Charakterisierung des Max Piccolomini, Zeichnung von Friedrich Pecht

Max Piccolomini, Charakter aus der Wallenstein-Trilogie, Zeichnung von Friedrich Pecht

Max Piccolomini, Charakter aus der Wallenstein-Trilogie, Zeichnung von Friedrich Pecht, 1859

Charakterisierung des Max Piccolomini

aus der „Schiller-Galerie“, 1859



Es ist eine ebenso merkwürdige als tröstliche Erscheinung, dass gerade in Zeiten tiefster Fäulnis, Zwietracht, Intrige, ja inmitten des unaufhörlichen Blutvergießens, der Gräuel aller Art, die langer Bürgerkriege unzertrennliche Begleiter sind, einzelne Naturen aufwachsen, die von der allgemeinen Verderbnis unberührt bleiben, sich eine schier unbegreifliche Reinheit und Jungfraulichkeit erhalten. Leider sind es gerade diese Naturen, die dann zum Opfer, zum anscheinend fruchtlosen Untergang bestimmt sind, die umsonst gegen den Strom allgemeiner Verwilderung ankämpfen, von demselben fortgerissen und in seinen Fluten begraben werden. Aber ihr Bild, ihr Andenken erhält sich fort und fort, wie die Tugend ewig besiegt, betrogen, verlacht und verhöhnt wird und doch aus den Flammen irdischer Qual nur gereinigter und strahlender emporsteigt, um neue edelmütige Naturen zur Nachahmung fortzureißen. Solche Gestalten waren die christlichen Märtyrer, unzählige Helden des Glaubens, der Wissenschaft, der Kunst; solche Charaktere führt uns unser unsterblicher Dichter in Max, in Thekla vor. Sind sie im rasenden Treiben rücksichtslosester Leidenschaften im voraus dem Untergange verfallen, so richtet sich doch jedes edlere Gemüt an ihrem Bilde auf, und sie erfüllen so ihre Mission, für die sie der Dichter mit allem Reiz seiner Poesie geschmückt, wie man die Opfer bekränzt.

Die ersten und echtesten Eigenschaften des Mannes, deren Besitz allemal unsern Antheil sichert, deren Mangel niemals verziehen wird, sind Muth und Ehrgefühl. Daher führt uns auch Schiller den Jüngling, der im weitem Verlauf des Stücks ‚unter den vielen Männergestalten desselben am meisten unsere menschliche Teilnahme in Anspruch nehmen soll, sofort als den jungen Heros ein, auf dessen dunkeln Locken schon der Lorbeer glänzt; „jetzt soll der Kriegsheld fertig sein“, sagt Isolan von ihm. Er wird uns aber nicht nur als heldenkühn geschildert, die erste Tat, die man uns von ihm berichtet, ist auch eine Tat der Liebe und Aufopferung, er befreit seinen Vater aus den Reihen der Feinde. Schon im „Lager“ war uns die Anhänglichkeit der tapfern Reiter an ihn gezeigt worden, die sich ihn selbst zum Führer erwählt, dann der Ruf, in dem er auch bei den übrigen Regimentern steht, dass sie ihn alle erwählen, um ihre Petition zu übergeben. Sie erraten, dass des Lagers wahrem Sohn alles das in dem eigenen Innern widerklingen muss, was von echtem Kriegergeist in jedes einzelnen Soldaten Brust schlagt; er ist der schönste Typus jenes echt nationalen Soldatentums, dessen Schilderung im „Wallenstein“ seine höchste poetische Weihe erhält. Dass uns der Dichter zeigt, wie so viel tausend Heldenherzen den feurigen Jüngling als ihren Vertreter sich heraussuchen, ist gewiss ein vollkommen richtiger Zug zum Bilde desselben; stellt er ihn dadurch schon auf eine hohe Stufe, so wird er in unsern Augen noch mehr erhöht, wenn wir sehen, wie auch Wallenstein die gerade Heldennatur in ihm ehrt und liebt, die Geistesverwandtschaft in ihm herausfühlt, von dem Strom seiner reinen jugendlichen Empfindung bezaubert wird, der bei jeder Gelegenheit voll und kristallhell hervorbricht. Sagt er doch von ihm:

Denn er stand neben mir, wie meine Jugend,
Er machte mir das Wirkliche zum Traum,
Um die gemeine Deutlichkeit der Dinge
Den goldnen Duft der Morgenröthe webend —
Im Feuer seines liebenden Gefühls
Erhoben sich, mir selber zum Erstaunen,
Des Lebens flach alltägliche Gestalten.

Mit vollendeter Meisterschaft lässt uns der Dichter alle diese Eigenschaften gleich im ersten Auftreten ihn selber am hellsten offenbaren und uns zugleich zeigen, wie er sich mit aller Schwärmerei einer jugendlichen Seele an Wallenstein angeschlossen hat, als er ihn vor Questenberg Zug vor Zug richtig malt, wie es nur ein geistreicher Mensch, eine verwandte Natur kann und doch das ganze Bild idealisiert, weil er nur das sieht, was in ihm selbst ein Echo findet.

Noch hat er den Zauber des Friedens nie gesehen, keine Ahnung von seinem stillen Glück ist in die kampfgewohnte Seele gestiegen, als der Anblick seiner Segnungen gleichzeitig mit der Liebe zu einer edeln Frauenseele vereint ihm zu Teil wurden; jetzt zum ersten mal empfindet er mit Sehnsucht und Entzücken, dass es noch andere Güter gibt als Kriegerruhm und soldatische Ehren.

Ihn auch durch dieses Band noch an sich zu fesseln oder fesseln zu lassen, war ein Meisterstrich des altern Freundes; aber wenn er auch vollkommen gelingt, Wie Max selbst es ja verkündet:

Was dank’ ich ihm nicht alles — o, was sprech’ ich
Nicht alles aus in diesem theuren Namen Friedland!
Zeitlebens soll ich ein Gefangner sein
Von diesem Namen —

so empört uns doch die Perfidie in dem Kalkül, die gerade mit Notwendigkeit das tragische Ende herbeiführen muss, der herzlose Egoismus, mit dem Wallenstein selbst das Lebensglück des Freundes seiner Ehrsucht zum Opfer bringt.

Thekla ahnt die grausame Wahrheit besser, als sie ihm, da er seine Hoffnung auf den Vater ausspricht in den Worten:

Er soll mein Glück entscheiden, er ist wahrhaft,
Ist unverstellt und hasst die krummen Wege,
Er ist so gut, so edel —

erwidert:

Das bist du!

Wie bei Thekla, so ist auch bei Max das Charakteristische die jugendliche Härte des Charakters, die Unmöglichkeit in den Konflikten des Lebens mit einer Pflicht zu transigieren. Unübertrefflich schön ist der Widerstand gemalt, den er der auf ihn hereinbrechenden Überzeugung von der Verräterei Wallensteins entgegensetzt, der Scharfsinn, mit dem er den ganzen Teil der Motive errät, die ihn dazu treiben könnten und doch noch zu entschuldigen waren, die noch ein Echo in seiner reinen Brust finden würden, wenn er dem Vater gegenüber in die Anklage ausbricht:

Ihr werdet ihn durch Eure Staatskunst noch
Zu einem Schritte treiben — ja, Ihr könntet ihn,
Weil Ihr ihn schuldig wollt, noch schuldig machen.

Auf die höchste Höhe wird unsere Teilnahme für ihn gesteigert, wenn er, als Wallenstein selber ihm keinen Zweifel mehr an seinem Verrate übrig lässt, alle hinreißende Macht jugendlicher Beredsamkeit aufwendet um ihn zurückzuhalten, ihn wirklich, wenn auch fruchtlos, für einen Augenblick erschüttert.
Als er sieht, dass alles verloren, dass er sich im Vater und Feldherrn gleich sehr getäuscht, geht der unheilbare Riss durch sein Gemüt, den er so schön durch die Worte malt:

Weh mir! Ich habe die Natur verändert.
Wie kommt der Argwohn in die freie Seele?
Vertrauen, Glaube, Hoffnung ist dahin.
Denn alles log mir, was ich hochgeachtet.

Aber nur Gleichgesinnte können sich vollkommen verstehen, daher weder Octavio, Wallenstein, noch die Terzky die Partei, die Max im Streit ergreifen wird, richtig beurteilen, während sie Thekla sogleich fühlt und mit Sicherheit voraussetzt:

Sein Entschluss wird bald
Gefasst sein, daran zweifelt nicht. Entschluss!
Ist hier noch ein Entschluss?

In dieser letzten Unterredung, die er mit Wallenstein hat, sehen wir ihn dargestellt, nachdem er die Entscheidung in Theklas Hände gelegt und von ihr auf sein erstes Gefühl zurückgewiesen, von allen andern zurückgestoßen wird. Die Verzweiflung fasst hier endlich sein Herz, der Gedanke, den Tod zu suchen, überkommt ihn, jene Maßlosigkeit in der Empfindung, die der Jugend eigen ist, die niemals einen Ausweg sieht, und er weiht sich und die Kameraden, die ihn an die verhasste Pflicht mahnen, dem Untergang:

Ihr reisst mich weg von meinem Glück, wohlan,
Der Rachegöttin weih’ ich eure Seelen!
Ihr habt gewählt zum eigenen Verderben;
Wer mit mir geht, der sei bereit zu sterben!