo, was eine Sonate bedeute? Ich möchte ihm antworten: einen Roman. Wenn ich mir nun diesen Roman in eine Sonate übersetze, so wünschte ich nach einer so harten Dissonanz vor dem Schlusse noch einige beruhigende Takte zu hören.

Sollte nicht auch die Deutlichkeit gewinnen, wenn mehr angedeutet wäre, wie bey Natalien allmählich eine Leidenschaft für Meistern entsteht? Überhaupt scheint mir der leichte Rhythmus, der in den drey ersten Bänden die Begebenheiten herbeyführt, sich im vierten zu ändern. Doch war dieß vielleicht absichtlich zum Behuf der größern tragischen Wirkung, oder um die Spannung überhaupt zu erhöhen.

Bis hieher etwa gieng die ästhetische Pflicht des Künstlers, aber nun begann das Werk der Liebe. Das Gebäude war aufgeführt und die Totalwirkung erreicht, aber ohne dieser zu schaden, konnte es noch im Einzelnen durch mannichfaltigen Schmuck bereichert werden. Dahin gehören die Gedichte, die Gespräche über Hamlet, die Lehrbrief und so machen köstliche Nahrung des Geistes, die in den zerstreuten Bemerkungen über Kunst, Erziehung und Lebensweisheit enthalten ist. Von allem diesem durfte nichts als bloß angefügte Verzierung erscheinen; jedes mußte als ein nothwendiger Theil in das Ganze verwebt werden.

Serto paßt vortrefflich zu einem Gespräch mit Meiser. Ihr Contrast ist nicht grell, aber stark genug um den Dialog zu beleben, und gleichsam vor unsern Augen entspringt die Meynung aus dem Charakter. Abgesonderte Gespräche ähnlicher Art zwischen diesen beyden Personen, die wir nun kennen, wären gewiss ein höchstwillkommnes Geschenk. Es fehlt uns noch so sehr an dieser Gattung von Kunstwerken. Auch wünschte man wohl den Abbé und Natalien zusammen über Erziehung zu hören; nur möchten sie nicht geneigt seyn, miteinander darüber zu sprechen.

Bey Betrachtung eines Kunstwerks, wie dieses, giebt es einen gewissen Punkt, bis wie weit man dem Künstler nachspüren und sich von seinem Verfahren Rechenschaft geben kann – aber weiter hinaus entzieht er sich unsern Blicken, so gern wir ihm auch ins innere Heiligthum folgen möchten. Wo er unterscheidet, wählt, anordnet, wird er uns immer deutlicher, je mehr wir mit seinem Werke vertraut werden; aber vergebens suchen wir den Genius zu belauschen, wenn er dem Bilde der Phantasie Leben einhaucht. Nur durch seine Wirkungen will er sich verkündigen. Der gemeine Leser ruft aus: „So etwas erfindet man nicht; hier muß eine wahre Geschichte zum Grunde liegen.“ – und den ächten Kunstfreund durchdringt ein elektrischer Schlag.

Klar ist der Äther und doch von unergründlicher Tiefe
Offen dem Aug’, dem Verstand bleibt er doch ewig geheim.

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