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858. An Goethe, 12. Mai 1802

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Weimar, 12. Mai 1802.

Die Vorstellung der Iphigenia auf den Sonnabend wird keine Schwierigkeit haben, obgleich uns der Titus gestern und heut das Theater wegnahm. Morgen und übermorgen aber werden die Theaterproben mit Ernst vorgenommen werden, und ich hoffe, daß Sie über Ihr Werk nicht erschrecken sollen. Wohl glaube ich, daß die sinnliche Erscheinung dieses Stücks manche vergangene Zustände in Ihnen erwecken wird, sowohl in Formen und Farben Ihres eignen Gemüths, als auch der Welt mit der Sie sich damals zusammen fühlten, und in letzterer Rücksicht wird es mehreren hiesigen Freunden und Freundinnen merkwürdig sein.

Mit dem Alarcos wollen wir es also auf jede Gefahr wagen und uns selbst wenigstens dadurch belehren. Ich will es unsern Schauspielern möglichst ans Herz legen, das Beste daran zu wenden. Der Charlotte Kalb habe ich das Stück lesen lassen, aus Neugierde wie ein solches Product auf einen solchen Sinn wirken würde. Aber es sind närrische Dinge dabei zum Vorschein gekommen, und ich werde mich hüten, eine solche Probe zu wiederholen. Es ist sonderbar, was für Säfte gewisse Thiere aus gewissen Pflanzen ziehen, und die Kalb gehört auch zu denen Lesern, die glauben, ein poetisches Werk, das man ihnen vorsetzt, verspeisen zu müssen anstatt es anzuschauen. Sie meint für den Verfasser der Lucinde, an der sie ein großes Wohlgefallen zu haben schien, sei dieser Alarcos ein sehr religiöses Product. Die passionirteste Natur in dem Stück, die Infantin, fand sie abscheulich und unmoralisch, gerade gegen meine Erwartung; aber es scheint daß die gleichnamigten Pole sich überall abstoßen müssen.

Cotta kam vorigen Sonnabend hier durch; er hofft Sie, bei seiner Zurückkunft welche nächsten Sonnabend über vierzehn Tagen sein wird, hier zu finden. Mir trug er auf, Sie zu bitten, daß Sie ihm erlauben möchten Mahomet und Tancred in Schwaben zu drucken. Gädike hat ihn auf eine undankbare Art sitzen lassen. Den Druck wolle er ganz nach Ihrer Vorschrift einrichten und die strengste Correctur beobachten lassen. Er ließ mir beigeschloßnen Aufsatz von dem Architekt Weinbrenner für Sie zurück. Der Verfasser wünschte Ihre Mitwirkung bei dem Vorschlage den er darin thut.

Die ersten Zeiten meiner hiesigen Ortsveränderung sind mir durch manches verbittert worden, besonders aber durch die Nachricht von dem schweren Krankenlager und Tod meiner Mutter in Schwaben; aus einem Brief den ich vor einigen Tagen erhielt, erfuhr ich, daß an demselben Tag wo ich mein neues Haus bezog, die Mutter starb. Man kann sich nicht erwehren, von einer solchen Verflechtung der Schicksale schmerzlich angegriffen zu werden.

Leben Sie recht wohl und freuen sich Ihrer wohlgelungenen Geschäfte. Das Geld das Sie so gütig waren mir vorzuschießen, liegt parat und ich erwarte nun Ihre Befehle darüber. Wenn es Sie nicht belästigt, so wollte ich Sie bitten, sich von Niethammern eine Note über das geben zu lassen, was ich ihm für meine und der Herzogin Bücher, die in der Eckartischen Auction erstanden worden, zu bezahlen habe, so wollte ich dann beide Schuldposten auf einmal tilgen und erwarte nun Ihre Anweisung darüber.

Mit dem Athenor sind Sie mir um einen Tag zuvorgekommen, denn auch ich habe dieses schreckliche Product erhalten und hatte es schon für Sie beiseit gelegt. Ich lege hier ein andres bei, das nicht viel erfreulicher ist, besonders die Vorrede.

Leben Sie recht wohl. Elise Bürgern werden Sie nun wohl selbst gehört haben?

Sch.