Charakterisierung des Wallenstein, Zeichnung von Friedrich Pecht

Wallenstein, Charakter aus der Schiller-Dramen-Trilogie Wallenstein, Zeichnung von Friedrich Pecht

Wallenstein, Charakter aus der Schiller-Dramen-Trilogie Wallenstein, Zeichnung von Friedrich Pecht, 1859

Charakterisierung des Wallenstein

aus der „Schiller-Galerie“, 1859



Dass „Wallenstein“, diese herrlichste Schöpfung unsers Schiller, auch die vollendetste Tragödie sei, die das deutsche Theater überhaupt besitzt, ist allmählich überall zur Anerkennung gekommen. Wenn dem also ist, so liegt vielleicht der Hauptgrund darin, dass der‘ Held der mächtigen Trilogie zugleich auch die bei weitem am meisten gelungene, die fesselndste und bis ins kleinste Detail hinaus am meisterhaftesten durchgeführte Figur desselben, ja dass es hier vielleicht das einzige mal ist, wo es deutscher Dichtkunst gelang, uns das Wesen des Genie unwiderstehlich wahr zu zeigen, die dämonische Kraft desselben vollständig zur Erscheinung zu bringen.

Nicht als ob nicht auch die übrigen Gestalten des Stücks wie das Verhältnis, in dem sie zueinander stehen in der fortschreitenden Entwickelung der Handlung, weniger bewunderungswürdig, weniger aus der reinsten und höchsten Poesie hervorgegangen erschienen; sie alle aber werden uns nur von einzelnen Seiten her gezeichnet, während des Friedländers Gestalt bis in jede Falte des Herzens verfolgt wird.

Gleich im Prolog setzt uns der Dichter sofort auf die nötige Höhe, um das Feld seiner Darstellung zu überblicken, indem er uns den Zustand Deutschlands seit Beginn des Dreißigjährigen Kriegs schildert und fortfahrt:

Auf diesem finstern Zeitgrund malet sich
Ein Unternehmen kühnen Uebermuths
Und ein verwegener Charakter ab.
Ihr kennet ihn — den Schöpfer kühner Heere,
Des Lagers Abgott und der Länder Geisel,
Die Stütze und den Schrecken seines Kaisers,
Des Glückes abenteuerlichen Sohn,
Der, von der Zeiten Gunst emporgetragen,
Der Ehre höchste Staffel rasch erstieg
Und, ungesättigt immer weiter strebend,
Der unbezähmten Ehrsucht Opfer fiel —

und uns dann auf die nähere Ausführung, die vorzugsweise Gegenstand künstlerischer Ergänzung und Belebung der Geschichte ist, vorbereitet:

Doch euern Augen soll ihn jetzt die Kunst,
Auch euerm Herzen menschlich näher bringen:
Denn jedes Aeusserste führt ‘sie, die alles
Begrenzt und bindet, zur Natur zurück;
Sie sieht den Menschen in des Lebens Drang
Und wälzt die grössre Hälfte seiner Schuld
Den unglückseligen Gestirnen zu.

Auf dem Hintergrund ebenso furchtbarer Massen als bedeutender Charaktere, die ihn umgeben, wie sie uns schon im „Lager“, und weiter Schritt vor Schritt in den „Piccoloinini“ geschildert werden, tritt dann seine gewaltige, alles überragende Gestalt nur umso mächtiger hervor. Diese selbst ist der Aufhellung der wirklichen Geschichte mit so bewunderungswürdigem Scharfsinn, mit so außerordentlicher Divinationsgabe vorangegangen, ihre spätem Forschungen haben so sehr dazu gedient, die Auffassung des Dichters zu rechtfertigen, dass der zeichnende Künstler kaum etwas anderes tun konnte, als sich an die historischen Porträts zu halten, wie sie uns von van Dyck u. a. überliefert worden sind.

Es ist ein strenges, echt soldatisches Gesicht, das uns alle diese Bildnisse zeigen, äußerlich kalt und doch der rücksichtslosesten, verzehrendsten Leidenschaft fähig, mager, starkknochig, mit schwarzem, durchdringendem, ruhig, und schwer blickendem Auge. Die höchste Willens- und Tatkraft spricht aus dein ganzen Kopf, gepaart mit undurchdringlicher Verschlossenheit, eine in Hang zu tiefsinniger Reflexion, ja selbst zu mystischem Grübeln, die Vorliebe für das Wunderbare und Geheimnisvolle zeichnet sich in der übermäßig hochgewölbten Stirn mit den scharf abgeschlossenen Seitenwänden. Den festesten Mut aber, auch das ganz realistisch der Erde zugewandte Trachten charakterisiert der zusammengepresste Mund, die vorgedrückte Unterlippe, das kühne Profil, die starke, fast raubtierartig ausgebildete untere Partie des Gesichts, die hohe, straffe Gestalt. Über all dem das Siegel der geheimnisvollen Macht des Genie, jener Größe des Geistes nicht nur, sondern auch jener ungeheuern Gewalt des Willens, der die Massen instinktartig an sich fesselt und sie mit sich fortreißt, wie die Augen der Schlange die Vögel bezaubern. Es ist ein geborener Herrscher, der uns hier in dem runden Turmgemach, das Thekla in ihrer Unterhaltung mit Max und der Gräfin Terzky schildert, nachlässig auf einen Himmelsglobus gestützt, vorgeführt wird, die Bilder der Planeten hinter sich, die Figuren der Tafel sinnend betrachtend, auf welcher der Gestirne Lauf verzeichnet ist, deren Aspekt ihn erst zum Handeln treibt —, wie er sich selber täuschend sagt —, während es doch nur die innerste Natur ist, der er folgt. Der unzerstörbare felsenfeste Glaube an sich, verbunden mit dem Vertrauen auf besondere geheimnisvolle Mächte, die ihm zu Gebote stehen, wie sich beides so oft bei genialen Naturen findet, dieser Zusammenhangmit einem inkommensurablen dämonischen Reich, der durch das ganze Stück geht, erhöht den Zauber nur um so mehr, mit dem der Held auf uns wirkt.

Wie der Dichter den ganzen Prozess, den Wallenstein bis zum vollständigen Verrat an seinem Kaiser durchzumachen hat, Schritt für Schritt an uns vorübergehen lässt, ihn menschlich motiviert, das geschieht mit einer Meisterschaft, welcher die deutsche Dichtung nichts Ähnliches mehr an die Seite zu setzen hat. Zufall, Verhängnis und innere Notwendigkeit sind hier in einer Weise miteinander verwoben, dass uns die Spannung nicht einen Augenblick loslässt, ebenso wenig als die Bewunderung für den Helden, dessen ungeheuren Selbstbetrug wir sogar verstehen, mit dem er sich über Dinge tauscht, welche die gemeineren Naturen um ihn herum vollkommen durchschauen, sodass er uns oft als eine Art von Schlafwandler erscheint, und wir doch an seinen Geist glauben, weil wir sehen, dass er mit der Inspiration des Genie aus derselben Quelle entspringt.

Über dem Staunen vor seiner Größe vergessen wir sogar beinahe den Tadel seines schrankenlosen Egoismus, der Kälte, mit der er alles dem Moloch seines Ehrgeizes opfert, das eigene Kind, die Gattin, den jugendlichen Freund, bis ihn das Schicksal ergreift und zerschmettert unter den Trümmern seines zusammenstürzenden Gebäudes, als er eben noch in äußerster Verblendung durch das reine Opfer des Max die Rache von seinem Haupt hinweggenommen glaubt:

Die bösen Götter fordern ihren Zoll.
Das wussten schon die alten Heidenvölker:
Drum wählten sie sich selbst freiwill‘ges Unheil,
Die eifersücht‘ge Gottheit zu versöhnen,
Und Menschenopfer bluteten dem Typhon.
Auch ich hab’ ihm geopfert. — Denn mir fiel
Der liebste Freund und fiel durch meine Schuld.
So kann mich keines Glückes Gunst mehr freuen,
Als dieser Schlag mich hat geschmerzt. — Der Neid
Des Schicksals ist gesättigt, es nimmt Leben
Für Leben an, und abgeleitet ist
Auf das geliebte reine Haupt der Blitz,
Der mich zerschmetternd wollte niederschlagen.