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Über das Erhabene

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»Kein Mensch muß müssen,« sagt der Jude Nathan zum Derwisch, und dieses Wort ist in einem weitern Umfange wahr, als man demselben vielleicht einräumen möchte. Der Wille ist der Geschlechtscharakter des Menschen, und die Vernunft selbst ist nur die ewige Regel desselben. Vernünftig handelt die ganze Natur; sein Prärogativ ist bloß, daß er mit Bewußtsein und Willen vernünftig handelt. Alle andern Dinge müssen; der Mensch ist das Wesen, welches will.

Eben deßwegen ist des Menschen nichts so unwürdig, als Gewalt zu erleiden, denn Gewalt hebt ihn auf. Wer sie uns anthut, macht uns nichts Geringeres als die Menschheit streitig; wer sie feiger Weise erleidet, wirft seine Menschheit hinweg. Aber dieser Anspruch auf absolute Befreiung von allem, was Gewalt ist, scheint ein Wesen vorauszusetzen, welches Macht genug besitzt, jede andere Macht von sich abzutreiben. Findet er sich in einem Wesen, welches im Reich der Kräfte nicht den obersten Rang behauptet, so entsteht daraus ein unglücklicher Widerspruch zwischen dem Trieb und dem Vermögen.

In diesem Falle befindet sich der Mensch. Umgeben von zahllosen Kräften, die alle ihm überlegen sind und den Meister über ihn spielen, macht er durch seine Natur Anspruch, von keiner Gewalt zu erleiden. Durch seinen Verstand zwar steigert er künstlicher Weise seine natürlichen Kräfte, und bis auf einen gewissen Punkt gelingt es ihm wirklich, physisch über alles Physische Herr zu werden. Gegen alles, sagt das Sprüchwort, gibt es Mittel, nur nicht gegen den Tod. Aber diese einzige Ausnahme, wenn sie das wirklich im strengsten Sinne ist, würde den ganzen Begriff des Menschen aufheben. Nimmermehr kann er das Wesen sein, welches will, wenn es auch nur einen Fall gibt, wo er schlechterdings muß, was er nicht will. Dieses einzige Schreckliche, was er nur muß und nicht will, wird wie ein Gespenst ihn begleiten und ihn, wie auch wirklich bei den mehresten Menschen der Fall ist, den blinden Schrecknissen der Phantasie zur Beute überliefern; seine gerühmte Freiheit ist absolut nichts, wenn er auch nur in einem einzigen Punkte gebunden ist. Die Kultur soll den Menschen in Freiheit setzen und ihm dazu behilflich sein, seinen ganzen Begriff zu erfüllen. Sie soll ihn also fähig machen, seinen Willen zu behaupten, denn der Mensch ist das Wesen, welches will.

Dies ist auf zweierlei Weise möglich. Entweder realistisch, wenn der Mensch der Gewalt Gewalt entgegensetzt, wenn er als Natur die Natur beherrschet; oder idealistisch, wenn er aus der Natur heraus tritt und so, in Rücksicht auf sich, den Begriff der Gewalt vernichtet. Was ihm zu dem ersten verhilft, heißt physische Kultur. Der Mensch bildet seinen Verstand und seine sinnlichen Kräfte aus, um die Naturkräfte, nach ihren eigenen Gesetzen, entweder zu Werkzeugen seines Willens zu machen, oder sich vor ihren Wirkungen, die er nicht lenken kann, in Sicherheit zu setzen. Aber die Kräfte der Natur lassen sich nur bis auf einen gewissen Punkt beherrschen oder abwehren; über diesen Punkt hinaus entziehen sie sich der Macht des Menschen und unterwerfen ihn der ihrigen.

Jetzt also wäre es um seine Freiheit gethan, wenn er keiner andern als physischen Kultur fähig wäre. Er soll aber ohne Ausnahme Mensch sein, also in keinem Fall etwas gegen seinen Willen erleiden. Kann er also den physischen Kräften keine verhältnißmäßige physische Kraft mehr entgegensetzen, so bleibt ihm, um keine Gewalt zu erleiden, nichts anders übrig, als: ein Verhältniß, welches ihm so nachtheilig ist, ganz und gar aufzuheben und eine Gewalt, die er der That nach erleiden muß, dem Begriff nach zu vernichten. Eine Gewalt dem Begriffe nach vernichten, heißt aber nichts anders, als sich derselben freiwillig unterwerfen. Die Kultur, die ihn dazu geschickt macht, heißt die moralische.

Der moralisch gebildete Mensch, und nur dieser, ist ganz frei. Entweder er ist der Natur als Macht überlegen, oder er ist einstimmig mit derselben. Nichts, was sie an ihm ausübt, ist Gewalt, denn eh‘ es bis zu ihm kommt, ist es schon seine eigene Handlung geworden, und die dynamische Natur erreicht ihn selbst nie, weil er sich von allem, was sie erreichen kann, freithätig scheidet. Diese Sinnesart aber, welche die Moral unter dem Begriff der Resignation in die Nothwendigkeit und die Religion unter dem Begriff der Ergebung in den göttlichen Rathschluß lehret, erfordert, wenn sie ein Werk der freien Wahl und Ueberlegung sein soll, schon eine größere Klarheit des Denkens und eine höhere Energie des Willens, als dem Menschen im handelnden Leben eigen zu sein pflegt. Glücklicher Weise aber ist nicht bloß in seiner rationellen Natur eine moralische Anlage, welche durch den Verstand entwickelt werden kann, sondern selbst zu seiner sinnlich vernünftigen, d. h. menschlichen Natur eine ästhetische Tendenz dazu vorhanden, welche durch gewisse, sinnliche Gegenstände geweckt und durch Läuterung seiner Gefühle zu diesem idealistischen Schwung des Gemüths kultiviert werden kann. Von dieser, ihrem Begriff und Wesen nach zwar idealistischen Anlage, die aber auch selbst der Realist in seinem Leben deutlich genug an den Tag legt, obgleich er sie in seinem System nicht zugibt, [Fußnote] werde ich gegenwärtig handeln.

Zwar reichen schon die entwickelten Gefühle für Schönheit dazu hin, uns bis auf einen gewissen Grad von der Natur als einer Macht unabhängig zu machen. Ein Gemüth, welches sich so weit veredelt hat, um mehr von den Formen als dem Stoff der Dinge gerührt zu werden und, ohne alle Rücksicht auf Besitz, aus der bloßen Reflexion über die Erscheinungsweise ein freies Wohlgefallen zu schöpfen, ein solches Gemüth trägt in sich selbst eine innere unverlierbare Fülle des Lebens, und weil es nicht nöthig hat, sich die Gegenstände zuzueignen, in denen es lebt, so ist es auch nicht in Gefahr, derselben beraubt zu werden. Aber endlich will doch auch der Schein einen Körper haben, an welchem er sich zeigt, und so lange also ein Bedürfniß auch nur nach schönem Schein vorhanden ist, bleibt ein Bedürfniß nach dem Dasein von Gegenständen übrig, und unsre Zufriedenheit ist folglich noch von der Natur als Macht abhängig, welche über alles Dasein gebietet. Es ist nämlich etwas ganz anders, ob wir ein Verlangen nach schönen und guten Gegenständen fühlen, oder ob wir bloß verlangen, daß die vorhandenen Gegenstände schön und gut seien. Das letzte kann mit der höchsten Freiheit des Gemüths bestehen, aber das erste nicht; daß das Vorhandene schön und gut sei, können wir fordern, daß das Schöne und Gute vorhanden sei, bloß wünschen. Diejenige Stimmung des Gemüths, welche gleichgültig ist, ob das Schöne und Gute und Vollkommene existiere, aber mit rigoristischer Strenge verlangt, daß das Existierende gut und schön und vollkommen sei, heißt vorzugsweise groß und erhaben, weil sie alle Realitäten des schönen Charakters enthält, ohne seine Schranken zu theilen.

Es ist ein Kennzeichen guter und schöner, aber jederzeit schwacher Seelen, immer ungeduldig auf Existenz ihrer moralischen Ideale zu dringen und von den Hindernissen derselben schmerzlich gerührt zu werden. Solche Menschen setzen sich in eine traurige Abhängigkeit von dem Zufall, und es ist immer mit Sicherheit vorherzusagen, daß sie der Materie in moralischen und ästhetischen Dingen zu viel einräumen und die höchste Charakter- und Geschmacksprobe nicht bestehen werden. Das moralisch Fehlerhafte soll uns nicht Leiden und Schmerz einflößen, welches immer mehr von einem unbefriedigten Bedürfniß als von einer unerfüllten Forderung zeugt. Diese muß einen rüstigern Affekt zum Begleiter haben und das Gemüth eher stärken und in seiner Kraft befestigen, als kleinmüthig und unglücklich machen.

Zwei Genien sind es, die uns die Natur zu Begleitern durchs Leben gab. Der eine, gesellig und hold, verkürzt uns durch sein munteres Spiel die mühvolle Reise, macht uns die Fesseln der Nothwendigkeit leicht und führt uns unter Freude und Scherz bis an die gefährlichen Stellen, wo wir als reine Geister handeln und alles Körperliche ablegen müssen, bis zur Erkenntniß der Wahrheit und zur Ausübung der Pflicht. Hier verläßt er uns, denn nur die Sinnenwelt ist sein Gebiet; über diese hinaus kann ihn sein irdischer Flügel nicht tragen. Aber jetzt tritt der andere hinzu, ernst und schweigend, und mit starkem Arm trägt er uns über die schwindlichte Tiefe.

In dem ersten dieser Genien erkennt man das Gefühl des Schönen, in dem zweiten das Gefühl des Erhabenen. Zwar ist schon das Schöne ein Ausdruck der Freiheit, aber nicht derjenigen, welche uns über die Macht der Natur erhebt und von allem körperlichen Einfluß entbindet, sondern derjenigen, welche wir innerhalb der Natur als Menschen genießen. Wir fühlen uns frei bei der Schönheit, weil die sinnlichen Triebe mit dem Gesetz der Vernunft harmonieren; wir fühlen uns frei beim Erhabenen, weil die sinnlichen Triebe auf die Gesetzgebung der Vernunft keinen Einfluß haben, weil der Geist hier handelt, als ob er unter keinen andere als seinen eigenen Gesetzen stünde.

Das Gefühl des Erhabenen ist ein gemischtes Gefühl. Es ist eine Zusammensetzung von Wehsein, das sich in seinem höchsten Grad als ein Schauer äußert, und von Frohsein, das bis zum Entzücken steigen kann und, ob es gleich nicht eigentlich Lust ist, von seinen Seelen aller Lust doch weit vorgezogen wird. Diese Verbindung zweier widersprechender Empfindungen in einem einzigen Gefühl beweist unsere moralische Selbständigkeit auf eine unwiderlegliche Weise. Denn da es absolut unmöglich ist, daß der nämliche Gegenstand in zwei entgegengesetzten Verhältnissen zu uns stehe, so folgt daraus, daß wir selbst in zwei verschiedenen Verhältnissen zu dem Gegenstand stehen, daß folglich zwei entgegengesetzte Naturen in uns vereiniget sein müssen, welche bei Vorstellung desselben auf ganz entgegengesetzte Art interessiert sind. Wir erfahren also durch das Gefühl des Erhabenen, daß sich der Zustand unsers Geistes nicht nothwendig nach dem Zustand des Sinnes richtet, daß die Gesetze der Natur nicht nothwendig auch die unsrigen sind, und daß wir ein selbständiges Principium in uns haben, welches von allen sinnlichen Rührungen unabhängig ist.

Der erhabene Gegenstand ist von doppelter Art. Wir beziehen ihn entweder auf unsere Fassungskraft und erliegen bei dem Versuch, uns ein Bild oder einen Begriff von ihm zu bilden; oder wir beziehen ihn auf unsere Lebenskraft und betrachten ihn als eine Macht, gegen welche die unsrige in Nichts verschwindet. Aber ob wir gleich in dem einen wie in dem andern Fall durch seine Veranlassung das peinliche Gefühl unserer Grenzen erhalten, so fliehen wir ihn doch nicht, sondern werden vielmehr mit unwiderstehlicher Gewalt von ihm angezogen. Würde dieses wohl möglich sein, wenn die Grenzen unsrer Phantasie zugleich die Grenzen unsrer Fassungskraft wären? Würden wir wohl an die Allgewalt der Naturkräfte gern erinnert sein wollen, wenn wir nicht noch etwas anders im Rückhalt hätten, als was ihnen zum Raube werden kann? Wir ergötzen uns an dem Sinnlich-Unendlichen, weil wir denken können, was die Sinne nicht mehr fassen und der Verstand nicht mehr begreift. Wir werden begeistert von dem Furchtbaren, weil wir wollen können, was die Triebe verabscheuen, und verwerfen, was sie begehren. Gern lassen wir die Imagination im Reich der Erscheinungen ihren Meister finden, denn endlich ist es doch nur eine sinnliche Kraft, die über eine andere sinnliche triumphiert, aber an das absolut Große in uns selbst kann die Natur in ihrer ganzen Grenzenlosigkeit nicht reichen. Gern unterwerfen wir der physischen Nothwendigkeit unser Wohlsein und unser Dasein; denn das erinnert uns eben, daß sie über unsre Grundsätze nicht zu gebieten hat. Der Mensch ist in ihrer Hand, aber des Menschen Wille ist in der seinigen.

Und so hat die Natur sogar ein sinnliches Mittel angewendet, uns zu lehren, daß wir mehr als bloß sinnlich sind; so wußte sie selbst Empfindungen dazu zu benutzen, uns der Entdeckung auf die Spur zu führen, daß wir der Gewalt der Empfindungen nichts weniger als sklavisch unterworfen sind. Und dies ist eine ganz andere Wirkung, als durch das Schöne geleistet werden kann – durch das Schöne der Wirklichkeit nämlich, denn im Idealschönen muß sich auch das Erhabene verlieren. Bei dem Schönen stimmen Vernunft und Sinnlichkeit zusammen, und nur um dieser Zusammenstimmung willen hat es Reiz für uns. Durch die Schönheit allein würden wir also ewig nie erfahren, daß wir bestimmt und fähig sind, uns als reine Intelligenzen zu beweisen. Beim Erhabenen hingegen stimmen Vernunft und Sinnlichkeit nicht zusammen, und eben in diesem Widerspruch zwischen beiden liegt der Zauber, womit es unser Gemüth ergreift. Der physische und der moralische Mensch werden hier aufs schärfste von einander geschieden; denn gerade bei solchen Gegenständen, wo der erste nur seine Schranken empfindet, macht der andere die Erfahrung seiner Kraft und wird durch eben das unendlich erhoben, was den andern zu Boden drückt.

Ein Mensch, will ich annehmen, soll alle die Tugenden besitzen, deren Vereinigung den schönen Charakter ausmacht. Er soll in der Ausübung der Gerechtigkeit, Wohlthätigkeit, Mäßigkeit, Standhaftigkeit und Treue seine Wollust finden; alle Pflichten, deren Befolgung ihm die Umstände nahe legen, sollen ihm zum leichten Spiele werden, und das Glück soll ihm keine Handlung schwer machen, wozu nur immer sein menschenfreundliches Herz ihn auffordern mag. Wem wird dieser schöne Einklang der natürlichen Triebe mit den Vorschriften der Vernunft nicht entzückend sein, und wer sich enthalten können, einen solchen Menschen zu lieben? Aber können wir uns wohl, bei aller Zuneigung zu demselben, versichert halten, daß er wirklich ein Tugendhafter ist, und daß es überhaupt eine Tugend gibt? Wenn es dieser Mensch auch bloß auf angenehme Empfindungen angelegt hätte, so könnte er, ohne ein Thor zu sein, schlechterdings nicht anders handeln, und er müßte seinen eigenen Vortheil hassen, wenn er lasterhaft sein wollte. Es kann sein, daß die Quelle seiner Handlungen rein ist; aber das muß er mit seinem eigenen Herzen ausmachen: wir sehen nichts davon. Wir sehen ihn nicht mehr thun, als auch der bloß kluge Mann thun müßte, der das Vergnügen zu seinem Gott macht. Die Sinnenwelt also erklärt das ganze Phänomen seiner Tugend, und wir haben gar nicht nöthig, uns jenseits derselben nach einem Grund davon umzusehen.

Dieser nämliche Mensch soll aber plötzlich in ein großes Unglück gerathen. Man soll ihn seiner Güter berauben, man soll seinen guten Namen zu Grund richten; Krankheiten sollen ihn auf ein schmerzhaftes Lager werfen; Alle, die er liebt, soll der Tod ihm entreißen, Alle, denen er vertraut, ihn in der Noth verlassen. In diesem Zustande suche man ihn wieder auf und fordere von dem Unglücklichen die Ausübung der nämlichen Tugenden, zu denen der Glückliche einst so bereit gewesen war. Findet man ihn in diesem Stück noch ganz als den Nämlichen, hat die Armuth seine Wohlthätigkeit, der Undank seine Dienstfertigkeit, der Schmerz seine Gleichmütigkeit, eignes Unglück seine Theilnehmung an fremdem Glück nicht vermindert, bemerkt man die Verwandlung seiner Umstände in seiner Gestalt, aber nicht in seinem Betragen, in der Materie, aber nicht in der Form seines Handelns – dann freilich reicht man mit keiner Erklärung aus dem Naturbegriff mehr aus (nach welchem es schlechterdings nothwendig ist, daß das Gegenwärtige als Wirkung sich auf etwas Vergangenes als seine Ursache gründet), weil nichts widersprechender sein kann, als daß die Wirkung dieselbe bleibe, wenn die Ursache sich in ihr Gegentheil verwandelt hat. Man muß also jeder natürlichen Erklärung entsagen, muß es ganz und gar aufgeben, das Betragen aus dem Zustande abzuleiten, und den Grund des erstern aus der physischen Weltordnung heraus in eine ganz andere verlegen, welche die Vernunft zwar mit ihren Ideen erstiegen, der Verstand aber mit seinen Begriffen nicht erfassen kann. Diese Entdeckung des absoluten moralischen Vermögens, welches an keine Naturbedingung gebunden ist, gibt dem wehmüthigen Gefühl, wovon wir beim Anblick eines solchen Menschen ergriffen werden, den ganz eignen unaussprechlichen Reiz, den keine Lust der Sinne, so veredelt sie auch seien, dem Erhabenen streitig machen kann.

Das Erhabene verschafft uns also einen Ausgang aus der sinnlichen Welt, worin uns das Schöne gern immer gefangen halten möchte. Nicht allmählich (denn es gibt von der Abhängigkeit keinen Uebergang zur Freiheit), sondern plötzlich und durch eine Erschütterung reißt es den selbständigen Geist aus dem Netze los, womit die verfeinerte Sinnlichkeit ihn umstrickte, und das um so fester bindet, je durchsichtiger es gesponnen ist. Wenn sie durch den unmerklichen Einfluß eines weichlichen Geschmacks auch noch so viel über die Menschen gewonnen hat, wenn es ihr gelungen ist, sich in der verführerischen Hülle des geistigen Schönen in den innersten Sitz der moralischen Gesetzgebung einzudrängen und dort die Heiligkeit der Maximen an ihrer Quelle zu vergiften, so ist oft eine einzige erhabene Rührung genug, dieses Gewebe des Betrugs zu zerreißen, dem gefesselten Geist seine ganze Schnellkraft auf einmal zurückzugeben, ihm eine Revelation über seine wahre Bestimmung zu ertheilen und ein Gefühl seiner Würde, wenigstens für den Moment, aufzunöthigen. Die Schönheit unter der Gestalt der Göttin Kalypso hat den tapfern Sohn des Ulysses bezaubert, und durch die Macht ihrer Reizungen hält sie ihn lange Zeit auf ihrer Insel gefangen. Lange glaubt er einer unsterblichen Gottheit zu huldigen, da er doch nur in den Armen der Wollust liegt; aber ein erhabener Eindruck ergreift ihn plötzlich unter Mentors Gestalt: er erinnert sich seiner bessern Bestimmung, wirft sich in die Wellen und ist frei.

Das Erhabene, wie das Schöne, ist durch die ganze Natur verschwenderisch ausgegossen, und die Empfindungsfähigkeit für beides in alle Menschen gelegt; aber der Keim dazu entwickelt sich ungleich, und durch die Kunst muß ihm nachgeholfen werden. Schon der Zweck der Natur bringt es mit sich, daß wir der Schönheit zuerst entgegeneilen, wenn wir noch vor dem Erhabenen fliehn; denn die Schönheit ist unsere Wärterin im kindischen Alter und soll uns ja aus dem rohen Naturstand zur Verfeinerung führen. Aber ob sie gleich unsre erste Liebe ist und unsre Empfindungsfähigkeit für dieselbe zuerst sich entfaltet, so hat die Natur doch dafür gesorgt, daß sie langsamer reif wird und zu ihrer völligen Entwicklung erst die Ausbildung des Verstandes und Herzens abwartet. Erreichte der Geschmack seine völlige Reife, ehe Wahrheit und Sittlichkeit auf einen bessern Weg, als durch ihn geschehen kann, in unser Herz gepflanzt wären, so würde die Sinnenwelt ewig die Grenze unsrer Bestrebungen bleiben. Wir würden weder in unsern Begriffen, noch in unsern Gesinnungen über sie hinausgehn, und was die Einbildungskraft nicht darstellen kann, würde auch keine Realität für uns haben. Aber glücklicher Weise liegt es schon in der Einrichtung der Natur, daß der Geschmack, obgleich er zuerst blühet, doch zuletzt unter allen Fähigkeiten des Gemüths seine Zeitigung erhält. In dieser Zwischenzeit wird Frist genug gewonnen, einen Reichthum von Begriffen in dem Kopf und einen Schatz von Grundsätzen in der Brust anzupflanzen und dann besonders auch die Empfindungsfähigkeit für das Große und Erhabene aus der Vernunft zu entwickeln.

So lange der Mensch bloß Sklave der physischen Nothwendigkeit war, aus dem engen Kreis der Bedürfnisse noch keinen Ausgang gefunden hatte und die hohe dämonische Freiheit in seiner Brust noch nicht ahnete, so konnte ihn die unfaßbare Natur nur an die Schranken seiner Vorstellungskraft, und die verderbende Natur nur an seine physische Ohnmacht erinnern. Er mußte also die erste mit Kleinmuth vorübergehen und sich von der andern mit Entsetzen abwenden. Kaum aber macht ihm die freie Betrachtung gegen den blinden Andrang der Naturkräfte Raum, und kaum entdeckt er in dieser Fluth von Erscheinungen etwas Bleibendes in seinem eignen Wesen, so fangen die wilden Naturmassen um ihn herum an, eine ganz andere Sprache zu seinem Herzen zu reden; und das relativ Große außer ihm ist der Spiegel, worin er das absolut Große in ihm selbst erblickt. Furchtlos und mit schauerlicher Lust nähert er sich jetzt diesen Schreckbildern seiner Einbildungskraft und bietet absichtlich die ganze Kraft dieses Vermögens auf, das Sinnlich-Unendliche darzustellen, um, wenn es bei diesem Versuche dennoch erliegt, die Ueberlegenheit seiner Ideen über das Höchste, was die Sinnlichkeit leisten kann, desto lebhafter zu empfinden. Der Anblick unbegrenzter Fernen und unabsehbarer Höhen, der weite Ocean zu seinen Füßen und der größere Ocean über ihm entreißen seinen Geist der engen Sphäre des Wirklichen und der drückenden Gefangenschaft des physischen Lebens. Ein größerer Maßstab der Schätzung wird ihm von der simpeln Majestät der Natur vorgehalten, und von ihren großen Gestalten umgeben, erträgt er das Kleine in seiner Denkart nicht mehr. Wer weiß, wie manchen Lichtgedanken oder Heldenentschluß, den kein Studierkerker und kein Gesellschaftsaal zur Welt gebracht haben möchte, nicht schon dieser mutige Streit des Gemüths mit dem großen Naturgeist auf einem Spaziergang gebar; wer weiß, ob es nicht dem seltenern Verkehr mit diesem großen Genius zum Theil zuzuschreiben ist, daß der Charakter der Städter sich so gerne zum Kleinlichen wendet, verkrüppelt und welkt, wenn der Sinn des Nomaden offen und frei bleibt, wie das Firmament, unter dem er sich lagert.

Aber nicht bloß das Unerreichbare für die Einbildungskraft, das Erhabene der Quantität, auch das Unfaßbare für den Verstand, die Verwirrung, kann, sobald sie ins Große geht und sich als Werk der Natur ankündigt (denn sonst ist sie verächtlich), zu einer Darstellung des Uebersinnlichen dienen und dem Gemüth einen Schwung geben. Wer verweilet nicht lieber bei der geistreichen Unordnung einer natürlichen Landschaft, als bei der geistlosen Regelmäßigkeit eines französischen Gartens? Wer bestaunt nicht lieber den wunderbaren Kampf zwischen Fruchtbarkeit und Zerstörung in Siciliens Fluren, weidet sein Auge nicht lieber an Schottlands wilden Katarakten und Nebelgebirgen, Ossians großer Natur, als daß er in dem schnurgerechten Holland den sauren Sieg der Geduld über das trotzigste der Elemente bewundert? Niemand wird leugnen, daß in Bataviens Triften für den physischen Menschen besser gesorgt ist, als unter dem tückischen Krater des Vesuv, und daß der Verstand, der begreifen und ordnen will, bei einem regulären Wirthschaftsgarten weit mehr als bei einer wilden Naturlandschaft seine Rechnung findet. Aber der Mensch hat noch ein Bedürfniß mehr, als zu leben und sich wohl sein zu lassen, und auch noch eine andere Bestimmung, als die Erscheinungen um ihn herum zu begreifen.

Was dem Reisenden von Empfindung die wilde Bizarrerie in der physischen Schöpfung so anziehend macht, eben das eröffnet einem begeisterungsfähigen Gemüth, selbst in der bedenklichen Anarchie der moralischen Welt, die Quelle eines ganz eignen Vergnügens. Wer freilich die große Haushaltung der Natur mit der dürftigen Fackel des Verstandes beleuchtet und immer nur darauf ausgeht, ihre kühne Unordnung in Harmonie aufzulösen, der kann sich in einer Welt nicht gefallen, wo mehr der tolle Zufall als ein weiser Plan zu regieren scheint und bei weitem in den mehresten Fällen Verdienst und Glück mit einander im Widerspruche stehn. Er will haben, daß in dem großen Weltlaufe alles wie in einer guten Wirtschaft geordnet sei, und vermißt er, wie es nicht wohl anders sein kann, diese Gesetzmäßigkeit, so bleibt ihm nichts anders übrig, als von einer künftigen Existenz und von einer andern Natur die Befriedigung zu erwarten, die ihm die gegenwärtige und vergangene schuldig bleibt. Wenn er es hingegen gutwillig aufgibt, dieses gesetzlose Chaos von Erscheinungen unter eine Einheit der Erkenntniß bringen zu wollen, so gewinnt er von einer andern Seite reichlich, was er von dieser verloren gibt. Gerade dieser gänzliche Mangel einer Zweckverbindung unter diesem Gedränge von Erscheinungen, wodurch sie für den Verstand, der sich an diese Verbindungsform halten muß, übersteigend und unbrauchbar werden, macht sie zu einem desto treffendern Sinnbild für die reine Vernunft, die in eben dieser wilden Ungebundenheit der Natur ihre eigne Unabhängigkeit von Naturbedingungen dargestellt findet. Denn wenn man einer Reihe von Dingen alle Verbindung unter sich nimmt, so hat man den Begriff der Independenz, der mit dem reinen Vernunftbegriff der Freiheit überraschend zusammenstimmt. Unter dieser Idee der Freiheit, welche sie auf ihrem eigenen Mittel nimmt, faßt also die Vernunft in eine Einheit des Gedankens zusammen, was der Verstand in keine Einheit der Erkenntniß verbinden kann, unterwirft sich durch diese Idee das unendliche Spiel der Erscheinungen und behauptet also ihre Macht zugleich über den Verstand als sinnlich bedingtes Vermögen. Erinnert man sich nun, welchen Werth es für ein Vernunftwesen haben muß, sich seiner Independenz von Naturgesetzen bewußt zu werden, so begreift man, wie es zugeht, daß Menschen von erhabener Gemüthsstimmung durch diese ihnen dargebotene Idee der Freiheit sich für allen Fehlschlag der Erkenntniß für entschädigt halten können. Die Freiheit in allen ihren moralischen Widersprüchen und physischen Uebeln ist für edle Gemüther ein unendlich interessanteres Schauspiel, als Wohlstand und Ordnung ohne Freiheit, wo die Schafe geduldig dem Hirten folgen und der selbstherrschende Wille sich zum dienstbaren Glied eines Uhrwerks herabsetzt. Das letzte macht den Menschen bloß zu einem geistreichen Produkt und glücklichern Bürger der Natur; die Freiheit macht ihn zum Bürger und Mitherrscher eines höhern Systems, wo es unendlich ehrenvoller ist, den untersten Platz einzunehmen, als in der physischen Ordnung den Reihen anzuführen.

Aus diesem Gesichtspunkt betrachtet, und nur aus diesem, ist mir die Weltgeschichte ein erhabenes Objekt. Die Welt, als historischer Gegenstand, ist im Grunde nichts anders als der Conflikt der Naturkräfte unter einander selbst und mit der Freiheit des Menschen, und den Erfolg dieses Kampfes berichtet uns die Geschichte. So weit die Geschichte bis jetzt gekommen ist, hat sie von der Natur (zu der alle Affekte im Menschen gezählt werden müssen) weit größere Thaten zu erzählen, als von der selbständigen Vernunft, und diese hat bloß durch einzelne Ausnahmen vom Naturgesetz in einem Cato, Aristides, Phocion und ähnlichen Männern ihre Macht behaupten können. Nähert man sich nur der Geschichte mit großen Erwartungen von Licht und Erkenntniß – wie sehr findet man sich da getäuscht! Alle wohlgemeinten Versuche der Philosophie, das, was die moralische Welt fordert, mit dem, was die wirkliche leistet, in Uebereinstimmung zu bringen, werden durch die Aussagen der Erfahrungen widerlegt, und so gefällig die Natur in ihrem organischen Reich sich nach den regulativen Grundsätzen der Beurtheilung richtet oder zu richten scheint, so unbändig reißt sie im Reich der Freiheit den Zügel ab, woran der Spekulationsgeist sie gern gefangen führen möchte.

Wie ganz anders, wenn man darauf resigniert, sie zu erklären, und diese ihre Unbegreiflichkeit selbst zum Standpunkt der Beurtheilung macht! Eben der Umstand, daß die Natur, im Großen angesehen, aller Regeln, die wir durch unsern Verstand ihr vorschreiben, spottet, daß sie auf ihrem eigenwilligen freien Gang die Schöpfungen der Weisheit und des Zufalls mit gleicher Achtlosigkeit in den Staub tritt, daß sie das Wichtige wie das Geringe, das Edle wie das Gemeine in einem Untergang mit sich fortreißt, daß sie hier eine Ameisenwelt erhält, dort ihr herrlichstes Geschöpf, den Menschen, in ihre Riesenarme faßt und zerschmettert, daß sie ihre mühsamsten Erwerbungen oft in einer leichtsinnigen Stunde verschwendet und an einem Werk der Thorheit oft Jahrhunderte lang baut – mit einem Wort – dieser Abfall der Natur im Großen von den Erkenntnißregeln, denen sie in ihren einzelnen Erscheinungen sich unterwirft, macht die absolute Unmöglichkeit sichtbar, durch Naturgesetze die Natur selbst zu erklären und von ihrem Reiche gelten zu lassen, was in ihrem Reiche gilt, und das Gemüth wird also unwiderstehlich aus der Welt der Erscheinungen heraus in die Ideenwelt, aus dem Bedingten ins Unbedingte getrieben.

Noch viel weiter als die sinnlich unendliche führt uns die furchtbare und zerstörende Natur, so lange wir nämlich bloß freie Betrachter derselben bleiben. Der sinnliche Mensch freilich und die Sinnlichkeit in dem vernünftigen fürchten nichts so sehr, als mit dieser Macht zu zerfallen, die über Wohlsein und Existenz zu gebieten hat.

Das höchste Ideal, wornach wir ringen, ist, mit der physischen Welt, als der Bewahrerin unserer Glückseligkeit, in gutem Vernehmen zu bleiben, ohne darum genöthigt zu sein, mit der moralischen zu brechen, die unsere Würde bestimmt. Nun geht es aber bekanntermaßen nicht immer an, beiden Herren zu dienen, und wenn auch (ein fast unmöglicher Fall) die Pflicht mit dem Bedürfnisse nie in Streit gerathen sollte, so geht doch die Naturnothwendigkeit keinen Vertrag mit dem Menschen ein, und weder seine Kraft noch seine Geschicklichkeit kann ihn gegen die Tücke der Verhängnisse sicher stellen. Wohl ihm also, wenn er gelernt hat, zu ertragen, was er nicht ändern kann, und preiszugeben mit Würde, was er nicht retten kann! Fälle können eintreten, wo das Schicksal alle Außenwerke ersteigt, auf die er seine Sicherheit gründete, und ihm nichts weiter übrig bleibt, als sich in die heilige Freiheit der Geister zu flüchten; wo es kein anderes Mittel gibt, den Lebenstrieb zu beruhigen, als es zu wollen, und kein anderes Mittel, der Macht der Natur zu widerstehen, als ihr zuvorzukommen und durch eine freie Aufhebung alles sinnlichen Interesse, ehe noch eine physische Macht es thut, sich moralisch zu entleiben.

Dazu nun stärken ihn erhabene Rührungen und ein öfterer Umgang mit der zerstörenden Natur, sowohl da, wo sie ihm ihre verderbliche Macht bloß von ferne zeigt, als wo sie sie wirklich gegen seine Mitmenschen äußert. Das Pathetische ist ein künstliches Unglück, und wie das wahre Unglück setzt es uns in unmittelbaren Verkehr mit dem Geistergesetz, das in unserm Busen gebietet. Aber das wahre Unglück wählt seinen Mann und seine Zeit nicht immer gut; es überrascht uns oft wehrlos, und was noch schlimmer ist, es macht uns oft wehrlos. Das künstliche Unglück des Pathetischen hingegen findet uns in voller Rüstung, und weil es bloß eingebildet ist, so gewinnt das selbständige Principium in unserm Gemüthe Raum, seine absolute Independenz zu behaupten. Je öfter nun der Geist diesen Akt von Selbstthätigkeit erneuert, desto mehr wird ihm derselbe zur Fertigkeit, einen desto größern Vorsprung gewinnt er vor dem sinnlichen Trieb, daß er endlich auch dann, wenn aus dem eingebildeten und künstlichen Unglück ein ernsthaftes wird, im Stande ist, es als ein künstliches zu behandeln und – der höchste Schwung der Menschennatur! – das wirkliche Leiden in eine erhabene Rührung aufzulösen. Das Pathetische, kann man daher sagen, ist eine Inoculation des unvermeidlichen Schicksals, wodurch es seiner Bösartigkeit beraubt und der Angriff desselben auf die starke Seite des Menschen hingeleitet wird.

Also hinweg mit der falsch verstandenen Schonung und dem schlaffen verzärtelten Geschmack, der über das ernste Angesicht der Nothwendigkeit einen Schleier wirft und, um sich bei den Sinnen in Gunst zu setzen, eine Harmonie zwischen dem Wohlsein und Wohlverhalten lügt, wovon sich in der wirklichen Welt keine Spuren zeigen! Stirne gegen Stirn zeige sich uns das böse Verhängniß. Nicht in der Unwissenheit der uns umlagernden Gefahren – denn diese muß doch endlich aufhören – nur in der Bekanntschaft mit denselben ist Heil für uns. Zu dieser Bekanntschaft nun verhilft uns das furchtbar herrliche Schauspiel der alles zerstörenden und wieder erschaffenden und wieder zerstörenden Veränderung, des bald langsam untergrabenden, bald schnell überfallenden Verderbens, verhelfen uns die pathetischen Gemälde der mit dem Schicksal ringenden Menschheit, der unaufhaltsamen Flucht des Glücks, der betrogenen Sicherheit, der triumphierenden Ungerechtigkeit und der unterliegenden Unschuld, welche die Geschichte in reichem Maß aufstellt und die tragische Kunst nachahmend vor unsere Augen bringt. Denn wo wäre Derjenige, der, bei einer nicht ganz verwahrlosten moralischen Anlage, von dem hartnäckigen und doch vergeblichen Kampf des Mithridat, von dem Untergang der Städte Syrakus und Karthago lesen und bei solchen Scenen verweilen kann, ohne dem ernsten Gesetz der Nothwendigkeit mit einem Schauer zu huldigen, seinen Begierden augenblicklich den Zügel anzuhalten und, ergriffen von dieser ewigen Untreue alles Sinnlichen, nach dem Beharrlichen in seinem Busen zu greifen? Die Fähigkeit, das Erhabene zu empfinden, ist also eine der herrlichsten Anlagen in der Menschennatur, die sowohl wegen ihres Ursprungs aus dem selbständigen Denk- und Willensvermögen unsre Achtung, als wegen ihres Einflusses auf den moralischen Menschen die vollkommenste Entwicklung verdient. Das Schöne macht sich bloß verdient um den Menschen, das Erhabene um den reinen Dämon in ihm; und weil es einmal unsre Bestimmung ist, auch bei allen sinnlichen Schranken uns nach dem Gesetzbuch reiner Geister zu richten, so muß das Erhabene zu dem Schönen hinzukommen, um die ästhetische Erziehung zu einem vollständigen Ganzen zu machen und die Empfindungsfähigkeit des menschlichen Herzens nach dem ganzen Umfang unsrer Bestimmung, und also auch über die Sinnenwelt hinaus, zu erweitern.

Ohne das Schöne würde zwischen unsrer Naturbestimmung und unsrer Vernunftbestimmung ein immerwährender Streit sein. Ueber dem Bestreben, unserm Geisterberuf Genüge zu leisten, würden wir unsere Menschheit versäumen und, alle Augenblicke zum Aufbruch aus der Sinnenwelt gefaßt, in dieser uns einmal angewiesenen Sphäre des Handelns beständig Fremdlinge bleiben. Ohne das Erhabene würde uns die Schönheit unsrer Würde vergessen machen. In der Erschlaffung eines ununterbrochenen Genusses würden wir die Rüstigkeit des Charakters einbüßen und, an diese zufällige Form des Daseins unauflösbar gefesselt, unsere unveränderliche Bestimmung und unser wahres Vaterland aus den Augen verlieren. Nur wenn das Erhabene mit dem Schönen sich gattet und unsere Empfänglichkeit für beides in gleichem Maß ausgebildet worden ist, sind wir vollendete Bürger der Natur, ohne deßwegen ihre Sklaven zu sein und ohne unser Bürgerrecht in der intelligibeln Welt zu verscherzen.

Nun stellt zwar schon die Natur für sich allein Objekte in Menge auf, zu denen sich die Empfindungsfähigkeit für das Schöne und Erhabene üben könnte; aber der Mensch ist, wie in andern Fällen, so auch hier, von der zweiten Hand besser bedient, als von der ersten, und will lieber einen zubereiteten und auserlesenen Stoff von der Kunst empfangen, als an der unreinen Quelle der Natur mühsam und dürftig schöpfen. Der nachahmende Bildungstrieb, der keinen Eindruck erleiden kann, ohne sogleich nach einem lebendigen Ausdruck zu streben, und in jeder schönen oder großen Form der Natur eine Ausforderung erblickt, mit ihr zu ringen, hat vor derselben den großen Vortheil voraus, dasjenige als Hauptzweck und als ein eigenes Ganzes behandeln zu dürfen, was die Natur – wenn sie es nicht gar absichtlos hinwirft – bei Verfolgung eines ihr näher liegenden Zwecks bloß im Vorbeigehen mitnimmt. Wenn die Natur in ihren schönen organischen Bildungen entweder durch die mangelhafte Individualität des Stoffes oder durch Einwirkung heterogener Kräfte Gewalt erleidet, oder wenn sie, in ihren großen und pathetischen Scenen, Gewalt ausübt und als eine Macht auf den Menschen wirkt, da sie doch bloß als Objekt der freien Betrachtung ästhetisch werden kann, so ist ihre Nachahmerin, die bildende Kunst, völlig frei, weil sie von ihrem Gegenstand alle zufälligen Schranken absondert, und läßt auch das Gemüth des Betrachters frei, weil sie nur den Schein und nicht die Wirklichkeit nachahmt. Da aber der ganze Zauber des Erhabenen und Schönen nur in dem Schein und nicht in dem Inhalt liegt, so hat die Kunst alle Vortheile der Natur, ohne ihre Fesseln mit ihr zu theilen.