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Geschichte des Herrn von La Pivardière

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Ludwig von La Pivardière war ein Edelmann aus einem sehr alten Hause in der Touraine, besaß aber nicht Vermögen genug, die Vorzüge seiner Geburt durch äußern Glanz geltend zu machen. Als der jüngste von drei Brüdern bekam er von dem, was sein Vater hinterlassen hatte, kaum so viel, um notdürftig davon zu leben. Um sich von seinen ältern Brüdern zu unterscheiden, wählte er den Beinamen La Pivardière du Bouchet.

Eine reiche Heirat schien das sicherste Mittel zur Verbesserung seiner Glücksumstände. Allein auch dazu hatte ihn die Natur sehr wenig begünstigt. Mit einer sehr mittelmäßigen Figur und einer ebensowenig auszeichnenden Gesichtsbildung konnte er sich kaum Hoffnung machen, das Herz einer reichen Witwe zu erobern. Indes gab ihm seine Geburt noch immer Ansprüche auf eine Verbindung, die ihn vor Mangel schützen konnte, um so mehr, da er auch den Vorzug besaß, ein sehr angenehmer Gesellschafter zu sein.

Margarete Chauvelin, die Tochter des Ritters Franz Chauvelin, Lehn- und Gerichtsherrn von Nerbonne, ward der Gegenstand seiner Wahl. Sie war Witwe und hatte von ihrem verstorbenen Gatten, Herrn Carl von Menau, einem Edelmann aus einem der ältesten und berühmtesten Häuser, vier Söhne und eine Tochter. Ihr ganzes Vermögen bestand in dem Rittergut Nerbonne, das nach ihres Vaters Tod auf ihren Anteil gefallen war. Ohne eine regelmäßige Schönheit zu sein, besaß sie doch viel Annehmlichkeit durch ihr offenes, ungekünsteltes Benehmen, durch die heitere Stimmung ihres Gemüts und durch ihre Liebe zur Geselligkeit. La Pivardière gefiel ihr durch seine muntere Laune, und sie heiratete ihn.

Durch diese Heirat ward also La Pivardière Lehn- und Gerichtsherr von Nerbonne. Dieses Rittergut lag im Kirchspiel von Jeu in Berry und im Sprengel von Bourges. Wir müssen aber hier eine Abweichung von der gewöhnlichen Regel in bezug auf die Gerichtsbarkeit feststellen, die in der Folge dieser Geschichte von bedeutendem Einfluß ist. Das Kirchspiel von Jeu gehörte unter die Gerichte von Châtillon-sur-Indre; Nerbonne aber, obgleich es ein Teil dieses Kirchspiels war, scheint unter der Gerichtsbarkeit von Lucay gestanden zu haben, einer Baronie in Maine, die in Rücksicht der Gerichtsbarkeit zum Herzogtum von Saint Aignan gehörte, das unter dem Oberlandgericht von Blois stand.

Durch ein Aufgebot der Vasallen im Jahre 1688 ward La Pivardière genötigt, mit ins Feld zu ziehen und einige Jahre lang dieser Ritterdienste wegen von Zeit zu Zeit abwesend zu sein. Allein man weiß, wie lästig diese Dienste den Vasallen sind, die sie ganz auf ihre eigenen Kosten tun müssen; und die Lage, in der sich unser Edelmann befand, machte es ihm unmöglich, die dazu erforderlichen Summen aufzutreiben. Um sich also von dieser Last zu befreien, faßte er den Plan, sich um eine Stelle bei den regulären Truppen zu bewerben, wo er für seine Familie selbst auch bessere Aussichten zu finden hoffte. In dieser Absicht reiste er im Anfang des Jahres 1691 nach Paris, hielt um eine Offiziersstelle an und bewarb sich zugleich um einen königlichen Schutzbrief, um seine Gläubiger in ihrem gerichtlichen Verfahren wider ihn aufzuhalten.

Sein Gesuch wurde ihm gewährt. Er erhielt eine Fähnrichsstelle bei dem Dragonerregiment des Grafen von Sainte-Hermine und bekam zugleich den verlangten Schutzbrief. Von jetzt an blieb er also bei seinem Regiment, bald im Felde, bald in einer Grenzfeste. Er schrieb aber von Zeit zu Zeit an seine Gattin und kam auch selbst bisweilen, um sie zu besuchen.

Eine Viertelmeile von Nerbonne liegt die Abtei von Miseray, welche regelmäßig mit Chorherrn aus dem Augustinerorden besetzt ist. Gewöhnlich befanden sich dort nicht mehr als zwei oder drei Geistliche die gerne Gesellschaft von den benachbarten Edelleuten bei sich sahen und diesen wieder Gegenbesuche machten. Silvan Franziskus Charost, ein Sohn des Präsidenten und Generalleutnants von Châtillon-sur-Indre, war seit 1685 Prior dieser Abtei. Die nahe Nachbarschaft brachte diesen Prior, der ein sehr angenehmer Gesellschafter war, in nähere Verbindung mit Herrn von La Pivardière und seiner Gattin, und da die Abtei viel näher lag als die Pfarrkirche von Jeu, zu welcher eigentlich Nerbonne gehörte, so hörte die Herrschaft vom Schlosse mit ihren Leuten weit öfter die Messe in der Abtei als in der Pfarrkirche. Dadurch knüpfte sich ihre Bekanntschaft immer fester; und als endlich die Kapelle zu Nerbonne, welche die Qualität einer Priorei hat, erledigt wurde, so erteilte La Pivardière diese Pfründe auch seinem Freunde, dem Prior von Miseray. Dieser Umstand gab eine neue Gelegenheit, noch öfter zusammenzukommen, denn nun war der Prior als Kaplan des Schlosses verpflichtet, alle Sonnabend während des ganzen Jahres eine Messe in dem Schlosse zu halten.

Die häufigen Besuche des Priors erregten bei La Pivardière, solange er sich selbst zu Nerbonne aufhielt, nicht den mindesten Verdacht; er betrachtete sie als Beweise ihrer vertrauten Freundschaft und hatte nicht den entferntesten Argwohn, als ob seine Gattin daran besondern Anteil habe. Allein da er hörte, daß diese Besuche, auch seitdem er im Felde war, nicht seltener wurden, so fing er an darüber unruhig zu werden und äußerte auch seine Unruhe bei einigen Besuchen, die er während der Zeit in Nerbonne machte. Auf der andern Seite aber erregte er selbst nicht weniger durch sein Betragen den Verdacht seiner Gattin gegen sich. Seine Besuche wurden nach und nach seltener und dauerten immer kürzer; es hatte zuletzt das Ansehen, als komme er bloß, um das inzwischen eingegangene Geld abzuholen. Dieser Verdacht bestätigte sich zuerst im Juli 1697 durch einen Brief, den sie von dem Parlamentsprokurator Vignan aus Paris erhielt, worin er ihr meldete: es habe ihm ein Kapuziner von Auxerre geschrieben, daß man sehr besorgt sei zu erfahren, wo Herr von La Pivardière sich aufhalte, und daß besonders eine Frau zu Auxerre gerne wissen möchte, wohin sie ihm seine Kleider und Wäsche schicken solle.

Frau von La Pivardière geriet durch diese Nachricht in die heftigste Unruhe. Sie hatte bis auf diesen Augenblick in der Meinung gestanden, ihr Gemahl befinde sich bei der Armee, einzig beschäftigt mit der Sorge für seine Familie, die er ihrer mütterlichen Liebe so dringend empfahl. Alle seine Briefe lauteten dieser Voraussetzung gemäß. Sie hatte auch nie etwas gehört, daß er sich zu Auxerre aufgehalten habe, und konnte noch weniger begreifen, daß ein Frauenzimmer in dieser Stadt sein könne, die mit ihm in so enger Verbindung stehe, um Kleider und Wäsche für ihn in Händen zu haben und über seinen Aufenthalt unruhig zu sein. Alle Umstände zusammengenommen, glaubte sie nun ganz klar zu sehen, daß ihr Gemahl, ihr ungetreu, sie nur in der Absicht noch von Zeit zu Zeit besuche, um den notdürftigen Vorrat ihr abzunehmen und in den Armen einer Nebenbuhlerin ihn zu verprassen. Während die gekränkte Gattin sich noch mit dieser beunruhigenden Nachricht beschäftigte, war ihr Gemahl bereits wieder auf dem Wege nach Nerbonne. Den 15. August 1697 befand er sich morgens zu Bourdieux, einem Flecken, der nur sieben französische Meilen von seinem Schlosse entfernt war. Ein Maurer aus Jeu, namens Marsau, der ihn dort traf, sprach ihm seine Verwunderung aus, daß er hier sich aufhalte und nicht lieber nach Hause eile. La Pivardière aber, mehr als jemals von eifersüchtigen Gedanken verfolgt, gab ihm zur Antwort: »Ich muß noch warten, bis es etwas später ist, ich will erst gegen Abend in Nerbonne eintreffen, um den Prior von Miseray da zu finden; einen von uns beiden wird es das Leben kosten.« Abends um fünf Uhr wurde der Frau von La Pivardière und dem Prior diese Äußerung schon hinterbracht, und nach Sonnenuntergang langte Herr von La Pivardière auf dem Schlosse wirklich an. Es war eben heute das Kirchweihfest der Schloßkapelle, die auf Maria Himmelfahrt eingeweiht war. Der Prior von Miseray hatte vormittags Hochamt und nachmittags noch besonderen Gottesdienst gehalten, und die Frau vom Schlosse hatte ihn mit allen den benachbarten Edelleuten, die dem Gottesdienst beigewohnt hatten, auf den Abend zu Gaste gebeten. Herr von La Pivardière fand also seine Gattin in dieser Gesellschaft beim Abendessen. Als er ins Zimmer trat, erhob sich die ganze Gesellschaft, um ihn zu bewillkommnen. Besonders schien der Prior bemüht, ihm die lebhafteste Freude über seine Ankunft zu bezeugen. Seine Frau allein blieb unbewegt auf ihrem Sitz und zeigte eine zurückstoßende Kälte. »So empfangen die Frauen ihre Männer, wenn sie sie so lange nicht gesehen haben«, sagte eine von den anwesenden Damen. »Ich bin wohl ihr Mann,« erwiderte er, »aber nicht ihr Liebhaber«; und ohne ein Wort weiter zu sagen, setzte er sich an den Tisch. Die ganze Gesellschaft war durch diesen Auftritt verstimmt, und es wurde bald von der Mahlzeit aufgebrochen. Herr von Préville, einer von den anwesenden Gästen, bat Herrn von La Pivardière auf den übernächsten Tag zum Mittagessen, und dieser nahm die Einladung an. Um halb elf Uhr gingen schon alle Gäste auseinander, und die beiden Ehegatten befanden sich jetzt allein. Die Frau beobachtete ein tiefes Stillschweigen. Er bat endlich, ihm doch die Ursache dieser Kälte und dieses Unwillens zu sagen. »Geh,« brach sie mit Heftigkeit aus, »geh und frage die Frau darum, der du anhängst.« Er gab sich alle Mühe, sie zu überzeugen, daß sie ihn ganz mit Unrecht der Untreue beschuldige. Je mehr er sich aber bemühte, sie auf andre Gedanken zu bringen, desto hartnäckiger beharrte sie auf ihrer Meinung. »Du wirst bald sehen,« sagte sie endlich, »ob man einer Frau, wie ich bin, einen solchen Schimpf antun darf«, ging plötzlich in das Schlafzimmer ihrer Kinder und schloß sich ein. La Pivardière begab sich auf das Zimmer, wo er sonst gewöhnlich mit seiner Gemahlin schlief – und am andern Morgen war er verschwunden. Dieses plötzliche Verschwinden erregte Aufsehen bei der ganzen Nachbarschaft, denn die Nachricht von seiner Ankunft hatte sich schon überall verbreitet. Noch größer wurde diese Verwunderung, da man erfuhr, daß sein Pferd, seine Pistolen, seine Stiefel und sein Mantel noch im Schlosse seien. Man erkundigte sich bei den Kammermädchen der Frau von La Pivardière nach der Ursache seiner plötzlichen Abreise, und man glaubte in ihren Antworten eine Zurückhaltung und Verlegenheit zu bemerken, die auf einen bedenklichen Verdacht leitete. Da dieser Argwohn einmal entstanden war, so fing man an, die Umstände etwas genauer zu prüfen. Es erweckte Aufmerksamkeit, daß das Schloßtor zerbrochen war. Vier Personen wollten in der Nacht vom 15. auf den 16. August einen Schuß gehört haben. Die zurückgelassenen Stiefel, der Mantel und das Pferd schienen zu beweisen, daß La Pivardière nicht weit sein könne. Die Frau eines gewissen Franz Hybert vertraute mehreren Personen an: sie habe von ihrem Mann gehört, daß Herr von La Pivardière tot sei. Auf alle diese Anzeichen erhob sich zuerst ein Gemurmel, was aber bald lauter wurde: Herr von La Pivardière sei von seiner Gemahlin ermordet worden. Selbst den beiden Mädchen, welche Frau von La Pivardière in ihren Diensten hatte, entfielen einige Äußerungen, die jene öffentliche Meinung zu bestärken schienen; und man war schon allgemein unzufrieden, die Obrigkeit des Orts bei einer so bedeutenden Sache ganz untätig zu sehen. Endlich, da dies Gerücht sich bis Châtillon-sur-Indre verbreitete, machte Herr Morin, der Königliche Prokurator bei dem dortigen Gerichte, am 5. September 1697 wegen Ermordung des Herrn von La Pivardière eine Klage anhängig und bat, daß die nötigen Verfügungen zur Untersuchung getroffen, Monitorien publiziert und inzwischen Zeugenverhöre angestellt werden sollten. Der Generalleutnant des Gerichts wollte sich mit diesem Prozeß nicht befassen. Herr Bonnet, der Partikulierleutnant, übernahm es also, die Untersuchung zu führen.

Er begab sich sogleich am folgenden Tag mit dem Königlichen Prokurator aus Châtillon-sur-Indre nach Jeu, einem Dorfe, das der Hauptort des Kirchspiels ist, in welchem der Mord geschehen war und unter ihrer Gerichtsbarkeit steht. Hier hörten sie fünfzehn Zeugen ab. Die meisten gaben bloß Umstände von der Ermordung an, welche sie von den beiden Dienstmädchen der Frau von La Pivardière gehört hatten. Das eine dieser Mädchen hieß Katharine Lemoine und war fünfzehn Jahre alt, das andre Margarete Mercier von siebzehn Jahren. Durch dieses Zeugenverhör wurde Frau von La Pivardière, ihre Kinder und ihr Gesinde in die Sache verwickelt. Es wurde also gefängliche Haft wider sie dekretiert und Katharine Lemoine sogleich ins Gefängnis nach Châtillon abgeführt. Die andere Magd aber hatte die Flucht ergriffen. Frau von La Pivardière, benachrichtigt von dem Sturm, der sie bedrohte, gab sogleich ihrer Nachbarin, Jakobine Doiselle, den Auftrag, ihre kostbarsten Sachen an sich zu nehmen, brachte ihre Möbel bei verschiedenen Landleuten in Verwahrung und begab sich zu ihrer Freundin, der Frau von Auneuil, um da im stillen die Entwickelung des unangenehmen Vorfalls abzuwarten. Ihre Tochter, ein Kind von neun Jahren, war inzwischen bei Frau von Préville. Dieses Mädchen erzählte in Gegenwart mehrerer Personen, die hernach als Zeugen darüber abgehört wurden: In der Nacht vom 15. auf den 16. August habe sie, was sonst nie geschehen sei, in einem der obern Zimmer des Schlosses schlafen müssen; mitten in der Nacht sei sie durch ein großes Geräusch aus dem Schlaf aufgeweckt worden und habe jemand mit kläglicher Stimme schreien hören: »Ach mein Gott, habt doch Erbarmen mit mir!« Auf das Rufen habe sie herausgehen wollen, die Türe sei aber fest verschlossen gewesen. Den andern Morgen habe sie in dem Schlafzimmer ihres Vaters an verschiedenen Stellen des Fußbodens Spuren von Blut gesehen.

Man kann sich vorstellen, was eine solche Erzählung aus dem Munde eines Kindes, an dem man gewöhnlich noch unverdorbene Wahrhaftigkeit zu finden hofft, für einen Eindruck machen mußte; besonders wenn man damit den Umstand verknüpfte, daß die Mutter dieses Kindes mit derjenigen von ihren Dienstmädchen, die immer ihre besondere Gunst und ihr größestes Vertrauen besessen hatte, wirklich schon auf der Flucht begriffen war.

In den Zeugenverhören, welche am 14. und 29. September fortgesetzt wurden, bestätigte sich die Ermordung immer mehr durch eine große Anzahl von Zeugen. Der Prior von Miseray, der bisher noch nicht dabei genannt worden war, wurde jetzt auf einmal in diese Sache mit verwickelt, samt seinen zwei Bedienten, die ihn am 15. August nach dem Schloß zu Nerbonne begleitet und bei der Tafel aufgewartet hatten.

Inzwischen wurde Margarete Mercier zu Romantin aufgefangen und in Haft gebracht. Sie war schon von mehreren Zeugen beschuldigt worden, bei dem Mord selbst mit Hand angelegt zu haben, und gab nun gleich in ihrem ersten Verhör folgende Erklärung ab, die wir hier Wort für Wort mitteilen: »Da meine Frau sah, daß ihr Gemahl eingeschlafen sei, entfernte sie alle Personen, die ihr verdächtig schienen. Ihren ältesten Sohn erster Ehe schickte sie mit Herrn von Préville nach Hause. Eine Magd, die das Vieh zu besorgen hatte, mußte an einem von dem Wohnhause abgesonderten Orte übernachten. Es war niemand im Schlosse, dem sie nicht mißtraute, als ihre kleine neunjährige Tochter, welche sie aber doch auch zur Vorsicht in einem der oberen Zimmer selbst zu Bett brachte und, nachdem sie eingeschlafen war, sorgfältig einschloß. Sie ging darauf mit mir und mit dem andern Dienstmädchen wieder herunter. Nach elf Uhr (welches die festgesetzte Stunde war) bemerkte Frau von La Pivardière, daß der Prior von Miseray mit seinen zwei Bedienten im Hofe sei. Der eine dieser Bedienten, der Koch, war mit einem Schießgewehr, der andere mit einem Säbel bewaffnet. Der Katharine Lemoine mochte sie wohl doch nicht ganz trauen, sie schickte sie also auf einen nahegelegenen Meierhof, um dort noch Eier zu holen, und empfing dann den Prior mit seinen Bedienten. Ich mußte auf ihren Befehl ein Licht in der Küche anzünden und ihnen voranleuchten. Sie begaben sich ganz still nach dem Schlafgemach des Herrn, und die Türe wurde behutsam geöffnet. Der Koch zog den Vorhang am Bett zurück. Da er aber die Lage des Herrn von La Pivardière für seine Absicht nicht günstig genug fand, stellte er sich auf einen Sessel und schoß von oben herein nach seinem Kopf. Der unglückliche Herr ward dadurch nur verwundet, sprang aus dem Bett, das ganze Gesicht mit Blut bedeckt, warf sich mitten in das Zimmer und flehte einigemal seine Mörder und besonders seine Gattin um sein Leben; allein umsonst, er wurde von dem andern Bedienten mit einigen Säbelhieben ermordet. Ich konnte den schrecklichen Auftritt nicht ohne Mitleiden und Wehklagen ansehen; man drohte mir aber, mich ebenso zu behandeln, wenn ich nicht still sein würde.«

In den folgenden Verhören bestätigte sie diese Erzählung, welche sie immer auf die nämliche Art wiederholte, noch durch verschiedene Nebenumstände. So sagte sie zum Beispiel: »Als ich mit meiner Herrin und den beiden Bedienten des Priors in das Schlafzimmer des Herrn von La Pivardière kam, näherte sich der Koch zuerst dem Bette, um zu sehen, ob er eingeschlafen sei. Darauf schlug er den Vorhang des Bettes auf der Seite des Kamins zurück, trat auf einen Schemel, den er sich ans Bett gesetzt hatte, und schoß nach der rechten Seite des Kopfes. Der Schuß traf aber nicht ganz. Herr von La Pivardière sprang sogleich aus dem Bette und schrie: »Ach, bestes Weib, laß mir doch das Leben, nimm all mein Gold und Silber, schenke mir nur das Leben!« – »Nein, nein!« rief sie, »es gibt kein Leben mehr für dich!« Alle drei fielen darauf über ihn her, warfen ihn ins Bett zurück, nachdem sie zuvor die Federbetten weggenommen hatten, und gaben ihm drei oder vier Säbelhiebe. Da er sich aber noch bewegte, stieß seine Frau selbst ihm den Säbel in die linke Seite. Dieser Anblick preßte mir einen lauten Schrei aus. ›Stopft ihr ein Tuch ins Maul,‹ sagte deshalb meine Herrin zu den Bedienten, ›daß sie nicht mehr schreien kann.‹ Diese erwiderten aber: es sei nicht nötig, und sie fürchteten sich es zu tun, weil ich so schwächlich wäre, daß ich ihnen unter den Händen sterben könnte.«

Ein andermal setzte sie hinzu: »Gleich nach der Ermordung trugen die Bedienten des Priors den Körper fort, ohne daß ich wissen konnte, was sie damit vorgenommen haben. Während ihrer Abwesenheit holte Frau von La Pivardière selbst Asche und befahl mir, den Fußboden damit abzureiben, um die Blutflecken auszutilgen. Das Bett und die blutigen Tücher ließ sie in den Keller bringen, den Strohsack ausleeren und mit frischem, halbausgedroschenem Stroh füllen. Die Bedienten des Priors kamen nach zwei Stunden aufs Schloß zurück und wurden gut bewirtet. Frau von La Pivardière aß und trank selbst mit ihnen, und nach eingenommener Mahlzeit gingen sie weg.«

In allen bisherigen Verhören hatte sie ausdrücklich verneint, daß der Prior von Miseray bei der Ermordung selbst zugegen gewesen sei. Allein zuletzt bekannte sie doch auch wider ihn, und zwar so, daß man kaum in ihre Aussage ein Mißtrauen setzen konnte. Sie ward plötzlich todkrank und trug ihrem Beichtvater auf: Herrn Jaquemont, dem Vizegérent von Bourges, zu hinterbringen, daß der Prior von Miseray den Herrn von La Pivardière ermordet habe; und als sie schon bereit war, zuletzt noch das Abendmahl zu empfangen, ließ sie die Richter zu sich bitten und erklärte: sie habe bisher aus Rücksicht auf den Prior die Wahrheit verschwiegen, er sei wirklich bei der Ermordung zugegen gewesen und habe dem Herrn von La Pivardière selbst den letzten Streich versetzt.

Unter den übrigen Zeugen, die wegen dieser Mordtat verhört wurden, sind noch zwei besonders wichtig, nämlich Katharine Lemoine, das zweite Dienstmädchen der Frau von La Pivardière, und Franz Hybert, bei welchem letztere die Eier geholt hatte. Beide waren ganz unvermutet in das Zimmer gekommen, als man eben noch beschäftigt war, die Spuren von dem begangenen Mord zu verwischen.

Folgendes ist die Aussage der Katharine Lemoine, welche sie in verschiedenen Verhören mit den nämlichen Umständen wiederholte. »Ich kam mit Frau von La Pivardière zugleich in den Hof herunter, wo ich den Koch und den Bedienten des Priors von Miseray antraf. Sie hieß beide ins Schloß hereingehen und befahl mir, Eier zu holen, damit man ihnen noch etwas zu essen geben könne. Ich ging also zu dem Meier Hybert auf der großen Meierei, um bei diesem welche zu holen. Auf dem Rückweg hörte ich einen Schuß in dem Schlosse; und da ich nachforschen wollte, was es bedeute, kam ich in das Zimmer, wo man eben dem Herrn von La Pivardière die letzten Stiche gab. ›Nehmt den Körper samt den Kleidern,‹ sagte seine Gemahlin darauf zu den Bedienten, ›und scharrt ihn ein.‹ Sie nannte ihnen aber keinen Ort. Die Bedienten trugen den Körper weg. Ich wurde noch einmal fortgeschickt, um bei einem gewissen Pinceau Brot zu holen. Als ich zurückkam, fand ich die Bedienten wieder. Sie aßen und begaben sich dann nach Hause.«

Franz Hybert machte folgende Aussage. »Ich hörte einen Schuß im Schlosse und gleich darauf ein ängstliches Schreien des Herrn von La Pivardière. Ich glaubte also, es seien Räuber eingebrochen, und wollte ihm zu Hilfe eilen. Ich sprengte die Türe auf, die ich verschlossen fand. Als ich aber hineintrat, ergriff mich Frau von La Pivardière sogleich am Hals, und ich war in Gefahr, selbst aufs äußerste mißhandelt zu werden, wenn ich nicht eidlich versprochen hätte, keinem Menschen etwas von diesem Vorfall zu entdecken.«

Außerdem waren dreißig Zeugen vorhanden, meistens Nachbarn und Freunde der Frau von La Pivardière, welche sämtlich beinah mit den nämlichen Umständen die Mordtat bestätigten.

Es wurde auch noch wegen der Spuren von Blut, welche in dem berüchtigten Schlafzimmer des Herrn von La Pivardière zu sehen sein sollten, eine besondere Untersuchung angestellt. Dies geschah aber erst zweiundvierzig Tage nach der Mordtat. Acht Tage zuvor hatte man zwar das Schloß zu Nerbonne durch acht Gerichtsdiener ausräumen und die Möbel von Gerichts wegen in Beschlag nehmen lassen. Allein der Richter hatte es nicht für nötig befunden, diesem Vorgange selbst mit beizuwohnen, weil er schon wußte, daß sich alles von da weggeflüchtet habe; und die Gerichtsbedienten hatten jenen Umstand nicht bemerkt. Ihr Bericht enthielt überhaupt nichts, was zur Aufklärung des Verbrechens hätte beitragen können. Da aber nachher die Richter durch die Aussagen verschiedener Zeugen auf diesen Umstand aufmerksam gemacht wurden, fertigten sie sogleich eine Deputation dahin ab, die genaueren Bericht darüber erstatten sollte.

Der Partikulierleutnant zu Châtillon hatte inzwischen, sobald es sich in dem Fortgang des Prozesses ergab, daß auch der Prior von Miseray in das Verbrechen mit verwickelt sei, dem Vizegérent von Bourges als der ordentlichen Obrigkeit des Priors die Anzeige davon gemacht und ihn ersucht, mit den weltlichen Gerichten zugleich die Untersuchung wider den Prior zu führen. Am 20. November schickte er ihm deshalb die bisher verhandelten Akten zu, worauf dieser ohne weitere Formalitäten sogleich gefängliche Haft wider den Prior dekretierte und die Untersuchung wider ihn fortsetzte.

Frau von La Pivardière hatte sich inzwischen nach Paris begeben und dem während der Gerichtsferien versammelten Gerichtshof eine Bittschrift überreicht, worin sie wegen der von einigen Privatleuten ausgesprengten verleumderischen Beschuldigung, daß sie ihren Gemahl ermordet habe, sich beschwerte, den Richtern Beweise vorlegte, daß er wirklich noch lebe, und sie bat, gerichtliche Untersuchung über den letztern Umstand anstellen zu lassen. Das Gesuch wurde ihr in einem Dekret vom 18. September 1697 bewilligt. Es läßt sich wohl vermuten, daß dieser Erfolg nicht so ganz günstig für sie ausgefallen sein würde, wenn sie dem Gerichtshof zugleich bekanntgemacht hätte, daß zu Châtillon bereits die Haft wider sie dekretiert sei. Wie dem aber auch sei, durch dieses Dekret wurde die Sache äußerst verwickelt. Während man zu Châtillon sich alle Mühe gab, Beweise von der Ermordung des Herrn von La Pivardière zu finden, war der Generalleutnant zu Romorantin – an welchen jener Parlamentsbefehl ergangen war – nicht weniger bemüht, Beweise aufzustellen, daß er noch lebe und daß es sogar niemand eingefallen sei, einen Anschlag auf sein Leben zu machen.

Die Beweise der Ermordung haben wir unsern Lesern bisher vorgelegt. Es sei uns nun vergönnt, auch die Gründe vorzubringen, durch welche der Beweis geführt wurde, daß er wirklich noch lebe.

La Pivardière hatte im Jahre 1693 die Kriegsdienste plötzlich verlassen, ohne jemand die Ursache dieses Entschlusses zu entdecken. Er verhehlte auch seiner Frau diese Veränderung und erhielt sie in der Meinung, daß er noch immer in Diensten stehe, denn er wollte aus einem zweifachen Grunde nicht gern nach Hause. Fürs erste war er eifersüchtig wegen des vertrauten Umgangs, den seine Frau mit dem Prior von Miseray führte, und gleichwohl schämte er sich auch dieser Eifersucht als einer Schwachheit, die ihn den Spöttereien aller seiner Bekannten aussetzen würde. Fürs zweite wollte er auch nicht gerne seinen Gläubigern bekannt werden lassen, daß er nicht mehr in Diensten stehe, weil damit die Wirksamkeit seines königlichen Schutzbriefes aufhörte und er von ihnen um so härter heimgesucht zu werden fürchten mußte, je länger sie ihm hatten Aufschub geben müssen. Er hielt es also für besser, seinen Verdruß in einem herumschweifenden Leben zu vergessen, als sich dieser doppelten Gefahr auszusetzen.

Während dieses Herumwanderns kam er an einem Sommerabend nach Auxerre. Er machte noch einen Spaziergang auf dem Wall und fand einige junge Mädchen beisammen, die sich untereinander belustigten. Eine von diesen Schönen fesselte seine Aufmerksamkeit, ihre Reize machten Eindruck auf sein Herz. Er hörte, sie sei die Tochter eines gewissen Pillard, der erst vor kurzem gestorben und durch dessen Tod eine Gerichtsdienerstelle erledigt worden sei, und es wurde hinzugesetzt, ihre Mutter führe jetzt eine Gastwirtschaft. Diese Umstände machten unserm Reisenden Mut. Er logierte sich bei der Mutter seiner Schönen ein; und um nicht verraten zu werden, gab er seinen Familiennamen nicht an, sondern nannte sich bloß du Bouchet. Es gelang ihm bald, das Herz des Mädchens zu gewinnen, der das seinige schon gehörte. Allein weiter konnte er in seiner Eroberung nicht kommen; sie versicherte, daß die Ehe der einzige Weg sei, etwas mehr als ihr Herz von ihr zu erhalten. Dies unerwartete Hindernis, vereinigt mit der Bewunderung einer so seltenen Tugend, erhöhte die Leidenschaft, welche die seltenen Vorzüge ihres Geistes und ihres Körpers in ihm entzündet hatten. Einem so ungleichen Kampf mit dem Herzen war sein Kopf nicht gewachsen, alle andern Rücksichten schwanden; er heiratete das Mädchen und bekam die Gerichtsdienerstelle zum Heiratsgut.

Er fand in dieser neuen Verbindung, die durch wechselseitige Liebe geknüpft war, Annehmlichkeiten des Lebens, die ihm bisher ganz unbekannt geblieben waren; durch die Vorzüge ihres edeln Herzens unterhielt seine neue Gattin bei ihm die Fortdauer einer Neigung, die, bloß durch äußere Reize gestützt, immer im Genuß ihren Tod findet. Inzwischen wiederholte er von Zeit zu Zeit seine Besuche in Nerbonne, teils um bei seiner Frau keinen Verdacht zu erregen, teils um sich mit dem Gelde, das er dort unter dem Vorwand, sich in seinem Dienst fortzuhelfen, abholte, in Auxerre mit seiner zweiten Gattin vergnügte Tage zu machen. Vier Jahre dauerte diese Glückseligkeit, und ebensoviele Kinder waren die Frucht dieser gesetzwidrigen Verbindung. Frau von La Pivardière ward endlich durch jenen Brief von der Untreue ihres Gatten unterrichtet, und die Folge davon war der Auftritt in dem Schlosse zu Nerbonne am 15. August 1697, den wir oben erzählt haben, bis auf den Augenblick, da die beiden Eheleute auseinandergingen, um sich zur Ruhe zu begeben. Was darauf weiter mit La Pivardière vorgefallen sei, haben wir bisher von den Anklägern seiner Gemahlin gehört; nun wollen wir es auch von ihren Verteidigern hören.

Nach einem hitzigen Wortwechsel der beiden Ehegatten, die sich wechselseitig über ihre Untreue die bittersten Vorwürfe machten, begab sich Herr von La Pivardière auf das für ihn bereitete Schlafzimmer. Katharine Lemoine folgte ihm auf dem Fuße nach und entdeckte ihm im Vertrauen, daß er in Gefahr sei, arretiert zu werden, wenn er auf dem Schlosse bleibe. In Schrecken gesetzt durch diese Nachricht, die ihm um so glaubwürdiger scheinen mußte, da ihn eben der mit seiner Frau geführte Wortwechsel belehrt hatte, daß sie auf der rechten Spur sei, das Verbrechen zu entdecken, dessen er sich schuldig wußte, und daß ihr Unwille gegen ihn einen so hohen Grad erreicht habe, um das Äußerste von ihr fürchten zu müssen, hielt er es für ratsam, auf seine Sicherheit bedacht zu sein, und verließ heimlich das Schloß morgens um vier. Die Eilfertigkeit, mit welcher er der drohenden Gefahr zu entfliehen suchte, erlaubte ihm nicht, das mitgebrachte Pferd wieder mitzunehmen, weil es hinkte und am vorigen Tage sogar von ihm hatte geführt werden müssen. Genötigt, seinen Weg zu Fuß zu machen, wollte er sich mit nichts beladen, was ihm beschwerlich werden könnte; er ließ also seinen Mantel, die Stiefel und die Pistolen zurück und nahm bloß seine Flinte mit. Aus dieser ganz natürlichen Ursache kam es, daß man jene Sachen nach seiner Abreise noch auf dem Schlosse fand.

Frau von La Pivardière ließ ihm nachsetzen, sobald das Gerücht von seiner Ermordung, wegen dessen man die gerichtliche Untersuchung wider sie anstellte, sich verbreitete. Man fand, daß er am 16. August, den Tag nach der angeblichen Ermordung, durch Bourdieux gegangen, am 17. zu Chateauroux in dem Gasthof »Zu den drei Kaufleuten«, und am 18. zu Issoudun in der »Glocke« über Nacht gewesen sei. Hier verlor sich seine Spur. Da man aber jener Nachricht zufolge, welche Frau von La Pivardière einige Tage vor seiner Ankunft zu Nerbonne erhalten hatte, vermuten konnte, daß er vielleicht zu Auxerre anzutreffen sei, so ließ sie auch in dieser Stadt nachsuchen und erfuhr nun wirklich, daß er sich hier unter dem Namen du Bouchet verheiratet habe und Gerichtsdiener sei.

Sobald er vernahm, daß seine rechtmäßige Gattin ihn aufsuchen lasse, machte er sich sogleich wieder auf die Flucht. Die Abgesandten holten ihn aber zu Flavigny ein und erkannten ihn als den Flüchtling, den man suchte. Man sagte ihm, daß seine Gemahlin angeklagt sei, ihn ermordet zu haben, und daß die Gerichte zu Châtillon ihr deshalb den Prozeß machen würden. Er ließ also sogleich durch zwei Notare ein Attest ausfertigen, daß er noch lebe, welches er mit eigner Hand unterschrieb und durch die Obrigkeit des Orts beglaubigen ließ. Er schrieb zugleich an seine Frau und an seine Brüder. Man stellte ihm aber vor, daß seine persönliche Gegenwart erforderlich sei. Seine zweite Frau kam selbst der ersten zu Hilfe. Großmütig genug, einen Mann, den sie zärtlich liebte, der Rettung einer Nebenbuhlerin aufzuopfern, drang sie in ihn, sich persönlich bei den Gerichten zu stellen. Durch ihr anhaltendes Bitten bewegt, begab er sich wirklich nach Nerbonne. Er fand hier aber alles in der kläglichsten Zerstörung. Das ganze Schloß war ausgeleert, alle Möbel weggenommen, alle Schlösser abgerissen, alle Türen und Fensterläden ausgehoben und sogar das Blei vom Dache weggetragen. Er war also genötigt, sich zu seinem Bruder zu begeben, nicht wissend, bei wem oder über wen er sich wegen dieser abscheulichen Plünderung beklagen solle.

Er hörte endlich, daß der Prozeß zur Rechtfertigung seiner Gattin durch einen Parlamentsbefehl dem Kriminalleutnant zu Romorantin übertragen sei. Er stellte sich also vor diesem Richter und bat, daß er ihn sogleich in der ganzen Nachbarschaft von Nerbonne vorstellen und die Anerkennung seiner Person gerichtlich untersuchen lassen möchte.

Man führte ihn nach Lucay; er wurde erkannt von dem Pfarrer, von den Gerichtsbeamten und von zwölf Einwohnern. Von da brachte man ihn nach Jeu; es war am Fest des heiligen Antonius, des Schutzpatrons jenes Sprengels. Er ging in die Kirche, als man eben die Vesper sang. Seine Erscheinung machte ein solches Aufsehen, daß der Gottesdienst dadurch unterbrochen wurde. Die Erscheinung eines Gespenstes selbst hätte kein größeres Staunen erregen können, denn alles hatte ihn schon wirklich für tot gehalten. Nachdem man ihn endlich genauer betrachtet hatte, wurde er als der wahre La Pivardière erkannt, und nach der Vesper bezeugten es mehr als zweihundert Personen eidlich vor dem Kriminalleutnant von Romorantin. Unter diesen befand sich auch der Pfarrer des Orts, ein hier um so unverdächtigerer Zeuge, da er, dem die Anwartschaft auf die Pfründe zu Nerbonne bereits vorläufig erteilt war, vielmehr das entgegengesetzte Interesse hatte, den Beweis eines Verbrechens zu fördern, wegen dessen der Prior von Miseray als Mitschuldiger angeklagt und seiner Pfründen verlustig erklärt war. Auch Margarete von La Pivardière, ebendasselbe neunjährige Mädchen, von welchem oben die Aussage angeführt wurde, daß es in dem Schlafzimmer seines Vaters Spuren von Blut bemerkt und seine Mutter mit Auswaschen blutiger Tücher beschäftigt gesehen habe, erkannte ihn als ihren Vater. Ferner wurde er erkannt von Edelleuten, Priestern und Mönchen zu Miseray, von einer Amme, die seine Kinder gestillt hatte, von allen den Personen, welche er am 15. August bei der Mahlzeit auf dem Schlosse zu Nerbonne angetroffen hatte, und in dem Ursulinerkloster zu Valencay nicht nur von der Priorin, sondern auch von seinen beiden Schwestern, die sich als Nonnen in diesem Kloster befanden. Mit einem Wort, seine ganze Familie, bei welcher er sich länger als drei Wochen aufhielt, erkannte und erklärte ihn für den wahren wirklichen Herrn von La Pivardière. Der Kriminalleutnant von Romorantin ließ über alle diese Zeugnisse, durch welche dessen Anerkennung beglaubigt wurde, gerichtliche Urkunden ausfertigen und von La Pivardière selbst unterzeichnen.

Endlich wurde La Pivardière sogar von dem Partikulierleutnant zu Châtillon, der den Prozeß wegen seiner Ermordung führte, selbst erkannt. Als nämlich dieser Beamte eben an den Teichen zu Nerbonne beschäftigt war, den Körper des Ermordeten im Wasser aufsuchen zu lassen, stand auf einmal La Pivardière vor ihm und sagte: »Sie können sich die Mühe sparen, auf dem Grunde suchen zu lassen, was sie auf dem Ufer finden können.« Der Beamte entsetzte sich über die Erscheinung, er hielt ihn wirklich für ein Gespenst, warf sich, ohne ein Wort zu sprechen, aufs Pferd und jagte in vollem Galopp davon. »Herr Bonnet hätte besser getan,« – wird in einer über diesen Prozeß gedruckten Schrift bemerkt – »wenn er anstatt auszureißen es sogleich zu Protokoll gebracht hätte, daß ihm der Geist des La Pivardière erschienen sei; dies würde den stärksten Beweis seiner Ermordung gegeben haben.«

So viele einstimmige Zeugnisse ließen an einer schnellen Entscheidung der Sache kaum zweifeln. Der Streit nahm aber eine ganz unerwartete Wendung. Man machte schon zu Romorantin die Bemerkung, daß der angebliche Herr von La Pivardière zwar die Kleider anhabe, welche man an dem letztern noch auf seiner Reise nach Nerbonne gesehen habe; allein man bemerkte auch, daß ihm diese Kleider zu weit seien und daß er, um seine Taille mit den Kleidern etwas auszugleichen, drei Röcke habe anziehen müssen. Allein was hauptsächlich dazu beitrug, die Sache, die ihrer völligen Aufklärung schon so nahe schien, in tiefes Dunkel zurückzuwerfen, war folgender Auftritt in dem Gefängnis zu Châtillon.

Der Kriminalleutnant von Romorantin, der sich durch den von dem Parlamente erhaltenen Auftrag für berechtigt hielt, überall seine Untersuchungen anzustellen, wo er erwarten konnte, für die ihm anvertraute Sache einige Aufschlüsse zu finden, wollte auch die zu Châtillon in Haft sitzenden zwei Dienstmädchen mit dem Herrn von La Pivardière konfrontieren. Da er aber von den Gerichten zu Châtillon, wo ihm eigentlich gar keine Gerichtsbarkeit zustand, Einspruch wegen dieses Verfahrens mit Grund befürchtete, so machte er gemeinschaftliche Sache mit Herrn von Lambre, dem Oberaufseher der Polizeireiter zu Châtillon, der – wohl zu merken – ein Verwandter des Priors von Miseray war. Den 19. Januar 1698 begaben sie sich beide, begleitet von einem Gefolge von Polizeireitern, in das Gefängnis der Stadt. Die Gerichte zu Châtillon erhoben zwar Protest dagegen, allein sie kehrten sich nicht daran, und diesen blieb also nichts weiter übrig, als eine Deputation abzuschicken, die dem Verhör im Gefängnis beiwohnen und ein Protokoll darüber aufnehmen mußte. Der Kriminalleutnant von Romorantin stellte nun den beiden Dienstmädchen, welche die Ermordung gerichtlich bezeugt hatten, den angeblichen Herrn von La Pivardière vor und sagte ihnen: dies sei ihr Herr, und sie sollten es jetzt in Gegenwart der Obrigkeit bekennen. Allein sie schienen sehr wenig geneigt, diesem Befehl zu gehorchen. Ihr angeblicher Herr nahm zwar die Miene des Gebieters an und forderte teils im gebietenden, teils im drohenden Tone, sie sollten gestehen, daß sie ihn erkennten. Sie waren aber weder durch Ermahnungen noch durch Drohen dahin zu bringen; vielmehr sagten sie ihm gerade ins Gesicht: er sei ein Betrüger, er sei niemals Herr von La Pivardière gewesen. Sie bemerkten sogar verschiedene Kennzeichen, durch welche er von jenem weit verschieden sei. Sobald Herr Morin, der königliche Prokurator zu Châtillon, der diesem Verhör mit beiwohnte, diese Aussage der Mädchen gehört hatte und sah, daß sie ihre Meinung mit Gründen zu unterstützen wußten, verlangte er, daß der angebliche Herr von La Pivardière auch im Arrest bleiben solle, damit man imstande sei, die Wahrheit desto leichter und sicherer zu entdecken. Allein dieser weigerte sich, den Vorschlag anzunehmen, und damit man ihn nicht mit Gewalt festhielte, so entfernte er sich sogleich aus Châtillon, mit Begünstigung des Generalleutnants von Romorantin und unter der Bedeckung der Polizeireiter.

Die Gerichte von Châtillon betrachteten den ganzen Vorfall als ein Attentat wider ihre Gerichtsbarkeit und ihr obrigkeitliches Ansehen und schickten deshalb ihre bisherigen Prozeßakten samt dem Protokoll über dieses illegale Verhör im Gefängnis dem Generalprokurator. Dieser hielt auch das ganze Betragen der Gerichtspersonen von Romorantin für eine unbefugte Überschreitung ihrer Gewalt, die allen Regeln und Gesetzen durchaus widerspreche. Er nahm also die Partei der Gerichte zu Châtillon und wirkte am 27. Januar 1698 bei dem Parlament einen Befehl aus, durch welchen dem Generalleutnant von Romorantin alles weitere Verfahren in der Sache sogleich entzogen und ihm, samt dem Oberaufseher der Polizeireiter zu Châtillon, auferlegt wurde, sich persönlich vor dem Parlament zu stellen, um über ihr Verhalten in dem Gefängnis zu Châtillon Rechenschaft zu geben. Zugleich wurden die Parteien angewiesen, den bisher zu Romorantin anhängigen Prozeß über das Dasein des Herrn von La Pivardière nun vor dem Parlament selbst zu führen, während die Gerichte zu Châtillon den Untersuchungsprozeß über dessen Ermordung fortsetzen sollten.

Während dies bei den weltlichen Gerichten verhandelt wurde, hatte auch der Vizegérent von Bourges wider den Prior von Miseray, der sich aber entfernt hatte, die Untersuchung fortgesetzt und sprach nun endlich, da er sich weigerte, vor dem Richter zu erscheinen, am 1. Februar 1698 ein Urteil über ihn, worin er ihn eines mit der Gattin des Herrn von La Pivardière mehrere Jahre lang unterhaltenen anstößigen und unerlaubten Umgangs als überführt und überwiesen erklärte und ihn deshalb zu alle den Strafen verurteilte, die das kanonische Recht den Geistlichen wegen solcher Verbrechen auferlegt. Inzwischen erfuhr der Generalprokurator, daß der Prior sich in Paris aufhalte, um sich da Beschützer zu suchen. Er ließ ihn also verhaften und nach Châtillon ins Gefängnis bringen.

Um sich aber das ganze Verfahren in diesem Rechtshandel richtig vorzustellen, darf man den Umstand nicht aus den Augen verlieren, daß hier über einen Gegenstand zu gleicher Zeit zwei einander ganz entgegengesetzte Untersuchungsprozesse geführt wurden. Der eine war die Folge einer vom Fiskal angebrachten Klage wegen Ermordung des Herrn von La Pivardière, der andere hingegen gründete sich auf den Parlamentsbefehl vom 18. September 1697 und betraf den Nachweis, daß der nämliche Herr von La Pivardière noch lebe.

Den wahren Gesichtspunkt, aus dem sich die Verbindung dieser beiden Prozesse ansehen läßt, finden wir in folgenden von den Gerichten zu Châtillon zur Bestätigung ihrer Anklage und Rechtfertigung ihres Verfahrens angegebenen Gründen.

»Es wird auch daraus klar,« – wird hier unter anderm gesagt –, »daß die Angeklagten sich des Verbrechens schuldig wissen müssen, weil sie sich bemüht haben, die beiden Dienstmädchen zu einer Änderung ihrer Aussagen zu bewegen. Beide waren ihrer Aussage so lange treu geblieben, als noch kein Versuch gemacht worden war, sie zu verleiten. Aber man bestürmte sie mit Versprechen und Drohungen, bis sie wirklich bei der Konfrontation ihre Aussage änderten. Eine solche Abänderung wird aber als ein falsches Zeugnis angesehen und nach unsern Gesetzen mit dem Tode bestraft. Man hat sich also auch selbst dadurch nicht abhalten lassen, die unglücklichen Mädchen zu einem Schritt zu verleiten, der ihnen das Leben kosten muß. Die Umstände, die eine so grausame Überredung veranlaßten, sind ganz einleuchtend. Der Generalleutnant zu Châtillon ist der Bruder des Priors von Miseray. Er hat freilich eben aus dieser Ursache unmittelbar keinen Anteil an dem Prozeß genommen; aber er hat sich da für mittelbar einen desto größern Einfluß dabei zu verschaffen gewußt, denn er trug kein Bedenken, alle Mittel, die sein Ansehen und seine vertraute Bekanntschaft mit der Schikane ihm boten, zu benützen, um seinen Bruder und dessen Mitschuldige von der Strafe zu befreien, die ein so abscheuliches Verbrechen verdiente. Als Generalleutnant hat er über die innere Einrichtung der Gefängnisse zu befehlen, und er hat diese Gewalt hier dazu angewendet, den Prior von Miseray in ein Gefängnis bringen zu lassen, das nur zwei aneinanderstoßende Zimmer hat, um seinem Bruder das eine einzuräumen, während die beiden Mädchen neben ihm in dem andern Zimmer, in welchem der Stockmeister, ein alter Bedienter des Generalleutnants, auch wohnte, zusammen verwahrt und also mit lauter Personen umgeben wurden, die entweder persönlich oder doch mittelbar bei der Sache interessiert waren.

»Allein es ist durch diese Änderung der Aussagen, welche man ihnen mit so vieler List abzulocken gewußt hat, in der Hauptsache nicht einmal etwas gewonnen. Beide Mädchen haben den Mord selbst nicht geleugnet, sie blieben vielmehr fest dabei, daß ihr Herr ermordet worden sei. Die Mercier hat bloß den Umstand widerrufen, daß der Prior selbst der Ermordung beigewohnt habe; der Grund ihrer Aussage, daß La Pivardière ermordet worden sei, besteht also noch unverändert. Die andere hat zu ihrer ersten Aussage, daß sie eben dazu gekommen sei, als man ihrem Herrn die letzten Streiche versetzt habe, bei der Konfrontation bloß den Zusatz gemacht: sie könne nicht sagen, daß sie ihren Herrn tot gesehen habe. Übrigens sind ihre Aussagen vollkommen gleich und stimmen bis auf die kleinsten Umstände miteinander überein. Erst nach jener Abänderung ihrer Aussagen, wozu sie sich bloß zugunsten des Priors von Miseray bereden haben lassen, finden sich Widersprüche. Aber es ist merkwürdig, daß sie, die bei ihrer ersten Aussage sechs Monate lang ruhig beharrt hatten, unmittelbar nach dieser Abänderung eine Unruhe in ihrem Gewissen empfanden, die nicht eher aufhörte sie zu quälen, bis sie der Wahrheit das Opfer gebracht hatten, ihren Widerruf zurückzunehmen. Sie ließen den Vizegérent zu sich bitten, warfen sich ihm zu Füßen und erklärten, daß man ihnen die Abänderung ihrer Aussagen mit Gewalt abgenötigt habe, daß ihre erste Erklärung völlig wahr sei und daß sie entschlossen seien, dies selbst dem Prior gegenüber zu behaupten, wenn man die Gnade haben wolle, sie noch einmal mit ihm zu konfrontieren. Man ließ auf diese Erklärung hin die Gerichte herbeirufen, die Konfrontation wurde vorgenommen, und die Mädchen behaupteten wirklich dem Prior ins Gesicht, daß er selbst bei der Ermordung zugegen gewesen sei und daran Anteil genommen habe.

»Um aber die Sache ganz in ihr wahres Licht zu stellen, müssen wir vor allem jene plötzliche Erscheinung des vermeintlichen Herrn von La Pivardière beleuchten, die so großes Aufsehen erregt hat.

»Ehe wir aber die wahre Beschaffenheit dieser Erscheinung selbst prüfen, müssen wir zuvor bemerken, daß in der zweifelhaften Lage, in der sich die Sachen befanden, der Fortgang der Untersuchung gegen die Angeklagten nicht gehemmt werden konnte, wenn die Person, die aufgetreten war, der wahre La Pivardière selbst gewesen wäre.

»Der Beweis, daß Herr von La Pivardière noch lebe, betrifft ein rechtfertigendes Faktum zugunsten der Angeklagten, durch das sie die Unrichtigkeit der wider sie erhobnen Anklage mittelbar beweisen wollen. Es ist gerecht, daß ein Angeklagter völlige Freiheit habe, jedes Beweismittel seiner Unschuld zu benutzen; aber von der andern Seite ist es für das allgemeine Wohl noch weit wichtiger, daß die Verbrechen entdeckt und die Schuldigen bestraft werden. Beide Bedingungen werden erfüllt, indem die Gesetze dem Richter befehlen, auf der einen Seite den Untersuchungsprozeß mit aller Strenge durchzuführen, auf der andern dem Angeklagten das Beibringen rechtfertigender Tatsachen zu gestatten. Der Untersuchungsprozeß hat die Entdeckung des Verbrechens, das Erweisen der rechtfertigenden Tatsachen die Entdeckung der Schuldlosigkeit des Beklagten zum Zweck. Allein das letztere Verfahren kann nicht in gleichem Schritt mit dem erstem gehen. Wenn der Angeklagte die Freiheit haben soll, rechtfertigende Fakta beizubringen, ehe er auf die Beweise der Anklage geantwortet hat, und gegen die Anklage selbst einen Prozeß zu erheben, so muß dadurch der Untersuchungsprozeß, durch welchen zuerst das Verbrechen entdeckt werden soll, worüber sich der Beklagte rechtfertigen will, notwendig aufgehalten werden. Überdies könnte es ja vielleicht ein ganz überflüssiger Aufwand sein, den der Beklagte macht, indem er einen solchen Prozeß zu seiner Rechtfertigung gegen eine Anklage erhebt, die noch nicht erwiesen ist; denn seine Rechtfertigung kann aus dem Untersuchungsprozeß selbst erfolgen. Das Beibringen und Erweisen rechtfertigender Tatsachen kann also erst dann zugelassen werden, wenn durch den Untersuchungsprozeß alle Beweismittel zur Entdeckung des Verbrechens, die aufzutreiben waren, erschöpft sind und die Richter nach genauer Prüfung erkannt haben, daß die Sache dadurch nicht so entschieden sei, daß nicht rechtfertigende Fakta, welche die Beklagten vielleicht für sich anzuführen hätten, die Ansicht derselben ändern könnten. Es ist auch durch die Verordnung von 1670 allen Richtern ausdrücklich verboten, früher als nach dieser Entscheidung solche rechtfertigende Fakta anzuhören.

»Der Beweis, den Frau von La Pivardière führen will, daß ihr Gemahl noch lebe, betrifft offenbar ein solches rechtfertigendes Faktum; denn es ist wahr, wenn ihr Gemahl noch lebt, so ist sie dadurch von der Anklage, ihn ermordet zu haben, losgesprochen. War aber der Untersuchungsprozeß, als sie diesen Beweis anfing, schon bis zu dem Punkt vorgerückt, den die eben angeführte Verordnung festsetzt? Und ward nicht überhaupt durch ihr ganzes Verfahren alle Form verletzt, welche die Gesetze fordern? Als Frau von La Pivardière jenen Befehl bei dem Parlament auswirkte, durch welchen ihr gestattet wurde, den Beweis des angegebnen rechtfertigenden Faktums zu führen, war bereits gefängliche Haft wider sie dekretiert; sie hatte sich derselben entzogen und konnte nach allen peinlichen Gesetzen nicht eher von einem Richter verhört werden, bis sie sich entweder selbst in Arrest begeben hatte oder dahin gebracht worden war. Überdies, als sie diesen Rechtfertigungsbeweis zu Romorantin begann, war der Untersuchungsprozeß noch lange nicht bis zu dem erforderlichen Punkt vorgerückt; der Richter war noch ganz damit beschäftigt, Beweise zu suchen, die ihm Licht zur Entdeckung des Verbrechens geben könnten. Mithin ist das ganze Verfahren zur Rechtfertigung der Angeklagten, das sie zu Romorantin mit dem vermeintlichen La Pivardière vornehmen ließen, allen Regeln der Gerichtsordnung entgegen; und wenn man ein solches Verfahren für zulässig erkennen will, so wird es jedem Verbrecher leicht werden, sich der Gerechtigkeit zu entziehen; er wird dazu nichts weiter bedürfen, als daß er einen andern Richter aufruft, gegen den Untersuchungsprozeß einen rechtfertigenden Beweis zu instruieren, wodurch es in seiner Macht steht, die Untersuchung solange, als er es für nötig befindet, zu verzögern.

»Aber wir wollen nun doch den Beweis dieses rechtfertigenden Faktums selbst genauer erwägen; wir wollen sehen, womit es denn der vermeintliche Herr von La Pivardière bewiesen hat, daß er wirklich der sei, für den er sich ausgibt.

»Ohne uns darauf zu berufen, daß die beiden Dienstmädchen so bestimmt und so unerschütterlich behaupteten, daß die Person, die ihnen als ihr Herr vorgestellt wurde, ein bloßer Betrüger sei und daß sie sogar Unterscheidungszeichen zur Bestätigung ihrer Behauptung anzugeben wußten, wollen wir uns auf die Prüfung der angeführten Beweise selbst beschränken.

»Man hat sechs Urkunden vorgebracht, zum Beweis, daß Herr von La Pivardière noch lebe und daß die Person, welche man zu Romorantin und in der Nachbarschaft von Nerbonne vorgestellt hat, wirklich dieser La Pivardière sei. Die erste dieser Urkunden ist ein Protokoll, das den 21. September 1697 zu Issoudun auf Verlangen und in Gegenwart eines gewissen Herrn von Chavigny durch einen Notar errichtet wurde, worin der Wirt des Gasthofes zur Glocke bezeugt, daß La Pivardière, nach der Beschreibung, welche Herr von Chavigny ihm von dessen Person gemacht habe, den 19. August 1697 in seinem Gasthofe über Nacht gewesen sei. Die zweite ist ein Protokoll vom 22. desselben Monats und enthält folgende Aussage von Johannes Auguay, Schildwirts und Wundarztes zu Châtillon, der auf Ansuchen des Königlichen Notars, als Bevollmächtigten der Frau von La Pivardière, von dem Bailli verhört wurde: Es sei am 13. August abends um 6 Uhr ein Herr bei ihm eingekehrt, den er ungefähr auf 35 bis 40 Jahre geschätzt habe. Dieser Herr sei nicht nur bei ihm über Nacht geblieben, sondern habe auch den ganzen folgenden Tag da zugebracht und erst am 15. August morgens um 10 Uhr seinen Weg fortgesetzt. Diesen nämlichen Herrn habe er am 17. August wieder zu Chateauroux im Gasthof »Zu den drei Kaufleuten« angetroffen, wo er selbst mit ihm Kegel geschoben habe. Am folgenden Sonntag habe er ihn mit einer Flinte auf der Achsel durchs Tor gehen sehen, und hier habe er immer gehört, daß er sich von La Pivardière nenne. Die dritte ist ein von zwei Notaren zu Auxerre errichtetes Instrument vom 7. Oktober, die, von dem Prior von Sainte Catharine de Flande, Joseph Charost, einem Bruder des Priors von Miseray, im Auftrage der Frau von La Pivardière aufgefordert, sich zu verschiedenen Einwohnern begeben und deren Aussagen aufgenommen hatten. Claudius Leroy, ein Perückenmacher, sagt darin: ›Er kenne den Ludwig du Bouchet von La Pivardière sehr wohl; er wisse, daß derselbe mit Elisabeth Pillard verheiratet sei und von ihr zwei Kinder habe; sie hätten beide in seinem Hause zur Miete gewohnt; der Mann sei vier Monate lang abwesend gewesen und erst Ende August zurückgekommen. Er habe ihn übrigens immer in seinen Verrichtungen als Gerichtsbedienten zu Auxerre gesehen. Nikolaus Torinon, ein Beamter, bezeugt: Ludwig du Bouchet von La Pivardière habe ihm als Gerichtsdiener öfters Scheine zu stempeln gebracht; der letzte vom 19. September, der noch bei ihm liege, weil die Stempelgebühren dafür nicht entrichtet worden, sei bloß unterschrieben: du Bouchet, Königlicher Gerichtsdiener zu Auxerre. Die vierte ist ein Aktenstück vom 22. Oktober, das Herr von La Pivardière, wie man behauptet, von den Notarien zu Flavigny bei Auxerre errichten ließ. In diesem Aktenstück sagen die Notare dieses Orts: Es sei vor ihnen ein Mann erschienen, welcher erkläre, er sei Ludwig von La Pivardière, Herr du Bouchet, Lehn- und Gerichtsherr von Nerbonne, und habe erfahren, daß seine Feinde das Gerücht verbreiteten, er wäre von seiner Gattin in der Nacht vom 15. auf den 16. August ermordet worden, weil er, wie diese verleumderischen Ankläger behaupteten, am 15. August abends zu Pferde angekommen, in der Nacht aber verschwunden sei; er wolle also hiermit die öffentliche Erklärung abgeben, daß er zu Fuß noch in derselbigen Nacht weitergereist sei, um sich schleunigst an den Ort zu begeben, wohin dringende Geschäfte ihn gerufen. Am Schluß dieser Erklärung bevollmächtigt er seine Gattin, die Gerichte zu Châtillon zu belangen. Als die fünfte Urkunde kann man mit dieser vierten einen Brief verbinden, den Herr von La Pivardiere am 10. Oktober von Metz aus an seine Frau geschrieben haben soll, worin er sagt: Er sei äußerst bestürzt über die Nachricht von ihrem traurigen Schicksal; wenn er von seinem Obristen auf zwei Monate hätte Urlaub erhalten können, so würde er schon gekommen sein, um die ungerechte Anklage, die man gegen sie erhoben habe, niederzuschlagen; und wenn sie glaube, daß man die Sache noch weiter treiben wolle, so möchte sie ihm nur ein paar Zeilen schreiben, er würde dann sogleich kommen, um dem Streit auf einmal ein Ende zu machen. Ihren Brief sollte sie nur nach Metz richten. Das sechste und letzte Dokument besteht in den sämtlichen Protokollen, welche durch den Generalleutnant von Romorantin im Monat Januar 1698 aufgenommen wurden, denen zufolge die als Herr von La Pivardière vorgestellte Person von mehr als zweihundert Menschen, von seinen Schwestern und von der Äbtissin zu Valencay, von seiner kleinen Tochter und von den Personen, die er bei seiner Ankunft zu Nerbonne beim Abendessen angetroffen hatte, für denselben wirklich erkannt worden soll sein.

»Lassen Sie uns nun alle diese Dokumente prüfen und untereinander vergleichen, so wird es sich von selbst zeigen, daß sie ganz und gar untauglich sind, den Beweis zu begründen, den man daraus ziehen will.

»In der Erklärung, die der angebliche La Pivardière zu Flavigny bei Auxerre ausstellte, sagt er: Er sei am 15. August abends zu Nerbonne angekommen, aber in derselben Nacht noch zu Fuß weitergegangen, um schleunigst den Ort seiner Bestimmung zu erreichen. Diese dringenden Geschäfte, die ihm nicht einmal erlaubten, eine Nacht ruhig zu Hause zuzubringen, müssen wenigstens sehr plötzlich gekommen sein; bei seiner Ankunft schien er nicht so große Eile zu haben, denn er nahm sogar nach Tische die Einladung des Herrn von Préville auf den zweiten folgenden Tag ohne Umstände an, ohne mit einem Wort die dringenden Geschäfte zu erwähnen, die ihn so schleunig wieder abriefen. Überdies kam er aus seinem Standquartier von Metz und hatte also einen Weg von mehr als hundert französischen Meilen gemacht. Ist es wohl glaublich, daß ein Offizier eine so weite Reise nach Hause unternimmt, um nach drei Stunden wieder abzureisen und nicht einmal eine Nacht da zu schlafen?

Aber noch mehr! Wie kann man diese plötzliche, durch die dringendsten Geschäfte notwendig gemachte Abreise mit der Aussage des Gastwirts zu Châtillon zusammenreimen? Nach der Erzählung dieses Mannes wäre Herr von La Pivardière am 13. August abends in seinem Gasthofe angekommen und erst am 15. vormittags wieder abgereist. Wäre es nicht weit natürlicher gewesen, am 14. morgens dort abzureisen, um diese zwei Tage auf seinem Schlosse zuzubringen, die er dieser Aussage zufolge kaum zwei Schritte von Hause in einer Schenke vergeudete? Am 15. August kommt er also endlich zu Nerbonne an, überhäuft von Geschäften, die die höchste Eile fordern. Jedermann wird glauben, er habe nun die Post genommen. Nichts weniger! Um in möglichster Eile an Ort und Stelle zu kommen, läßt er sein Pferd im Stall und geht zu Fuß. Und was waren endlich die dringenden Geschäfte, die ihn so schleunig weiterzureisen nötigten? Er hat nicht für gut befunden, uns dies selbst anzugeben; wir können es aber auch aus dem Munde des nämlichen Gastwirts hören. Am 16. und 17. traf ihn dieser in Chateauroux in dem Gasthofe »Zu den drei Kaufleuten«. Hier kegelte er mit seinem Gastwirt, mit dem Wirt von Châtillon und mit einem Soldaten, und nachher zechten alle vier zusammen. Darum hatte er also nicht Zeit, auf seinem Schlosse zu übernachten, um hier, kaum ein paar Schritte von Haus, mit zwei Gastwirten und einem Soldaten Kegel zu schieben und zu trinken. Ebenderselbe Gastwirt von Châtillon sah ihn am 18. August mit einer Flinte über der Schulter aus dem Tore nach Issoudun zugehen, wo er den 19. sich aufgehalten zu haben scheint. Als er am andern Tag weiterging, sagte er, daß er nach Bourges wolle. Hier verliert man seine Spur auf einige Zeit, und endlich finden sich auf einmal wieder Nachrichten von ihm aus Auxerre. Niemand sagt uns, wie er dahin gekommen sei. Der Bruder des Priors von Miseray bringt aber eine große Menge von Menschen in dieser Stadt zusammen, die ein Protokoll unterschreiben, das über ihre Aussagen von zwei Notaren aufgesetzt ist. Aus diesem Dokument erfahren wir, daß es einen gewissen du Bouchet von La Pivardière gebe, der mit Elisabeth Pillard verheiratet und schon seit geraumer Zeit Gerichtsdiener zu Auxerre sei, daß dieser Gerichtsdiener einige Monate aus der Stadt abwesend gewesen, Ende August aber zurückgekommen sei und gerade an dem Tage vor Abfassung dieses Protokolls, nämlich am 6. Oktober sich wieder wegbegeben habe. Dies ist aber eine ganz neue Person, die hier auf den Schauplatz tritt. Man darf sich nicht schmeicheln, uns so leicht zu überzeugen, daß derjenige, der am 15. August Dragoneroffizier war und es am 10. Oktober noch ist, ebendieselbe Person sei, die am 6. Oktober als Gerichtsdiener in Auxerre gewesen sein soll.

»Doch wir wollen den Irrgängen dieser Erscheinung bis ans Ende folgen! Am 6. Oktober befindet er sich abends noch in Auxerre, erst am 6. morgens begibt er sich von da weg, er reist zu Fuß und ist am 10. zu Metz, siebzig Meilen davon entfernt!! Hier ist er aber nicht mehr Gerichtsdiener, hier verwandelt er sich auf einmal wieder in einen Dragoneroffizier, der noch dazu im Dienste steht! Natürlich erwartet man jetzt, da er wieder an Ort und Stelle ist, daß seine Wanderungen ein Ende haben. Er schreibt sogar selbst seiner Frau, daß er, zurückgehalten bei seinem Regiment zu Metz durch die Befehle seines Obristen, ihr nicht zu Hilfe kommen könne, bevor nicht neue Nachrichten von der dringendsten Not ihn dazu aufforderten. Gleichwohl, der Himmel weiß durch welche Zauberei, befindet er sich zwölf Tage nachher, am 22. Oktober, zu Flavigny bei Auxerre und erteilt von dort aus seiner Gemahlin Vollmacht, die Gerichte zu Châtillon zu verklagen und als ungerechte und parteiische Richter zur Verantwortung zu ziehen! Was hinderte ihn denn, diese Vollmacht für seine Gattin in Metz ausfertigen zu lassen, das er seinem Brief zufolge nicht verlassen durfte? Nichts, als daß er sich einmal in den Kopf gesetzt hatte, seine Vollmacht an einem andern Ort als zu Metz auszustellen; und nun kann ihn weder der Befehl seines Obristen noch die Strenge der Kriegszucht abhalten, diesen Einfall auszuführen. Er verläßt seinen Dienst und reist siebzig Meilen weit, um seine Vollmacht niederschreiben zu lassen. Und welche Zeit wählt er zu diesem abenteuerlichen Schritt? Gerade die, wo seine Gattin in der größten Gefahr schwebt, wo sie seinen Beistand am nötigsten braucht und wo er ihr selbst Metz als den einzigen Ort nennt, wo er Nachrichten von ihr erhalten könne, Nachrichten, durch die er, wie er selbst sagt, allein hoffen konnte, sich Urlaub auszuwirken! Durfte er sein Regiment wirklich verlassen, oder wagte er diesen Schritt, um seine Frau zu retten: warum reiste er nicht lieber gerade nach Hause, um ihr die versprochene Hilfe selbst zu bringen? Warum machte er es ihr sogar unmöglich, ihn nur darum zu bitten, indem er sich auf einmal siebzig Meilen von der Stadt entfernte, wo er nach seiner eignen Mitteilung neue Nachrichten von ihr erwarten wollte?

»Wir würden kein Ende finden, wenn wir alle die Widersprüche und Ungereimtheiten erschöpfen wollten, die sich aus diesen Dokumenten folgern lassen, auf welche gleichwohl Frau von La Pivardière einen Teil ihrer Verteidigung gründet. Allein, was wir daraus entwickelt haben, wird deutlich genug dartun, daß diese Papiere bloß das Resultat der eifrigen Bemühungen sind, welche Frau von La Pivardière anwendet, um ihr Verbrechen der Bestrafung zu entziehen, die das Publikum mit Recht erwartet.

»Ebensowenig kann die Beklagte die von dem Generalleutnant zu Romorantin errichteten Protokolle zu ihrer Verteidigung gebrauchen. Zwar scheint es auf den ersten Blick, daß diese, unter der Aufsicht eines öffentlichen Richters verfertigt, mehr Gewicht haben müßten, als die bisher erwähnten Papiere. Allein jener Parlamentsbefehl vom 27. Januar 1698 hat wider den Richter selbst, der sie verfaßt hat, einen Verdacht der Parteilichkeit erregt, der die Glaubwürdigkeit dieser Aktenstücke selbst sehr zweideutig macht. Aber wir wollen darauf nicht einmal Gewicht legen; wir brauchen nur diese Protokolle selbst zu untersuchen, um uns zu überzeugen, daß sie keine solche Wichtigkeit haben.

»Was beim ersten Anblick am meisten auffällt, ist die ungeheure Menge von Zeugen, die verhört worden sind. Was, sagt man, zweihundert Personen sollten nicht mehr gelten als zwei Mägde, die noch überdies ihre Aussagen geändert haben? Man wird sogleich sehen, wie schwach dieser Schluß sei. Weiß man denn nicht, wie leicht das Volk auf einen Irrtum eingeht, den man ihm mit einiger Wahrscheinlichkeit vorhält? Dem Generalleutnant von Romorantin, der einmal Partei für die Angeklagten genommen hatte, konnte es gar nicht schwer werden, einige abgerichtete Zeugen zu finden, durch die er alle andern beeinflussen ließ, einen Menschen, den er ihnen vorstellte und den sie vielleicht in ihrem Leben nie gesehen hatten, als den Herrn von La Pivardière anzuerkennen. Im Grunde konnte es ja diesen allen sehr gleichgültig sein, ob er es sei oder nicht; und indem sie versicherten, daß er es wirklich sei, erwarben sie sich sogar noch das Verdienst, einen Geistlichen, der in dem ganzen Bezirk als ein gottesfürchtiger, untadelhafter Mann bekannt und einem der angesehensten Häuser entsprossen war, und eine Frau von unbeflecktem Ruf, durch ihre Verbindungen eine der vornehmsten Personen in der Provinz, von einer schimpflichen Todesstrafe zu retten. Und wer in Romorantin hätte es können wagen, den Generalleutnant Lügen zu strafen, indem er den Mann, den dieser als Herrn von La Pivardière vorstellte, nicht hätte anerkennen wollen? Und konnte es ihm etwa zu Lucay, zu Jeu, zu Miseray, wo er und der Prior von Miseray eine unumschränkte Gewalt ausübten, schwerer werden, diese Zustimmung zu erlangen? Aber auch die Ähnlichkeit selbst kann mehrere getäuscht haben. Man hatte einen Menschen gewählt, der dem Herrn von La Pivardière in manchen Stücken glich. Indes behaupteten doch die meisten nachher: er sei weder so groß noch so dick und habe ihnen bei der Vorstellung nicht ins Gesicht gesehen, sondern immer den Kopf niedergesenkt; übrigens sei er Herrn von La Pivardière, den sie gekannt hätten, sehr ähnlich.

»Wenn aber auch alle diese Zeugen völlig getäuscht worden wären, wenn sie, durch die Übereinstimmung einiger Züge verführt, ohne alle Bedenklichkeit geglaubt hätten, daß sie den wahren Herrn von La Pivardière wirklich vor sich sähen: könnte man nicht, da dessen Ermordung durch so auffallende Beweise dargetan ist, vielmehr umgekehrt vermuten, daß sie sich irren? War es denn noch nie der Fall, daß ein Betrüger, von der vollkommensten Zustimmung des Publikums unterstützt, den Namen, das Vermögen und den Stand eines Verstorbenen oder Abwesenden an sich riß? Man hat aber solche Betrüger mit dem Tode bestraft, und diese Beispiele haben ohne Zweifel den angeblichen La Pivardière vorsichtiger gemacht. Er hat es zwar gewagt, sich an einigen Orten zu zeigen; aber er hütete sich sehr sorgfältig, den Richtern zu nahe zu kommen, die das Verbrechen untersuchten, dessen Beweise er durch seine Erscheinung vernichten wollte. Nur unter der Bedeckung von Polizeireitern, denen ihr Offizier, ein Verwandter von einem der Angeklagten, schon die gemessensten Befehle erteilt hatte, seinen Rückzug zu decken, wagte er es, in Châtillon zu erscheinen.

»Allein die Aussagen dieser Landleute, sagt man, werden dadurch bestätigt, daß Edelleute und Geistliche der dortigen Kirchspiele diesen La Pivardière ebenfalls anerkannten. Ebendieser Umstand macht aber gerade im Gegenteil jene Aussagen noch mehr verdächtig. Das gemeine Volk, gewohnt, den Meinungen seiner Herren blindlings beizupflichten, und stets in Furcht, die gegen sich aufzubringen, die unumschränkte Gewalt über sie ausüben, hat sich verleiten lassen, Tatsachen mündlich oder schriftlich zu bezeugen, die ihm gänzlich unbekannt, aber auch ebenso gleichgültig waren. Die Familie der Charosts, die angesehenste und mächtigste in der ganzen Provinz, zu schonen, und den Prior von Miseray, der sie teils durch seine Gastfreiheit bestochen, teils durch andere Verbindungen auf seiner Seite hatte, zu retten, war das Interesse aller Edelleute und Geistlichen zu Lucay, Jeu und andern umliegenden Orten. Durch sie wurde die Anerkennung des angeblichen La Pivardière veranstaltet, ihnen hat das gemeine Volk es nachgebetet.

»Von ebenso geringem Gewicht sind die Erklärungen der Personen, die am 15. August 1697 bei dem Abendessen auf dem Schlosse zu Nerbonne waren. Abgesehen davon, daß alle die Gründe, die wir eben angeführt haben, auch gegen sie gelten, stehen sie sowohl mit dem Prior als mit der Frau von La Pivardière in engster Verbindung. Die Abtei von Miseray war der gewöhnliche Sammelplatz für alle Lustpartien; was konnten sie, ohne undankbar zu sein, weniger tun, als zugunsten des Priors ein Zeugnis ablegen? Konnten sie wohl eine bloße Hauslüge verweigern, durch welche sie einen Mann retten konnten, dem sie soviel zu danken und von dem sie um dieses kleinen Dienstes willen noch weit mehr zu hoffen hatten?

»Die gute Meinung von der Gottesfurcht der Frau Äbtissin von Valencay und der in ihrem Kloster befindlichen zwei Schwestern des Herrn von La Pivardière setzt auch ihre Aussagen nicht außer allen Verdacht. Es war nicht schwer, sie zu überreden, daß es Pflicht sei, ein Zeugnis nicht zu verweigern, wodurch das Leben mehrerer Personen gerettet und eine vornehme Familie der Schande und dem Untergang entrissen werde. Man hat auch den Ordensgeist mit ins Spiel zu mischen gewußt, eine Triebfeder, die sehr mächtig wirkt. Man stellte diesen Nonnen vor, daß es hier darauf ankomme, die Ehre eines angesehenen geistlichen Ordens zu erhalten.

»Daß die kleine Tochter des Herrn von La Pivardière, welche die unzweideutigsten Indizien von der Ermordung ihres Vaters selbst gesehen hat, den ihr vorgestellten Menschen als ihren Vater anerkannte, ist offenbar nichts weiter als die Folge einer Überredung, die um so leichter bei ihr zu bewirken war, indem man ihr nur die Gefahr zu zeigen brauchte, die über dem Haupt ihrer Mutter schwebte, um sie zu jeder Aussage zu bewegen, die man ihr als ein Mittel zur Rettung ihrer Mutter eingeben wollte.

»Zum Schluß dieser Bemerkungen müssen wir noch daran erinnern, daß überhaupt das ganze Verfahren des Beamten von Romorantin den Verdacht der Parteilichkeit gegen sich hat. Fürs erste war er selbst durch Frau von La Pivardière gewählt, auf ihren Vorschlag hatte das Parlament ihm den Auftrag gegeben; fürs zweite waren die Zeugen, welchen der angebliche La Pivardière zur Anerkennung vorgestellt wurde, bloß von diesem parteiisch gewählten Richter ausgesucht; und fürs dritte lagen alle die Orte, wo man die Untersuchungen zu dieser Anerkennung vornahm, in dem Sprengel des Priors von Miseray. Dagegen hat man gerade auf die Personen gar keine Rücksicht genommen, die am meisten Interesse dabei hatten und durch Natur und Ehre aufgefordert waren, den Mord des Herrn von La Pivardière zu rächen. Seinem leiblichen Bruder und vielen andern seiner nächsten Verwandten hat niemand den angeblichen La Pivardière vorgestellt. Man hütete sich also, wie es scheint, sehr sorgfältig, die Personen über die Anerkennung zu vernehmen, von welchen zu fürchten war, daß sie den Betrug einsehen, aber ihn zu unterstützen schwerlich geneigt sein würden; und die meisten Zeugnisse über diese Anerkennung also, denen man so große Wichtigkeit beilegt, sind genau betrachtet nichts weiter, als Aussagen von Menschen, die alles, was man wollte, in ihrem Namen hinschreiben ließen und die Gefälligkeit hatten, ein Protokoll zu unterzeichnen, wobei sie auf keinen Fall einige Gefahr liefen.« –

Inzwischen setzten sowohl Frau von La Pivardière als der Prior von Miseray auf diese bei dem Gericht zu Romorantin niedergelegten Zeugnisse und Protokolle ein so zuversichtliches Vertrauen, daß die erstere am 20. Juli 1698 ohne Bedenken sich selbst in dem Parlamentsgefängnis stellte und der letztere seinen Bedienten Regnault zu dem nämlichen Schritt vermochte.

So waren also nun folgende Parteien in diesem Prozeß verwickelt, 1. Frau von La Pivardière und der Prior von Miseray: als Angeklagte wegen des zur Untersuchung stehenden Mords; als Appellanten gegen alles, was zu Châtillon wider sie verfügt worden war; und als Kläger auf Schadloshaltung an Ehre und Vermögen wider die Beamten der dortigen Gerichte; 2. die beiden Mägde aus dem Schlosse Nerbonne: als Angeklagte wegen Mitschuld an der Mordtat und zugleich als falsche Zeugen wegen der Abänderung ihrer Aussagen; 3. der sogenannte Herr von La Pivardière: als Zwischenkläger in Verbindung mit seiner Gattin, deren Beschwerden wider die Gerichte er in allem beitrat, während er für seine eigne Person wegen des Verbrechens der Doppelheirat, dessen er sich schuldig bekannte, sich unter den unmittelbaren Schutz des Parlaments begab und es ersuchte, ihm einen Schutzbrief auf vier Monate zu bewilligen, binnen welcher Zeit keine Hand an seine Person gelegt werden sollte; 4. die Gerichtsbeamten zu Châtillon: als Verteidiger dessen, worüber man sie zur Verantwortung zog, und endlich 5. der Erzbischof von Bourges: als Vertreter des Verfahrens und der Sentenz seines Offizials.

Die Gerichte zu Châtillon hatten sich zwar dem Parlamentsbefehl vom 18. September 1697, durch den die Appellation der Frau von La Pivardière wider das ganze Verfahren der Gerichte und des Königlichen Prokurators zu Châtillon angenommen und ihr gestattet worden war, diese Gerichte deshalb vor dem Parlament zu belangen, insofern gefügt, als sie die Entscheidung des angefangenen Prozesses vertagten. Allein da es ihnen für die öffentliche Sicherheit höchst wichtig schien, solche Verbrecher nicht ungestraft entkommen zu lassen, so hielten sie es für notwendig, in der Untersuchung fortzufahren und den Beweis so vollständig zu machen, daß sie zu dem weitern rechtlichen Verfahren bereit wären, sobald das Parlament, von der Unrechtmäßigkeit der wider sie vorgebrachten Beschwerden überzeugt, sie freigesprochen und in den völligen Gebrauch ihres richterlichen Amtes wieder eingesetzt haben würde.

Diese Beschwerden wider die Gerichte von Châtillon bestanden in folgenden vier Punkten. Erstens, sagte man, sind sie nicht befugt, Untersuchungen über ein Verbrechen anzustellen, das außerhalb der Grenzen ihrer Gerichtsbarkeit begangen sein soll. Zweitens fiele auch dieser Grund ihrer Unzuständigkeit fort, so ergibt sich noch ein anderer aus einem Arret, das schon 1688 im Monat Mai gegeben worden ist, in welchem die Ordensgeistlichen von Miseray mit allen ihren Streitsachen an das Landgericht von Tours verwiesen werden und den Gerichten von Châtillon untersagt wird, sich derselben anzumaßen. Drittens, die ganze Untersuchung ist von den Gerichtsbeamten zu Châtillon aus bloßem Eigennutz und zugleich aus einer Rachsucht angezettelt worden, die ihren Entstehungsgrund in einem alten Prozeß hat, den die Familien des Partikulierleutnants und des Königlichen Prokurators schon längst mit der Familie des Priors von Miseray geführt haben. Viertens, der Herr von La Pivardière lebt wirklich noch, folglich ist die Anklage des Königlichen Prokurators und die daraufgebaute Untersuchung wegen Ermordung desselben offenbar als ehrenschänderisch anzusehen.

Die Antwort, welche die Gerichte zu Châtillon auf diese vier Punkte gaben, begann mit der Untersuchung der Frage: ob überhaupt die wider sie aufgetretenen Gegenparteien die erforderlichen Eigenschaften besäßen, ihre Richter persönlich verklagen zu können.

»Der angebliche La Pivardière,« sagen sie, »ist zu einer solchen Klage nicht berechtigt; er ist abwesend, er ist gar nicht angeklagt, die Untersuchung wird nicht wider ihn gerichtet. Es ist wahr, er erscheint als Intervenient, seine Frau zu verteidigen. Dieser Vorwand ist ihm günstig, ein Mann hat ohne Zweifel das Recht, seiner Gattin zu Hilfe zu eilen. Allein, wer in dieser Eigenschaft auftreten will, muß sich legitimieren, daß sie ihm zukomme, er muß sich stellen; er kann nicht Intervenient sein, solange er sich den Blicken des Richters entzieht, solange es ihm noch streitig gemacht wird, ob er wirklich der sei, für den er sich ausgibt.

»Der Prior von Miseray ist freilich nicht abwesend, denn er sitzt im Gefängnis, ist aber doch ebensowenig zu einer solchen Klage befugt. Es ist zwar richtig, daß die Amtswürde dem Richter kein Freibrief wider Beschwerden sein soll, die ein von ihm bedrückter Untertan gegen ihn erhebt. Wäre es einem Richter erlaubt, solcher Beschwerden unerachtet auf seinem Richterstuhl zu verbleiben und ein Urteil über die zu fällen, die ihn als Partei in Anspruch genommen haben, so würden alle, die unter seine Gerichtsbarkeit fallen, der bloßen Laune und den Leidenschaften eines solchen Mannes preisgegeben und die öffentliche Sicherheit in ihrem Fundament erschüttert werden. Aber es ist auch nicht gerecht, daß er den Verfolgungen aller derer ausgesetzt sein soll, denen er nicht Recht spricht, wie es ihnen gefällt. Wäre er gezwungen, nach jedem Urteil, das er ausgesprochen, von seinem Richterstuhl herabzusteigen, um von den Gründen seiner Entscheidung Rechenschaft zu geben, so wäre sein Amt nichts weiter als eine unversiegbare Quelle von Händeln, und er hätte nichts Geringeres zu fürchten, als daß jede gesprochene Sentenz ihn selbst in einen Prozeß verwickelte. Es darf also nicht erlaubt sein, und es ist es auch wirklich nicht, daß jemand seine Richter nach eignem Belieben zur Verantwortung ziehe. Es ist durch gerichtliche Verordnungen festgesetzt, daß, wer diesen Schritt tun will, dem Parlamente, dessen Gerichtsbarkeit der Richter allein unterworfen ist, ein Memorial übergebe, worin er seine Beschwerden umständlich vorbringen und um Erlaubnis, eine Klage wider ihn anstrengen zu dürfen, erst nachsuchen muß, damit das Parlament zuvor seine Klagepunkte untersuchen kann, um zu wissen, ob sie für die Einleitung eines Prozesses wichtig genug seien, in welchem Fall ihm dann erst die Erlaubnis, seine Klage anhängig zu machen, erteilt wird. Der Prior von Miseray hat aber weder ein solches Memorial übergeben, noch einen solchen Befehl erhalten, der ihn berechtigte, die Gerichte zu Châtillon nicht mehr als Richter anzusehen und sie als Beklagte zu behandeln. Sein Verfahren ist also wider alle Ordnung strafbar, denn es ist Verletzung der Ehrfurcht, die man dem richterlichen Amt schuldig ist.

»Das Verfahren der Frau von La Pivardière scheint weniger regelwidrig. Sie hat sich bei dem Parlament in gehöriger Form beschwert und von diesem die Erlaubnis erhalten, die Gerichte zur Verantwortung zu ziehen, wie sie es für gut befinden würde. Inzwischen ließe sich wohl noch die Frage aufwerfen, ob das Memorial, das sie dem Parlament übergab, mit der erforderlichen Wahrhaftigkeit abgefaßt sei, ob sie nicht durch listige Verdrehungen die ganze Sache verunstaltet und dadurch das Parlament irregeführt habe. Doch die Gerichte zu Châtillon wollen sich bloß an die Sache halten, Fehler der Form nicht benutzen und ihre Rechtfertigung nur durch Aufklärung der Wahrheit suchen.

»Der erste Vorwurf, den man ihnen macht, betrifft ihr Nichtbefugtsein zur Untersuchung der ganzen Sache. Ihre Rechtfertigung dagegen ist sehr leicht.

»Das allgemeine Gerücht benachrichtigte sie, die Mordtat sei in dem Kirchspiel von Jeu geschehen, das ihrer Gerichtsbarkeit unterworfen ist. Sie begaben sich dahin und stellten Untersuchungen an. Offenbar hatten sie ein Recht dazu. Die Verordnung von 1670 sagt ausdrücklich, daß die Oberrichter in dem Gerichtsbezirk des Unterrichters Untersuchung über ein vorgefallenes Verbrechen anstellen können, im Fall der letztere vierundzwanzig Stunden nach der Tat noch keine Anstalten dazu getroffen hat. Durften die Gerichtsbeamten zu Châtillon untätig bleiben, als sie sahen, daß kein Gericht die geringste Bewegung machte, ein so schweres Verbrechen zu rügen, das schon vor drei Wochen verübt war und so großes Aufsehen machte? Von allen Seiten darauf hingewiesen, daß die Verbrecher und ihre Mitschuldigen sich ganz ruhig in ihrem Gerichtsbezirk aufhielten: waren sie nicht verpflichtet, sie zu verfolgen, wenn auch das Verbrechen wirklich außer ihrem Gerichtsbezirk begangen worden wäre? Wer würde es unternehmen, zu behaupten, daß ein Richter Verbrecher, die er innerhalb der Grenzen seiner Gerichtsbarkeit weiß, nicht festsetzen lassen dürfe, wenn sie außer seinem Gerichtsbezirk gesündigt haben? Dies hieße, den Schuldigen eine sichere Tür öffnen, der Strafe zu entgehen. Deswegen bevollmächtigen auch unsre Gesetze jeden Königlichen Gerichtsbeamten, jeden Verbrecher, der in seinem Bezirke betroffen wird, festzuhalten und ihm den Prozeß zu machen, das Verbrechen mag begangen sein, wo es wolle. Es ist wahr, sobald entweder der Angeklagte verlangt, dem Richter seines Ortes übergeben zu werden, oder der Richter des Orts, wo das Verbrechen begangen wurde, seine Auslieferung fordert, so ist der Richter, der aus Sorge für die allgemeine Sicherheit den Verbrecher festnehmen ließ und die Untersuchung wider ihn anfing, verpflichtet, ihn an den eigentlich kompetenten Richter auszuliefern. Aber alle vor der Übergabe entstandenen Untersuchungsakten werden zugleich mit übergeben und der Fortsetzung des Prozesses bei dem zweiten Richter, der ihn nicht von neuem beginnt, zugrunde gelegt. Im gegenwärtigen Fall wußten die Gerichte zu Châtillon, daß sowohl die, die das begangene Verbrechen bezeugen, als die, die sonst Nachricht davon geben konnten, daß sogar die vermutlichen Täter selbst, sich sämtlich in dem Kirchspiel von Jeu befanden; hatten sie also nicht das Recht, hatten sie nicht sogar die Pflicht, die Untersuchung zu übernehmen?

»Daß das Kirchspiel von Jeu nicht unter der Gerichtsbarkeit von Châtillon stehe, kann man hier nicht einwenden, denn diesem Einwurf ist schon durch die unzweideutigsten Beweise in den Akten begegnet. Nur das könnte noch als ein zweifelhafter Umstand angesehen werden, ob auch das Schloß zu Nerbonne, das in dem Kirchspiel von Jeu liegt, der nämlichen Gerichtsbarkeit unterworfen sei. Es ist allerdings möglich, daß verschiedene Güter in einem Kirchspiel verschiedenen Herrschaften gehören können. Allein in der Regel wird immer angenommen, daß der Oberherr eines Kirchspiels und seine Gerichtsbeamten die Gerichtsbarkeit über das ganze Kirchspiel haben, solange nicht einzelne Güterbesitzer für sich das Gegenteil nachweisen. Die Gerichte zu Châtillon, denen die Gerichtsbarkeit über das Hauptlehn von Jeu zusteht, sind nicht verpflichtet, sich auf die Untersuchung der Rechte und Freiheiten der verschiednen Gutsbesitzer einzulassen. Sie wissen, daß das Kirchspiel von Jeu im allgemeinen ihrer Gerichtsbarkeit unterworfen ist, und dadurch sind sie berechtigt zu schließen, daß alles, was sich in dem Bezirke dieses Kirchspiels befindet, auch ihre Gerichtsbarkeit anerkennen müsse. Behauptet der Gerichtsherr von Lucay, daß Nerbonne unter seine Gerichte gehöre, so muß er sein Recht nachweisen. Bis dahin aber sind die Beamten zu Châtillon berechtigt, die Angelegenheiten der Besitzer von Nerbonne vor ihren Richterstuhl zu ziehen. Allein nicht nur diese Voraussetzung spricht für die Beamten zu Châtillon. Sie sind wirklich in dem Besitz der Gerichtsbarkeit über Nerbonne von den Angeklagten selbst anerkannt. Frau von La Pivardière ließ nach ihrer ersten Ehe bei dem Landgericht zu Châtillon um die Vernichtung eines Kaufkontrakts nachsuchen, den sie mit Bewilligung ihres Gemahls über einige zur Herrschaft von Nerbonne gehörige Grundstücke abgeschlossen hatte. Der Herr von La Pivardière hat sich selbst sogar an das nämliche Landgericht gewendet, um einen Bescheid vollstrecken zu lassen, den sein Kastellan gegeben hatte.

»Endlich aber, wenn wir zugeben wollten, daß Nerbonne unter die Gerichtsbarkeit von Lucay gehöre: was können die Beamten dieses Gerichtes zur Rechtfertigung der Untätigkeit anführen, in der sie beinah zwei Monate lang bezüglich dieses Verbrechens verharrten, das ein so allgemeines Ärgernis veranlaßte und worüber so laut gesprochen wurde? Verdient nicht diese Nachlässigkeit oder vielmehr dieses Einverständnis derselben mit den Angeklagten, daß ihnen ein Recht genommen wird, dessen Gebrauch sie bei einer Gelegenheit vernachlässigten, welche die tätigste Ausübung ihres Richteramtes forderte? Nein, in die Hände solcher Richter (wäre auch ihre Befugnis ganz außer Zweifel) wird das Parlament nie einen Prozeß legen, bei dem sie alles, was in ihren Kräften lag, getan haben, Beweise verloren gehen zu lassen, die man nie schleunigst genug sammeln kann, bevor tausend natürliche oder durch schlaue Anstalten herbeigeführte Vorfälle sie den Augen des Richters entziehen. Dieses Tribunal wird sein Arret vom 27. Januar 1698 bestätigen, das den Gerichten zu Châtillon diese Untersuchung überlassen hat, die von ihnen mit Eifer angefangen und auf seinen Befehl fortgesetzt worden ist und welche sie noch ferner gerecht und unparteiisch fortführen werden, wie es das allgemeine Beste und ihre eigne Ehre ihnen zur Pflicht macht.

»Der zweite Einwand, den die Angeklagten gegen die Gerichte von Châtillon erheben, gründet sich auf ein Arret vom Monat Mai 1688, in welchem alle die Abtei Miseray betreffenden Streitigkeiten an das Landgericht von Tours verwiesen werden und worin den Gerichten von Châtillon untersagt wird, sie sich anzumaßen.

»Dieser Befehl verträgt durchaus keine Anwendung auf den gegenwärtigen Fall. Vor dem Jahre 1688 hatten einige Gerichtsbeamte von Châtillon einen Prozeß sowohl mit der Familie des damaligen Priors von Miseray als auch mit dieser Abtei selbst. Unter den Richtern waren mehrere Verwandte von seiten der beiden Parteien, was so viele Einwände von beiden Teilen veranlaßte, daß sie endlich genötigt waren, gemeinschaftlich das Parlament um eine andere Verfügung zu ersuchen, welches darauf in dem angeführten Arret vom Monat Mai 1688 beide Parteien mit allen, sowohl die Familien untereinander als die Abtei selbst betreffenden Streitigkeiten an das Landgericht von Tours verwies. Dieses Arret nun kann nicht angesehen werden als ein Interdikt gegen die Gerichte von Châtillon, wodurch sie als ungerechte parteiische Richter verworfen würden; sondern es ist bloß ein wechselseitiger Vergleich der Parteien, dessen Wirkung aufhörte, sobald der Prozeß beendet war. Indes, wenn diese Wirkung auch noch in ihrem ganzen Umfang fortdauerte, so könnte sie doch in gegenwärtiger Angelegenheit nicht in Betracht kommen. Hier ist die Rede nicht von einem Prozeß wider den Prior von Miseray oder wider die dortigen Ordensgeistlichen. Die Untersuchung war von Anfang an bloß gegen Frau von La Pivardière und ihre Dienstmädchen gerichtet, die als Mitschuldige wegen der Ermordung ihres Herrn angeklagt waren; weder das erste Verhör noch das erste Dekret erwähnen das geringste von dem Prior von Miseray. Hier ist also ein schon völlig eingeleiteter Prozeß, bei dem weder der Prior noch die Ordensgeistlichen von Miseray Partei sind, bei dem folglich das im Jahre 1688 zugunsten der Gerichte von Tours erlassene Arret keine Anwendung finden kann. Es ist wahr, es haben sich beim Fortgang der Untersuchung Verdachtsgründe wider den Prior und seine Bedienten gefunden, wegen deren man wider sie dekretieren mußte. Allein soll ein Richter, der die volle Befugnis hat, einen peinlichen Prozeß zu führen, nicht auch das Recht haben, das mit in die Untersuchung zu ziehen, was in Beziehung auf das bei ihm angezeigte Verbrechen steht? Kann man ohne Gefahr, der Wahrheit zu schaden, die Untersuchung teilen? Kann man den Mitschuldigen den Prozeß durch irgendein Gericht machen lassen, während ein anderes über den Hauptverbrecher zu urteilen hat?

»Die dritte Beschwerde wider die Gerichte zu Châtillon ist der gewöhnliche Vorwurf, den man von allen Angeklagten hört, denen die strenge Gerechtigkeit des Richters mißfällt; immer soll entweder Eigennutz des Richters oder ein alter Haß der Grund seines Verfahrens sein. Das erstere hat man hier aus der Plünderung des Schlosses zu Nerbonne zu erweisen gesucht, die man geradezu den Gerichten von Châtillon schuld gegeben hat; wegen des zweiten hat man sich auf die Streitigkeiten berufen, durch welche die Familien des Partikulierleutnants und des Königlichen Prokurators mit der Familie des Priors von Miseray schon längst entzweit sein sollen.

»Was den Vorwurf des Eigennutzes betrifft, den man aus der Plünderung des Schlosses zu Nerbonne folgern will, so geben wir hier bestimmtere Nachricht davon. Auf die erste Nachricht von der Untersuchung, die gegen sie angestellt werden sollte, ergriff Frau von La Pivardière die Flucht, um sich den Händen, der Gerechtigkeit zu entziehen. Aber nicht zufrieden, ihre Person in Sicherheit gebracht zu haben, wollte sie auch ihre Habseligkeiten retten und gab sie verschiednen benachbarten Einwohnern in Verwahrung. In diesen Häusern fand man die Möbel aus dem Schlosse zu Nerbonne, sie waren also von ihrem gehörigen Ort schon weggebracht worden. Die Beamten folgten der Vorschrift, welche Herkommen und Gesetze wider jeden flüchtigen Angeklagten geben; sie forderten diese beiseite geschafften Möbel zurück und nahmen sie in gerichtliche Verwahrung nach Châtillon. Allein sie wurden zurückgegeben, sobald die Angeklagte sich in Arrest begab.

»Was aber die Beschuldigung der Rachsucht betrifft, so muß sowohl von seiten Herrn Morins, des Königlichen Prokurators, als auch von seiten Herrn Bonnets, des Partikulierleutnants, untersucht werden, ob ein Grund dazu vorhanden sei.

»Herr Morin hat Herrn von La Pivardière niemals gesehen, allein er kennt Frau von La Pivardière seit einiger Zeit. Diese Bekanntschaft aber gründet sich auf einen Umstand, der, weit entfernt, feindselige Gesinnungen zwischen ihnen zu erwecken, vielmehr eine vertraute Verbindung unter ihnen veranlassen konnte. Er war ein Freund von dem Hause des Herrn Seguier, der mit einer Tochter der Frau von La Pivardiere verheiratet war. Als Pate des Kindes dieser jungen Eheleute wurde er mit der ganzen Familie noch enger verbunden. Für Frau von La Pivardière hegte er sogar eine hohe Achtung und war zu jeder Gefälligkeit für sie bereit, die in seinen Kräften stand. Bei dem gegenwärtigen Vorfall aber, durch seine Pflichten aufgefordert, durfte er seine Neigung nicht zu Rate ziehen; alle Privatrücksichten mußten jetzt beiseite gesetzt werden, um der Gerechtigkeit nichts zu vergeben. Die Rache also, die er gegen diese Frau ausgeübt haben soll – wenn man es durchaus Rache nennen will – ist die Rache der Gesetze, und diese ist lobenswürdig, denn er war sie dem allgemeinen Wohl und der Sicherheit seiner Mitbürger schuldig. Aber Herr Morin wird auch von dem Prior von Miseray eines persönlichen Hasses beschuldigt, der sich auf einen alten Prozeß zwischen ihren Vätern gründen soll. Herr Morin, der in der Tat noch nie etwas von diesen Händeln gehört hatte, erfuhr erst jetzt, nachdem er, durch diesen Vorwurf veranlaßt, sich deshalb erkundigte, daß die Präsidentenstelle zu Châtillon wirklich einen Streit zwischen ihren Vätern veranlaßt hatte. Allein diese Streitigkeiten waren schon vor sechsunddreißig Jahren beigelegt worden, und eben hat Herr Morin auch das sechsunddreißigste Jahr seines Lebens erreicht. Was für einen sonderbaren Charakter müßte dieser Mann haben, wenn er einen Groll wider eine Familie hegen wollte, die schon vor seiner Geburt aufgehört hat, mit der seinigen Prozeß zu führen? Es ist also offenbar, daß Herr Morin weder gegen Frau von La Pivardière noch gegen den Prior von Miseray den geringsten Grund zur Rache hatte.

»Bei Herrn Bonnet läßt sich ebensowenig ein Beweggrund zu einem solchen Haß entdecken. Herrn und Frau von La Pivardière hat er ohnehin niemals gekannt, nie mit ihnen auch nur den gleichgültigsten Verkehr gehabt. Wodurch sollte er also wider die Angeklagte so äußerst aufgebracht und erbittert sein? Etwas mehr Schein hat diese Beschuldigung in bezug auf den Prior von Miseray. Der Vater des letztern war Generalleutnant, während Herr Bonnet schon die Stelle eines Partikulierleutnants bekleidete. Streitigkeiten wegen Amtsverrichtungen und Eifersucht wegen Amtsvorrechten verwickelten sie in häufige Mißhelligkeiten. Allein es sind sechzehn Jahre, seit der Vater des Priors tot ist, und dieser Zeitraum scheint lange genug, um eine Feindschaft auszutilgen, deren Gegenstand durch den Tod selbst entfernt ward. Es ist wahr, der Bruder des Priors ist seinem Vater in dem Amte gefolgt, mehrere der alten Mißhelligkeiten zwischen ihm und Herrn Bonnet haben sich erneuert, und es sind sogar neue hinzugekommen. Allein alle diese Umstände haben nicht die entfernteste Beziehung auf den Prior. Kann man wohl vermuten, daß der Partikulierleutnant diesem den Tod geschworen habe, weil er der Bruder des Generalleutnants ist? Was könnte er mit dieser unmenschlichen Rache gewinnen? Würde der Generalleutnant nach dem Tode seines Bruders weniger eifrig über seine Vorrechte wachen? Vielmehr würde dies ja ein Antrieb mehr sein, seine Forderung bis zum Äußersten auszudehnen. Aber, sagt man, der Prior hat selbst einen Prozeß wider Herrn Bonnet angezettelt und dadurch diesen zur Rache gereizt. Bonnet war der Mutter des Priors 120 Livres schuldig, der Prior ließ sich die Forderung abtreten, klagte wider den Schuldner und belegte seine Amtseinkünfte mit Arrest. Allein dieser Vorgang ereignete sich erst, als die Beamten zu Châtillon die Untersuchung über die Ermordung des Herrn von La Pivardière bereits angefangen hatten. Dieser Prozeß, der also erst eine Folge von jenem war, kann folglich schlechterdings nicht den Grund zu dem Verfahren gegen die Angeklagten gelegt haben, zu dem die Gerichte von Châtillon allein durch ihre Pflicht aufgefordert waren. Vielmehr erkennt man an diesem Schritt des Priors sehr auffallend, wie listig er sich einen Vorwand zu bereiten suchte, um Richter verwerflich zu machen, deren strenge Rechenschaft er fürchtete. Überdies aber darf man den Umstand nicht übersehen, daß Herr Bonnet am Anfang der Untersuchung gar nicht einmal wissen konnte, daß der Prior von Miseray mit darein verwickelt sei.

»Gesetzt aber auch, die Voraussetzung, daß Herr Bonnet jener Familienprozesse wegen den Prior hasse, wäre wirklich begründet, so wäre es doch noch immer wider die Regel, die Gerichte deshalb anzuklagen. Der Prior konnte höchstens einen Richter ablehnen, den er wider sich eingenommen glaubte; und zu diesem Zweck mußte er die Gründe dieses Verlangens in einem Memorial vorlegen. Hätte Herr Bonnet diese Gründe vernünftig und beweisend gefunden, so würde er ohne Zweifel von selbst abgetreten sein. Erst dann, wenn er sich dieser Gründe unerachtet nicht hätte abhalten lassen, die Untersuchung fortzusetzen, erst dann wäre dem Prior der Weg zur Anklage bei dem Parlament offen gewesen.

»Man beschuldigt auch noch Herrn Bonnet eines verdächtigen Zögerns in seinem Verfahren. Erst vierzig Tage nach der Mordtat, sagt man, begab er sich nach Nerbonne, und wenn man nachher Spuren von Blut in dem Zimmer fand, wo seinem Vorgeben nach der Mord geschehen sein soll, so hatte er wenigstens Zeit genug gehabt, selbst Blut dahin bringen zu lassen, um dadurch seinem Verfahren eine Berechtigung zu geben.

»Es ist nicht zu leugnen, daß lange Zeit darüber verging, bis dieser Prozeß angefangen wurde. Aber die Beweise der Mordtat waren schwer zu erhalten. Die Zeugen bequemten sich nicht eher zum Zeugnis, bis Zeugenaufforderungen von der Kanzel und Furcht vor Kirchenbann sie nötigten; und auch dann noch zauderten sie, solange sie konnten; sie wurden durch die Macht der Familie Charost in Furcht gehalten. Daß aber Herr Bonnet sich erst spät nach den ersten Zeugenverhören nach Nerbonne begab, kam daher, weil er zu Jeu Zeugen genug zu einem vollkommenen Beweise fand. Überdies wußte er, daß Frau von La Pivardière schon auf die erste Nachricht von den angefangenen Untersuchungen mit ihren Kindern und Bedienten geflüchtet und auch nicht eine Person auf dem Schlosse anzutreffen sei. Er hielt es unter diesen Umständen für hinreichend, einige Gerichtsdiener abzuschicken, durch welche er die etwa noch vorhandnen Möbel aufschreiben und in Verwahrung nehmen und sich einen schriftlichen Bericht über den Zustand, in dem sie alles gefunden hatten, geben ließ. Diese Gerichtsbedienten fanden nicht ein einziges solches Indizium, das ihn hätte bestimmen können, sich selbst dahin zu begeben. Sobald er aber durch neuere Zeugenaussagen erfuhr, daß man Spuren von Blut bemerke, säumte er keinen Augenblick, den Platz selbst in Augenschein zu nehmen und ein Protokoll über die Besichtigung anzufertigen. Dieses Zögern hatte also seinen Grund nicht in der Nachlässigkeit des Richters, sondern in der Langsamkeit der Zeugen, die diesen Umstand anbrachten. Daß aber Herr Bonnet und Herr Morin sogar selbst diese Spuren von Blut haben anbringen lassen sollen, ist die schwärzeste Verleumdung, die jemals erdacht worden ist. Man darf nur die Zeugenverhöre lesen, um sich völlig davon zu überzeugen. Hat nicht die Tochter des Herrn von La Pivardière dieses Blut schon am 16. August gesehen, am Tage nach der Mordtat? Haben es nicht Nikolaus Mercier und vier andere Zeugen drei Tage nachher bemerkt? War Herr Bonnet etwa schon von allen Umständen dieses Verbrechens vorher so unterrichtet, um in der Nacht noch Blutflecken anbringen lassen zu können? Warum will man nicht lieber auch noch behaupten, er habe sogar auch die Tücher mit Blut beflecken lassen, die Frau von La Pivardière selbst im Bach auswusch?

»Aus diesem allen ergibt sich, daß diese Beschuldigungen, weit entfernt die verdächtig zu machen, gegen welche sie gerichtet sind, nur ihre Rechtschaffenheit in ein desto glänzenderes Licht setzen. Man hat diese Beschuldigungen nur vorgebracht, um Richter von dem Prozesse zu entfernen, die man als unbestechlich kennt, um andre an ihre Stelle zu bringen, die, durch Bande der Freundschaft oder des Eigennutzes gefesselt, gefälliger sein werden und weniger bestrebt, die Wahrheit in den Irrgängen aufzusuchen, durch die man sie dem Auge des Richters zu entziehen sucht.

»Der vierte und letzte Grund, den man wider das Verfahren der Gerichte zu Châtillon anführt, ist das wirkliche Dasein des Herrn von La Pivardière.

»Man hat schon gesehen, wie zweifelhaft dieses Dasein ist und daß die Person, der man die Rolle des Herrn von La Pivardière aufgetragen hat, des Betrugs im höchsten Grade verdächtig sei. Allein es ist hier nicht der Ort, diesen Umstand von Grund aus zu untersuchen; es ist hier bloß darum zu tun, das Verfahren der Gerichte von Châtillon zu rechtfertigen.

»Wäre es auch wahr, daß der zur Untersuchung stehende Mord nicht verübt worden sei, daß Herr von La Pivardière wirklich noch lebe, daß nie jemand einen Angriff auf sein Leben gewagt habe, so wäre das Verfahren jener Beamten darum doch weder weniger gerecht noch weniger regelmäßig. Sie wußten, daß die beiden Eheleute längst in Uneinigkeit lebten; es war allgemein bekannt, man sprach in der ganzen Gegend davon; jedermann schob die Schuld an der beständigen Abwesenheit des Herrn von La Pivardière auf die ungeziemende Aufführung seiner Gattin, auf die unerlaubten Beziehungen derselben, durch die er seine Ehre verletzt fühlte, die er aber weder selbst noch mehr ruchbar machen, noch als Zuschauer ruhig mit ansehen wollte. Nun verbreiteten auf einmal die Nachbarn das Gerücht von seiner Ermordung; und zwar kam die erste Nachricht von den zwei Dienstmädchen, die bei dem Mord selbst gegenwärtig gewesen waren. Sollte ein Gerücht, das sich auf die Erzählung zweier Augenzeugen gründet, nicht eine gültige Veranlassung zur Klage des Fiskals und zur gerichtlichen Untersuchung geben? Das Gerücht wurde durch die abgehörten Zeugen bestätigt: war dies nicht Grund genug zu den erlassenen Dekreten?« –

In dieser Lage befand sich die Sache, als endlich nach fünfzehn noch vorher darüber gehaltenen Gerichtssitzungen am 23. Juli 1698 ein Urteil erfolgte. »Das Verfahren des Vizegérent von Bourges«, hieß es in diesem Arret, »wird für null und nichtig erklärt, weil er unterlassen hat, den Zeugen bei ihrer Konfrontation mit dem Prior von Miseray ausdrücklich die Erklärung abzufordern, ob der, den er ihnen vorstelle, die Person wirklich sei, von der sie in ihren wiederholten Verhören gesprochen hatten. Aus ebendiesem Grunde, weil diese Formalität dabei versäumt worden ist, werden auch die von den Gerichten zu Châtillon angestellten Konfrontationen annulliert. Katharine Lemoine und Margarete Mercier samt den übrigen Zeugen sollen deshalb mit dem Prior von Miseray auf Kosten des Partikulierleutnants zu Châtillon noch einmal konfrontiert werden; die Zeugen, welche vor den Gerichten zu Lucay und Châtillon abgehört worden sind, sollen durch den Kriminalleutnant zu Chartres, der hiermit zum Kommissar ernannt wird, alle aufs neue verhört und nach Befinden mit den Angeklagten konfrontiert werden. Ebendieser neu ernannte Kommissar erhält auch die Vollmacht, wider Margarete Chauvelin, die Gattin des La Pivardière, und die zwei Dienstmädchen derselben, wider den Prior von Miseray und dessen Bedienten Regnaut den Prozeß fortzusetzen und auf Ansuchen des Königlichen Prokurators zu Chartres selbst mit Einschluß des Endurteils zu entscheiden, doch mit dem Vorbehalt, im Fall einer Appellation die Vollstreckung aufzuschieben. In gleicher Absicht soll auch der Erzbischof von Bourges gehalten sein, einen andern Offizial zu bestellen, um die Konfrontationen mit dem Prior von Miseray in der Ordnung vornehmen zu lassen und die ganze Untersuchung wider ihn nach den Regeln einzurichten, welche die peinliche Prozeßordnung bei geistlichen Personen vorschreibt. Diesen Verordnungen zufolge sollen die bei den Gerichten zu Châtillon und zu Lucay bisher verhandelten Akten an den Kriminalleutnant von Chartres eingeschickt und die Arrestanten unter einer sichern Bedeckung in das Gefängnis zu Chartres gebracht werden. Der Prior von Miseray, die Frau des La Pivardière und Regnaut werden mit ihrem Gesuch wegen Vergleichung der Handschrift des angeblichen La Pivardière ebenfalls an diesen Kommissar zu Chartres verwiesen, der bei Untersuchung der Hauptsache beiläufig auch über diesen Punkt verfügen wird, was Rechtens ist. Das ganze Verfahren des Kriminalleutnants von Romorantin wird infolge der von dem Generalprokurator eingelegten Appellation für null und nichtig erklärt und demzufolge der angebliche La Pivardière mit seiner Zwischenklage und mit seinem übrigen Gesuch abgewiesen. Der Prior von Miseray ist seiner Fesseln zu entledigen. Hinsichtlich der wider die Gerichte von Châtillon angebrachten Klage soll vor der Hand nichts weiter vorgenommen werden. Ferner wird auf Ansuchen des Generalprokurators verordnet, den Louis du Bouchet, der sich von La Pivardière nennt, in Haft zu nehmen und in das Gefängnis zu Chartres zu bringen, um ihn über das zu verhören, was der Königliche Prokurator zu Chartres gegen ihn anbringen wird. Übrigens wird auch noch dem Partikulierleutnant zu Châtillon die Weisung gegeben, künftig, wenn er eine Konfrontation der Zeugen mit dem Beklagten vorzunehmen hat, ihnen eine bestimmte Erklärung abzufordern, ob der gegenwärtige Angeklagte wirklich der sei, von dem sie in ihren wiederholten Aussagen gesprochen haben, und wenn er diese Erklärung niedergeschrieben hat, sie das Protokoll selbst lesen zu lassen. Auch wird ihm untersagt, die Zeugen während der Konfrontation zu unterbrechen, wenn er nicht ausdrücklich von dem Angeklagten dazu aufgefordert wird, oder den Angeklagten vor der Konfrontation über die von den Zeugen angegebenen Umstände zu verhören. Er soll überhaupt nicht zur Konfrontation schreiten, bevor nicht richterlich darauf erkannt worden ist, und ebensowenig bei Anhörung der Zeugenaussagen den Zeugen eine Frage vorlegen. Endlich wird ihm auch befohlen, wenn er in Zukunft genötigt sein sollte, einen andern als den bei dem Gericht angestellten Aktuar zu gebrauchen, ihn nach der Vorschrift der königlichen Verordnungen zuvor förmlich in Eid und Pflicht zu nehmen.«

Nichts konnte weiser sein, als die in diesem Arret enthaltenen Verordnungen. Solange der Richter sich nur mit dem Aufsuchen der Beweise für die Tatsachen beschäftigt, durch die er sein Urteil begründen will, beschränkt ihn sein Amt darauf, aufmerksam zu beobachten, was vorgeht und was gesagt wird, und alles von seinem Aktuar genau registrieren zu lassen. Der Zeuge muß volle Freiheit bei seiner Aussage haben; er muß durch keine Zwischenfrage verleitet werden, mehr oder weniger zu sagen, als er weiß. Der Richter kann durch eine einzige Frage, durch ein einziges Wort ihn veranlassen, der Wahrheit untreu zu werden. Er fängt an zu raten, auf welche Seite sich der Richter neige, und er modifiziert seine Aussage nach dieser Mutmaßung. Oder er bildet sich ein, der Richter sei schon durch andere Zeugen von Tatsachen unterrichtet, denen seine Aussage widersprechen könnte; er wird dadurch ängstlich, er fürchtet, in den Verdacht eines falschen Zeugnisses zu fallen, und der kleinste Nachteil, der aus dieser Vorstellung erwachsen kann, ist, daß seine Erzählung die natürliche ungekünstelte Einfalt verliert, welche das sicherste Kennzeichen der Wahrheit ist, daß alles, was er vorbringt, gezwungen und unbestimmt und seine Aussage dadurch selbst dunkel und zweideutig wird, daß er vielleicht sogar eine Unwahrheit sagt.

Ebenso ist es mit Recht dem Richter untersagt, das Protokoll durch einen andern als den beim Gericht verpflichteten Aktuar führen zu lassen. Der Aktuar ist zwar, wenn man will, nichts weiter als des Richters Schreiber, der zu Papier bringt, was dieser verhandelt. Allein nichtsdestoweniger ist der Aktuar in gewissem Betracht auch des Richters Zensor; er soll bloß der Wahrheit dienen und muß sich ernstlich widersetzen, etwas niederzuschreiben, was gegen die Wahrheit wäre oder sie auch nur in ein zweideutiges Licht setzen könnte. Der Richter sollte freilich nie parteiisch sein. Allein leider gibt uns die Erfahrung nur zu viele Beweise vom Gegenteil. Die Sache ist also möglich, und die Klugheit erfordert demnach, daß man einem Richter nicht die Wahl lasse, zu seinem Beobachter zu nehmen, wen er will. Deshalb muß er den behalten, den das Gesetz ihm gibt; und er wird durch seinen eignen Vorteil aufgefordert, sich einer Verfügung zu unterwerfen, die ihn selbst vor dem Verdacht der Untreue schützt.

Inzwischen hatte derselbige Mann, den das eben angeführte Arret den angeblichen La Pivardière nennt, wider den es gefängliche Haft dekretiert und dem es den Prozeß zu machen verordnet hatte, von dem König folgenden Geleitsbrief erhalten, den wir hier wörtlich mitteilen wollen.

»Im Namen des Königs!

Es ist Ihro Königlichen Majestät von Ludwig von La Pivardière, Herrn von Bouchet, gewesenen Leutnant bei dem Regiment von Sainte Hermine, in einer Bittschrift vorgetragen worden: daß Frau Margarete Chauvelin, seine Ehefrau, während seiner Abwesenheit angeklagt worden sei, ihn ermordet zu haben, und daß man ihr bisher den förmlichen Prozeß darüber gemacht habe, obgleich eine große Anzahl der Einwohner seines Kirchspiels, die benachbarten Edelleute und selbst mehrere seiner Verwandten bezeugt haben, daß sie nach der besagten Anklage ihn gesehen, mit ihm gegessen und getrunken hätten, welches man für hinreichend hätte halten sollen, um jenen Prozeß sogleich niederzuschlagen; indes da die Richter auf diese mündlichen und schriftlichen Zeugnisse von seinem fortdauernden Leben keine Rücksicht genommen hätten, so bleibe ihm kein anderes Mittel übrig, die wider seine Frau und ihre vermeintlichen Mitschuldigen angesponnene Untersuchung zu hemmen, als daß er durch die Darstellung seiner Person selbst beweise, daß er wirklich noch lebe; allein da er unglücklicherweise in die Lage versetzt sei, sich selbst des Verbrechens der Doppelheirat anklagen zu müssen und nicht wagen könne, sich vor Gericht zu stellen, aus Furcht, daß man ihm teils dieses Verbrechens wegen den Prozeß machen, teils dem auf seine Zwischenklage erlassenen Parlamentsbefehl gemäß ihn sogleich gefangen setzen werde: so finde er sich gedrungen, bei Ihro Königlichen Majestät Schutz zu suchen und um ein sicheres Geleit alleruntertänigst zu bitten, kraft dessen er ungehindert öffentlich erscheinen und die Unschuld seiner Gattin rechtfertigen könne. Da nun dieses Gesuch Seiner Königlichen Majestät nicht unbillig erscheint: so wollen Allerhöchstdieselben besagtem Ludwig von La Pivardière, Herrn von Bouchet, für seine Person ein sicheres Geleit auf drei Monate zugestehen und nehmen denselben kraft gegenwärtigen Briefes während dieser Zeit in Dero besondern königlichen Schutz, befehlen auch zu dem Ende allen Dero Gouverneuren und Generalleutnants in den Provinzen, den Gouverneuren in Städten und Festungen, Maires, Räten, Befehlshabern und übrigen Beamten, denen gegenwärtiger Geleitsbrief vorgezeigt werden wird, daß sie besagten Herrn von Bouchet während der ihm zugestandenen drei Monate frei und ungehindert aus und ein und durch gehen und sich aufhalten lassen, und nicht gestatten oder dulden, daß man unter irgendeinem Vorwand seine Person angreife noch irgendwie beunruhige. Auch untersagen Seine Majestät ausdrücklich allen peinlichen Richtern sowie den Offizieren von der Polizeiwache sich seiner Person zu bemächtigen; sowie auch allen Gerichtspedellen, Gerichtsdienern und Schergen verboten wird, irgendein Urteil, Bescheid oder Arret wider den besagten von Bouchet zu vollstrecken, von was immer für einem Gerichtshof es gesprochen sei, selbst das Parlament zu Paris nicht ausgenommen; wie denn auch kein Stockmeister und Gefangenwärter sich unterfangen soll, denselben in ein Gefängnis aufzunehmen. Alles dies soll während der bestimmten drei Monate also gehalten werden, bei Strafe von tausend Livres und Verlust seines Amtes für den Übertreter dieses Befehls. Das ist Unsre Willensmeinung.

Gegeben zu Versailles, den 26. August 1698.

Louis.«

Bewaffnet mit einem so viel umfassenden Geleitsbrief, der während des Prozesses noch mehrmals erneuert wurde, stellte sich nun der besagte La Pivardière am 1. September 1698 selbst freiwillig als Arrestant im Fort-l’Eveque zu Paris. Er schrieb sich folgendermaßen in das Register der Gefangenen ein: »Herr Ludwig von La Pivardière, Ritter, Herr du Bouchet, hat sich freiwillig in gegenwärtiges königliches Gefängnis begeben, weil er vernommen, daß durch ein Arret des Parlaments zu Paris vom 23. Juli dieses Jahres, auf Ansuchen des Herrn Generalprokurators, wider einen gewissen Ludwig du Bouchet, der sich den Namen von La Pivardière beilege, Verhaftung erkannt worden sei, unter der Voraussetzung, daß derjenige, der sich vor dem Kriminalleutnant zu Romorantin gestellt hat und sich für den Ehemann von Margarete Chauvelin ausgab, ein Betrüger sei, der sich den Namen des Ludwig von La Pivardière fälschlich angemaßt habe. Da nun er selbst derjenige ist, der sich vor dem Richter zu Romorantin gestellt hat, von welchem er auch wirklich anerkannt wurde, so stellt er sich jetzt hier freiwillig als Gefangener, um zu beweisen, daß er der wahre Ludwig von La Pivardière, Ritter, Herr du Bouchet, und Ehemann der Frau Margarete Chauvelin sei; wobei er jedoch freilich bemerkt, daß er durch diesen Schritt dem besagten Arret sich keinesweges unterwerfe, sich vielmehr vorbehalte, zu seiner Zeit und am gehörigen Ort dagegen Berufung einzulegen, und von dem sichern Geleit, das der König ihm zu bewilligen die Gnade gehabt hat, sich nicht das geringste vergeben wolle. Zu Urkund dessen hat er sich in diesem Register der Gefangenen eingeschrieben. Ludwig von La Pivardière du Bouchet.«

Wir haben unsern Lesern diese beiden Schriftstücke wörtlich mitgeteilt, um recht auffallend zu zeigen, mit welcher Sicherheit der angebliche Betrüger sich den Händen der Gerechtigkeit überliefert und mit welcher Sicherheit er sich sogar dem Thron naht, um den Monarchen selbst glauben zu machen, daß er in der Tat der sei, dessen Namen er fälschlich angenommen zu haben beschuldigt werde.

Ein noch günstigerer Umstand zu seiner Rechtfertigung war es, daß der Geleitsbrief, von dem wir eben gesprochen haben, das Werk der nämlichen Frau war, die La Pivardière zu Auxerre geheiratet hatte. Es ist schon erzählt worden, daß diese zweite Frau ihren treulosen Ehegatten selbst bewogen hatte, sich auf seinem Schlosse persönlich zu zeigen. Da aber dieser Schritt seine Wirkung verfehlt hatte und die unglückliche Doppelheirat immer im Wege stand, noch einen Schritt weiter zu tun, so beschloß sie endlich, das Hindernis selbst zu heben. Sie ging nach Versailles und warf sich Ludwig XIV. zu Füßen. Die reizende Anmut der schönen Bittenden rührte den Monarchen; er hob sie auf und hörte sie sehr gnädig an. »Ein solches Frauenzimmer«, sagte er endlich, »verdient ein besseres Schicksal«, und mit Bewunderung über ihre Großmut erfüllt, bewilligte er ihr sogleich den verlangten Geleitsbrief für ihren Mann.

Sobald sich nun La Pivardière in Arrest begeben hatte, war der erste Schritt, den er tat, daß er am 10. Dezember 1698 die Erlaubnis auswirkte, gegen den Parlamentsspruch vom 23. Juli desselben Jahres sich des Rechtsmittels zu bedienen, das in den französischen Rechten requête civile heißt, und während man noch mit der Anordnung dieses Rechtsmittels beschäftigt war, dem sich Frau von La Pivardière und der Prior von Miseray mit seinen zwei Bedienten anschlossen, erfolgte ein Arret vom Conseil, das die Untersuchung der Hauptsache, die das Parlament durch sein Arret vom 23. Juli 1698 in die Hände des Kriminalleutnants von Chartres gegeben hatte, dem Parlamente selbst übertrug.

Während dies vorging, starb Herr Bonnet, der Partikulierleutnant zu Châtillon, und seine Familie sah sich daher genötigt, zur Ehre seines Andenkens um Beilegung der wider ihn angebrachten Beschwerden nachzusuchen, was ihr auch bewilligt wurde. So blieb also Herr Morin, der Königliche Prokurator, allein in die Sache verwickelt.

Herr von La Pivardière erhielt hierauf am 13. Februar 1699 ein Arret, in welchem beschlossen wurde: »daß man zuallererst, ehe noch auf die requête civile erkannt werden könne, auf das Gesuch des Generalprokurators Rücksicht nehmen und darüber, ob der Herr von La Pivardière wirklich noch lebe oder ob es nicht ein anderer sei, der seinen Namen fälschlich mißbrauche, Zeugen verhöre anstellen, den angeblichen La Pivardière selbst vernehmen und seine Hand- und Unterschriften durch Sachverständige vergleichen lassen solle.«

Dieses Arret forderte also drei Arten von Beweisen:

Erstlich die Beweise, die sich aus den Antworten und Erzählungen des La Pivardière bei seinen Verhören ergeben würden. Es würde ebenso überflüssig als ermüdend sein, alle die einzelnen Antworten anzuführen, welche seine ganze Lebensgeschichte umfassen. Es wird genug sein, wenn wir versichern, daß die Richter alles versucht haben, was nur die höchste Feinheit für einen solchen Fall ersinnen kann, um Aufschlüsse zu erhalten, überraschende Wendungen und Fragen über die geheimsten Tatsachen. Auch Frau von La Pivardière, welche mit der möglichsten Vorsicht, jedes Einverständnis mit ihrem Ehemann zu verhindern, über die nämlichen Tatsachen besonders verhört wurde, hatte alles ebenso beantwortet wie er. Mit einem Wort, die Antworten von beiden Seiten waren immer genau und übereinstimmend.

Die zweite Art der verlangten Beweise betraf die Zeugenaussagen. Es waren vierundzwanzig Zeugen, die bei dem Parlament verhört worden waren. Man muß sie aber hinsichtlich ihres Wertes unterscheiden. Einige waren ganz unnütz, andere unzulässig; nur die dritte Klasse enthielt solche, auf deren Zeugnis man bauen kann. Als unnütze Zeugen wurden alle die angesehen, die nur von Hörensagen sprechen. Bei einer Untersuchung wie die gegenwärtige kann das bloße Hörensagen eigentlich gar keinen Aufschluß geben. Von der zweiten Klasse, die ebensowenig brauchbar sind, wollen wir nur zwei charakterisieren; von diesen wird man auf die übrigen schließen können. Der eine war schon vor einiger Zeit zu den Galeeren verurteilt worden und hatte seine Strafe noch nicht einmal verbüßt. Dieser sagte: er erkenne den angeblichen Herrn von La Pivardière nicht dafür, wofür er sich ausgebe. Allein das Zeugnis eines solchen Menschen verdient gar keine Beachtung, obschon ihn die Gerichte von Châtillon gewählt hatten, ihre Zitationen durch ihn insinuieren zu lassen. »Wären wir von diesem Umstand unterrichtet gewesen,« sagt Herr von Aguesseau, damaliger Generaladvokat und nachheriger Kanzler, »so würden wir ihn gar nicht zum Zeugen genommen haben. Die Gerechtigkeit, welche die Aufhellung der Wahrheit verlangt, verlangt sie nicht durch den Mund von Leuten, die gebrandmarkt sind; jeder, der es ist, ist ihr verdächtig. Wir haben uns selbst über das Verfahren des Herrn Bonnet sehr gewundert. Er ist tot, aber was auch immer sein Andenken dabei zu leiden habe, wir müssen gestehen, daß er höchst tadelnswürdig gehandelt hat, einen Menschen zum Zeugen zu gebrauchen, von dem er wissen mußte, daß er zu allen gerichtlichen Diensten unfähig sei, da er selbst ihn zu den Galeeren verurteilt und dieser keine Appellation gegen seinen Spruch eingelegt hatte. Uns wurde dieses Urteil erst nachher vorgelegt; aber wir haben darauf sogleich sein Zeugnis verworfen.« Der andere Zeuge von dieser Gattung war ein Prior von den Augustinern, welcher auch behauptete: derjenige, der jetzt der wahre Herr von La Pivardière sein wolle, sei nicht der, den er ehemals unter diesem Namen gekannt habe. Allein dieses Zeugnis wurde für ungültig erklärt, weil dieser Prior mit der Familie des verstorbenen Herrn Bonnet in der engsten Verbindung stand. Achtzehn Zeugen waren aber übrig, an denen nichts auszusetzen war und die ein bestimmtes Zeugnis ablegten. Alle diese bezeugten, daß sie den Arrestanten als den wahren Herrn von La Pivardière erkannten, und bestätigten ihr Zeugnis durch die Angabe so vieler einzelner Umstände, daß man ihnen notwendig Glauben beimessen mußte. »Statt achtzehn Zeugen«, sagt Herr von Aguesseau, »hätten wir eine noch weit größere Anzahl bekommen können, wenn es uns zur Aufklärung der Wahrheit nötig erschienen wäre. An Zeugnissen hat es uns nicht gefehlt. Was kann man mehr verlangen, als daß mehr als dreihundert Personen bei der Untersuchung des Beamten von Romorantin den Herrn von La Pivardière erkannt haben?«

Der dritte Beweis, den das Arret forderte, betraf die Vergleichung der Handschrift. Sieben Sachverständige haben diese Untersuchung angestellt, und jeder hat darüber, wie es die Ordnung fordert, einen besondern Bericht erstattet. Alle fanden eine vollkommne Gleichheit zwischen den Zügen derjenigen Schriftstücke, die Herr von La Pivardière vor der Anklage zu einer Zeit geschrieben hatte, da er ganz unverdächtig war, und denjenigen, die von ihm nach dieser Zeit geschrieben und zur Rechtfertigung seiner Gattin eingeschickt waren. Ein einziger Umstand hätte noch Zweifel erregen können. Er hatte sich nämlich bald La Pivardièrre mit einem doppelten r, bald mit einem einfachen unterschrieben. Allein die Sachverständigen fanden diese Verschiedenheit auch in solchen von den vorgelegten Urkunden, die alle authentisch waren: in seinem Heiratskontrakt, in Lehnsurkunden, Rechnungen, Schuldscheinen und andern dergleichen Papieren. Diese Verschiedenheit konnte also gar kein Bedenken erregen, zumal man in den Schriften selbst bei der genausten Vergleichung eine vollkommne Ähnlichkeit fand.

Diese Beweise erhielten ein neues Gewicht durch die Vermutungen, die Herr von Aguesseau ihnen an die Seite setzte. »Es ist schwer zu glauben,« – sagt er – »daß dieser Mensch ein Betrüger sei. Die kurze Zeit zwischen dem angeblichen Mord und seiner freiwilligen Stellung, die Schwierigkeit, eine ganze Provinz zu betrügen, alles dies spricht zu seinem Vorteil. Betrüger gebrauchen Zeit, ihre Rolle zu lernen; gemeiniglich nähren sie ihren Betrug erst mehrere Jahre in ihrem Busen, ehe sie ihn zur Welt bringen, damit er schon Festigkeit genug habe, wenn sie ihn wirklich aushecken. Ein Mensch, der öffentlich auftritt, da er kaum einen Monat zu seiner Vorbereitung Zeit gehabt hat, kann also wohl kein Betrüger sein. Überdies erscheint er ja nicht, um etwa eine fette Erbschaft zu erobern und sich in den Platz eines reichen Mannes einzudrängen oder um eines andern Vorteils willen. Der Eigennutz, die gewöhnliche Triebfeder aller Betrüger, leitet nicht die Schritte dieses Mannes. Er streitet sogar gegen seinen eignen Vorteil. Er kann nicht behaupten, daß er der wahre La Pivardière sei, ohne zugleich sich als den Gemahl einer Gattin zu bekennen, die des Ehebruchs beschuldigt ist, und ohne sich selbst des Verbrechens der Doppelheirat anzuklagen. Seine Anerkennung kann also für ihn keine andern Folgen haben, als ihn wegen der Ausschweifungen seiner Gattin, die wenigstens den Verdacht nie wird von sich ablehnen können, mit Schimpf und Schande zu bedecken und zugleich die Strafe der Doppelheirat über ihn zu verhängen. Ist es wohl natürlich, daß ein Mensch, der, um sich für einen andern auszugeben, zu einer Zeit auftritt, wo noch kein Zwischenraum von Jahren die Züge dessen, den er vorstellen will, verändert, noch keine lange Zwischenzeit das Bild desselben in dem Gedächtnis seiner Bekannten verlöscht haben kann; der von seiner Stellung, ohne einen Vorteil davon erwarten zu können, nichts Geringeres zu fürchten hat, als daß er durch die Aufführung seiner Frau mit Schande bedeckt und wegen seiner Doppelheirat mit dem Tode bestraft werde –, daß ein solcher Mensch ein Betrüger sei? Die Geschichte und die Jahrbücher der Gerichtshöfe weisen selbst unter den kühnsten Betrügern kein solches Beispiel auf.«

Es war unmöglich, den Mann, der von so vielen Zeugnissen und Vermutungen unterstützt, sich vor den Richtern gestellt hatte, nicht als den Herrn von La Pivardière anzuerkennen. Folglich waren eben dadurch auch alle die als unschuldig erklärt, die als seine Mörder angeklagt waren.

Indessen muß man bekennen, daß Gründe vorhanden gewesen waren, ihre Schuld an jenem Verbrechen zu vermuten, ebenso wie sich auch auf der andern Seite Gründe zu ihrer Rechtfertigung fanden. Auf der einen Seite der Verdacht eines strafbaren Umgangs, dessen die Frau von La Pivardière beschuldigt war; das plötzliche Verschwinden ihres Ehegatten; Zeugen, die seine letzten Worte gehört haben wollten; zwei Mägde, welche die Mordtat mit vielen Umständen erzählten; blutige Tücher, die man Frau von La Pivardière waschen sah. Auf der andern Seite unverwerfliche Zeugen, die erklärten, daß sie denjenigen, den sie für ermordet gehalten, wirklich gesehen hätten; der Widerruf der Mägde; der Antrag eines Menschen, sich vor Gericht zu stellen und zu beweisen, daß er der sei, dessen Ermordung untersucht werde –: diese und tausend andere Umstände erregten Zweifel und konnten, auf welche Seite man sich auch wandte, zum Irrtum führen. Es war ebenso gefährlich zu glauben, daß La Pivardière ermordet sei, als daß er noch lebe; welche Partei man ergriff, so widersprach die Entscheidung den Beweisen der andern Partei. Dieser Widerstreit der Beweise, womit auf der einen Seite die Angeklagten, auf der andern die Ankläger ihre Behauptung unterstützten, erforderte eine neue Untersuchung, um die Wahrheit noch genauer zu erforschen und neue entscheidendere Gründe aufzusuchen.

Diese Betrachtungen sind eine Verteidigung des Arrets, das durch die requête civile angefochten wurde. Jenes Arret hatte aus keiner andern Absicht, als um jene so nötige Aufklärung zu erlangen, wider den Menschen, der sich für La Pivardière ausgab, die Verhaftung dekretiert, damit die Richter instand gesetzt würden, die verschiednen Umstände, die sich durch seine persönliche Gegenwart ergeben könnten, zur Entdeckung der Wahrheit zu benutzen. Nachdem er sich seinen Richtern freiwillig gestellt hatte, war diese Absicht erreicht. Man hatte die Beweise erlangt, die man so sorgfältig gesucht und um derentwillen man alles in Bewegung gesetzt hatte.

»Dessenunerachtet«, sagt Herr von Aguesseau, »sind wir vielleicht doch betrogen. Aber wenn wirs sind, so geschieht es ganz normal; die Stärke der Beweise stürzt uns in Irrtum; die Vorschriften der Gesetze selbst täuschen uns. Die Vorsehung, die dem menschlichen Geiste Schranken gesetzt hat, läßt es oft zu, daß unser eigner Verstand uns trügt. Ist ein Irrtum nur in diesem ewigen unabänderlichen Gesetz unseres Geistes begründet, so können wir uns darüber beruhigen. Ist der Mann, den wir jetzt für den wahren La Pivardière halten, dennoch ein Betrüger, so sind wir uns wenigstens bewußt, daß wir nichts versäumt haben, seinen Betrug zu entdecken, und daß wir alles in Bewegung gesetzt haben, die Wahrheit zu finden.«

Jener angefochtene Parlamentsspruch war also vorgeschrieben durch die Billigkeit und die Notwendigkeit, den einzigen Weg zu ergreifen, der zur Ergründung der Wahrheit offen war. Aber der, um den die Angeklagten baten und der jenen wieder aufheben sollte, war nicht weniger notwendig, ohne deshalb die Richter mit sich selbst in Widerspruch zu setzen. »Es ist viel mehr«, setzt Herr von Aguesseau hinzu, »eine Folge der strengen Gerechtigkeit, als ein Vorwurf für die Richter. Nichts zeigt deutlicher ihre Unbefangenheit, als die Bereitwilligkeit, zugunsten der Unschuld ihren Ausspruch zurückzunehmen. Man urteilt nach den Gründen, die man hat. Trauriges Los der Menschheit, daß man deren nie zu viel hat! Noch trauriger für die Richter, deren Einsicht die Wahrheit zu entrücken man gewöhnlich so eifrig bemüht ist! Wenn das Parlament das erstemal den Herrn von La Pivardière für einen Betrüger erklärte, so berechtigten alle Umstände zu diesem Ausspruch. Wenn es heute für ihn spricht, so bleibt die Gerechtigkeit dieses Tribunals deshalb doch ungekränkt. Die Umstände haben sich geändert, und von den Umständen hängt die Entscheidung ab. Man kann also mit Recht sagen, daß das Parlament bei beiden Urteilen Gründe gehabt habe, sie gerade so abzufassen.«

Den oben angeführten Beweisen zufolge wurde am 22. Juli 1699 ein Arret erlassen, wodurch »Herr von La Pivardière über die Anerkennung seiner Person gerichtliche Beglaubigung erhielt. Dieser Anerkennung gemäß nahm das Parlament die requête civile von ihm an und setzte sämtliche Parteien wieder in den Stand, in dem sie vor dem 23. Juli 1698 gewesen waren. Zu dem Ende wurde auch befohlen, Herrn von La Pivardière sogleich auf freien Fuß zu setzen.«

Ein Arret, wodurch eine requête civile angenommen wird, kann in der Hauptsache nichts entscheiden; es kann keine andere Wirkung haben, als daß die ganze Sache wieder in die nämliche Lage kommt, in der sie sich vor dem durch die requête civile angefochtenen Arret befand. Das war die Ursache, warum Herr von La Pivardière von sämtlichen Gefangnen der einzige war, der auf freien Fuß kam. Er hatte seine Freiheit vor jenem Arret, welches durch das gegenwärtige aufgehoben wurde. Dies war aber nicht der Fall bei den übrigen Angeklagten. Sie wurden nicht erst kraft jenes Arrets vom 23. Juli 1698 verhaftet, sondern waren es schon vorher; sie mußten es also bleiben, weil die Wirkung des letzten Urteils sich schlechterdings darauf beschränkte, die Sachen so herzustellen, wie sie vor jenem Arret waren, das durch dieses letztere aufgehoben wurde. Allein diese Angeklagten erhielten dadurch das Recht, aufs neue ihre Klage wider die Gerichte von Châtillon fortzusetzen, ein Recht, das ihnen das Arret vom 23. Juli 1698 genommen hatte.

Man begreift leicht, daß das weitere Verfahren gegen die Angeklagten – nach dem bereits als entschieden anerkannt war, daß La Pivardière wirklich noch lebe und man überzeugende Beweise in Händen hatte, daß niemand einen Angriff auf sein Leben gemacht habe – bloß der Form wegen geschah und nur die Veranlassung geben sollte, sie durch ein Endurteil feierlich loszusprechen. Davon waren freilich die beiden Mägde ausgenommen, die des Verbrechens, ein falsches Zeugnis abgelegt zu haben, überführt und überwiesen, bestraft werden mußten. Es wurde daher die Fortsetzung ihres Prozesses verfügt. Inzwischen starb Katharine Lemoine, noch ehe es zur Entscheidung kam, und die Untersuchung wegen falschen Zeugnisses konnte also nur wider Margarete Mercier fortgesetzt werden. Die übrigen Parteien aber hatten nichts weiter zu tun, als vorzustellen, daß ihre Rechtfertigung die notwendige Folge von dem Leben des Herrn von La Pivardière und der wider sie angesponnene Prozeß bloß eine Frucht des Hasses und der Rachsucht sei, durch welche die Richter zu Châtillon geleitet worden seien.

Wir wollen jetzt unsern Lesern diese letzte Periode des Prozesses vor Augen führen, und sie werden daraus ersehen, wie es möglich war, Beweise für ein Verbrechen zu finden, das niemals begangen worden war.

»Gleich von Anfang an hatten die Gerichte wider alle Regeln verfahren. Es war kein Korpusdelikti vorhanden. Man untersuchte einen Mord, und kein Mensch war ermordet worden; niemand konnte einen Leichnam vorzeigen. Es ist nicht nur eine Rechtsregel, sondern auch eine Regel des gemeinen Menschenverstandes, daß man nicht eher die Urheber oder die Ursache einer Tat aufsuchen kann, als bis man gewiß weiß, ob die Tat wirklich geschehen ist. Man mußte also im gegenwärtigen Fall zuerst nicht sowohl untersuchen, ob Herr von La Pivardi Ère ermordet worden sei, sondern ob wirklich zu Nerbonne oder in der dortigen Gegend eine Mordtat geschehen sei. Hätte man diese Vorsicht angewendet, so würde man nicht einen ebenso seltsamen als grausamen Prozeß wider die angeblichen Mörder eines Mannes erregt haben, der noch jetzt in voller Gesundheit lebt.

»Es ist also ganz einleuchtend, daß die Anklage eine bloße Verleumdung ist; und da niemand als das Gericht von Châtillon diese Anklage erhoben hat, so ist es klar, daß die Beamten jenes Gerichts Verleumder sind und also mit Recht zur Verantwortung gezogen werden konnten. Diese wider sie erhobene Beschwerde ist um so begründeter und gerechter, da es erwiesen ist, daß bloß Haß die Triebfeder ihres Verhaltens war. Wir wollen davon einige Umstände anführen.

»Es gab immer viele Prozesse zwischen der Familie des Herrn Bonnet und des Priors. Beide hatten sogar selbst persönliche Rechtsstreitigkeiten. Der letztere ließ dem erstern die Einkünfte seines Amtes mit Arrest belegen und wirkte im Jahre 1688 das Arret aus, das Herrn Bonnet und den übrigen Gerichtsbeamten zu Châtillon untersagte, in den Angelegenheiten des Priors und seiner Verwandten zu entscheiden.

»Ebenso verhielt es sich auch mit Herrn Morin, dem Königlichen Prokurator, dessen Vater mit dem Vater des Priors die heftigsten Streitigkeiten gehabt hatte, indem beide sich vormals um die Präsidentenstelle bei den Gerichten zu Châtillon bewarben und Herr von Charost den Sieg davontrug, nachdem er bei dem Conseil die unrechtmäßigen Wege klargelegt, die sein Nebenbuhler eingeschlagen hatte, um die Stelle zu erhaschen.

»Breton, der bloß bei einem gewissen adeligen Gericht Aktuarius war, aber mit Übergehung des ordentlichen verpflichteten Aktuarius bei diesem Prozesse gebraucht wurde, war nicht weniger wider die Familie des Priors aufgebracht; die Wunde war überdies noch ganz neu. Der Bruder des Priors hatte ihn kurz vorher, ehe diese Anklage des Priors und der Frau von La Pivardière erhoben wurde, mit fünfzig Livres bestraft, weil er sich ungebührlich gegen ihn betragen hatte, und die Sache war infolge von Bretons Appellation noch bei dem Parlament anhängig.

»So waren die Gemüter gestimmt, als die Untersuchung angesponnen wurde. Alles schnaubte Rache, und man suchte nur Mittel, sie zu befriedigen. Diese Gelegenheit bot sich; man ergriff sie und ließ sich durch nichts hindern sie festzuhalten.

»Man bewies den Richtern, daß sie völlig inkompetent seien und daß die Sache vor die Gerichte zu Lucay gehöre, worin auch der Parlamentsspruch vom 9. Oktober 1697 beistimmte. Der Prior verwarf Herrn Bonnet als Richter schon beim ersten Verhör wegen der zwischen ihren Familien herrschenden Feindschaft. Allein dieser fuhr in der Sache fort, ohne über diesen Einspruch entscheiden zu lassen, was doch die Verordnung ausdrücklich fordert. Und in der Tat, es ist von der größesten Wichtigkeit, daß man einem Richter, der befangen und parteiisch zu sein beschuldigt wird, nicht erlaube, über die Ehre und das Leben eines Menschen zu schalten, gegen den er rachsüchtig verfahren könnte; und daß ein Richter, gegen den eine solche Einwendung geschieht, die Fortsetzung seines gerichtlichen Verfahrens so lange aufschiebe, bis über diesen Einwand ein rechtlicher Spruch erfolgt ist. Freilich muß der Einspruch, wenn er diese Wirkung haben soll, mit Gründen unterstützt sein, die stark genug sind, um die Rechtschaffenheit, die man immer bei einer obrigkeitlichen Person voraussetzen muß, verdächtig zu machen. In dem gegenwärtigen Fall aber waren die Prozesse zwischen den beiden Familien ein sehr gültiger Grund, um wenigstens zu untersuchen, ob jene Streitigkeiten Herrn Bonnet kaltblütig genug gelassen hatten, um bei seiner Untersuchung der Wahrheit nicht zu nahe zu treten.

»Allein da der Richter seine Pflicht, auf den wider ihn gemachten Einspruch Rücksicht zu nehmen, verletzte, so hätte der Königliche Prokurator die Rechte seines Amts gebrauchen und einem so unregelmäßigen Verfahren steuern sollen; er hätte sogleich alle weitere Untersuchung so lange niederlegen sollen, bis der Oberrichter über die Gründe der geschehenen Verwerfung entschieden gehabt hätte.

»Diese hartnäckige Zudringlichkeit, womit die Gerichte zu Châtillon bei der Untersuchung einer Sache beharrten, die nicht unter ihre Gerichtsbarkeit gehörte und wegen besonderer Umstände ihnen nicht überlassen werden konnte, zeigt deutlich genug, daß sie dabei bloß die Absicht hatten, strenge Rache an einem Mitgliede der Familie zu nehmen, von der sie so viele verdiente Kränkungen hatten erfahren müssen. Und beweist nicht die Widerrechtlichkeit und Grausamkeit, mit der sie die Waffen gebrauchten, die sie sich selbst in die Hände gegeben hatten, noch auffallender, daß es nichts weniger als der Eifer für die Gerechtigkeit war, der sie leitete?

»Wollte man auch annehmen, der Königliche Prokurator sei, durch das anfänglich verbreitete Gerücht irregeführt und durch eine sonderbare Verkettung von Umständen in seinem Verdacht bestärkt, zu seiner Anklage veranlaßt worden und habe dabei ganz redlich verfahren, so kann dies doch nicht mehr der Fall sein, nachdem er durch die Protokolle über die Erscheinung und Anerkennung des Herrn von La Pivardière, die ihm am 21. und 22. September und am 7. und 22. Oktober überreicht wurden, bereits eines andern belehrt sein mußte. Glaubte er, die strengen Pflichten seines Amtes erlaubten ihm nicht, diesen Dokumenten Glauben beizumessen, die er vielleicht für unregelmäßig zu halten berechtigt wäre, so war die Sache wenigstens wichtig genug, um ihn bedenklich zu machen und zu der Prüfung der Wahrheit zu veranlassen, die zu suchen das einzige Ziel aller seiner Handlungen sein mußte. Der öffentlich angestellte Rächer des Unrechts ist nicht weniger der Schutz der Unschuld, als die Geißel des Verbrechens; er muß jedem schwachen Schimmer, den er zur Rechtfertigung des Angeklagten gewahr wird, sogleich folgen und alle Wege, die er dadurch entdeckt, versuchen, um zu dieser Rechtfertigung zu gelangen. Diesen Grundsätzen der Menschlichkeit und Billigkeit zufolge hätte der Königliche Prokurator vor dem Richter, der die Untersuchung geführt hatte, alle die Personen, die er in den ihm vorgelegten Protokollen genannt fand, noch einmal verhören lassen sollen, er hätte die Zahl und Beschaffenheit der Zeugen und die Umstände ihrer Aussagen genauer erwägen sollen, um durch diese Arbeit, die ihm sein Amt und die Rechtschaffenheit selbst zur Pflicht machten, die Wahrheit zu entdecken. Allein er fürchtete nur zu sehr, sie zu finden; sein einziges Bestreben war, sie zu verdunkeln; er suchte nur Zeugen, welche die Angeklagten belasteten, und wendete seine ganze Kunst an, das Unzutreffende in ihren Aussagen zu verdecken.

»Endlich legte der Königliche Prokurator auch seine Rachbegierde wider den Prior von Miseray an den Tag. Er klagte ihn wegen Ehebruchs mit der Frau von La Pivardière an. Allein wußte er denn als Rechtsgelehrter nicht, daß allein der Ehemann berechtigt ist, seine Frau wegen dieses Verbrechens anzuklagen, solange sie nicht ein öffentliches Ärgernis gibt und der Mann mit Vorwissen es gestattet? Allein so weit hat er es doch nicht gewagt, die Verleumdung gegen ihn zu treiben; er hat also die Unregelmäßigkeit seines Verfahrens nicht einmal mit einem scheinbaren Vorwand bedecken können.

»Man müßte ganze Bände füllen, wenn man alle Fehler in dem Verfahren des Königlichen Prokurators und des Partikulierleutnants einzeln aufzählen wollte. Wir müssen uns also begnügen, nur die auffallendsten Züge anzudeuten.

»Der Aktuarius Breton mag den Anfang machen. Abgesehen davon, daß kein Grund vorhanden war, die Stelle des ordentlichen Gerichtsaktuars bei der gegenwärtigen Sache durch einen andern vertreten zu lassen, so hätte schon das Verhältnis selbst, in welchem er damals gegen den Prior von Miseray und dessen Familie stand, ihn bestimmen sollen, einen Auftrag abzulehnen, zu dem ihn nichts nötigte. Aber die Richter hatten einen Menschen nötig, der auf ihre Absichten einging und ein persönliches Interesse hatte, sich mit ihnen zur Ausführung ihrer rachsüchtigen Entwürfe zu verbinden. Der ordentliche Gerichtsaktuar hatte diese Eigenschaften nicht, er war nicht gestimmt, wie die Herren Bonnet und Morin ihn brauchten. Breton war der Mann, den sie suchten, und er hat ihrem Zutrauen entsprochen.

»Als der Prior mit den zwei Dienstmädchen zu Châtillon konfrontiert wurde, widerriefen diese ihre Aussagen, in denen sie die Ermordung des Herrn von La Pivardière behauptet hatten, und erklärten dem Offizial und Partikulierleutnant ins Gesicht: daß sie bloß durch ihre Drohungen bewogen worden seien, eine solche Unwahrheit auszusagen, und daß der Aktuar sehr oft anders niedergeschrieben habe, als sie ausgesagt hätten. Aber mit Zittern gaben sie diese Erklärung. Die Ursache davon wird man sogleich einsehen.

»Als Katharine Lemoine am 21. Januar 1700 bei dem Parlament verhört wurde, versicherte sie, daß sie von dem Tag der angeblichen Ermordung an bis zu ihrer Verhaftung zu Châtillon immer gesagt habe, der Herr von La Pivardière sei nicht tot, sondern er sei in der Nacht davongegangen. ›Es ist wahr,‹ setzte sie hinzu, ›ich habe, seit ich im Arrest war, immer behauptet, ich hätte den Herrn von La Pivardière tot gesehen. Aber diese Aussage ist mir mit Gewalt abgedrungen worden, durch Nötigungen und Drohungen von dem Stockmeister und dessen Ehefrau, von zwei Gerichtsknechten, Chenu und Gaulin, und von dem Weibe des letztern. Alle diese Leute kamen zu mir ins Gefängnis und suchten mich durch die schmeichelhaftesten Versprechungen zu überreden, daß ich aussagen sollte: mein Herr sei ermordet und von den beiden Bedienten des Priors mit Hilfe des Nikolaus Mercier in dem Wald bei Miseray verscharrt worden.‹ Ferner behauptete sie: sie habe auch vor dem Richter immer die Wahrheit gesagt, nämlich der Herr von La Pivardière sei nicht tot. Allein diese Aussage sei nicht öfter als ein einzigesmal niedergeschrieben worden, und auch dieses einzige Aktenstück müsse verbrannt oder sonst auf die Seite geschafft worden sein, denn man habe es ihr nachher nie wieder vorgelesen. ›Alle die einzelnen Umstände,‹ fuhr sie fort, ›welche ich von der angeblichen Ermordung des Herrn von La Pivardière in meiner Aussage angeführt habe, waren Erdichtungen, die mir von den Richtern selbst eingegeben worden sind. Als man mir Herrn von La Pivardière im Gefängnis vorstellte, war ich, teils durch innere Unruhe gequält, teils durch Aufpasser, die mich immer umzingelt hielten, beängstigt, ganz außerstande ihn zu erkennen, zumal da ich ihn wegen seiner beinah ununterbrochenen Abwesenheit von Hause überhaupt nur ein einzigesmal gesehen hatte. Überdies kam Herr Bonnet noch am Morgen desselben Tages zu mir und drohte, mich hängen zu lassen, wenn ich Herrn von La Pivardière erkennen würde. Auch die Erklärung, die ich nach dieser Konfrontation abgab, war von mir erpreßt worden durch einen Befehl, den Herr Bonnet und der Vizegérent gegeben hatten, mich in ein Loch zu werfen, und durch die Drohungen des Stockmeisters und seiner Frau. Man machte mir auch Geschenke und bat mich, nichts davon zu sagen, daß man in mich gedrungen habe; ich fürchtete indes immer, sie möchten mich mit diesen Geschenken vergiften.‹ Endlich versicherte sie auch noch: daß weder der Prior noch irgend jemand von seiner Partei ihr eingeredet habe, etwas zu seinen Gunsten auszusagen.

»Ebendieses erklärte auch Margarete Mercier in ihren Verhören am 20. Januar und 16. April 1700, noch mit mehreren Umständen. Sie sagte nämlich auch: An dem Tage, da sie mit La Pivardière konfrontiert werden sollte, seien Bonnet und Morin des Morgens zu ihr ins Gefängnis gekommen und haben ihr gedroht, sie aufhängen zu lassen. Auch der Aktuar Breton habe ihr mit einem Messer, das er eben in der Hand gehabt habe, gedroht, ihr alle Finger abzuhauen, wenn sie nicht sagen würde, La Pivardière, den man ihr vorstellen werde, sei ein Betrüger. Auch den Vizegérent beschuldigte sie, daß er ihr gedroht, sie in ein Loch werfen zu lassen, und verhindert habe, daß ihre Aussagen niedergeschrieben worden seien.

»Diese Erklärungen der beiden Dienstmädchen wurden nun unterstützt durch die Aussagen von achtzehn unverwerflichen Zeugen von verschiedenem Alter, Stand und Beschaffenheit. Alle diese bezeugten nämlich, daß die beiden Mädchen, in Unterredungen, die sie vor ihrer Verhaftung mit ihnen gehabt, immer versichert hätten: La Pivardière sei nicht tot, sondern habe sich in jener Nacht vom 15. auf den 16. August schleunigst davongemacht; es sei überhaupt auf dem Schlosse zu Nerbonne auch nichts Außerordentliches vorgegangen, und die gnädige Frau sowohl als der Prior und seine Bedienten seien vollkommen unschuldig. Zwei andere Zeugen versicherten, daß diese Mädchen, sobald sie von Châtillon weggebracht worden seien und nicht mehr unter der Gewalt dieser Richter gestanden hätten, alles das frei gesagt hätten, was sie nachher in ihren Verhören vor den Herren Sarron und Le Nain erklärten. Sechzehn andere Zeugen sagten aus: daß sie es teils selbst mit angehört, teils von diesen zwei Dienstmädchen, von dem Stockmeister, von seinem Weibe und von seinen Kindern sich hätten erzählen lassen, daß die Gerichtsbeamten zu Châtillon diese zwei unglücklichen Mädchen mit dem Galgen bedroht hätten, wenn sie Herrn von La Pivardière anerkennen würden; daß Herr Bonnet und der Offizial sich geweigert hätten, die Aussage der Katharine Lemoine niederschreiben zu lassen, als diese erklärt habe, daß gar keine Mordtat geschehen sei, und daß sie diese Magd deshalb sogar hätten in ein Loch werfen lassen; daß man Herrn Bonnet in Unterredung mit den beiden Mädchen vor der kleinen Öffnung in der Türe des Gefängnisses gesehen hätte; daß die beiden Richter die Aussagen, die zur Rechtfertigung der beiden Angeklagten dienten, nicht hätten niederschreiben lassen; daß sie Drohungen gegen die Zeugen ausgestoßen und sich bemüht hätten, sie zu der Aussage zu nötigen, daß sie den Leichnam des Herrn von La Pivardière in einen Schöpfbrunnen hätten tragen gesehen; daß sie einem der Zeugen, um ihn zu verführen, ein neues Kleid versprochen hätten. Besonders versicherten Anne Marteau und ein gewisser Pennin: daß sie von den Richtern mit Gefängnis bedroht worden seien, bloß weil sie sich beklagt hätten, daß man ihre Aussagen unrichtig niedergeschrieben und ihnen durch verfängliches Fragen Antworten abgelockt habe, die den angeblichen Ehebruch der Frau von La Pivardière mit dem Prior von Miseray beweisen sollten.

»Die beiden Richter und der Königliche Prokurator waren aber nicht allein die Personen, die man eines so schändlichen Mißbrauches ihrer richterlichen Gewalt überführen konnte; alle ihre Subalternen und alle die Gerichtsdiener, die sie in dieser Sache gebrauchten, waren von ihrer Gesinnung angesteckt worden. Es ist erwiesen, daß der Aktuar Breton den beiden Dienstmädchen mit unaufhörlichen Drohungen und Zudringlichkeiten zusetzte und daß er die Aussagen der Zeugen anders niederschrieb, sobald sie zugunsten der Angeklagten sprachen. Die Gerichtsdiener, durch welche die Verhaftungen geschehen waren, wurden von zehn Zeugen beschuldigt, daß sie die zwei Dienstmädchen durch Nötigungen, Drohungen und sogar durch Schläge dahin zu bringen gesucht hätten, daß sie aussagen sollten, ihr Herr sei durch seine Gattin und die Bedienten des Priors ermordet worden. Diese Gerichtsdiener haben sogar selbst in ihren Verhören zugestanden, daß Margarete Mercier, noch ehe sie arretiert worden sei, in ihrer Gegenwart erklärt habe, ihr Herr sei nicht ermordet worden; daß am 16. September 1697, als sie die Möbel aus dem Schlosse zu Nerbonne abgeholt hätten, keine Spur von Blut zu sehen gewesen sei, daß man vielmehr diese Spuren erst am 27. desselben Monats bemerkt habe. Endlich wurde auch von dem Stockmeister und von dessen Ehefrau und Tochter durch vierzehn Zeugen versichert: daß sie, solange die beiden Mädchen unter ihrer Aufsicht gewesen waren, kein Mittel unversucht gelassen hätten, sie zu beeinflussen und sie nach den Absichten der Beamten abzurichten: Schmeicheleien, Versprechungen, Geschenke, Drohungen, und selbst üble Behandlung.

»Es würde viel zu weitläufig sein, uns auf die einzelnen Beweise einzulassen, woraus der boshafte Anschlag der Gerichte zu Châtillon und ihrer Untergebenen unwidersprechlich hervorgeht. Es wird hinreichend sein, wenn wir noch die allgemeine Bemerkung hinzufügen, daß die Zeugen, die zugunsten der Gerichtsbeamten von Châtillon sprachen, alle aus derselben Stadt, alle Teilnehmer an dem Komplott und Verwandte oder Freunde entweder der Anstifter selbst oder ihrer Mitschuldigen waren; und daß andererseits nicht ein einziger auswärtiger Zeuge war, der nicht für die Unschuld der Angeklagten gezeugt hätte.«

Endlich wurde dieser Prozeß, der schon vier Jahre lang das Publikum beschäftigt hatte, am 14. Juni 1701 durch folgendes Endurteil von dem Parlament entschieden: »Margarete Mercier wird verurteilt, mit bloßen Füßen, einen Strick um den Hals und eine brennende Kerze von zwei Pfund in der Hand, an der Türe der Hauptkirche zu Châtillon Kirchenbuße zu tun und daselbst auf ihren Knien mit lauter und vernehmlicher Stimme zu bekennen, daß sie boshafterweise und wider besseres Wissen ein falsches Zeugnis abgelegt habe, was sie von Herzen bereue und weshalb sie Gott, den König und die Obrigkeit um Vergebung bitte. Darauf soll sie entkleidet und auf den Kreuzwegen und sonst gewöhnlichen Plätzen zu Châtillon gestäupt und ihr zugleich mit einem glühenden Eisen die Lilie auf die rechte Schulter eingebrannt, sie aber sodann aus der Gerichtsbarkeit des Parlaments auf immer verwiesen werden. Das ganze Verfahren des Vizegérent von Bourges und der Gerichte zu Châtillon wird für null und nichtig erklärt und deshalb La Pivardière, seine Gattin, der Prior von Miseray und seine zwei Bedienten, Regnaut und Mercier, von der wider sie erhobenen Anklage frei- und losgesprochen und befohlen, ihre Namen aus dem Register der Gefängnisse auszutilgen.« Durch diesen Parlamentsspruch war nun endlich den Trübsalen und Verfolgungen ein Ende gemacht, welchen Frau von La Pivardière vier Jahre lang ausgesetzt gewesen war. Allein umsonst hoffte sie, das Zutrauen ihres Gatten dadurch wiederzugewinnen der noch immer von seinem eifersüchtigen Verdacht nicht geheilt, nie wieder zu ihr zurückkehren wollte. Durch den Herzog von Feuillade, mit dem er von mütterlicher Seite verwandt war, wurde er wieder in Diensten angestellt und verlor sein Leben an der Spitze eines Kommandos, mit welchem er Schmuggler abfangen wollte. Seine Gattin überlebte ihn nur kurze Zeit. Man fand sie eines Morgens tot im Bette.

Der Prior von Miseray brach sogleich nach Entscheidung des Prozesses allen Umgang mit Frau von La Pivardière ab und starb in seiner Abtei in einem hohen Alter.

Die zweite Frau des Herrn von La Pivardière verlor alle in dieser unrechtmäßigen Ehe erzeugten Kinder und verheiratete sich nachher noch zweimal.