HomeDie HorenDie Horen - 1797 - Stück 11I. Denkwürdigkeiten aus dem Leben des Marschalls von Vieilleville. [V. Carloix]

I. Denkwürdigkeiten aus dem Leben des Marschalls von Vieilleville. [V. Carloix]

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Beschluß.

Den lezten Junius 1559 wurde des Morgens ein großes Turnier auf den Nachmittag angesagt. Nach der Tafel zog sich der König aus, und befahl Vieilleville’n ihm die Waffen anzulegen, obgleich der Oberstallmeister von Frankreich, dem dieses Geschäft zukam, zugegen war. Als Vieilleville ihm den Helm aufsetzte, konnte er sich nicht entbrechen zu seufzen und zu sagen, daß er nie etwas mit mehr Widerwillen gethan. Der König hatte nicht Zeit ihn um die Ursache zu fragen, denn indem trat der Herzog von Savoyen herein. Das Turnier fieng an. Der König brach die erste Lanze mit dem Herzog, die zweite mit dem Herrn von Guise, endlich kam zum dritten der Graf von Montgommery, ein großer, aber steifer junger Mensch, der seines Vaters, des Grafen von Sorges und Capitain von der Garde, Lieutenant war. Es war die letzte, die der König zu brechen hatte. Beide trafen mit vieler Geschicklichkeit auf einander und die Lanzen brechen. Jetzt will Vieilleville des Königs Stelle einnehmen, allein dieser bittet ihn, noch einen Gang mit Montgommery zu machen, denn er behauptete, er müsse Revanche haben, indem er ihn wenigstens aus dem Bügel gebracht habe. Vieilleville suchte den König davon abzubringen, allein er bestand darauf. Nun, Sire, rief Vieilleville aus, ich schwöre bei Gott, daß ich drey Nächte hindurch geträumt habe, daß Eurer Majestät heute ein Unglück zustossen und dieser letzte Junius Ihnen fatal seyn wird. Auch Montgommery entschuldigte sich, daß es gegen die Regel sey, allein der König befahl es ihm, und nun nahm er eine Lanze. Beide stiessen jetzt wieder auf einander und brachen mit großer Geschicklichkeit ihre Lanzen. Montgommery aber warf ungeschickterweise den gesplitterten Schaft nicht aus der Hand, wie es gewöhnlich ist, und traf damit im Rennen den König an den Kopf gerade in das Visir, so daß der Stoß in die Höhe gieng und das Auge traf. Der König ließ die Zügel fallen und hielt sich am Hals des Pferdes; dieses rannte bis auf Ziel, wo die zwey ersten Stallmeister, dem Gebrauch gemäß hielten, und das Pferd auffiengen. Sie nahmen ihm den Helm herunter und er sagte mit schwacher Stimme, er sey des Todes. Alle Wundärzte kamen zusammen, um den Ort des Gehirns zu treffen, wo die Splitter stecken geblieben, aber sie konnten ihn nicht finden, obgleich vier zum Tode verurtheilten Missethätern die Köpfe abgeschlagen wurden, Versuche daran anzustellen, indem man Lanzen daran abstieß.

Den vierten Tag kam der König wieder zu sich und ließ die Königinn rufen, der er auftrug, die Hochzeit doch sogleich vollführen zu lassen, und Vieillevillen, der schon das Brevet als Marschall von Frankreich hatte, wirklich dazu zu machen. Die Hochzeit ging traurig vor sich, der König hatte schon die Sprache verlohren und den Tag darauf den zehnten Julius 1559 gab er den Geist auf. Vieilleville verlohr an ihm einen Herrn, der ihn über alles schätzte und ihn sogar zum Connetable einst würde ernannt haben, wie er sich schon hatte verlauten lassen. In den letzten Zeiten hatte er ihm, um ihn immer um sich zu haben, sein Departement von Metz abgenommen, und es dem Herrn von Espinay gegeben; Vieilleville aber war Gouverneur von Isle de France geworden.

Die unrechtmäßige Gewalt, deren sich die Guisen nach dem Tod Heinrichs II anmaßten, verursachte die bekannte Verschwörung von Amboyse. Ein gewisser la Renaudye versicherte sich dreyßig erfahrner Capitains und legte um den Aufenthalt des jungen Königs fünfhundert Pferde und vieles Fußvolk herum, in der Absicht, die Guisen gefangen zu nehmen und dem König seine Freiheit zu geben. Es wurde dieses auch klar am Hofe und die Nachricht beunruhigte den König und die Guisen sehr. Vieilleville sollte an dieses Corps geschickt werden, um sie zu fragen, ob sie die Franzosen um den Ruhm und die Ehre bringen wollten, unter allen Nationen ihrem Fürsten am treusten und gehorsamsten zu sein? Dieser Auftrag setzte Vieillevillen in einige Verlegenheit. Er selbst war von der widerrechtlich angemaßten Gewalt der Guisen überzeugt und wollte sich zu einer Gesandtschaft nicht brauchen lassen, wo er gegen seine Überzeugung reden mußte; durch eine feine Wendung überhob er sich derselben, indem er dem König antwortete: „Da der Fehler dieses Corps, an das Eure Majestät mir die Ehre anthun wollen, mich zu schicken, so groß ist, daß es eine wahre Rebellion genannt werden kann, so würden sie mir nicht glauben, wenn ich ihnen Verzeihung verkündigte. Es muß dieses ein Prinz thun, damit sie versichert sind, es sey dieses ein königliches Wort, das Eure Majestät schon um dessentwillen, der es überbracht hat, nicht zurüknehmen werden.“

Vieilleville hatte richtig geurtheilt; er wurde mit diesem Auftrag verschont und der Herzog von Nemours, der an die Rebellen geschikt wurde, hatte den Verdruß, daß die fünfzehn Edelleute, die auf des Königs und sein Wort ihm gefolgt waren, sogleich gefangen und in Fesseln geworfen wurden. Auf alle Beschwerden, welche der Herzog deshalb vorbrachte, antwortete der Kanzler Olivier immer, daß kein König gehalten sey, sein Wort gegen Rebellen zu halten. Diese fünfzehn Edelleute wurden durch verschiedene Todesarten hingerichtet, und sie beschwerten sich alle nicht sowohl über ihren Tod, als über die Treulosigkeit des Herzogs von Nemours. Einer von ihnen, ein Herr von Castelnau, warf ihm sogar diese Wortbrüchigkeit noch auf dem Schafott vor, tauchte seine Hände in das rauchende Blut seiner so eben hingerichteten Kameraden, erhob sie gen Himmel und hielt eine Rede, die alle bewegte und bis zu Thränen rührte. Der Kanzler Olivier selbst, der sie zum Tode verdammt hatte, wurde so sehr dadurch betroffen, daß er krank nach Hause kam und einige Tage darauf starb. Kurz vor seinem Ende besuchte ihn der Kardinal von Lothringen selbst, dem er, als er weggieng, nachrief: „Verdammter Kardinal, dich bringst du um die Seligkeit und uns mit dir.“

Hingegen konnte Vieilleville den Auftrag nicht ausschlagen, nach Orleans zu gehen, um hier den Rest der Verschwornen zu zerstreuen. Er that dieses mit so viel Klugheit und Eifer, daß es ihm gelang, sechshundert Mann zu überfallen und so nieder zu machen. Die Gefangenen, worunter der Capitain war, ließ er aber loß, weil es ihm unmenschlich schien, Leute von Ehre, die ihren Dienst als brave Soldaten verrichteten, eines schmählichen Todes sterben zu lassen, welche Strafe ihnen gewiß war, wenn er sie würde eingeliefert haben.

Dieses glücklich ausgeführte Unternehmen setzte Vieilleville in große Gunst bei dem König und den Guisen. Es wurde ihm kurz darauf eine andere Expedition nach Rouen aufgetragen, wo die Reformirten unruhig gewesen waren. Er hatte fürchterliche Instructionen dabey erhalten, denn ihm stand es frey, nicht nur die umbringen zu lassen, die bey diesem Aufstand die Waffen genommen, sondern auch sogar die, die ein Wohlgefallen daran gehabt. Vieilleville, der sieben Compagnien Gensd’armes bey sich hatte, ließ den größten Theil seiner Leute zurück und kam nach Rouen nur mit hundert Edelleuten, entwafnete sogleich die Bürgerschaft, ließ ohne Ansehen der Religion dreyßig der Hauptrebellen greifen und ihnen den Prozeß machen, befahl aber ausdrücklich, daß man in dem Urtheil nichts von der Religion sagen, sondern sie nur als Rebellen gegen den König verdammen sollte. Auf diese Art stellte Vieilleville die Ruhe her und schonte den Partheigeist, der ohne Zweifel noch lauter würde erwacht seyn, wenn er nur die Reformirten bestraft hätte.

Der Hof hielt sich in Orleans auf, als er wieder zurükkam, und eben damals war der Prinz von Conde, Bruder des Königs von Navarra, gefangen genommen worden. Um Vieillevillen zu prüfen, was er darüber dächte, befahl ihm der König, den Prinzen zu besuchen. Vieilleville war aber schlau genug, dieses zu merken und sagte, daß er um das Leben nicht hingehen würde, denn er habe einen natürlichen Abscheu gegen alle Ruhestörer. Zugleich rieth er aber dem König, den Prinzen in die Bastille nur zu schiken, indem es Sr. Majestät zum großen Vorwurf gereichen würde, einen Prinzen von Geblüt, wenn er dem König nicht nach dem Leben gestrebt, hinrichten zu lassen. Der König nahm diesen Rath sehr wohl auf und gestand nachher Vieillevillen selbst, daß er ihn auf die Probe gesetzt habe.

Die Uneinigkeiten zwischen dem König von Navarra auf der einen Seite und dem König und den Guisen auf der andern, wurden indessen immer größer; der König von Navarra wurde am Hof mit einer Geringschäzung behandelt, die jedermann, nur die Guisen nicht bewegte. Vieilleville foderte in diesen Zeiten die Erlaubniß in sein Gouvernement zurükzukehren; allein, besonders die Königin drang darauf, daß er bliebe. Man wollte ihn in diesen kritischen Zeiten am Hof haben, um seine Rathschläge, die immer sehr weise waren, zu benutzen, und dann hatte man ihn auch ausersehen, nach Deutschland zu reisen, um denen mit dem König verbündeten Churfürsten und Fürsten des Reichs die Verhältnisse mit dem König von Navarra und seinem Bruder vorzustellen, damit der Hof nicht im unrechten Licht erschiene.

Allen diesen Uneinigkeiten machte der Tod Königs Franz des Zweiten ein Ende, der den 5ten Dec. 1560 erfolgte. Jetzt wendete sich alles an den König von Navarra, und selbst die Königin, die als Vormünderin des jungen sechzehnjährigen Königs Carls des IX. mit regierte, ernannte denselben zum Generallieutenant des Reichs. Eine weise Maasregel, um die verschiedenen Religionspartheien, die sehr unruhig zu werden anfiengen, zufrieden zu stellen. Vieilleville hatte sie der Königin angerathen. Beide Guisen entfernten sich bey diesen ihnen ungünstigen Umständen; der Kardinal ging auf seine Abtey und der Herzog nach Paris, wo er viele Anhänger hatte. Hier schmiedete er mit seinen Anhängern, dem Connetable von Montmorency, dem Marschall von St. Andre und andern seine Pläne, die Lutheraner zu vertilgen; und dieses ist die Quelle, aus der alle Unruhen entstanden, die hernach das Königreich verwüsteten. Da jetzt Vieilleville sah, daß der König von Navarra und die Königin gut miteinander standen, drang er darauf, in sein Gouvernement zurükzukehren, welches man ihm auch endlich verstattete. Er war aber nicht lange in Metz, so wurde er vor vielen andern ausersehen, nach Deutschland als ausserordentlicher Gesandter zu gehen, um dem Kaiser und den Fürsten die Thronbesteigung des jungen Königs bekannt zu machen.

Vieilleville unternahm sogleich die Reise in Begleitung von sechzig Pferden. Zuerst begab er sich zum Churfürsten von Baiern nach Heidelberg, von da nach Stuttgart zum Herzog von Würtemberg, dann nach Augsburg und von dieser Stadt nach Weimar, wo Vieilleville vom Herzog Johann Friedrich und Johann Wilhelm sehr wohl empfangen wurde. Er überbrachte ihnen ihre Pension, welche Heinrich der Zweite ihnen als Nachkömmlingen Carls des Großen zugesichert hatte, jeder zu viertausend Thalern jährlich. Von Weimar reiste Vieilleville nach Ulm; von da wollte er nach Cassel, allein man widerrieth es ihm, weil die Wege so gar schlecht wären. Von Wien gieng es nach Frankfurth, von da nach Prag und von Prag, nach einer seltsamen Reiseroute, nach Mainz, und nun wieder über Coblenz, Trier nach Metz.

Uiberall wurde Vieilleville mit großen Ehrenbezeugungen aufgenommen und besonders wohl gieng es ihm in Wien. Gleich bei der ersten Audienz beim Kaiser, Ferdinand I, sagte ihm dieser: „Seyn Sie mir willkommen, Herr von Vieilleville, ob Sie mir gleich Ihr Gouvernement von Metz und die übrigen Reichsstädte, welche Frankreich dem teutschen Reich entzogen, nicht überbringen; ich hoffte lange Sie zu sehen.“ Der Kaiser nahm ihn sogleich mit in sein Zimmer, wo sie zwey Stunden ganz allein bei einander waren. Bei dieser Gelegenheit wunderte sich Vieilleville, daß sie ganz allein ins Zimmer kamen, indem es in Frankreich ganz anders war, wo die Franzosen ihrem Herrn fast die Füße abtreten, um überall in Menge hinzukommen, wo er hingeht. Vieilleville bemerkte ferner und dieses sogar gegen den Kaiser, wie es ihn befremdete, nach Wien gekommen zu seyn mit fünfzig bis sechzig Pferden und von niemand befragt zu werden, woher er käme, oder wer er wäre; wie gefährlich dieses sey, da ein Pascha nur dreyßig Stunden von der Stadt liege. Der Kaiser befahl sogleich, an jedes Thor starke Wachen zu legen; doch schränkte er den Befehl, auf Anrathen Vieilleville’s, um den Pascha nicht aufmerksam zu machen, darauf ein, auf den höchsten Thurm einen Wächter zu setzen, der immer auf jene Gegend acht geben und jede Veränderung mit einigen Schlägen an der Gloke anzeigen sollte. Der Kaiser wollte, daß dieses Vieilleville’s Wache ihm zu Ehren auf immer heißen sollte. Bei einem großen Diner, welches der Kaiser gab, sah Vieilleville die Prinzessin Elisabeth, des römischen Königs Maximilians Tochter und Niece des Kaisers. Ihm fiel sogleich der Gedanke bei, daß diese schöne Prinzessin der König sein Herr zur Gemahlin wählen solle und er nahm es auf seine Gefahr nach aufgehobener Tafel mit dem Kaiser davon zu sprechen, dem dieser Antrag sehr gefiel, und den auch der König von Frankreich mit vielen Freuden, als Vieilleville bey seiner Rückkehr nach Frankreich davon sprach, annahm.

Vieilleville war jezt wieder in Metz angelangt und gedachte einige Tage auszuruhen, als ein Courier von Hof kam, der ihm Nachricht brachte, daß er nach England als Gesandter würde gehen müssen. Er reiste sogleich nach Paris ab, und hier erhielt er bald seine Abfertigung um über’s Meer zu gehen. Die Absicht seiner Reise war hauptsächlich dem Kardinal von Chatillon entgegen zu arbeiten, der bei der Königin Elisabeth für die Hugenotten unterhandeln wollte. Vieilleville wußte es bei der Königin, die am Anfang sehr gegen seinen Auftrag war, so gut einzuleiten, daß als der Kardinal von Chatillon nach London kam, er zu keiner Audienz bey der Königin vorgelassen wurde. Indessen wurden die Unruhen in Frankreich immer größer, der Prinz von Condé belagerte Paris, er mußte jedoch diese Belagerung bald aufgeben, und bald darauf fiel die Schlacht von Dreux vor, wo der Herzog von Guise den schon siegenden Prinzen völlig aufs Haupt schlug. Der Marschall von St. André hatte die Avant Garde des Königs kommandirt, war zu dem Herzog von Guise gestoßen und verfolgte nur mit vierzig oder fünfzig Pferden die Flüchtlinge. St. André stößt auf einen Capitain der leichten Cavallerie, Nahmens Bobigny, der mit einem Trupp davon floh. Man ruft sich einander an, der Marschall antwortet zuerst und nennt sich. Bobigny fällt über seine Truppen her, macht sie nieder und nimmt den Marschall gefangen. Dieser Capitain war ehedem in des Marschalls Diensten gewesen, hatte aber einen Stallmeister erstochen. St. André ließ ihm den Prozeß machen und da er nach Deutschland ausgewichen war, in Bildniß aufhängen. Jetzt bat der Marschall ihn nach Kriegsgebrauch zu behandeln und das Vergangene zu vergessen. Indessen entwafnete Bobigny den Marschall, und ließ sich sein Wort geben, bey ihm als Gefangener zu bleiben. So ritten sie fort, als der Prinz von Porcian von der Condeischen Parthie kam, diesen Gefangenen sah und ihm die Hand gab. Der Marschall bot sich ihm sogleich als Gefangener an, und der Prinz suchte ihn den Händen Bobigny’s zu entziehen. Allein dieser setzte sich zur Wehr und da alles darüber schrie, wie dies ungerecht sey, daß ein Prinz einem Geringern seinen Vortheil rauben wollte, ließ Porcian davon ab. Kaum war Bobigny tausend oder zwölfhundert Schritte vom Prinzen entfernt, so wendete er sich zu dem Marschall mit den Worten: „Du hast mir durch deine schlechte Denkungsart zu erkennen gegeben, wie ich dir nicht trauen kann, „Du hast dein Wort gebrochen. Du wirst mich ruiniren, wenn du wieder los kommst. Du hast mich im Bild hängen lassen, mein Vermögen eingezogen und es deinen Bedienten gegeben; du hast mein ganzes Haus ruinirt. Die Stunde ist gekommen, wo dich Gottes Urtheil trift“ und hiemit schoß er dem Marschall eine Kugel vor den Kopf. Die Nachricht vom Tod eines Marschalls von Frankreich trübte in Paris den Sieg der Catholiken ein wenig, besonders war Vieilleville untröstlich darüber. Es wurde ihm sogleich das Brevet eines Marschalls von Frankreich überbracht, er wies es aber ab. Der Kanzler von Frankreich selbst begab sich zu ihm; mehrere Prinzen baten ihn die Stelle anzunehmen, er schlug es aus. Er wollte nicht einer Person in ihrer Stelle folgen, die er so über alles geliebt hatte. Der König, entrüstet über dieses Ausschlagen gieng selbst zu Vieilleville; er fand ihn trostlos auf dem Bette liegen, und befahl ihm, den Marschallsstab anzunehmen. Vieilleville, gerührt über diese Gnade, konnte sich nicht länger weigern; er fiel seinem König zu Füssen und empfieng aus seinen Händen das Brevet.

Einige Zeit nachher wurde Vieilleville nach Rouen geschickt, weil man nicht genug Zutrauen in die Fähigkeiten des dortigen Commandanten, Herrn von Villebon, setzte und doch zu besorgt war, daß der Admiral Coligny auf diese Stadt losgehen möchte. Dieser Villebon war zwar ein Verwandter von Vieilleville, allein er führte sich sehr unfreundschaftlich gegen ihn auf und unterließ bey jeder Gelegenheit seine Schuldigkeit zu thun. Folgende Gelegenheit gab zu ernsten Auftritten Anlaß.

Man hatte in Rouen eine Magistratsperson, reformirter Religion, entdeckt, die sich heimlich in die Stadt zu schleichen und vergrabenes Geld wegzubringen gewußt hatte. Dieses wurde entdeckt und der Gouverneur Villebon ließ diesen Mann auf öffentlicher Straße niedermachen und seinen Körper zum allgemeinen Ärgerniß mishandelt da liegen. Niemand traute sich, ihn, als einen Kezer, anzurühren. Vieilleville erfuhr dieses, war sehr darüber aufgebracht und befahl sogleich ihn zur Erde zu bestatten. Das Geld, welches Boisgyraud bey sich gehabt hatte, war bey dem Gouverneur verschwunden; Villebon, dem nicht wohl zu Muthe war, schickte eine seiner Kreaturen, einen Parlamentsrath zu dem Marschall, um zu erforschen, was Vieilleville wohl wegen des Geldes im Sinn hätte. Kaum war dieser aber vor den Marschall gekommen, als er ihn so hart anließ, daß er vor Bosheit weinte, und als er sich auf seine Parlamentsstelle berief, wollte ihn Vieilleville sogar zum Fenster hinaus werfen lassen. Dieser Rath ging darauf zu Villebon und sagte ihm, daß der Marschall von ihm gesagt habe, wie er unwürdig wäre, Commandant der Stadt zu seyn. Villebon aufgebracht über diese falsche Nachricht gieng fünf oder sechs Tage nicht zu Vieilleville. Sie sehen sich endlich in der Kirche, grüßen einander und der Marschall nimmt ihn zum Essen mit nach Hause. Nach Tische fängt Villebon von der Sache an, der Marschall saß noch und bat ihn, die Sache ruhen zu lassen. Villebon aber wird hitzig, sagt, daß alle die, welche behauptet, er sey seiner Stelle unwürdig, in ihren Hals hinein gelogen. Der Marschall springt darüber auf und gibt ihm einen Stoß, daß er ohne den Tisch zur Erde gestürzt wäre. Villebon zieht den Degen, der Marschall den seinigen. In dem Augenblick fliegt die Hand von Villebon und ein Stück des Arms zu Boden. Alles war erstaunt, Villebon fiel zur Erde nieder, man brachte ihn fort. Vieilleville erlaubte nicht, daß man die Hand fort trug. Hier soll sie liegen bleiben, denn sie hat mir in den Bart gegriffen.

Indessen verbreitete sich das Gerücht, der Gouverneur sey so zurichtet worden, weil er ein Feind der Hugenotten sey. Das Volk lauft zu den Waffen und belagerte den Ort, wo Vieilleville wohnte. Dieser hatte aber schon vorläufig Anstalten getroffen. Alle die herein brechen wollten, wurden gut empfangen, und ihrer viele getödtet. Und da endlich auch ein grosser Theil der Soldaten in Rouen auf die Seite des Marschalls trat und zur Hülfe herbei marschirte, zerstreute sich bald alles, obgleich noch viele Versuche gemacht wurden, die Belagerung aufs neue anzufangen. Nach und nach kam die Cavallerie an, die vor Rouen auf den Dörfern lag, und so wurde alles ruhig. Jedermann fürchtete sich jezt vor dem Zorn und der Rache des Marschalls. Er verzieh aber allen und stellte die Ruhe vollkommen wieder her.

Der König erhielt Nachricht, daß die deutschen Fürsten auf Metz losgehen wollten und beorderte daher den Marschall, sich in sein Gouvernement zu begeben. Als er dahin kam, fand er diese Nachricht auch würklich in so weit bestätigt, daß die Fürsten, als sie gehört, Vieilleville sey in der Unruhe von Rouen getödtet worden, beschlossen vierzigtausend zu Fuß und zwanzigtausend Reuter aufzubringen und die Städte Toul, Verdun und Metz, die unter Karl V. vom Reich abgerissen worden, wieder zu erobern. Dieser Plan sey aber aufgegeben worden, als sie gehört, daß Vieilleville noch am Leben und in sein Gouvernement zurück kehren werde.

Vieilleville fand sich einige Zeit nachher auf Befehl des Königs bey der Belagerung von Havre de Grace ein, die der alte Connetable von Montmorency kommandirte und auch hier, ob er gleich von der Familie Montmorency mit neidischen Augen angesehen wurde, leistete er so gute Dienste, daß diese Stadt in etlichen Wochen übergieng. Bei den neuen unruhigen Projekten, die der Connetable schmiedete und die des Königs Gegenwart in Paris erforderten, um sie zu dämpfen, betrug Vieilleville sich mit so viel Muth, Standhaftigkeit und Klugheit, daß ihn der König nicht mehr von sich lassen wollte; ja sogar ihm, als der Connetable in der Schlacht von St. Denys gegen den Prinzen von Conde geblieben war, diese hohe Stelle übertrug; dieses geschah im großen Rath. Vieilleville stand von seinem Stuhl auf, ließ sich auf ein Knie vor dem König nieder und – schlug diese Gnade auf eine so uneigennützige, kluge und feine Art aus, so daß er alle Herzen gewann. Kurz darauf wurde Vieilleville, nachdem er St. Jean d’Angeli, welches ein Capitain vom Prinzen Condé sehr tapfer vertheidigt, eingenommen, und wobei der Gouverneur von Bretagne geblieben war, mit diesem Gouvernement belehnt. Eine Stelle, die ihm sehr viel Freude machte, da er zugleich die Erlaubniß erhielt, den einen seiner Schwiegersöhne, d’Espinay, zu seinem Generallieutenant in Bretagne und den andern, Duilly, als Gouverneur von Metz zu ernennen. Kaum war alles dieses vor sich gegangen, und der König zurückgekehrt, als der Herzog von Montpensier mit großem Ungestüm als Prinz von Geblüt das Gouvernement von Bretagne foderte. Der König schlug es ihm ab, der Herzog forderte noch ungestümer und weinte endlich sogar, welches ihm als einem Mann von Stande von vierzig bis fünfzig Jahren gar wunderlich stand. Der König weiß sich nicht mehr zu helfen und schickt an Vieilleville eine vertraute Person ab, die Sache vorzulegen, wie sie ist. Vieilleville war sogleich geneigt, seine Stelle in die Hände des Königs niederzulegen. „Es ist mir nur leid“, sagte er bloß, „daß ein so tapferer Prinz sich der Waffen eines Weibes bedient hat, um zu seinem Zweck zu gelangen, und mir mein Glück zu rauben.“ Zugleich schickte ihm der König zehntausend Taler als Geschenk, die er aber durchaus nicht annehmen wollte, und als ihm endlich ein Billet des Königs vorgezeigt wurde, worinne ihm mit Ungnade gedrohet wurde, wenn er es nicht thun wollte, theilte er die Summe unter seine beiden Schwiegersöhne, die auch ihre Hofnungen verlohren. Der beste Staatsdienst, den Vieilleville seinem König leistete, war bei Gelegenheit einer Gesandtschaft an die Schweitzer Cantons, mit welchen er ein Bündniß schloß, das vortheilhafter war, als alle vorhergehenden. In seinem Schloß Durestal, wo er sich in den letzten Zeiten seines Lebens aufhielt, besuchte ihn oft Karl IX, der einmal einen ganzen Monat da blieb und sich mit der Jagd bei ihm belustigte. Dieses Verhältniß mit dem König, und die ausgezeichnete Gnade, deren er genoß, erregten ihm Feinde und Neider.

Er bekam eines Tages Gift und dieses wirkte so heftig, daß er in zwölf Stunden todt war. Der König mit seiner Mutter war eben in Vieilleville’s Schloß und sehr betreten über diesen Todesfall.

So starb den letzten Nov. 1571 ein Mann der ein wahrer Vater des Volks, eine Stütze der Gerechtigkeit und Gesetzgeber in der Kriegskunst war. Nach ihm brachen Unruhen jeder Art erst aus. Den Ruhestöhrern war er durch seinen Muth, durch seine Klugheit, und seine Gerechtigkeitsliebe und durch sein Ansehen in dem Weg gestanden, darum brachten sie ihn aus der Welt.

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