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Der Parasit (Picard) – Vierter Aufzug. Vierter Auftritt.

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Vorige. Beide Firmins.

Narbonne (ihnen entgegen).
Ich habe Sie längst erwartet, meine Herren! – Nur herein! Nur näher! Sei’n Sie herzlich willkommen! – Hier Herr Firmin, meine Mutter und hier meine Tochter – Sie sind kein Fremdling in meiner Familie.

Mad. Belmont (zu Karl Firmin).
Ich hatte mir‘ s nicht erwartet, Sie hier in Paris zu sehen; es ist sehr angenehm, sich mit lieben Freunden so unvermuthet zusammen zu finden.

Karl.
Dieser Name hat einen hohen Werth für mich. (Zu Charlotten.) Sie haben Ihre Tante doch wohl verlassen?

Charlotte.
Ja, Herr Firmin!

Karl.
Es waren unvergeßliche Tage, die ich in Ihrem Hause verlebte. Dort war’s, mein Fräulein –

Narbonne (zu Firmin, dem Vater).
Lassen wir die jungen Leute ihre Bekanntschaft erneuern. – Nun, Herr Firmin, da ist Selicour!

Selicour (zu Firmin).
In der That – ich bin – ich kann nicht genug sagen, wie erfreut ich bin – Sie bei dem Herrn von Narbonne eingeführt zu sehen.

Narbonne.
Sie sind Beide die Männer dazu, einander Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. (Zu Firmin.) Er hat etwas auf dem Herzen, ich wünschte, daß Sie sich gegen einander erklärten, meine Herren!

Selicour.
O nicht doch! Nicht doch! Herr Firmin kennt mich als seinen Freund.

Narbonne.
Und sei’n Sie versichert, er ist auch der Ihrige. Ich wünschte, Sie hätten es gehört, mit welcher Wärme er noch heute Ihre Partei nahm. Ganz gewiß hat dieser La Roche wieder –

Selicour.
Aber was in aller Welt mag doch den La Roche so gegen mich aufheben?

Narbonne.
Dieser La Roche ist mein Mann nicht – wenigstens hab‘ ich eine schlechte Meinung von seinem Charakter.

Firmin.
Sie thun ihm Unrecht. Ich habe heute gegen ihn gesprochen, aber diesmal muß ich ihn vertheidigen.

Selicour.
Es ist ganz und gar nicht nöthig. Ich schätze ihn, ich kenne sein gutes Herz und kenne auch seine Sparren. – Und mag er mich am Ende bei der ganzen Welt anschwärzen, wenn er nur bei Ihnen keinen Glauben fand! – Sie sehen, wir sind fertig – unser Streit ist beigelegt; es braucht keiner weitern Erklärung.

Mad. Belmont.
Nun, wollen Sie nicht Platz nehmen, meine Herren?

Selicour (zu Karl Firmin).
Es ist schon übergeben, das Gedicht.

Karl.
Wirklich?

Selicour.
Die alte Mama hat es, und den Verfasser habe ich ihr nicht verschwiegen. (Madame Belmont bei Seite führend). Wissen Sie, was ich gemacht habe?

Mad. Belmont.
Nun!

Selicour.
Der junge Firmin – Sie wissen, er gibt sich mit Versemachen ab.

Mad. Belmont.
Ja! – Nun!

Selicour.
Ich habe ihn ersucht, sich für den Verfasser des Liedchens zu bekennen – Er läßt sich’s gefallen!

Mad. Belmont.
Läßt sich’s gefallen? Das glaub‘ ich!

Selicour.
Daß Sie mich ja nicht Lügen strafen!

Narbonne.
Aber bis unsre andern Gäste kommen, liebe Mutter, lassen Sie uns eine kleine Unterhaltung ausdenken – Zum Spiel lade ich Sie nicht ein – wir können uns besser beschäftigen.

Firmin.
Sie haben zu befehlen.

Karl.
Es wird von Madame abhängen.

Charlotte.
Lieben Sie noch immer die Musik, Herr Firmin?

Narbonne.
Es ist ja wahr, du singst nicht übel – Laß hören! – Hast du uns nicht irgend etwas Neues vorzutragen?

Karl.
Wenn es Fräulein Charlotte nicht zu viel Mühe macht.

Charlotte.
Hier hat man mir so eben einige Strophen zugestellt.

Narbonne.
Gut! Ich werde, mit Ihrer Erlaubniß, unterdessen das Memoire unseres Freundes durchlesen.

Selicour.
Aber wir werden Sie stören, Herr von Narbonne!

Narbonne.
Nicht doch! Ich bin gewohnt, im ärgsten Geräusch zu arbeiten – und hier ist nur vom Lesen die Rede! (Er geht auf die entgegengesetzte Seite, wo er sich niedersetzt.)

Selicour.
Wenn Sie aber doch lieber –

Narbonne.
Verzeihen Sie! Aber es leidet keinen Aufschub. Die Pflicht geht allem vor!

Mad. Belmont.
Lassen wir ihn denn, wenn er es so will, und nehmen unser Lied vor. (Alle setzen sich, Charlotte ans Ende, Madame Belmont neben Charlotte, Selicour zwischen Madame Belmont und Karln, neben Letztern Firmin der Vater.)

Charlotte.
Die Melodie ist gleich gut gewählt, wie ich sehe.

Madame Belmont.
Der Verfasser ist nicht weit, – ich kann ihn ohne Brille sehen.

Selicour (zu Madame Belmont leise).
Verrathen Sie mich nicht. – (Zu Karl Firmin.) Das gilt Ihnen. mein Lieber!

Charlotte.
Ihm! Wie?

Firmin.
Ist das wahr, Karl? Wärest du –

Selicour.
Er ist der Verfasser.

Charlotte (zu ihrer Großmutter).
Wie? Herr Firmin wäre der Verfasser!

Mad. Belmont (laut).
– Ja! – (heimlich.) Nenne den wahren Verfasser ja nicht –

Charlotte.
Warum nicht?

Mad. Belmont.
Aus Ursachen. (Zu Selicour.) Wollen Sie Charlotten nicht accompagnieren?

Selicour.
Mit Vergnügen.

Firmin (ärgerlich zu seinem Sohn).
Gewiß wieder eine übereilte Arbeit – aber das muß einmal gedichtet sein –

Karl.
Aber, lieber Vater, hören Sie doch erst, eh Sie richten!

Charlotte (singt).
An der Quelle saß der Knabe,
Blumen band er sich zum Kranz,
Und er sah sie, fortgerissen,
Treiben in der Wellen Tanz, –
»Und so fliehen meine Tage,
»Wie die Quelle, rastlos hin,
»Und so schwindet meine Jugend,
»Wie die Kränze schnell verblühn!«

Mad. Belmont (Selicour ansehend).
Dieser Anfang verspricht schon viel!

Selicour (auf Karl Firmin zeigend).
Diesem Herrn da gehört das Compliment.

Mad. Belmont.
Gut! Gut! Ich verstehe!

Firmin.
Der Gedanke ist alltäglich, gemein.

Karl.
Aber er ist doch wahr.

Narbonne (auf der entgegengesetzten Seite mit dem Aufsatz beschäftigt).
Die Einleitung ist sehr gut und erweckt sogleich die Aufmerksamkeit.

Charlotte (singt wieder).
»Fraget nicht, warum ich traure
»In des Lebens Blüthenzeit;
»Alles freuet sich und hoffet,
»Wenn der Frühling sich erneut!
»Aber diese tausend Stimmen
»Der erwachenden Natur
» Wecken in dem tiefen Busen
»Mir den schweren Kummer nur!«

Mad. Belmont.
Zum Entzücken!

Firmin.
Nicht übel.

Selicour (zu Karl Firmin).
Sie sehen, wie alles Sie bewundert.

Narbonne (lesend).
Trefflich entwickelt und nachdrücklich vorgetragen – Lesen Sie doch mit mir, Herr Firmin! (Firmin tritt zum Minister und liest über seine linke Schulter.)

Mad. Belmont.
Ganz göttlich!

Selicour (zu Narbonne tretend).
Ich habe aber freilich dem Herrn Firmin viel, sehr, sehr viel dabei zu danken. (Tritt wieder auf die andere Seite zwischen Karl Firmin und Madame Belmont, doch ohne die andere Gruppe aus den Augen zu verlieren.)

Charlotte (singt wieder).
»Was kann mir die Freude frommen,
»Die der schöne Lenz mir beut?
»Eine nur ist’s, die ich suche,
»Sie ist nah und ewig weit.
»Sehnend breit ich meine Arme,
»Nach dem theuren Schattenbild;
»Ach, ich kann es nicht erreichen,
»Und das Herz bleibt ungestillt!

»Komm herab, du schöne Holde,
»Und verlaß dein stolzes Schloß!
»Blumen, die der Lenz geboren,
»Streu‘ ich dir in deinen Schooß.
»Horch, der Hain erschallt von Liedern
»Und die Quelle rieselt klar!
»Raum ist in der kleinsten Hütte
»Für ein glücklich liebend Paar.«

Mad. Belmont.
Wie rührend der Schluß ist! – Das liebe Kind ist ganz davon bewegt worden.

Charlotte.
Ja, es mag es gemacht haben, wer will, es ist aus einem Herzen geflossen, das die Liebe kennt!

Selicour (verneigt sich gegen Charlotten).
Dies ist ein schmeichelhaftes Lob.

Karl.
Was? Er bedankt sich –

Selicour (schnell zu Karl Firmin sich umdrehend).
Nicht wahr, lieber Freund?

Mad. Belmont.
Ich bin ganz davon hingerissen –

Selicour (bückt sich gegen Madame Belmont).
Gar zu gütig, Madame!

Karl.
Wie versteh‘ ich das?

Selicour (eben so schnell wieder zu Karl Firmin).
Nun! sagt‘ ich’s Ihnen nicht? Sie haben den vollkommensten Sieg davon getragen.

Karl.
Hält er mich zum Narren?

Narbonne.
Das Werk ist vortrefflich! Ganz vortrefflich!

Selicour (zu Firmin dem Vater).
Sie sehen, ich habe mich ganz an Ihre Ideen gehalten.

Firmin (lächelt).
Ich muß gestehen, ich merke so etwas.

Charlotte.
Ich weiß nicht, welchem von beiden Herren –

Selicour (zu Charlotten, indem er auf Karl Firmin deutet).
Ein süßer Triumph für den Verfasser!

Narbonne (den Aufsatz zusammenlegend.)
Ein wahres Meisterwerk. In der That!

Selicour (bückt sich gegen Narbonne).
Gar zu viel Ehre!

Mad. Belmont (wiederholt die letzte Strophe).
Horch, der Hain erschallt von Liedern,
Und die Quelle rieselt klar!
Raum ist in der kleinsten Hütte
für ein glücklich liebend Paar!

Schön! Himmlisch! Dem widerstehe, wer kann! – Selicour, es bleibt dabei, Sie heirathen meine Charlotte!

Karl.
O Himmel!

Charlotte.
Was hör‘ ich!

Narbonne (steht auf).
Ich kenne wenig Arbeiten, die so vortrefflich wären – Selicour, Sie sind Gesandter!

Karl.
Mein Gott!

Narbonne.
Sie sind’s! Ich stehe Ihnen für Ihre Ernennung! Wer das schreiben konnte, muß ein rechtschaffener Mann, muß ein Mann von hohem Genie sein!

Selicour.
Aber erlauben Sie – ich weiß nicht, ob ich es annehmen darf – Zufrieden mit meinem jetzigen Loose –

Narbonne.
Sie müssen sich von allem losreißen, wenn der Staat Sie anderswo nöthig hat.

Selicour.
Dürfte ich mir nicht wenigstens Herrn Firmin zu meinem Secretär ausbitten?

Firmin.
Wo denken Sie hin? Mich? Mich? Zu Ihrem Secretär?

Selicour.
Ja, Herr Firmin! Ich habe Sie sehr nöthig.

Karl.
Das will ich glauben.

Narbonne.
Das wird sich finden! Nun! Wie ist die Musik abgelaufen?

Selicour.
Fräulein Charlotte hat ganz himmlisch gesungen.