HomeMusenalmanach 1798Der Gott und die Bajadere

Der Gott und die Bajadere

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Indische Legende

Mahadöh, der Herr der Erde,
Kommt herab zum sechstenmal,
Dass er unsers gleichen werde,
Mit zu fühlen Freud und Quaal.
Er bequemt sich hier zu wohnen,
Lässt sich alles selbst geschehn,
Soll er strafen oder schonen,
Muss er Menschen menschlich sehn.
Und hat er die Stadt sich als Wandrer betrachtet,
Die Grossen belauert, auf Kleine geachtet,
Verlässt er sie Abends, um weiter zu gehn.

Als er nun hinausgegangen,
Wo die letzten Häuser sind,
Sieht er, mit gemahlten Wangen,
Ein verlohrnes schönes Kind:
Grüss dich, Jungfrau! – dank der Ehre,
Wart, ich komme gleich hinaus –
Und wer bist du? – Bajadere!
Und dies ist der Liebe Haus.
Sie rührt sich, die Cymbeln zum Tanze zu schlagen,
Sie weiss sich so lieblich im Kreise zu tragen,
Sie neigt sich und biegt sich und reicht ihm den Strauss.

Schmeichelnd zieht sie ihn zur Schwelle,
Lebhaft ihn ins Haus hinein.
Schöner Fremdling, lampenhelle
Soll sogleich die Hütte seyn.
Bist du müd’, ich will dich laben,
Lindern deiner Füsse Schmerz.
Was du willst das sollst du haben,
Ruhe, Freuden oder Scherz.“
Sie lindert geschäftig geheuchelte Leiden.
Der Göttliche lächelt; er siehet mit Freuden,
Durch tiefes Verderben ein menschliches Herz.

Und er fordert Sklavendienste
Immer heitrer wird sie nur,
Und des Mädchens frühe Künste
Werden nach und nach Natur.
Und so stellet nach die Blüthe
Bald und bald die Frucht sich ein,
Ist Gehorsam im Gemüthe
Wird nicht fern die Liebe seyn.
Aber sie schärfer und schärfer zu prüfen
Wählet der Kenner der Höhen und Tiefen
Lust und Entsetzen und grimmige Pein.

Und er küsst die bunten Wangen
Und sie fühlt der Liebe Quaal,
Und das Mädchen steht gefangen,
Und sie weint zum erstenmal,
Sinkt zu seinen Füßen nieder
Nicht um Wollust noch Gewinnst,
Ach und die gelenken Glieder,
Sie versagen allen Dienst,
Und so zu des Lagers vergnüglicher Feyer,
Bereiten den dunklen behaglichen Schleyer
Die nächtlichen Stunden das schöne Gespinnst.

Spat entschlummert unter Scherzen,
Früh erwacht nach kurzer Rast,
Findet sie an ihrem Herzen
Todt den vielgeliebten Gast,
Schreyend stürzt sie auf ihn nieder,
Aber nicht erweckt sie ihn,
Und man trägt die starren Glieder
Bald zur Flammengrube hin.
Sie höret die Priester, die Todtengesänge
Sie raset und rennet und theilet die Menge.
Wer bist du? was drängt zu der Grube dich hin?

Bey der Bahre stürzt sie nieder,
Ihr Geschrey durchdringt die Luft:
Meinen Gatten will ich wieder!
Und ich such ihn in der Gruft.
Soll zu Asche mir zerfallen
Dieser Glieder Götterpracht?
Mein! er war es, mein vor allen!
Ach! nur eine süsse Nacht!
Es singen die Priester: Wir tragen die Alten,
Nach langem Ermatten und spätem Erkalten,
Wir tragen die Jugend, noch eh sies gedacht.“

Höre deiner Priester Lehre:
Dieser war dein Gatte nicht,
Lebst du doch als Bajadere,
Und so hast du keine Pflicht.
Nur dem Körper folgt der Schatten
In das stille Todenreich
Nur die Gattin folgt dem Gatten
Das ist Pflicht und Ruhm zugleich.
Ertöne Trommete zu heiliger Klage
O! nehmet ihr Götter die Zierde der Tage,
O! nehmet den Jüngling in Flammen zu euch.

So das Chor, das ohn Erbarmen
Mehret ihres Herzens Noth,
Und mit ausgestreckten Armen
Springt sie in den heissen Tod,
Doch der Götter-Jüngling hebet
Aus der Flamme sich empor,
Und in seinen Armen schwebet
Die Geliebte mit hervor,
Es freut sich die Gottheit der reuigen Sünder,
Unsterbliche heben verlorene Kinder
Mit feurigen Armen zum Himmel empor.

Goethe.