Charakterisierung des Mortimer, Zeichnung von Friedrich Pecht

Mortimer, Charakter aus dem Schiller-Drama Maria Stuart, Zeichnung von Friedrich Pecht, 1859

Mortimer, Charakter aus dem Schiller-Drama Maria Stuart, Zeichnung von Friedrich Pecht, 1859

Charakterisierung des Mortimer

aus der „Schiller-Galerie“, 1859



Wie die Eigenschaft, welche den Besitz Schillers für die Nation besonders so außerordentlich wertvoll macht, seine kraftvolle Männlichkeit ist, darauf haben wir in unsern Erläuterungen schon mehrfach hingedeutet. Nirgends ist bei ihm eine Spur jener sonderbaren Mischung von Cretinismus und Genie, oder doch von weibischem Wesen zu entdecken, die uns so viele unserer Künstler nicht nur zweiter und dritter Klasse als krankhafte Austern erscheinen lässt, in denen das Talent die einzige Perle ist, und deren schwächliches Wesen so vielfach zu der Meinung beigetragen hat, dass die künstlerische Begabung überhaupt eigentlich eine Art von Krankheit sei, die ihren Besitzer mit Notwendigkeit etwas verschroben und ungesund oder mindestens insipid machen müsse. An sich aber ist die künstlerische Gestaltungskraft gewiss nichts Unnatürliches, den Organismus Störendes, welches die Harmonie der Seele aufheben, ihre Energie schwächen müsste; im Gegenteil hat jeder große Mann etwas vom Dichter und Künstler an sich, ja diejenigen, die am weitesten vom Künstlerstand entfernt scheinen, die Feldherren und Staatsmänner, vielleicht gerade am allermeisten.

Die männliche Energie nun, der frische Muth, der ihm verliehen, sind die Eigenschaften, die uns auch mit Mortimer einigermaßen aussöhnen‚ der sonst in keiner Beziehung unsere Teilnahme verdienen würde, trotz der verführerischen Gewalt der Sprache, die ihm der Dichter in den Mund legt, und die uns umso mehr nötigt‚ unsere Ansicht über diesen Charakter möglichst scharf auszusprechen, — denn außer jenen Vorzügen ist so ziemlich alles an ihm nichtswürdig. Sein Hauptcharakterzug ist die starke Sinnlichkeit; nicht nur seine Leidenschaft für Maria atmet die wildeste Glut, selbst schon sein Übergang zum Katholizismus wird bloß durch den Reiz der Sinne, durch den Rausch, in den die Wunderwerke der Kunst in Rom sein phantastisch-sinnliches Wesen versetzen, den ihm Rafael‘sche Frauen, Palestrinas Musik und Michelangelos Kuppel bereiten, motiviert. Er ist so ganz Romantiker der echten Sorte, es ist nicht der Kern der Sache selbst, der ihn gewinnt, es ist das Drum und Dran, die künstlerische Form, die ihn besticht. S0 geht er denn auch gleich nach seiner innerlichen Konversion in lustige Gesellschaft, von römischen Kirchenfesten zu „der Franzosen muntern Landsmannschaften“, und wird da reif für den Kardinal, der ihm zeigte

Dass grübelnde Vernunft
Den Menschen ewig in der Irre leitet,
Dass seine Augen sehen müssen, was
Das Herz soll glauben.

Wenn ihn aber gerade die Vernunft irre leitet, so sieht man nicht ab, wozu sie ihm Gott gegeben, und es ist eben keine Schmeichelei für den Katholizismus, dass er sie erst aufgeben muss, um zu ihm zu gelangen, so poetisch uns dieser Prozess auch dargestellt wird.

Schwärmerei und Heuchelei sind Zwillingsgeschwister, und so macht denn Mortimer auch sofort die Bekanntschaft der letztem, die dem Engländer ohnehin noch näher lag bei der angeborenen Verschlossenheit, dem starren Egoismus des Charakters. Er lernt „der Verstellung schwere Kunst“, ja er errötet nicht vor dem ganzen Hofe von England und seiner Königin sich zu einer Handlungsweise zu bekennen, die man im gewöhnlichen Leben — infam nennt; bekennt er doch selbst, dass er sich in der Verbannten Vertrauen gestohlen, um ihre Anschläge auszukundschaften, ja dass er zum Schein sogar seinen Glauben abgeschworen: „so weit ging die Begierde dir (der Elisabeth) zu dienen“ — ein Geständnis, das ihm nach den bisher geltenden Begriffen doch nur die Verachtung jedes Ehrenmanns eintragen konnte! Diese verdient er trotz der Unwahrheit des Geständnisses dennoch, da er ja am Hofe Elisabeths und seinem eigenen Oheim gegenüber auch nichts anderes tut. Wenn dergleichen mit der Ehre vereinbar ist, so sieht man nicht ein, was eigentlich nicht mit ihr zusammenzureimen wäre!

Selbst der sicherlich nicht blöde Leicester sagt ihm daher auch mit Recht in der Scene, in der uns ihn der Künstler dargestellt hat:

Ich seh‘ Euch zweierlei Gesichter zeigen
An diesem Hofe — eins darunter ist
Nothwendig falsch.

Dass seine Liebe zu Maria ebenfalls ihre Quelle lediglich in der Sinnlichkeit habe, wird uns vom Dichter überall gezeigt, ob er Maria erzählt, welchen Eindruck ihm ihr Bild, oder ob er ihr gesteht, welchen sie selbst ihm mache:

Raubt Euch
Des Kerkers Schmach von Euerm Schönheitsglanze?
Euch mangelt alles, was das Leben schmückt,
Und doch umfliesst Euch ewig Licht und Leben —

bis zu der letzten Begegnung, wo er ihr in maßloser Leidenschaft ihre frühem Liebesabenteuer verhält, um seine Ansprüche auf ihre Gunst zu rechtfertigen, und diese endlich geradezu als Preis verlangt:

Ich rette dich, ich will es, doch, so wahr
Gott lebt! ich schwör’s, ich will dich auch besitzen.

Elisabeth beurtheilt daher seine Motive ganz richtig, wenn sie ihm die ihrige in Aussicht stellt, um ihn zu gewinnen, so widrig auch sonst der lüsterne Zug an ihr ist, und nichts berechtigt ihn zu sagen:

Wie du die Welt, so täusch’ ich dich. Recht ist’s,
Dich zu verrathen, eine gute That!
Seh’ ich aus wie ein Mörder? —

umso mehr, als er gleich darauf zeigt, dass sie ihm — nur nicht schön genug ist, um den Preis wünschenswert zu finden, während er ohne Bedenken für Maria alles, was ihm in den Weg kommt, sogar seinen Oheim, morden will, weil

Um sie, in ew’gem Freudenchore, schweben
Der Anmuth Götter und der Jugendlust,
Das Glück der Himmel ist an ihrer Brust.

Er unterscheidet sich daher sicherlich nicht durch die Moralität zu seinem Vorteil von Leicester, sondern bloß in der Frische und Keckheit; diese allein geben ihm zu dem Vorwurf ein Recht, als jener ihm sagt, ein Befreiungsversuch sei nicht zu wagen:

Nein, nicht für Euch, der sie besitzen will!
Wir wollen sie blos retten und sind nicht so
Bedenklich.

Dieser dreiste Jünglingsmut versöhnt uns mit ihm denn auch einigermaßen, wenn er sagt:

Mit einer kühnen That müsst Ihr doch enden.
Warum wollt Ihr nicht gleich damit beginnen? —

oder gegen Maria ausruft:

Der Feige liebt das Leben.
Wer dich will retten und die Seine nennen,
Der muss den Tod beherzt umarmen können —

ja es verklärt noch sein Ende, wenn er, von Leicester verraten, ausruft:

Ha, Schändlicher! — Doch ich verdiene das.
Wer hiess mich auch dem Blenden vertrauen?
Das Leben ist das einige Gut des schlechten! —

da wir dem die Achtung niemals ganz versagen können, der für seine Überzeugung, sei sie auch noch so falsch, oder liegen ihr selbst — wie bei Mortimer — durchaus egoistische Motive zu Grunde, dennoch mutvoll sein Leben einsetzt.