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I. Laokoon. [A. Hirt]

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Ich nähere mich dem Apollo: die hohe Gestalt erfüllt meine Seele: Es ist das schönste Bild, das sich die menschliche Phantasie schuf, und das in menschliche Gestalt gekleidet ward. Schlankheit, Bewegung, Hoheit des Ausdrukes sind im gleichen Grade harmonisch zum Bilde des fernhintreffenden Gottes. Ich trete vorwärts, rükwärts, auf diese, auf jene Seite des Bildes: mein Auge irret von dem Ganzen zu den Theilen und von den Theilen zum Ganzen – und immer stehet die hohe radellose Gestalt vor mir. – Noch einmal trete ich auf die Seite des rechten Profils – und meine Seele genießt die Fülle eines reinen unvermischten Entzükens.

Mensch, in dessen Geist dieß Bild aufblühete, oder vielmehr, wie ein Lichtstrahl auf einmal in deiner Phantasie dastand – welch stattlichen Jäger sahst du, auf dem nahen Gebirge das schnelle Wild verfolgend? – und wie war es dir möglich, unter dem langsam bildenden Finger dieß Bild deiner Phantasie beizubehalten, daß es dir nicht, wie ein buntfarbiger Luftdunst entschwand? –

Apollo bleibe immer das höchste, schönste Bild menschlicher Phantasie! –

Ich gehe vier Schritte weiter: welcher Kontrast stellet sich meinen Augen dar? ein Alter, und zwei Knaben im Todeskampf mit zwei der grässlichsten Ungeheuer der Natur, die sie eng zusammen umschlungen halten. – Laokoon hauchet in der Mitte seiner sterbenden Söhne die Seele aus. – Mein Bild schauert, wie dort die Trojaner, von dem Hilflosen zurük: meine Brust verenget sich. – Was will der Künstler, daß er eine solche Szene in Marmor hauet? je wahrer die Nachahmung, desto schauervoller wird der Eindruk seyn; und ohne Wahrheit, was ist das Werk des Künstlers?

Doch das Werk stehet da: es stehet da, als das Meisterwerk der gesammten Kunst. – Opus omnibus et picturae et statuariae artis praeponendum. – Ein solches Urtheil fällten die Alten hierüber, und die moderne Welt hat es seit langem mit eben dem günstigen Urtheil belegt. – Worin besteht denn die Vorzüglichkeit dieses Kunstwerkes? worin beruht das vortrefliche des ersten Ideals der Kunst, wie man es heute zu nennen pfleget? – Ist es nicht die Kühnheit der Unternehmung, eine Bewegung und einen Ausdruk von einem menschlichen Körper zu bilden, welche die tiefsten Kenntnisse des Körperbaues, und das innigste Bekanntseyn mit jeder Leidenschaft der menschlichen Seele voraussezen? – Wahrlich! kein Werk, wie dieses, verräth uns so die gesammte Weisheit des griechischen Geistes!

Ich kann nicht umhin, einen Traum zu gestehen, der mich oft in meinen einsamen Stunden verfolget: – Wie? wenn alle übrigen Monumente der Vorzeit verloren, wenn jede andere Spur von Schrift und Tradition ehemaliger Nationen verwischt wäre; und nur dieß einzige Bild Laokoon’s, aus den Trümmern der Zeit gerettet, vor uns stünde: würde dieß einzige Bild uns nicht hinreichendes Zeugniß seyn, daß ehedem Völkerschaften durch lange Jahrhunderte vereiniget beisammen lebten, welche in allen Künsten des Friedens eine Stufe der Vervollkommnung hinanstiegen, nach der wir noch kraftlos ringen? – Die Kunst ist die Blume einer langsam kultivirten Pflanze: sie ist das Schooßkind der gesammten Weisheit einer Nation, und ein Werk, wie Laokoon, die höchste Stufe der Humanität. So wie die Natur das Daseyn eines allweisen Schöpfers ankündiget; eben so würde Laokoon allein den beredendsten Beweis von dem ehemaligen Daseyn einer Nation abgeben, die jede Revolution des menschlichen Schiksals sowohl im Leiden, als im Genuß durchlaufen hat.

Aber würden nicht andere Monumente, z.B. Apollo, eben diese Weisheit einer ehemaligen Nation bezeugen? – Gewiß! doch zweifle ich, ob mit der Deutlichkeit und in dem Grade. –

Ein Funken der Seele, ein Aufflammen hoher Begeisterung scheinet den Apollo erzeugt zu haben: Laokoon hingegen ist das Resultat einer durch lange Jahrhunderte gesammelten Weisheit. Jener hatte eine Momentalentstehung; dieser eine succeßive. Bei dem ersten hat die Phantasie die Hand des Künstlers geleitet; bei dem zweiten scheint der Verstand jeden Grad des physischen und des moralischen Ausdruckes kalkulirt zu haben. Apollo hatte sicherlich nur Einen Meister: Laokoon drei; denn bei dem Produkt der Überlegung und des kalkulirenden Verstandes kann man sich wechselweise berathen und zusammentragen; die Geburt der Phantasie hingegen ist zart, sie verwischt sich, wie ein leichter Hauch, durch Mittheilung und Raisonnement. – Die Phantasie des geistvollen Barbaren ist vielleicht im Stande zur Hoheit des Apollo zu steigen; aber der Ausdruk Laokoon’s kann nur das Werk des kultivirten Verstandes seyn. –

Aber ich verirre mich: ich soll untersuchen, und die Phantasie führt mich fort in das Gebiet der Begeisterung. Meine Absicht soll weder eine Parallele zwischen diesen beiden Meisterstüken der alten Kunst, noch eine Lobrede auf ihre Vortrefflichkeit seyn. Mein Endzwek soll bloß seyn, einige Beobachtungen über das leztere Meisterstück, den Laokoon hier vorzutragen.

Groß ist die Anzahl der Kunstrichter, besonders der neuern kunstrichtenden Reisenden, welche ihre Beobachtungen und Meinungen über dieses vatikanische Bild Laokoon’s niedergelegt haben. Es würde aber mehr mühsam, als interessant seyn, dieselben der Reihe nach hier aufzuführen und zu prüfen. Desto mehr Aufmerksamkeit verdienen die zwei größten Archäologen unserer Zeit, nemlich Leßing und Winkelmann. Beiden war Laokoon ein Gegenstand näherer Prüfung; und beiden gab er Stoff zu den wichtigsten Untersuchungen, theils über das Wesen der Kunst überhaupt, theils über das Benehmen und die Grundsäze der alten Kunst in’s besondere. Beiden hat der bessere Geist des Alterthums – und Kunststudiums viel zu verdanken: dem erstern, weil er mit dem ihm eigenen Scharfsinn den Grenzen der bildenden Künste und Poesie nachspürte, und für jede derselben die genauern Geseze zu bestimmen strebte – dem zweiten, da er durch unmittelbares Anschauen und anhaltendes Beobachten der Kunstwerke selbst die Verfahrungsart aufzufinden sich bemühte, nach welcher jene Meisterwerke verfertigt wurden. Auch scheinen diese zwei Wege die einzigen zu seyn, welche uns zu einer richtigen Theorie der Geschmakslehre, das ist: zu einer richtigen Entwikelung der Fähigkeiten, das Kunstschöne anzusehen und zu beurtheilen – führen können. Sey es auch, daß diese beiden grossen Kunstrichter ihren vollen Endzwek nicht erreichten; sey es auch, daß sie selbst in ihren Beobachtungen, und daher in ihren ersten Grundsäzen geirret hätten, so bleibt es immer des Verdienstes und der Ehre genug, die Bahn gebrochen und in ein vor ihnen unmethodisches und trokenes Studium ordnenden Geist, und belebende Kraft hineingebracht zu haben.

Es ist also weder meine Absicht, das Verdienst dieser Männer herabzuwürdigen, noch mache ich den Anspruch mich ihnen gleich zu sezen; wenn ich mir hier erlaube, ihre Meinungen über die Statue Laokoon’s, und ihre daher geleiteten Folgerungen und Grundsäze näher zu prüfen.

Der erste Punkt der Untersuchung betrifft den Ausdruk Laokoon’s, und den – aus diesem allein erkennbaren – Moment, welchen die drei Künstler zu ihrer Darstellung wählten.

Leßing sowohl, wie Winkelmann nahmen ein Seufzen auf dem Gesichte des Bildes wahr, und urtheilen: Die Künstler hätten wegen den Regeln ihrer Kunst den Moment des Schreiens, welches Laokoon bei Virgil erhebt, vermeiden, und den Ausdruk herabstimmen müssen. Winkelmann’s Worte sind: – „Dieser Schmerz äusert sich mit keiner Wuth in dem Gesichte und in der ganzen Stellung. Er erhebt kein schrekliches Geschrey, wie Virgil von seinem Laokoon singet; die Öfnung des Mundes gestattet es nicht. Es ist vielmehr ein ängstliches und beklemmtes Seufzen, wie es Sadolet beschreibet u. s. w.“ Leßing sagt : „der Künstler mußte den Schmerz herabsezen, er mußte Schreien in Seufzen mildern u. s. f.“

Und warum soll Laokoon nur seufzen? – Weil nach Winkelmann die Griechen als die vorzüglichsten Kennzeichen ihrer Kunst – die edle Einfalt und stille Grösse sowohl in der Stellung, als im Ausdruke beobachteten – und nach Leßing, weil das Schreien der Schönheit – die nach ihm das höchste Gesez der bildenden Künste bei den Griechen war – würde entgegen gewesen seyn.

Wie aber – wenn der Ausdruk Laokoon’s weder ein Seufzen, noch Schreien wäre? wenn der Künstler dabei weder Reflexion auf die stille Größe, noch auf die – den Ausdruk mildernde – Schönheit genommen, sondern vielmehr den Moment des höchsten Grades von Ausdruk zu seiner Wahl gemacht hätte?

Die Entscheidung hierüber kann allein auf dem richtigen Anschauen beruhen. Wie schwer dieses, besonders in Werken der Skulptur sey, könnte ein auffallendes Beispiel eben dieser Streit über Laokoon abgeben. Denn die Verschiedenheit der Meinungen in Rüksicht des Momentes seiner Darstellung kann doch allein die Verschiedenheit des Anschauens zum Grunde haben.

Wenn es Fälle in der Kunst giebt, wo das Auge des Kindes zu entscheiden vermögend ist, so sind auch anderseits jene Fälle nicht selten, wo der geübteste Blik des Kenners dem Irrthum unterworfen ist. Eine vieljährige Erfahrung im fortdauernden Umgange mit Künstlern und Kunstfreunden hat mir überzeugende Beweise hievon gegeben. Nur eine anhaltende Übung und fortgeseztes Vergleichen der Kunstwerke unter sich und mit der Natur vermag es das Auge nach und nach zu berichtigen. Es ist daher weniger auffallend, wenn sich ein Leßing irrte, da er fern von allen Monumenten seinen Laokoon schrieb; als wenn wir dergleichen Irrthümer bei Winkelmann wahrnehmen, der mehr mit den Monumenten der Vorzeit und der Kunst überhaupt, als mit seinen Zeitgenossen lebte. Indessen bin ich nicht der erste, der diesen mit heiligem Eifer beseelten Mann einer zu warmen Einbildungskraft zeihet, welche ihm nicht immer erlaubte, die Gegenstände der Kunst mit unbefangenem Gemüthe anzuschauen und zu beurtheilen.

Laßt uns nun dem Marmor selbst näher treten:

Wäre die Absicht des Künstlers gewesen, einen gemilderten Ausdruk, ein Seufzen auf dem Gesichte Laokoon’s zu bilden: so müßte man in der Bewegung sowohl, als der Dehnung der Glieder eben diese Milderung erbliken. Allein in dem ganzen Akte von der Scheitel bis zur Zehe ist eine Anstrengung verbreitet, die das höchste Naturvermögen in vollster Empörung ausdrükt, und die sich nur nach lange versuchtem Widerstreben, und schon erschöpften Kräften in dem verzweiflungsvollsten Ringen zwischen Leben und Tod denken läßt. Man sehe nur das Sträuben der Haare und des Bartes, die tiefzurükgezogenen Augapfel, das fürchterliche Zusammenpressen der Stirne, das Zuken in den Nasenmuskeln und Wangen: Kein Schmerz, kein Widerstreben, kein Entsezen kann den Ausdruk schreklicher mahlen: Laokoon schreiet nicht, weil er nicht mehr schreien kann. Der Streit mit den Ungeheuern beginnt nicht, er endet: kein Seufzen erpreßt sich aus der Brust, es ist der erstikende Schmerz, der die Lippen des Mundes umzieht, und der lezte Lebenshauch scheint darauf fortzuschweben. Das Krampfartige, die höchste Spannung, die wüthendsten Zukungen zeigen sich in allen Gliedern. Der Kampf hat die äusersten Kräfte des elenden erschöpft: nicht der Biß der Schlagen tödtet ihn langsam, mächtiger schon als das Gift wirkte das Entsezen, das kraftlose Widerstreben, der Anblik seiner ohne Rettung verlornen Kinder. Das Geblüt, welches mit voller Empörung gegen die äusern Theile dringt, und alle Gefässe schwellen machet, stoket den Umlauf, und verhindert das Einathmen der Luft: die Lunge, durch die Häufung und gedrängte Circulation des Blutes wird immer gedehnter; das äzende Gift von dem Bisse der Schlange hilft die heftige Gährung beschleunigen; eine erstikende Pressung betäubt das Gehirn, und ein Schlagfluß scheinet den Tod plözlich zu bewirken.

Hingesunken auf die Ara, versucht er noch die lezten Kräfte; die Füsse stämmen sich gegen den Würfel: er windet sich von dem Gefühl der vergiftenden Zähne in die linke Hüfte abwärts: das Brustfell wird durch das höchst mögliche Einziehen des Unterleibes, wodurch selbst die Schaamtheile vortreten, auf’s äuserste nach unten gezwängt, und so hebt sich die Brust convulsivisch. Die Muskeln, welche den Rippenkasten deken, treten nicht nur vor, sondern formieren durch die höchste Spannung ekigte Klumpen: der Rüken zeigt sich in der nämlichen Convulsion; die Schulterblätter ziehen sich höchst gewaltsam ein; und die Muskeln zu beiden Seiten des Rükrathes gegen die Hüften liegen durch das gewaltsame Einziehen des Bauches sehr stark vor. In den Schenkeln, Beinen, in dem erhaltenen Arme zeigt sich diese äuserste Spannung nicht minder. – Alles in der ganzen Figur verkündet einen Moment der Darstellung, aber nicht einen gemilderten, nicht ein Seufzen, nicht ein Schreien, nicht einen hilfflehenden Blik zu den Göttern – sondern das höchste und lezte Anstrengen sich convulsivisch windender Kräfte, ein schon betäubtes Gehirn, einen Mund, den der erstikende Schmerz umzieht und bleichet – ein Athemloses Bäumen der Brust, und Einzwängen des Unterleibes – das Erstiken und der Tod folgt plözlich. –

Nach dieser Hinweisung und Schilderung, von deren Richtigkeit sich jeder durch eigenes Anschauen überzeugen kann, frage ich nun: wo ist hier die Milderung des Ausdrukes? Wer sollte hier nur ein ängstliches und beklemmtes Seufzen erbliken? Wer kann sich die Gewalt des physischen Anstrengens und des körperlichen Leidens stärker denken? Wer hat je gewaltsamere Zukungen in dem ganzen Muskelnspiel des menschlichen Baues wahrgenommen? Wo ist ein Glied in Ruhe? Und wie ist eine wüthendere Entstellung in allen Gesichtszügen – das Sträuben der Haare und des Bartes dazu genommen – möglich? – ein jeder sehe, erforsche sein Gefühl, und urtheile.

Wenn aber auf solche Weise die drei Künstler Lakoon’s den Ausdruk – aus Furcht der Schönheit zu schaden – nicht herabstimmten, sondern vielmehr den Moment der höchsten Anstrengung, welche dem mechanischen Baue des menschlichen Körpers möglich ist, wählten: – wenn diese grossen Meister erst da ihr Kunstwerk anheben, wo die Beschreibung des Dichters aufhört, – denn Virgil mahlet die Szene nicht aus, indem er nach dem Schreien des Hilflosen sogleich in der Erzählung abbricht, der beste Beweis wie mich däucht, daß Virgil weder die Gruppe, noch die Künstler den Dichter nachahmen wollten – sollte es nicht auch mit den Folgerungen ein anderes Bewandtniß haben, welche man aus dem gemilderten Ausdruke, aus dem Seufzen hat ziehen wollen? –

Es ist jetzt nicht mein Thun, die Grundsäze der schönen Künste, welche Leßing und Winkelmann – immer in Rüksicht auf die Meisterstüke der alten Kunst – haben festsezen wollen, weitläufig und methodisch zu bestreiten. Ich will bloß noch einige nicht unerhebliche Anmerkungen gegen die Meinungen dieser beiden Archäologen beifügen.

Gesezt: wir nähmen mit Leßing die Schönheit, als das Grundgesez an, nach welchem die Alten arbeiteten; so können wir dieß unmöglich in dem beschränkten Verstande gelten lassen, wie es dieser Kunstrichter zu verlangen scheint: Eben so wenig kann die Meinung Winkelmann’s gelten, der dieß Grundgesez bei den Alten in eine stille Grösse, und edle Einfalt sezet. Es ist indessen nicht zu leugnen, daß solche Behauptungen einen Schein des Wahren für sich haben: aber ein näherer Blik über die alten Monumente wird uns Beispiele genug anbieten, welche uns klar zeigen werden, daß das Hauptprincip der alten Kunst ein ganz anderes war.

In allen Werken der Alten ohne Ausnahme, sowohl in Ruhe, als Bewegung und Ausdruk zeiget sich Individuellheit der Bedeutung – Karakteristik. – Dieser waren alle übrigen Geseze untergeordnet in jeder Vorstellung, in jeder Figur. Ein Gott ward als Gott, der Held als Held, der Mensch als Mensch gebildet. Soll ein Gott thätig seyn, so läßt ihn der Künstler handeln: der Held ist in allen Graden der Menschheit thätig und leidend, und eben so der Mensch. Jede Bewegung, jede Leidenschaft, jede Form ist bei ihm individuell für jeden Karakter. Auf dieß arbeitete die alte Kunst; hierein setzen die Künstler die Vollkommenheit ihrer Werke, und das Wesen des Kunstschönen. Jeder Gott hat seine bestimmten Formen bis in die individuellsten Theile vom schönen Apoll und Merkur an bis auf den ungestalten Vulkan und Plan: von Neptun und Bacchus an bis auf den hornhäutigen Triton und den glazköpfigen, schwammfleischigten, behaarten Silen: von der Venus und Diana an, die gefiederten Beine der Syrenen und die Pferdegestalt der Centaurinen. Die Heroen unterscheiden sich durch Form und Stellung eben so unter sich: als sie einerseits von den Göttern, anderseits von den Menschen unterschieden sind. Mit den Bildnissen hat es das nämliche Bewandtniß: der Grieche, der Römer, der Barbar erscheint mit seinen individuellsten Karakterzügen, die ihn sogleich ankündigen – vom schönen Alcibiades bis auf den häßlichen Socrates, den alten blinden Homer, den ungestalteten Äsop. Der Schedel der Barbaren und so auch ihr Körper – ist unedler gebaut; die längern Haare hänge in strippichten Massen um den Kopf, der Bart ist schmuzig. . – Das entstellte Alter erscheinet in beiden Geschlechtern im dürren Knochenbau, mit eingebogenen Knieen und vorgesenktem Haupte; mit runzlichter Haut über dem Körper, mit vorliegenden Adern, mit schlappen Brüsten. –

Wenn aber die Kunst der Alten unter allen möglichen Formen erscheint, und sie dabei kein anderes Gesez kannte, als Karakteristik, wodurch nämlich jede individuelle Form zum Ganzen sich zwekmäßig verband: ist vielleicht weniger Bedeutung und Wahrheit in Bewegung und Ausdruk, als die Natur der vorgestellten Szenen es erfodern möchte? – Gewiß nicht! Auch in Bewegung und Ausdruk waren die Alten eben so genau, als in der Karakteristik der Formen. Jede Figur hat die Bewegung, welche ihr in den gegebenen Umständen zukommt; jede hat den Ausdruk, welchen die vorgeschriebene Handlung oder Leidenschaft erfodert – ohne jene gemilderten Grenzen, wie jene Kunstrichter geglaubt haben – dieß gilt sowohl von Göttern, als Helden und Menschen.

Aber da wir vom Ausdruke reden, können wir von einem andern Beispiele anheben, als von Laokoon selbst mit seinen zwei Kindern? Ich glaube gezeigt zu haben, daß die Meister in dem Vater den angestrengtesten Grad des Ausdruks darstellten: von den beiden Söhnen ist der ältere am wenigsten leidend, nur festgehalten von den Schlangen schreiet er zum Vater um Hilfe empor: dem jüngern hingegen sezet eben eine der Schlange ihre Vergiftungs-Zähne in die rechte Seite ein: und krampfartig zusammengezogen haucht er gleichsam im nämlichen Momente mit dem Vater das Leben aus. – Und wer erinnert sich nicht sogleich an die unglükliche Familie der Niobe? Wie kann Schreken und Tod entsezlicher wüten, sowohl in der berühmten Gruppe zu Florenz, als in zwei Bareliefs , diese Mythe vorstellend. – Schrekbar zu sehen ist der so oft vorgestellte an die Arme aufgehangene Marsyas, dessen Glieder durch die Schwere des Körpers so gezogen sind, daß ihm das Erstiken zusezet, und daher den Mund zum Schreien vergeblich zu öfnen strebet. – Herrschet nicht Verzweiflung in der Bewegung und auf dem Gesichte des Kriegers, dessen entleibte Frau eben todt zu seinen Füssen hinstürzt, in der Gruppe, die unter dem Namen Paetus und Arria bekannt in der Villa Ludovisi. – Sehen wir nicht eine sich convulsivisch windende Glauce, von den Äpfeln der Medea vergiftet, und den unglüklichen Vater, der sich bei deren Anblik die Haare zerrauft ? Althea, den Brand über das Feuer haltend, erscheint von der Furie ergriffen, indem sich ihr Sohn Meleager vom innern Feuer langsam verzehrt: verzweiflungsvoll entleibt sich dann die unglükliche Mutter selbst an seinem Grabe . – Die Furien mit Fakeln und Schlangen bewaffnet, ergreifen den Orestes bei dem Morde seiner Mutter und des Ägisthus . – Die Schlange weidet sich schreklich an den Gliedern des Kindes Archemories, indem die Amme Hypsipyle mit zerstreuten Haaren von dem Anblik zurükschaudert . – In der berühmten Gruppe, unter dem Namen il tauro farnese bekannt, binden Zethus und Amphion, die sich sträubenden Dirce an den Hörnern eines wilden Stieres fest . – Achilles schleift die Königin der Amazonen Penthesilla bey den Haaren . – Andromache stürzt sich verzweifelnd auf den Leichnam Hector’s, Cassandra und andere Trojanerinnen zerraufen sich die Haare . – Dort reißt Ajax die Cassandra bei den Haaren vom Altare der Minerva . – Hier erscheint die ganze Schrekensszene, wo Priam mit seiner Familie am Altare seiner Hausgötter das Opfer des racheglühenden Neoptolemus wird –

Ermordungen und Schlachten sind häufig. Auf dem Triumphbogen Konstantin’s reitet Trajan mit gezükter Lanze über die flehenden Dacier weg; Soldaten zeigen ihm die abgeschlagenen Köpfe überwundener Feinde. – Das Fehlen, die Trostlosigkeit, der kämpfende Muth mit starker Anstrengung kommen zu oft vor, daß es keiner weitern Beispiele bedarf.

Auch das Schreien ist gebildet worden, wie wir schon von dem ältern Sohne Laokoon’s bemerkten: das nämliche erscheint noch deutlicher in einer Gruppe, wo ein Triton eine sich sträubende Nymphe entführt . – Als eine mehr komische Szene führe ich hier noch die zweimal existirende Gruppe an. Wo ein Satyr einem Faun einen Dorn aus dem Fusse zieht . –

Alle bisher angeführten Beispiele, worin die Alten jede Art von Ausdruk und Bewegung ohne Milderung bildeten, sind theils von Gruppen, theils von Compositionen in mehrern Figuren en Relief genommen. Wir müssen nun noch sehen, wie die alte Kunst verfuhr, wenn sie einzelne Figuren zur Darstellung wählte.

Auch hierin war Bedeutung, Wahrheit – kurz Karakteristik, die den Geist der alten Kunst leitete. Einzelne Figuren und Büsten wurden gröstentheils in Ruhe gebildet: und warum? – weil es schwer ist, einem isolirten Gegenstande eine leidenschaftliche Bewegung und Ausdruk zu geben, wovon man die verleitende Ursache, oder Beziehung nicht wahrnimmt. In solchen Fällen würde die Nichtdarstellung der Ruhe, oder des Unleidenschaftlichen eben so unschiklich seyn, als wenn man bei vorkommender Leidenschaft den gehörigen Grad von Ausdruk herabsezen wollte. Die bildenden Künste haben ihre Sprache, wie jede andere Kunst, und ihre Pflicht ist, sich durch Form, Bewegung, Stellung und Miene so auszudrüken, daß keine Mißdeutungen entstehen.

So groß und meisterhaft sich aber auch immer die alte Kunst in Darstellung leidenschaftlicher Szenen zeiget; so erscheint sie doch noch bewunderungswürdiger, wenn sie die Ruhe bildet. Ich verstehe hierunter, wenn alles Befremdende in Bewegung und Miene vermieden, und Nichts, als gerade das eigene Seyn eines Objekts dargestellt ward. Winkelmann schient auch diesen Vorzug bei der alten Kunst so tief empfunden zu haben, daß er ohne Zweifel bloß hiedurch verleitet ward, den Grundsaz als allgemein aufzustellen: daß das Wesen der alten Kunst in stiller Grösse und edler Einfalt beruhe: ohne zu bedenken, daß dieses Princip bloß für einzelne Fälle anwendbar sey, und als ein subordiniertes Gesez aus einem Allgemeinern fliesse.

Da aber keine Figur ohne Bewegung – Stellung, Attitüde – und ohne Miene – Gesichtszüge – gedacht werden kann: wie benahm sich die alte Kunst bei Darstellung des Unleidenschafltichen? – Sie bildete in derjenigen Stellung und Miene, welche dem zu bezeichnenden Karakter natürlich zukamen, und unter welchen allein ein Gegenstand als solcher gefühlt und deutlich erkannt werden konnte. Wie gewissenhaft genau die Alten hierin zu Werke giengen, kann daraus erhellen, daß derselbe Gegenstand selten unter veränderter Stellung und Miene vorkommt, oder wenigstens nur mit solchen Abänderungen, welche dem Hauptkarakter nichts entziehen, sondern vielmehr, weil sie auf Nebenbeziehungen anspielen, mit der Hauptidee in genauer Verbindung stehen. War einmal die Karakteristik der Formen und der Attitüde für einen Gegenstand gefunden, so war sie es für die gesammte Kunst; und man bleib dabei, weil jeder Künstler fühlte, daß die Abweichung ihn nur auf Abwege bringen würde. – Diese Karakterbestimmung eines jeden Kunstobjekts, diese Bedeutung der Ruhe, und diese Angabe von Attitüde, wodurch ein Objekt eben so individualisirt ward, als vorher schon durch die Individuellheit der Form, kann man als den Triumph der alten Kunst, und als den Gipfel ihres Strebens ansehen.

Nicht nur in der Form, sondern auch in Miene und Stellung offenbaret sich im Jupiter hohe Majestät: So im Bacchus wollustträumende Weichlichkeit; in der Minerva jungfräulicher Ernst; im Merkur bedächtige Schlauheit; im Hercules rohe rastlose Ruhe; in Mnemosyne ein stilles, sinnenvolles Ansichhalten u. s. w. Es sind nicht sowohl die Attributen, als karakteristische Stellungen und Miene, welche uns die Gegenstände der alten Kunst bezeichnen. In allem strebte sie nach Eigenheit, und vermied daher sorgfältig alles Befremdende im Ausdruke.

Indessen sind die Monumente von einzeln Statuen und Büsten nicht selten, in denen ein stärkerer oder schwächerer Grad von Ausdruk und Bewegung angedeutet ist. Allein wir haben das Recht zu glauben, daß entweder solche Figuren wirklich ehedem zu Gruppen gehörten, von denen sie getrennt wurden; oder aber daß sie an solchen Orten aufgestellt waren, welche die Beziehung oder Ursache einer solchen Darstellung für sich schon erklärten: oder aber es war ein Gegenstand, der nur unter der Bedingung eines solchen Aktes, und eines solchen Ausdrukes konnte deutlich bezeichnet und erkannt werden.

Zu der leztern Art rechne ich zum Beispiel einen Apollo Musagetes, der im langen Gewande gleichsam begeistert einherschreitet und nach der Leier singt: eine Diana als Jägerin in geschürzter Tunica – im Akte den Bogen abzudrüken: die Luna, welche still einherwandelnd eher zu schweben als mit den Spizen ihrer Füsse die Erde zu berühren scheinet: eine Venus, die durch den gewöhnlichen Akt der jungfräulichen Schamhaftigkeit ihren Liebreiz erhöht. – Hieher gehören alle die Akte der Ringer, der Diskusspieler, der Faustschläger – so wie auch derer, denen die Statue in dem Akte gesezt wurde, durch welchen sie ein solches Ehren-Monument verdienten: wie uns Cornelius Nepos von der Statue des Chabrias erzählt und beisezet, daß nach diesem Beispiele es nachher allgemein ward, sich in denjenigen Stellungen bilden zu lassen, in welchen man sich ausgezeichnet hatte. Ich zweifle daher nicht, daß der sogenannte Borghesische Fechter zu dieser Klasse von Statuen gehöre: zwar nicht wie Leßing ehedem wollte, einen Charbrias vorstelle, sondern eher den jungen muthvollen Isadas, der bei dem plözlichen Überfall der Stadt Sparta von Seiten des Epaminondas – nakt, ohne Armatur sich den Feinden entgegenstürzte, und das meiste zur Rettung der Stadt beitrug, ohne daß er selbst dabei verwundet ward. –

Unter die bekanntern Monumente, die getrennt von ihren Gruppen auf uns gekommen sind, zähle ich erstlich den berühmten Apollo von Belvedere, den ich nicht als den Tödter der Schlange Python, oder der griechischen Heere vor Troja, nicht als den Phoebus-Apollo, sondern als den Vertilger der Familie der Niobe ansehe, so wie wir ihn auf einem Sarcophag, diese Mythe vorstellend, erbliken. – Eben so verhält es sich mit einem Sohne der Niobe, in dessen Besiz Herr Doktor Bardt in Wien ist, ohne Vergleich das vorzüglichste Monument von allen Statuen, welche als zur Gruppe der Niobe gehörig auf uns gekommen . – Getrennt von seiner Gruppe ist der berühmte Schleifer in der großherzoglichen Gallerie zu Florenz, der eigentlich zur Mythe des Apollo und Marsyas gehört. Die noch existirenden Statuen des leztern erwähnten wir schon oben, aber ein hiezugehöriger Apollo ist mir unter den Monumenten nicht vorgekommen. – Ein gleiches Schiksal erlitt eine sehr vorzügliche Statue in der Villa Pamfili, welche (unter dem Namen Clodius bekannt) den jungen Achilles in Weiberkleidern unter den Töchtern des Lycomedes vorstellt. So existiert die sehr schöne einzelne Büste des Menelaus im Museo Pio-Clementino, wovon sich die Statue im Akte den Patroclus wegzutragen – in Florenz befindet. Das sehr verstümmelte Monument, unter dem Namen Pasquino in Rom bekannt, stellet diese nemliche Gruppe vor. Hieher gehören noch eine Amme der Phaedra; eine von Schreken ergriffene und sich zusammenneigende Psyche – beide im Museo des Kapitols.

In einer der ausdruksvollsten Stellungen ist eine kriegerische Juno im Museo Pio-Clementino gebildet: ihr Blik, ihre geöffneten Lippen, die gezogene Wangen, das Heben der Haare auf dem Kopfe, ihr Tritt – verkündigen Schreken und Tod. Aufgestellt in ihrem Tempel zu Lanuvinum war dieser sonst befremdende Ausdruk in einer Juno leicht erklärbar, weil eine Mythe sagte, daß sie unter dieser Gestalt sich in einer Schlacht als Schuzgöttin dieses Volkes zeigte. Leicht erklärbar ist die einzelne Bildung eines leidneden Philoklet, der abgehärmt und verwildert in Haar und Bart, das kranke Bein anhält, und mit trübemporgerichtetem Blik den Göttern zu klagen scheint. In die nämliche Kategorie gehört ein im rechten Schenkel verwudneter Adonis. Er steht noch, aber in dem starren Blik, im Sträuben des Haares und in dem geöffneten Munde seiht man, daß ihm die Sinnen entschwinden. Der sogenannte sterbende Fechter könnte ehedem zu einer Gruppe gehört haben: doch ohne dieß zeigt die Wunde seinen Zustand, wie anderseits die Karakterisierung seines Körpers nd seiner Attribute uns in ihm den Gallier erkennen lassen, der vom jungen Manlius im zwekampfe erlegt worden . –

Was liessen sich nun nach allem, was ich hier summarisch berührte, für Folgerungen zeigen?

I. Daß ich mit Winkelmann nicht übereinstimmen kann, wenn er das erste Gesez der bildenden Künste bei den Alten in eine edle Einfalt und stille Grösse sowohl in der Stellung als im Ausdruke sezet.

II. Daß auch Leßing sich täuschen ließ, indem er die Schönheit als dieß erste Gesez der bildenden Künste aufstellen wollte.

III. Daß Herrn Leßing das ganze Alterthum widerspricht, wenn er Wahrheit und Ausdruk als streng zu beobachtende Geseze bei den bildenden Künsten verwirft.

IV. Daß, was die Alten unter Vollkommenheit oder Schönheit der Kunst verstanden, nichts anders war, als Karakteristik, das heißt, sie suchten für jeden Gegenstand aus der Natur die körperlichen Formen bedeutend und übereinstimmend auf: sie erfanden oder abstrahierten vielmehr aus der Natur die individuellsten Formen für jedes Alter, für jedes Geschlecht, für jeden Stand, für jede Errichtung – kurz, für jeden individuellsten Karakter. War der Gegenstand Porträt, so geschah die Nachbildung eben so individuell.

Karakteristik, oder diese bestimmte übereinkommende Individuellheit der Formen war also bei den Alten das erste Gesez der bildenden Künste. War die Gestalt in Ruhe, das heißt: warne keine äusern Ursachen da sie in eine leidenschaftliche Bewegung zu sezen, so war die Stellung – stand, Attitüde – gleich den Formen individuell für den Gegenstand. Die alte Regel war äuserst strenge hierin.

V. Nach der Karakteristik der Formen und des Standes erscheint als ein gleichwichtiges Gesez die Karakteristik der Bewegung und des Ausdrukes. Beide verhielten sich erstlich nach der verleitenden Ursache, und zweitens nach dem physischen und moralischen Karakter des dargestellten Objekts. Die Regel der alten Kunst hierin war, wie die Ursache, so die Wirkung.

VI. Wahrheit, als das erste Requisitum der Karakteristik muß also in jedem Kunstwerk herrschen. Sie bleibt und ist das Grundgesez des Schönen, wie des Guten. Ohne ihre Fakel ist kein Schritt in den Künsten zu thun. Form und Ausdruk hängen von ihr ab. Ohne sie ist keine Bedeutung, keine Beseelung. Sowohl in Idealwerken, als Porträts beobachten die Alten sie mit aller Strenge. Sie ist der Maaßstab des Kunstrichters.

VII. Kunstschönheit bei den Alten war zufolge dem Gesagten nichts anders als der Innbegriff der wahren Karakteristik sowohl der Formen, als des Ausdrukes. Sie sahen in dem Kunstwerke nicht so viel auf den gebildeten Gegenstand, als auf den Genius des Künstlers. Der schönste Gott, zum Beispiel ein Bacchus, war hässlich, wenn er nicht in seinen eigenen Formen und Karakterzügen gebildet erschien; und ein Pan mit den Boksfüssen, und der Boksmiene war ein solches Kunstwerk, wenn der Künstler ihn in seiner individuellen Gestalt und Miene darstellte. Das vollkommene Kunstwerk eines schönen Naturgegenstandes kann nur in so fern einen Vorzug über das gleichvollkommene Kunstwerk eines häßlichen oder gemeinen Naturgegenstandes behaupten, als das erstere in dem Künstler selbst eine edlere und mehr gebildete Seele voraussezet. Menschen, die nur das Schöne des Gegenstandes in einem Kunstwerke, und nicht das subjectiv Schöne darin suchen, sind noch weit entfernt, ein gesundes Urtheil über Werke der bildenden Künste zu fällen.

Ungeachtet dieser Grundsäze, die ich als das Resultat vieljähriger Beobachtungen gegen diejenigen von Winkelmann und Leßing aufstelle, würde man mich missverstehen, wenn man glauben wollte, daß ich hiemit einen Schatten über das Verdienst dieser zwei Kunstrichter zu werfen dächte. Jeder ächte Archäologe, überzeugt wie viel ihnen die bessere Kritik der schönen Künste und des Alterthumstudiums schuldig ist, wird ihre Namen immer mit Verehrung nennen. Allein da Einseitigkeiten grosser Männer nicht nur sich leicht in andere Gemüther verpflanzen, sondern selbst dem Gange der wahren Kritik, dem noch diese Männer aufhelfen wollten, hinderlich sind; so werden meine Beobachtungen nicht dem Vorwurfe ausgesezt seyn, als wenn sie zu kühn oder überflüssig wären.

So viel für die Kritik: nur noch einige Bemerkungen für den Künstler in Rüksicht Laokoon’s.

Winkelmann sagt: „Griechenland hatte Künstler und Weltweise in einer Person, und mehr als einen Metrodor.“ Agesander und seine zwei Mitarbeiter waren gewiß beides. Wieviel Kenntniß, wieviel Erfahrungen, wieviel Empfindungen, wieviel Erlerntes liegt da in diesem einzigen Marmor? welche Schule müssen die Urheber Laokoon’s durchgegangen seyn? welche Resultate der Kunst vor ihnen da gestanden haben? Die Kenntniß des Körperbaues, und der Leidenschaften, wodurch der ganze Marmor in jedem Detail Beseelung bekam, ist nicht das Werk eines Zeitalters, und einiger Männer. Mehrere Klassen von Menschen, in verschiedenen Fächern, und durch mehrere Menschenalter mußten sich zu dem nämlichen Zweke vereinigen, durch immer neue Erfahrungen und Übungen bildeten sich neue Lehren, welche von Meister zu Meister, von Lehrlinge zu Lehrlinge übergiengen. Langsam und durch ämsige Bebauer ward das Feld gepflegt, wo diese köstliche Frucht Wurzel fasste, aufkeimte und reifte.

Die Anatomen, die Ärzte, die Lehrer der gymnastischen Übungen haben lange mit wechselweiser Hilfe den Körperbau und dessen Mechanik nach jedem System, in jedem Zustande, nach jedem Verhältnisse untersuchet: lange haben der Moralist, der Psychologe, der Physionomiker ihre Beobachtungen über den wirkenden und leidenden Zustand der Seele in jedem Verhältniß und Verbindung mit und auf den Körper zusammengetragen. Aus den Lehren dieser Menschen schöpfte die Kunst ihre Elemente; die Anatomie, die Palästra, der Umgang mit Philosophen und Menschenkündigern waren des Künstlers erste Schulen: von diesen lernte er, was und wie er bilden sollte. So trug die Kunst von dieser und jener Wissenschaft das Benöthigte in ihre Schule über, um die Grundlage derselben zu formieren. Die Hand, gewöhnt Linien zu ziehen, oder den Thon zu bearbeiten, irrte nicht unsicher, weil der Verstand das Auge berichtiget, und auf die schönen Umrisse und Formen geleitet hatte. Die Arbeit des Künstlers war sicher und bestimmt, weil er sich von jedem, was er machte, Rechenschaft geben konnte. Daher sehen wir in allen Überbleibseln der Alten – in jedem Detail einen so einförmigen, hohen und tiefüberdachten Sinn.

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