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Xenien von Goethe und Schiller – Ursache, Entstehung und Reaktionen auf den Xenienalmanach

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Xenien – auch „Distichen“ genannt – waren bei dem römischen Dichter Martial lyrische Beigaben zu seinen Gastgeschenken. Als sich Schiller und Goethe nach der Veröffentlichung herber, teils beleidigender und kleinlicher Kritik ausgesetzt sahen, fasst sie den Entschluss, mit Xenien auf diese Kritik auseinanderzusetzen. Diese Kritik wurde zu einer Auseinandersetzung mit dem gesamten deutschen Literaturbetrieb ihrer Zeit.

Ursachen für die Xenien von Goethe und Schiller

Schiller hatte Goethe um seine Zusammenarbeit bei den Horen gebeten und Goethe hatte bereitwillig zugestimmt. Doch die Aufnahme der Horen beim Publikum war eine ganz andere, als es Schiller erwartet hatte. Sicher ist nicht zu leugnen, dass manches, was in den Horen gebracht wurde, der Leserwelt durchaus eine schwere Kost sein musste. So stellen Schillers „Briefe über die ästhetische Erziehung“ doch an viele Leser einer periodischen Zeitschrift hohe Anforderungen, denen nicht jeder Leser einer poetischen Zeitschrift nachkommen konnte. Doch Schiller musste sich mit Recht gekränkt fühlen, dass die Werke in den Horen mit Stumpfsinn und übler Rede aufgenommen wurden, während sich die Gunst des Publikums an mittelmäßigen Erzeugnissen fortwährend zuwandte. Über die Horen gab es kurzsichtige, anmaßende, feindselige und kränkende Urteile. Schillers Unmut wuchs zusehends. Goethe nahm diese Stimmung auf und unterbreitet Schiller am 28. Oktober 1795 eine erste Idee für die Xenien. „Sollten Sie sich nicht nunmehr überall umsehen und sammeln, was gegen die Horen im allgemeinen und besonderen gesagt ist, und hielten am Schluß des Jahres darüber ein Gericht? Wenn man dergleichen Dinge in Bündlein bindet, brennen sie besser.“

Schiller nahm den Gedanken auf und schrieb am 1. November 1795: „Wir leben jetzt recht in den Zeiten der Fehde. Es ist eine wahre eccelesia militans – die Horen, meine ich. Außer den Völkern, die Herr Jacobs in Halle kommandirt und die Herr Manso in der Bibliothek der schönen Wissenschaften hat anrücken lassen, haben wir auch nächstens vom Berliner Nicolai einen Angriff zu erwarten.“ Ebenso heißt es den Tag darauf an Körner: „Die Horen werden jetzt von allen Orten her sehr angegriffen, besonders meine Briefe, aber vor lauter trivialen und eselhaften Gegners, dass es keine Freude ist, auch nur ein Wort zu replizieren: in den Halleschen Annalen, in Dyks Bibliothek, und nun auch von Nicolai in Berlin. Dem letzten und plattesten Gesellen schenke ich es aber doch nicht!“

Entstehung der Xenien

Man sieht, wie sich der Xenienkampf ankündigt. Aber der eigentlich schöpferische Gedanke einer künstlerischen Form eines solchen Strafgerichtes ist erst in Goethe Brief vom 23. Dezember enthalten. Goethe war beim Lesen der Xenien des Martial der Einfall gekommen, auf alle deutschen Zeitschriften Epigramme, „jedes in einem einzigen Disticho,“ zu machen, die man ihnen als „Gastgeschenke“ etwa in Schillers Musenalmanach des nächsten Jahres darbieten solle. Dazu schickte Goethe gleich einige Proben mit und fügte hinzu: „Mit hundert Xenien, wie hier ein Dutzend beiliegen, könnte man sich sowohl beim Publiko, als seinen Kollegen aufs angenehmste empfehlen.“ Schiller erwiderte: „Der Gedanke mit den Xenien ist prächtig und muß ausgeführt werden.“ Er verarbeitete den Plan mit gewohntem Schwung und Eifer. Bald war nicht mehr bloß von Zeitschriften, sondern auch von einzelnen Personen und Werken die Rede. Schillers Zuruf „Nulla dies sine epigrammate“ wurde von beiden Dichtern befolgt, und die Zahl der Epigramme wuchs bald auf einige Hundert an. Am 18. Januar 1796 schreibt Schiller schließlich an Körner: „Für das nächste Jahr sollst Du Dein blaues Wunder sehen. Goethe und ich arbeiten schon seit einigen Wochen an einem gemeinsamen Opus für den Almanach, welches eine wahre poetische Teufelei sein wird, die noch kein Beispiel hat.“ So gingen die Monate hin und im September erschien der „Musenalmanach auf das Jahr 1797“.

Veröffentlichung der Xenien und Inhalt vom „Musenalmanach auf das Jahr 1797“

„Fort ins Land der Philister, ihr Füchse mit brennenden Schwänzen!“ Das war die Losung, mit der die beiden verbündeten Dichter den Krieg gegen die ganze literarische Welt ihrer Zeitgenossen eröffneten. Ungefähr 200 ist die Zahl der Schriftsteller, Werke und Zeitschriften, die mit diesen 676 Xenien – „Gastgeschenken“ – bedacht wurden. Diese Xenien bildeten den Hauptinhalt des Musenalmanachs auf das Jahr 1797, der später auch als „Xenienalmanach“ bezeichnet wurde. Einige der Xenien waren heiter neckend, andere derb und zornig, viele mit überlegener Verachtung. Manche waren nur leicht mit einem einzelnen Pfeil gestreift worden, andere von ganzen Salven zu Boden geschmettert. Dass es bei einem solchen dichterischen Strafgericht nicht ohne Leidenschaft und auch nicht ohne eine gewisse Einseitigkeit ging oder teils auch ungerecht sein mochte, versteht sich dabei von selbst. Doch sind es nur wenige Distichen, deren Schärfe und Bitterkeit dem Leser ein Gefühl des Bedauerns erregen. Auch kann man sich bei manchen besonders scharf gezüchtigten Gegners eines gewissen Mitleids nicht erwehren, wie beim Manso und selbst bei Nocolai, deren doch auch vorhandene achtungswerte Seiten völlig übersehen werden. Es bleibt eben der Krieg „ein gewaltsam Handwerk.“ Aber durch das Ganze weht ein Zug von hinreißender überlegener Größe: Wahrheit, Schönheit, Geistesfreiheit führen das Wort gegen Beschränktheit, Ungeschmack und Engherzigkeit. Staunenswert ist außerdem die Weite des Blickes, mit denen die beiden Dichter das ganze geistige Leben ihrer Nation umspannen und sich auch hier als wahrhafte „Kenner der Höhen und Tiefen“ erweisen.

Übrigens wurde diese scharf gewürzte literarische Speise, dieser „spanische Pfeffer“, wie beide  selbst scherzhaft die Xenien bezeichneten, dem Publikum keineswegs ohne mildernde Zutat geboten. der erste Teil des Musenalmanachs enthielt viele herrliche Poesien beider Dichter, z.B. Goethes Alexis und Dora oder von Schiller Klage des Ceres und vor allem die Epigramme, die Schiller nach reiflicher Überlegung von den polemischen, den eigentlichen Xenien absonderte und in den ersten Teil rückte. Diese gehören zu den vorzüglichsten, was auf dem Gebiet der Gedankenlyrik von Schiller geschaffen wurde: praktische Lebensweisheiten, Schillers Menschenkenntnis, tiefe Blicke in wissenschaftliche und sittliche Fragen in Kunst und Kritik, Staat, Gesellschaft und Religion. Diesen Teil der Schillerschen Xenien kommentiert Goethe: „Ihre Distchen sind außerordentlich schön, und sie werden gewiß einen trefflichen Effect machen. Wenn es möglich ist, daß die Deutschen begreifen, daß man ein guter, tüchtiger Kerl sein kann, ohne gerade ein Philister und ein Maß zu sein, so müssen Ihre schönen Sprüche das gute Werk vollbringen, in denen die großen Verhältnisse der menschlichen Natur mit so viel Adel, Freiheit und Kühnheit dargestellt sind.“

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