Charakterisierung des Franz Moor, Zeichnung von Friedrich Pecht

Franz Moor, Charakter aus dem Schiller-Drama Die Räuber, Zeichnung von Friedrich Pecht, 1859

Franz Moor, Charakter aus dem Schiller-Drama „Die Räuber“, Zeichnung von Friedrich Pecht, 1859

Charakterisierung von Franz Moor

aus der “Schiller-Galerie”, 1859



Als des „kalten, trockenen, hölzernen Franz“ erwähnt sein eigener Vater der giftigen Viper, deren furchtbarer Charakter als eine der genialsten Schöpfungen unsers Dichters wohl immer anerkannt bleiben wird. Jene Benennung scheint sprichwörtlich gewesen zu sein im Moor‘schen Schlosse, um den jungem der beiden Söhne zu bezeichnen, ehe man ihn noch besser kannte.

Doch sehen wir gleich in der ersten Scene, dass es ihm weder an Witz noch an Bosheit fehlt, am allerwenigsten aber an Reflexion; die Neigung zur Sophistik‚ zum Klügeln ist vielmehr das hervortretende Element bei ihm, er hat einen starken philosophischen Tic und beurkundet überall seine genaue Bekanntschaft mit der materialistischen Philosophie des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts, — ihr ganzes Räsonnement hat er sich angeeignet und es zur Rechtfertigung seiner entsetzlichen Wünsche vor sich selber verbraucht.

Bekanntlich ist man viel mehr geneigt, die glänzenden äußern Vorzüge anderer zu beneiden als ihre innern, bei denen man sich gewöhnlich mit der Ableugnung derselben hilft. Die blendende Erscheinung des altern Bruders, die ihres Schönheitszaubers halber überall vorgezogen wurde, hat den jüngern von Jugend auf gegen die Natur, die ihm so parteiisch erscheint, mit einem Hass getränkt, dessen Glut so verzehrend ist, dass ihm auch alle Bande, die sie knüpft, nicht minder zuwider werden, und er nach und nach in den vollkommensten Aufruhr gegen sie gerät. Diese wilde Empörung gegen die Natur wird zum Grundgedanken seines Wesens, den er sich unumwunden gesteht, wenn er sagt:

Ich habe grosse Rechte, über die Natur angehalten zu sein, und, bei meiner Ehre! ich will sie geltend machen….Warum musste sie mir diese Bürde von Hässlichkeit aufladen? gerade mir? Nicht anders, als ob sie bei meiner Geburt einen Rest gesetzt hatte. Warum gerade mir die Lappländersnase? gerade mir dieses Mohrenmaul? Diese Hottentottenaugen?

Der Künstler hatte die Winke, die hier gegeben sind, nur zu vervollständigen, dem Franz, der sich hier so wenig schmeichelhaft malt, noch jenes tückische, äußerlich gemessene, innerlich leidenschaftliche Aussehen zu geben, jenen Hang zur Reflexion zu markieren, das Versteckte, unheimlich Brütende des Charakters zu malen, wie es in seiner Erscheinung überall heraustritt. Es ist eine Stubenhocker-Natur; sind seine Wünsche und Leidenschaften der wildesten Art, so lasst ihn sein nervöses Temperament doch überall im Stich, sobald er Muth braucht. Feigheit und Grausamkeit sind Vettern, die fast immer zusammen auftreten, und auch bei Franz ist dies der Fall. Er ist ein blasser, rothaariger sommersprossiger Mensch mit übereinander gekniffenen fahlen Lippen, der niemand gerade, sondern nur von der Seite oder von unten herauf ansehen kann, ein hoher Zwanziger mit einem unausgebackenen Bubengesicht‚ in dem nur die Stirn breit und mächtig entwickelt, das Übrige unfertig ist. Franz ist eitel, also reich gekleidet, obwohl die beständige innere Bewegung ihn es nur nachlässig besorgen lasst. Ebenso muss er vornehm aussehen selbst in der wildesten Leidenschaft; das Nesthähnchen einer alten Familie darf das Verwöhnte und Verweichlichte nicht vermissen lassen. Hat er wenig Muth, so fehlt es ihm weder an Geist und Scharfsinn noch an Phantasie, und gaben ihm die erstern reiche Hilfsquellen an die Hand, so lässt ihn die letztere im Bewusstsein seines erfinderischen Geistes seine Kraft sogar noch fortwährend überschätzen:

Schwimme, wer schwimmen kann, und wer plump ist, geb’ unter! Sie gab mir nichts mit; wozu ich mich machen will, das ist nun meine Sache. Jeder hat gleiches Recht zum Grössten und Kleinsten; Anspruch wird an Anspruch, Trieb an Trieb und Kraft an Kraft zernichtet. Das Recht wohnt beim Ueberwaltiger, und die Schranken unserer Kraft sind unsere Gesetze.

Die Grundlage seiner Bildung, die materialistische Philosophie des achtzehnten Jahrhunderts zeigt sich besonders in allen seinen Räsonnements über das Gewissen:

Ehrlicher Name! — wahrhaftig, eine reichhaltige Münze, mit der sich meisterlich schachern lässt, wer’s versteht sie gut auszugeben. Gewissen, — o ja, freilich! ein tüchtiger Lumpenmann, Sperlinge von Kirschbäumen wegzuschrecken! . . . .
In der That sehr lobenswürdige Anstalten, die Narren im Respect und den Pöbel unter dem Pantoflel zu halten, damit die Gescheidten es desto bequemer haben. …
Also frisch drüber hinweg! Wer nichts fürchtet, ist nicht weniger mächtig als der, den alles fürchtet.

Ebenso erscheint sie wie er sich über die Bande des Bluts lustig macht:

Es ist dein Vater! er hat dir das Leben gegeben, du bist sein Fleisch, sein Blut — also sei er dir heilig! Wiederum eine schlaue Consequenz! Soll ich ihm etwa darum gute Worte geben, dass er mich liebt? Das ist eine Eitelkeit von ihm, die Schossünde aller Künstler, die sich in ihrem Werk kokettiren, wär’ es auch noch so hässlich. — Sehet also, das ist die ganze Hexerei, die ihr in einen heiligen Nebel verschleiert, unsere Furchtsamkeit „zu misbrauchen. Soll auch ich mich dadurch gängeln lassen, wie einen Knaben? —

oder sich gar den Vatermord plausibel macht:

Soll sich mein hochfliegender Geist an den Schneckengang der Materie ketten lassen? Ein Licht ausgeblasen, das ohnehin nur mit den letzten Oeltropfen noch wuchert — mehr ist’s nicht.

Findet man sich so mit dem Gedanken des Mordes am eigenen Vater ab, so ist natürlich der vom Bruder eine wahre Kleinigkeit:

Glückliche Reise, Herr Bruder! Der milzsüchtige‚ podagrische Moralist von einem Gewissen mag alte Wucherer auf dem Todesbette foltern — bei mir wird er nimmermehr Audienz bekommen.

Zur Vollendung des Porträts gehört noch die Sinnlichkeit, da diese und Grausamkeit ja immer zusammenwohnen.

Die letzten Szenen, in denen das verhöhnte und verlachte Gewissen endlich doch seine Rechte geltend macht, und er von ihm gepeitscht umherrennt, sind von einer schauerlichen Wirkung, welche die ganze Macht von Schillers Talent bereits im hellsten Glanze zeigt, und es erschüttert uns, wenn der Bösewicht alle die Argumente hervorsucht, die ihm einst eine so leichte Brücke zum Verbrechen gebaut, und sie jetzt rettungslos unter ihm zusammenbrechen:

Pöbelweisheit‚ Pöbelfurcht! — Es ist ja noch nicht ausgemacht, ob das Vergangene nicht vergangen ist, oder ein Auge sich findet über den Sternen….
Sterben! warum packt mich das Wort so? Rechenschaft geben dem Rächer drohen über den Sternen — und wenn er gerecht ist, Waisen und Witwen, Unterdrückte, Geplagte heulen zu ihm auf, und wenn er gerecht ist? — warum haben sie gelitten, warum hast du über sie triumphirt? ….
Es ist kein Gott! …. Ich weiss wohl, dass derjenige auf Ewigkeit hofft, der hier zu kurz gekommen ist; aber er wird garstig betrogen. Ich hab’s immer gelesen, dass unser Wesen nichts ist, als Sprung des Geblüts, und mit dem letzten Blutstropfen zerrinnt auch Geist und Gedanke. …. Ich will aber nicht unsterblich sein — sei es, wer da will, ich will’s nicht hindern. Ich will ihn zwingen, dass er mich zernichte, ich will ihn zur Wuth reizen, dass er mich in der Wuth zernichte. Sage mir, was ist die grösste Sünde und die ihn am grimmigsten aufbringt? ….
(Auf den Knien.) Höre mich beten, Gott im Himmel! — Es ist das erste mal — soll auch gewiss nimmer geschehen. — Erhöre mich, Gott im Himmel! …. (Betet.) Ich bin kein gemeiner Mörder gewesen, mein Herrgott — hab’ mich nie mit Kleinigkeiten abgegeben, mein Herrgott. …. Ich kann nicht beten — hier, hier! (Auf Brust und Stirn schlagend.) Alles so öde — so verdorrt. (Steht auf.) Nein, ich will auch nicht beten — diesen Sieg soll der Himmel nicht haben, diesen Spott mir nicht anthun die Hölle.

Diese allmähliche Steigerung der Todesangst ist mit ebenso großer plastischer Kraft geschildert, als es psychologisch richtig ist, dass das Scheusal aus Furcht vor dem Tode sich selbst erdrosselt.