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403. An Schiller, 13. Januar 1798

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Ihr lehrreicher Brief trifft mich eben bei den Farben der aneinander gedruckten Glasplatten, dem Phänomen das Sie selbst so sehr interessirte und das ich jetzt auf seine ersten Elemente zu verfolgen vorhabe, indem ich ein Capitel nach dem andern auszuarbeiten gedenke. Schreiben Sie doch ja bei Gelegenheit meines Aufsatzes was Sie denken hin, denn wir müssen jetzt einen großen Schritt thun und ich glaube wieder bei Gelegenheit des Schellingischen Buches zu bemerken, daß von den neuern Philosophen wenig Hülfe zu hoffen ist . Ich habe diese Tage, beim Zertrennen und Ordnen meiner Papiere, mit Zufriedenheit gesehen wie ich, durch treues Vorschreiten und bescheidnes Aufmerken, von einem steifen Realism und einer stockenden Objectivität dahin gekommen bin daß ich Ihren heutigen Brief als mein eignes Glaubensbekenntniß unterschreiben kann. Ich will sehen ob ich durch meine Arbeit diese meine Ueberzeugung praktisch darstellen kann.

Indem ich diese Woche verschiedne physische Schriften wieder ansah ist es mir recht aufgefallen, wie die meisten Forscher die Naturphänomene als eine Gelegenheit brauchen die Kräfte ihres Individuums anzuwenden und ihr Handwerk zu üben. Es geht über alle Begriffe wie zur Unzeit Newton den Geometer in seiner Optik macht; es ist nicht besser als wenn man die Erscheinungen in Musik setzen oder in Verse bringen wollte, weil man Kapellmeister oder Dichter ist. Der Mechaniker läßt das Licht aus Kugeln bestehn, die sich einander stoßen und treiben; wie sie nun mehr oder weniger schief abprallen so müssen die verschiedenen Farben entstehen; beim Chemiker soll’s der Wärmestoff und besonders in der neuern Zeit das Oxygen gethan haben. Ein stiller und besonders bescheidner Mann wie Klügel zweifelt und läßt es dahingestellt sein: Lichtenberg macht Späße und neckt die Vorstellungsarten der andern; Wünsch bringt eine Hypothese vor die toller ist als ein Capitel aus der Apokalypse, verschwendet Thätigkeit, Geschicklichkeit im Experimentiren, Scharfsinn im Combiniren an den absurdesten Einfall in der Welt; Gren wiederholt das alte, wie einer der ein symbolisches Glaubensbekenntniß abbetet, und versichert es sei das rechte. Genug es ist mehr oder weniger jedem darum zu thun seinen individuellen Zustand mit der Sache zu verbinden und sich wo möglich dabei seine Convenienz zu machen. Wir wollen nun sehen wie wir uns vor diesen Gefahren in Acht nehmen; helfen Sie mir mit aufmerken.

Ich will nächstens Ihnen ein Apperçu über das Ganze schreiben, um von meiner Methode, vom Zweck und Sinn der Arbeit Rechenschaft zu geben.

Heute nur noch meinen Glückwunsch zum fortschreitenden Wallenstein.

Das tolle philosophische Gespräch ist aus des Erasmus Francisci neupolirtem Geschicht-, Kunst- und Sittenspiegel, einem abgeschmackten Buche, das aber manchen für uns brauchbaren Stoff enthält.

Leben Sie recht wohl. Die Botenfrau steht vor der Thüre.

Weimar den 13. Januar 1798.

G.