aus Pindars zehnter Nemeischer Ode.
Wechselnd in wechselnder Folge wohnen
einen Tag sie bey dem geliebten
Vater Zeus; aber den andern
in den Tiefen der Erde, den Klüften Therapne’s,
einerley Schicksal erfüllend. Denn
dieses Leben, lieber als ganz
ein Gott seyn, und den Himmel bewohnen,
wählte einst Polydenkes, da Kastor
gesunken war in der Schlacht.
Ihn hatte Idas, zürnend über die Rinder,
durchbohrt mit der Spitze der ehernen Lanze.
Vom Taygetos schauend, sah ihn
sitzen auf dem Stamme der Eiche
Lynkens; denn ihm war
unter den Irrdischen allen das schärfste
Auge. Mit leichten Füssen ereilten sie
bald ihn, und vollbrachten rasch da das grosse Werk.
Aber Furchtbares litten wieder
von Zeus Händen die Apharetiden.
Denn plötzlich kam, sie verfolgend
der Sohn der Leda. Sie aber standen
ihm entgegen, nahe dem Grabmal des Vaters.
Hier wegreissend Aedes
Schmuck, den geglätteten Stein,
warfen sie ihn auf die Brust
Polydeukes; doch sie zerschmetterten
nicht ihn, drängten ihn nicht zurück.
Losstürmend trieb mit dem schnellen Wurfspiess
er in Lynkeus Seite das Erz.
Aber gegen Idas schleuderte Zeus
den feurigen, dampfenden Donnerkeil.
Einsam verbrannten sie da zugleich.
Schwer ist der Zwist den Sterblichen
mit dem Stärkeren zu beginnen.
Schnell nun kehrte der Tyndaride
zu der Kraft des Bruders zurück.
Noch nicht gestorben, aber röchelnd
in des Odems Beraubung fand er ihn,
Seufzend, heisse Thränen vergiessend,
rief er laut: „Vater Kronion,
wo ist ein Ziel dieser Trauer?
Gieb mir zugleich mit diesem den Tod, o Herrscher!
Denn es schwindet des Mannes Ruhm, wenn er
der Freunde beraubt ist. Wenige nur
der Sterblichen sind treu in der Gefahr,
„mit zu theilen die Arbeit.“
Also sprach er; aber Zeus kam ihm entgegen,
und sagte die Worte: „Du bist
mein Sohn. Diesen pflanzte nachher
einen sterblichen Saamen – der Held, deiner Mutter
als Gatte sich nahend. Dennoch, wohlan!
geb’ ich dir hievon die Wahl.
Wenn du, entfliehend dem Tode,
und dem verhassten Alter,
willst den Olympos bewohnen, mit mir
und Athenen und dem schwarzgepanzerten Ares,
„so ist diess Loos Dir beschieden.
Aber willst du für den Bruder
streiten; gedenkst du von allem
mit ihm nur das Gleiche zu theilen,
so magst du die Hälfte leben, unter der Erde
weilend, aber die andre
in des Himmels goldenen Wohnungen.“
Als der Gott also gesprochen, da theilte
nicht mehr zwiefacher Rathschluss Polydeukes Seele;
eilend löste er wieder
die Augen, dann die Stimme
des erzbehelmeten Kastors.
Wilh. v. Humboldt.