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364. An Goethe, 2. Oktober 1797

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Jena den 2. October 1797.

Endlich erhalten Sie den Almanach vollendet, bis auf die Musik, welche nachkommt. Ich erwarte in Ihrem nächsten Brief zu erfahren, an wen ich die übrigen Exemplarien, die für Sie bestimmt sind, abgeben soll. Oberons goldne Hochzeit finden Sie nicht in der Sammlung, aus zwei Gründen ließ ich sie weg. Erstlich dachte ich würde es gut sein, wenn wir aus diesem Almanach schlechterdings alle Stacheln wegließen und eine recht fromme Miene machten, und dann wollte ich nicht, daß die goldne Hochzeit, die noch so vielen Stoff zu einer größern Ausführung giebt, mit so wenig Strophen abgethan würde. Wir besitzen in ihr einen Schatz für das nächste Jahr, der sich noch sehr weit ausspinnen läßt.

Von dem Verfasser der Elegien, die Ihnen nicht übel gefallen werden, kann Ihnen wahrscheinlich Meyer selbst mehrere Auskunft geben. Sein Name ist Keller; er ist ein Schweizer, aus Zürich wie ich glaube, und halt sich als Künstler in Rom auf. Mir sind diese Elegien von einem Herrn Horner aus Zürich zugesendet worden. Vielleicht haben Sie letztern indeß schon selbst kennen lernen, er hat auch schon etwas zu den Horen gegeben. Jetzt, da ich den Almanach hinter mir habe, kann ich mich endlich wieder zu dem Wallenstein wenden. Indem ich die fertig gemachten Scenen wieder ansehe, bin ich im Ganzen zwar wohl mit mir zufrieden, nur glaube ich einige Trockenheit darin zu finden, die ich mir aber ganz wohl erklären und auch wegzuräumen hoffen kann. Sie entstand aus einer gewissen Furcht, in meine ehemalige rhetorische Manier zu fallen, und aus einem zu ängstlichen Bestreben, dem Objecte recht nahe zu bleiben. Nun ist aber das Object schon an sich selbst etwas trocken, und bedarf mehr als irgend eines der poetischen Liberalität; es ist daher hier nöthiger als irgendwo, wenn beide Abwege, das Prosaische und das Rhetorische, gleich sorgfältig vermieden werden sollen, eine recht reine poetische Stimmung zu erwarten.

Ich sehe zwar noch eine ungeheure Arbeit vor mir, aber soviel weiß ich, daß es keine faux frais sein werden; denn das Ganze ist poetisch organisirt und ich darf wohl sagen, der Stoff ist in eine reine tragische Fabel verwandelt. Der Moment der Handlung ist so prägnant, daß alles was zur Vollständigkeit derselben gehört, natürlich, ja in gewissem Sinn nothwendig darin liegt, daraus hervorgeht. Es bleibt nichts blindes darin, nach allen Seiten ist es geöffnet. Zugleich gelang es mir, die Handlung gleich vom Anfang in eine solche Präcipitation und Neigung zu bringen, daß sie in stetiger und beschleunigter Bewegung zu ihrem Ende eilt. Da der Hauptcharakter eigentlich retardirend ist, so thun die Umstände eigentlich alles zur Krise und dieß wird, wie ich denke, den tragischen Eindruck sehr erhöhen.

Ich habe mich dieser Tage viel damit beschäftigt, einen Stoff zur Tragödie aufzufinden, der von der Art des Oedipus Rex wäre und dem Dichter die nämlichen Vortheile verschaffte. Diese Vortheile sind unermeßlich, wenn ich auch nur des einzigen erwähne, daß man die zusammengesetzteste Handlung, welche der tragischen Form ganz widerstrebt, dabei zum Grunde legen kann, indem diese Handlung ja schon geschehen ist, und mithin ganz jenseits der Tragödie fällt. Dazu kommt, daß das Geschehene, als unabänderlich, seiner Natur nach viel fürchterlicher ist, und die Furcht daß etwas geschehen sein möchte, das Gemüth ganz anders afficirt, als die Furcht, daß etwas geschehen möchte.

Der Oedipus ist gleichsam nur eine tragische Analysis. Alles ist schon da, und es wird nur herausgewickelt. Das kann in der einfachsten Handlung und in einem sehr kleinen Zeitmoment geschehen, wenn die Begebenheiten auch noch so complicirt und von Umständen abhängig waren. Wie begünstigt das nicht den Poeten!

Aber ich fürchte, der Oedipus ist seine eigene Gattung und es giebt keine zweite Species davon; am allerwenigsten würde man aus weniger fabelhaften Zeiten ein Gegenstück dazu auffinden können. Das Orakel hat einen Antheil an der Tragödie, der schlechterdings durch nichts anderes zu ersetzen ist; und wollte man das Wesentliche der Fabel selbst, bei veränderten Personen und Zeiten, beibehalten, so würde lächerlich werden, was jetzt furchtbar ist.

Ich habe lange nichts von Ihnen gehört, und sehe dem nächsten Brief mit Ungeduld entgegen. Vielleicht erfahre ich daraus auch etwas näheres über Ihre Reise und Ihren künftigen Aufenthalt. Von Humboldts habe ich indessen nichts mehr gehört, doch finde ich es nicht unwahrscheinlich, daß sie sich noch nach der Schweiz wenden werden.

Wie steht es um Ihre Entwicklung antiker Bildhauerwerke, davon der Laokoon der Anfang ist? Ich habe diesen neuerdings wieder mit der höchsten Befriedigung gelesen und kann gar nicht genug sagen, auf wie viele bedeutende fruchtbare Ideen, die Organisation ästhetischer Werke betreffend, er leitet. Hermann und Dorothea rumorieren schon im Stillen; auch Körner schreibt mir daß er das Ganze gelesen, und findet, daß es in Eine Klasse mit dem besten gehöre, was Sie geschrieben. Dank’s ihm der T–!

Leben Sie recht wohl, theurer Freund! Meine Frau grüßt Sie aufs beste. Meyern viele Grüße.

Sch.

Die schönen Exemplare des Almanachs sind noch nicht fertig. Einstweilen schick‘ ich ein gewöhnliches.