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135. An Goethe, 29. Dezember 1795

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Jena den 29. December 1795.

Der Gedanke mit den Xenien ist prächtig und muß ausgeführt werden. Die Sie mir heute schickten, haben mich sehr ergötzt, besonders die Götter und Göttinnen darunter. Solche Titel begünstigen einen guten Einfall gleich besser. Ich denke aber, wenn wir das Hundert voll machen wollen, werden wir auch über einzelne Werke herfallen müssen, und welcher reichliche Stoff findet sich da! Sobald wir uns nur selbst nicht ganz schonen, können wir heiliges und profanes angreifen. Welchen Stoff bietet uns nicht die Stolbergische Sippschaft, Racknitz, Ramdohr, die metaphysische Welt, mit ihren Ichs und Nicht-Ichs, Freund Nicolai unser geschworener Feind, die Leipziger Geschmacksherberge, Thümmel, Göschen als sein Stallmeister, u. dgl. dar!

Gestern empfing ich die abgedruckten Bogen von den Sentimentalischen Dichtern, welche also auch noch in der großen Recension in der Literatur-Zeitung mit begriffen werden können. Ich habe Schützen schon gesprochen seitdem er sie gelesen, und ob er sie gleich erbärmlich schlecht versteht, so ist er doch nicht so sehr dadurch erschreckt worden, als ich glaubte; ich ließ ihn merken, daß ich sein Urtheil darüber zwar nicht geniren wolle, aber jeder determinirte Widerspruch gegen meine Urtheile würde mich schlechterdings zu einer Replique nöthigen, bei welcher, da ich sie mit Beweisen belegen müßte, die Autoren, deren er sich annehmen wollte, leicht ins Gedränge kommen könnten. Er wird sie also wohl sehr leise anrühren.

Die Recension wird sehr groß werden, da allein der poetische Theil mehr als ein ganzes Zeitungsblatt füllen soll. Auch ich arbeite einiges daran; so z. B. ist mir der Archenholzische Aufsatz im letzten Stück zur Recension übergeben, weil Schütz sonst nicht fertig wird. Diese Recension wird also eine rechte Harlekins-Jacke werden. Vor dem sechsten erscheint aber nichts davon.

Woltmanns Trauerspiel ist erbärmlich und in keiner Rücksicht brauchbar. Ein Ding ohne Charakter, ohne Wahrscheinlichkeit, ohne alle menschliche Natur. Erträglicher noch ist die Operette, obgleich nur gegen das Trauerspiel erträglich.

Haben Sie eine Zoonomie, die ein gewisser Hofrath Brandis herausgegeben, gelesen? Ihre Schrift über die Metamorphosen ist darin mit großer Achtung behandelt. Aber lächerlich ist’s, daß weil Ihr Name vor dem Buche steht und Sie Romane und Trauerspiele geschrieben, man schlechterdings auch daran erinnert werden muß. »Ein neuer Beweis,« meint der gute Freund, bei dieser Gelegenheit, »wie günstig der Dichtergeist auch für wissenschaftliche Wahrheit sei.«

Auf Ihre baldige Hieherkunft freue ich mich nicht wenig. Wir wollen wieder einmal alles recht durch einander bewegen. Sie bringen wohl Ihren jetzigen »Strickstrumpf« den Roman auch mit? Und dann soll es auch heißen: nulla dies sine Epigrammate.

Sie sprechen von einer so großen Theurung in der Theater-Welt. Ist Ihnen nicht schon der Gedanke gekommen ein Stück von Terenz für die neue Bühne zu versuchen? Die Adelphi hat ein gewisser Romanus schon vor 30 Jahren gut bearbeitet, wenigstens nach Lessings Zeugniß. Es wäre doch in der That des Versuches werth. Seit einiger Zeit lese ich wieder mehr in den alten Lateinern und der Terenz ist mir zuerst in die Hände gefallen. Ich übersetzte meiner Frau die Adelphi aus dem Stegreif, und das große Interesse, das wir daran genommen, läßt mich eine allgemein gute Wirkung erwarten. Gerade dieses Stück hat eine herrliche Wahrheit und Natur, viel Leben im Gange, schnell decidirte und scharf bestimmte Charaktere und durchaus einen angenehmen Humor.

Der Theater-Kalender enthält gewaltig viel Namen und blutwenig Sachen. Ich für mein Theil bin übrigens gut weggekommen: aber in welcher Gesellschaft erblickt man sich da! Ihnen wird ja ein Julius Cäsar großmüthig zugeschrieben, den Sie dem Publicum wohl schuldig bleiben werden.

Worin schreibt aber Freund Böttiger nicht!

Leben Sie recht wohl. Meine Frau grüßt bestens.

Sch.