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49. An Goethe, 22. Februar 1795

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Jena den 22. Februar 1795.

Ihrem Verlangen gemäß folgt hier das vierte Buch des W. Meister. Wo ich einigen Anstoß fand, habe ich einen Strich am Rande gemacht, dessen Bedeutung Sie bald finden werden. Wo Sie sie nicht finden, da wird auch nichts verloren sein.

Eine etwas wichtigere Bemerkung muß ich bei Gelegenheit des Geldgeschenkes machen, das Wilhelm von der Gräfin durch die Hände des Barons erhält und annimmt. Mir däucht – und so schien es auch Humboldten – daß nach dem zarten Verhältnisse zwischen ihm und der Gräfin, diese ihm ein solches Geschenk und durch eine fremde Hand nicht anbieten, und er nicht annehmen dürfe. Ich suchte im Context nach etwas, was ihre und seine Delicatesse retten könnte, und glaube, daß diese dadurch geschont werden würde, wenn ihm dieses Geschenk als Remboursement für gehabte Unkosten gegeben und unter diesem Titel von ihm angenommen würde. Entscheiden Sie nun selbst. So wie es dasteht, stutzt der Leser und wird verlegen, wie er das Zartgefühl des Helden retten soll.

Uebrigens habe ich beim zweiten Durchlesen wieder neues Vergnügen über die unendliche Wahrheit der Schilderungen und über die treffliche Entwicklung des Hamlet empfunden. Was die letztere betrifft, so wünschte ich, bloß in Rücksicht auf die Verkettung des ganzen und der Mannigfaltigkeit wegen, die sonst in einem so hohen Grade behauptet worden ist, daß diese Materie nicht so unmittelbar hinter einander vorgetragen, sondern, wenn es anginge, durch einige bedeutende Zwischenumstände hätte unterbrochen werden können. Bei der ersten Zusammenkunft mit Serlo kommt sie zu schnell wieder aufs Tapet, und nachher im Zimmer Aureliens gleich wieder. Indeß sind dieß Kleinigkeiten, die dem Leser gar nicht auffallen würden, wenn Sie ihm nicht selbst durch alles Vorhergehende die Erwartung der höchsten Varietät beigebracht hätten.

Körner, der mir gestern schrieb, hat mir ausdrücklich anbefohlen, Ihnen für das hohe Vergnügen zu danken, das ihm Wilh. Meister verschafft. Er hat sich nicht versagen können etwas daraus in Musik zu setzen, welches er Ihnen durch mich vorlegt. Eins ist auf die Mandoline und das andre auf das Clavier. Die erstere findet sich wohl irgendwo in Weimar.

Noch muß ich Sie ernstlich bitten, sich unsers dritten Stücks der Horen zu erinnern. Cotta bittet mich dringend ihm die Manuscripte früher zu schicken, und meint, daß der zehnte des Monats der späteste Termin sein müsse, an welchem er das Manuscript beisammen haben müsse. Es müsse also am dritten von hier abgehen können. Glauben Sie wohl, um diese Zeit mit dem Procurator fertig zu sein? Meine Mahnung darf Sie aber keineswegs belästigen, denn Sie haben völlig freie Wahl, ihn entweder für das dritte oder vierte Stück zu bestimmen, weil doch eines von diesen beiden Stücken von Ihnen übergangen werden soll.

Herzlich empfehlen wir uns Ihnen alle, und Meyern bitte ich von meiner Seite bestens zu grüßen.

Schiller.