Charakterisierung der Thekla, Zeichnung von Friedrich Pecht

Thekla, Charakter aus der Wallenstein-Trilogie, Zeichnung von Friedrich Pecht

Thekla, Charakter aus der Wallenstein-Trilogie, Zeichnung von Friedrich Pecht, 1859

Charakterisierung der Thekla

aus der „Schiller-Galerie“, 1859



Unter den Frauencharakteren des großen Dichters erweckt vielleicht keiner eine so tiefe innere Rührung als der Theklas‚ den er mit allem Zauber seiner Poesie, mit aller Pracht und Glut seiner Sprache zu schmücken gewusst hat. Der blendende Reichtum der letztern ist so groß, er nimmt unser Mitgefühl für die herrliche Gestalt so gefangen, dass wir selten dazu kommen, uns Rechenschaft über ihre einzelnen Eigenschaften zu geben, ja dass wir in jenem kühlem Alter, wo man über so viele Illusionen der Jugend nicht nur, sondern leider auch bisweilen über ihre echte und gerechte Begeisterung lächeln zu dürfen glaubt, oft sogar diesen Charakter unwahr finden und an ihm mäkeln. Freilich hatte man recht, wenn Tugend und Ehre, Aufopferungslust, Liebe und Hochsinn auch unnütze Jugendillusionen waren, statt wirkliche und hohe Güter, die unser ganzes Herz, unsere ganze Existenz auszufüllen vermögen, — wenn der nicht entsetzlich arm würde, der anfängt an ihrer Existenz zu zweifeln, sie für bloße Phrasen zu halten.

Wenn der Dichter in seinem großartigen Werke alle mit Schuld beladen sein lasst und doch die einzigen Unschuldigen, Max und Thekla, diese jugendschönen und reinen Gestalten, als die ersten Opfer in diesem Konflikte unversöhnlicher und egoistischer Naturen fallen lässt, so ist die Wirkung davon eine um so tragischere und ergreifendere, als wir die Notwendigkeit und Unvermeidlichkeit ihres Untergangs vollständig voraussehen, die gerade durch diese Reinheit, durch dieses Unvermögen, mit irgendeiner moralischen Überzeugung, mit irgendeinem Gebot der Pflicht und Ehre zu markten, herbeigeführt wird.

Thekla ist eben aus dem Kloster herausgetreten, der giftige Hauch der Welt hat noch keine ihrer sittlichen Überzeugungen wankend gemacht, sie hat noch nicht gelernt, sich mit irgendetwas abzufinden: es ist eine ganze, ungebrochene Natur, edel, enthusiastisch, hochsinnig, schwärmerisch, aber auch heftig, unbeugsam, kühn und trotzig, wie der Vater. In dieses bisher im klösterlichen stillen Frieden, der Einsamkeit der Zelle ruhig aufgeblühte Gemüt fallt nun auf einmal die Liebe wie ein Sonnenstrahl hinein, der das ganze Leben plötzlich wach ruft, es rasch zum Bewusstsein aller seiner Kräfte bringt.

Dass die Liebe die Frauen klüger, die Männer blinder macht als sie vorher waren, ist ein alter Erfahrungssatz; so wird auch hier, während Max gar nicht mehr sieht, was um ihn vorgeht, das noch eben unerfahrene, schüchterne Mädchen in raschem Wechsel scharfsehend, fest, klug und umsichtig, ihr Herz ahnt schnell, wo eine Gefahr für die Liebe droht, wer es ehrlich oder falsch mit ihr meint, sie warnt Max sogleich vor „diesen Terzkys“:

Trau ihnen nicht. Sie meinen‘s falsch. …
Ich sah es gleich,
Sie haben einen Zweck. …
Es ist nicht
Ihr Ernst, uns zu beglücken, zu verbinden.

Sie fühlt, dass sie nichts auf die Mutter bauen darf, sie findet den Vater zu beschäftigt,

Als dass er Zeit und Musse könnte haben,
An unser Glück zu denken.

Wie rücksichtslos sich diese Natur der ganzen Macht der Liebe hingibt, motiviert sie schon durch die Sorge für den Geliebten:

Wo aber wäre Wahrheit hier für dich,
Wenn du sie nicht auf meinem Munde findest? —

oder wenn sie singt:

Ich habe genossen das irdische Glück,
Ich habe gelebt und geliebet —

wenn sie sagt:

Sein Geschenk allein
Ist dieses neue Leben, das ich lebe.

Es würde in dieser Leidenschaft, wie in jeder andern, das egoistische Element uns beleidigen: Theklas edlere Natur trägt sie auch über diese Klippe weg, und wenn sie einerseits entschlossen ist, alles an den Besitz des Geliebten zu setzen:

Den festen Willen hab’ ich kennen lernen,
Den unbezwinglichen, in meiner Brust,
Und an das Höchste kann ich alles setzen —

so heiligt sie dies für unser Gefühl wieder durch die grenzenlose Opferlust der Jugend, vor allem aber dadurch, dass ihr die Liebe heiliger ist als der Geliebte, seine Ehre mehr gilt als seine Person, ja dass sie nicht einen Augenblick zögert, das eigene Glück, die letzte Hoffnung dieser Ehre zu opfern. Dass sie ihm lieber entsagt, als dass sie einen Flecken an ihm wüsste, der ihr ein Gott ist, dies ist ein Zug, der ihrem hohen Sinn nicht allein, der auch einem echt weiblichen Charakter entspricht.

Die letzte Scene, in der Max die Entscheidung über sein Handeln, somit seine Ehre ihrer richtigen Empfindung anvertraut, ist nicht nur eine der ergreifendsten des ganzen Stücks, sondern sie beruht auch auf einer tiefen Kenntnis des menschlichen Herzens, es ist jene sichere Empfindung für alles Edle in der echt weiblichen Natur, an die Max im heftigsten Zwiespalt sich wendet, wenn er sie bittet:

Leg’ alles, alles in die Wage, sprich
Und lass dein Herz entscheiden —

und sie ihm erwidert:

O das deine
Hat längst entschieden. Folge deinem ersten
Gefühl —

und dann ahnungsvoll fortfährt:

Auch mich
Wird meines Vaters Schuld mit ins Verderben
Hinabziehn.

Als Friedlands starke Tochter bewährt sie sich aber, als es hereingebrochen; es malt uns die Wirkung der finstern Hoffnungslosigkeit auf ein mutiges Gemüt, wenn sie darauf besteht, die Erzählung des schwedischen Hauptmanns noch einmal zu hören. Nicht leeres Pathos, sondern der trockene Ton der Verzweiflung, die keine Tränen mehr findet, ist’s, wenn sie vorwurfsvoll zur Neubrunn sagt:

Ward ihm sanft
Gebettet unter den Hufen seiner Bosse?

Endlich folgt sie nur der dämonischen Macht des Verhängnisses, das sie zieht nach des Geliebten Untergang nicht leben zu bleiben, wie sie das deutlich äußert, wenn sie, seiner treuen Reiter gedenkend, sagt:

Sie wollten auch im Tod nicht von ihm lassen,
Der ihres Lebens Führer war — das thaten
Die rohen Herzen, und ich sollte leben!

In diesen letzten Szenen hat sie der Künstler aufgefasst. In dem blonden Mädchengesicht mit hoher, intelligenter Stirn, großen, schwärmerischen Augen, kleinem, aber entschlossenem Munde mit vollen Lippen, festem Kinn, sehen wir die echte Tochter ihres Vaters. Seine Kühnheit und Unbeugsamkeit sind geblieben, sein egoistisches Herz ist in die Schwärmerei, den Idealismus des Weibes übersetzt worden; der volle Stolz der zum Herrschen geborenen Natur, der natürliche Adel spricht aus den hohen, großen, königlichen Formen wie des Kopfes so der Figur seiner ‚Tochter. Es ist etwas Heldenhaft-Titanisches in diesem Blut: dieses Geschlecht kann zerschmettert, nicht aber gebeugt werden.