Charakterisierung des Octavio Piccolomini, Zeichnung von Friedrich Pecht

Octavio Piccolomini, Charakter aus der Wallenstein-Trilogie, Zeichnung von Friedrich Pecht

Octavio Piccolomini, Charakter aus der Wallenstein-Trilogie, Zeichnung von Friedrich Pecht, 1859

Charakterisierung des Octavio Piccolomini

aus der „Schiller-Galerie“, 1859



Den meisten Beschauern unserer Darstellungen wird die des Octavio eine Eiltäuschung bereiten. Sie werden sich den alten Fuchs wohl lang, unmäßig hager, finster‚ womöglich mit kahlem Schädel vorgestellt haben, und finden nun einen stattlichen, dicken, höchstens etwas schlangenartig blickenden Herrn vor sich. Der Künstler gesteht offen, dass er sich denselben ebenso wie sie ausgemalt hatte, schon darum, weil man ihn auf dem Theater gewöhnlich so geben sieht; und erst die Bekanntschaft mit den Porträts des historischen Octavio, wie sie noch vielfach und zum Theil vortrefflich existieren, brachte ihn auf eine andere, diesen mehr entsprechende Auffassung. Die ruhige Kälte, der Grundton im Charakter des weltgewandten Octavio verträgt sich sehr gut mit einer vortrefflichen Verdauung, ein dickes Gesicht verbirgt im geschmeidigen Fett die gefährlichsten Gedanken, das Lauern, die scharfe Beobachtung nur umso besser. Vom Soldaten hat Octavio nur den kaltblütigen, ruhigen Muth mitten in der höchsten Gefahr, seine Feinde sagen von ihm, er tauge mehr zum Intrigieren, als zur Führung eines Heeres, was am Ende wohl bloß heißt, er besitze mehr staatsmännisches als Feldherrntalent, mehr Verstand, als fortreißende Macht des Willens; denn dass er hochbegabt ist, zeigt uns jede seiner Äußerungen, wohlredend, höfisch, abgeschliffen, gewandt setzt er die Worte langsam und wohlerwogen, aber scharf zugespitzt und mitten ins Herz der Sache oder der Person dringend. Während uns bei Max eine durchaus wahre, eine deutsche Natur entgegentritt, der die natürliche angeborene Lust des Italieners zur Intrige nicht nur fehlt, sondern sie im höchsten Grade anwidert, so ist bei Octavio die Feinheit des ultramontanen Geistes ganz unverkennbar. Er ist in diesem Betracht ein würdiger Gegner Wallensteins, der einzige von all den Generalen außer ihm, welcher höhere Gesichtspunkte hat, während sie den andern, selbst dem Max, abgehen; sie alle betrachten den Krieg als ihren Beruf, als ein Handwerk, das sie mit Lust um seiner selbst willen treiben; er allein kennt ihn als ein bloßes Mittel und zwar als das letzte, äußerste und traurigste, und spricht es aus:

Es gibt
Noch höhern Werth, mein Sohn, als kriegerischen;
Im Kriege selber ist das letzte nicht der Krieg.

Die Überlegenheit seines Geistes erklärt denn auch vollständig jenen mächtigen Einfluss, den er auf die Entschließungen der übrigen Generale ausübt, sie beugen sich aber bloß der Macht seiner Gründe, er lenkt sie nach seiner Absicht, weil er die Motive keimt, die auf jeden einzelnen Eindruck machen, und sich ihrer versichert, während sie Wallenstein durch die Macht seines Willens und den Zauber seiner Person allein schon besiegt, und nur die nachträgliche kühlere Überlegung sie ihm wieder entfremdet.

Octavio ist zu sehr Diplomat, zu sehr Verstandesmensch, als dass er eine eigentliche Heldennatur wie der Friedländer haben könnte, wenn er auch nirgends niedrig denkt. Seine Klugheit, seine kalte Ruhe ist aber so vorherrschend, dass sie allen andern unheimlich wird und ihn der eine einen «alten Fuchs», der andere eine „falsche Katze“ schilt, der „listige Welsche“ ihm jedenfalls nie geschenkt wird. Wie alle geistesscharfen Menschen ohne eigentliche Schöpferkraft, erweckt er zunächst eher Widerwillen, und muss uns seine Vorzüge erst beweisen, — was nur durch die Art seines Seins hervorgerufen werden kann, denn Wallenstein ist ebenso wenig aufrichtig als er, verfolgt noch persönlichere Zwecke, wählt noch weniger moralische Mittel und miterliegt diesem Vorurteil doch nicht, sondern bezaubert. Octavios Zwecke bestehen sogar immerhin noch eher vor dem Richterstuhl der Moral, als die des Wallenstein. Er ist nicht mehr ehrlich gegen den Freund, als dieser ein Verräter wird, und seine Rechtfertigung gegen Max, der ihm die Falschheit verwirft:

Es ist nicht immer möglich,
Im Leben sich so kinderrein zu halten,
Wie’s uns die Stimme lehrt im Innersten.
In steter Nothwehr gegen arge List
Bleibt auch das redliche Gemüth nicht wahr -—
Das eben ist der Fluch der bösen That,
Dass sie, fortzeugend, immer Böses muss gebären.
Ich klügle nicht, ich thue meine Pflicht;
Der Kaiser schreibt mir mein Betragen vor.
Wohl wär’ es besser, überall dem Herzen
Zu folgen, doch darüber würde man
Sich manchen guten Zweck versagen müssen —

hat am Ende immerhin noch bessern Grund, als die Sophismen, mit denen Wallenstein seinen Treubruch vor sich selbst beschönigt. Ein Abfall von einem, der sich selber untreu wird, ist wenigstens kein Verrat wie der des letztem, und wenn er uns gehässiger erscheint als dieser, so ist es nur darum, weil der Dichter uns die kleinen und niedrigen Mittel, die er gelegentlich braucht, um dem Kaiser die Armee zu erhalten, schonungslos zeigt, während die des Wallenstein, um sie zu verführen, nur angedeutet, ja andern in die Schuhe geschoben werden. Es stößt uns zurück, wenn wir hören, wie Wallenstein überall sein Vertrauen zu ihm ausspricht, ihn gar entschuldigt, während wir ihn sagen hören, dass er den Feldherrn mit seinen Horchern rings umgeben habe, wenn wir sehen, wie er den Buttler, den Isolani an ihren schwachen Seiten fasst, während der Friedländer doch sicher gegen die Kürassiere, gegen Buttler, ja gegen Max nicht aufrichtiger ist. Octavio charakterisiert sein Verhältnis zu ihm vielleicht am besten, wenn er gegen Questenherg äußert:

Denken Sie nicht etwa,
Dass ich durch Lügenkünste, gleissnerische
Gefälligkeit in seine Gunst mich stahl,
Durch Heuchelworte sein Vertrauen nähre.
Befiehlt mir gleich die Klugheit und die Pflicht,
Die ich dem Reich, dem Kaiser schuldig bin,
Dass ich mein wahres Herz vor ihm verberge,
Ein falsches hab‘ ich niemals ihm geheuchelt!

In dem abergläubischen Vertrauen Wallensteins zu ihm, das nicht einmal in der eigenen Anhänglichkeit wurzelt, sondern doch nur darin, dass er ihn für das geschickteste Werkzeug seiner Plane hält, liegt schwerlich eine Verpflichtung, das Werkzeug auch zu werden.
Schließlich wird sogar unsere Teilnahme ihm wieder zugewandt, wenn wir den strengen Verstandesmenschen wenigstens an Einer Stelle der Liebe und Zärtlichkeit zugänglich finden; es rührt uns, wie ihm sein Sohn ans Herz gewachsen ist, wenn wir sehen, wie die jugendliche Reinheit, die er sich nicht erhalten konnte in den Kämpfen des Lebens, ihm an seinem Max gerade so teuer ist. Es ist einer der poetischsten Züge in der Komposition des Dichters, dass das Schicksal den schlauen Octavio mit grausamem Hohne da trifft, wo es ihm am schmerzlichsten ist, und bei ihm nicht minder als bei Wallenstein zeigt, dass man noch so geschickt rechnen — und das Fazit am Ende doch irrig sein kann.